04.08.2009


Theodor Ickler

Zweieinhalb Pfund für den Ranzen

Duden und Wahrig nehmen es mit den amtlichen Regeln nicht ganz so genau

Nicht allgemeingültig, aber Profit bringend? Duden und Wahrig haben neue Wörterbücher vorgelegt, die mit schierer Masse und neuen Wörtern prunken, aber sich nicht immer an die amtlichen Regeln halten. Bei Groß- und Kleinschreibung herrscht ein kaum noch erklärbares Durcheinander.

Der fünfte Duden innerhalb von dreizehn Jahren Rechtschreibreform kann erstmals nicht mit orthographischen Neuigkeiten aufwarten, da die Reparaturarbeiten des Rates für deutsche Rechtschreibung Anfang 2006 unterbrochen wurden – zwecks „Marktberuhigung“, wie der Vorsitzende Hans Zehetmair sagte. Der Rat diskutiert zwar schon weitere Rückbaumaßnahmen, zum Beispiel die Wiederherstellung der kleinen Anfangsbuchstaben in Wendungen wie „im Allgemeinen“, „des Öfteren“, „heute Abend“. Im Augenblick bleibt dem Dudenverlag aber nur die Möglichkeit, mit neuen Einträgen zu werben, die im Vorwort irreführend als „5000 neu in Gebrauch gekommene Wörter“ bezeichnet werden.

Nur etwa fünf Prozent davon sind wirkliche Neologismen („snowkiten“, „twittern“), der große Rest schöpft aus dem unendlichen Vorrat von orthographisch irrelevanten Zusammensetzungen („Sommermärchen“, „Regenbogenfamilie“, „Sofortrente“) und bisher vergessenen Wörtern („Stockbrot“, „verzocken“). Die weiblichen Personenbezeichnungen („Voltairianerin“, „Ziegelbrennerin“) lassen an der Behauptung der Redaktion zweifeln, die Auswahl der Einträge orientiere sich an einem Textkorpus.

Keine Kennzeichnung reformierter Schreibweisen

Von den wirklich einschneidenden Neuerungen spricht die Duden-Werbung kaum: Erstens ist das amtliche Regelwerk nicht mehr abgedruckt. Zwar verweisen Ziffern noch auf dessen Paragraphen, aber da kaum jemand die Regeln zur Hand haben dürfte, kann man nur noch schwer nachprüfen, ob der Duden die amtliche Vorgabe korrekt umsetzt. Das ist nicht durchweg der Fall. „Bei zusammengesetzten Farbbezeichnungen können die Abtönung einer Farbe (z. B. ein bläuliches Rot) durch Zusammenschreibung (,blaurot‘), das Nebeneinander zweier Farben durch Bindestrichschreibung (ein Kleid in Blau und Rot ist ein ,blau-rotes‘ Kleid) ausgedrückt werden. Diese Unterscheidung hilft, Missverständnisse zu vermeiden, und wird deshalb von uns empfohlen.“ In Wirklichkeit hat die Reform diese Unterscheidungsmöglichkeit ausdrücklich aufgehoben. Eine andere Eigenmächtigkeit betrifft die Getrenntschreibung bei „intransitiven und reflexiven Verben“ – eine Kategorie, die in der amtlichen Regelung nicht vorkommt.

Zweitens ist die rote Markierung der Reformschreibungen ersatzlos weggefallen. Man kann also die bisher üblichen Schreibweisen nicht mehr erschließen. Von ihnen behauptet der Verlag, es gebe sie praktisch nicht mehr. Aber fast alle namhaften Schriftsteller benutzen sie weiterhin. Nur den Schulkindern wird sie notenrelevant als Fehler angestrichen. Der Duden widerspricht sich aber selbst, wenn er die Großschreibung von „Hunderte“, „Tausende“ und „Dutzende“ empfiehlt, „da vor allem die Kleinschreibung von ,Dutzende‘ sehr ungewohnt sein dürfte“. Ungewohnt? Doch nur solange die Menschen noch an die „alte“ Rechtschreibung gewöhnt sind.

„Weit gereist“, aber „weitverbreitet“

Drittens: Bei Varianten werden die dreitausend vom Duden empfohlenen Schreibweisen – wie bisher gelb unterlegt – nun stets an erster Stelle genannt. Auch dies ein Versuch, die Dudenorthographie unter veränderten Bedingungen doch noch durchzusetzen, aber wenn man sich die Empfehlungen näher ansieht, zweifelt man an den Erfolgsaussichten. Es soll geschrieben werden: „Furcht einflößend“, „furchterregend“, „Energie sparend“, „platzsparend“, „Raum sparend“, „zeitsparend“, „Staaten bildend“, „klassenbildend“, „Sporen bildend“, „blutbildend“, „Profit bringend“, „gewinnbringend“, „kaputt machen“, „kaputtsparen“, „nichts ahnend“, „nichtssagend“, „stramm ziehen“, „strammstehen“, „gerade biegen“, „geraderichten“, „lang ziehen“, „hochziehen“, „allgemein verbindlich“, „allgemeingültig“, „weit gereist“, „weitverbreitet“, „hoch dotiert“, „hochdekoriert“, „eine Zeit lang“, „eine Handvoll“. Grammatisch falsche Varianten werden vom Duden weiterhin empfohlen: „das ist nicht Erfolg versprechend“, „das Material ist Hitze abweisend“.

Hier wird die nächste Revision ansetzen. Übrigens hatte der Rechtschreibrat sich auf seiner neunten Sitzung ausdrücklich gegen Empfehlungen nach Art des Duden ausgesprochen.

Wahrig näher am Sprachgebrauch

Der gleichzeitig erschienene neue Wahrig bietet nach wie vor das amtliche Regelwerk, das er insgesamt richtiger interpretiert; er kennzeichnet die reformierten Schreibweisen weiterhin in Blau und hält sich mit Empfehlungen sehr zurück, bleibt auch insgesamt näher am Sprachgebrauch. Auch mit der politischen Korrektheit, also etwa den weiblichen Personenbezeichnungen, übertreibt er es nicht. Als Zugabe enthält er die gemeinsame Hausorthographie der Nachrichtenagenturen. Außerdem ist er preiswerter.

Ein kurioses Versehen im amtlichen Wörterverzeichnis, regelwidrig zusammengeschriebenes „dagewesen“, wird von beiden Werken getreulich reproduziert, aber Duden erfindet noch zwei analoge Fehlschreibungen hinzu: „bekanntgewesen“, „dabeigewesen“. Im Irrtum vereint zeigen sich beide mit zusammengeschriebenem „wieweit“. Die Großschreibung bei „morgen Früh“ wird entgegen der amtlichen Regelung für eine zulässige Variante gehalten.

Den Regeln entgegen

Das Werben mit Neueinträgen ist nicht ohne Risiko, denn es gewöhnt die Käufer daran, sich auf die Suche nach dem Allerneuesten zu machen. Wahrig wirbt listig mit Wörtern, die zufällig nicht im Duden stehen: „Speeddating“, „Whiteboard“, „Exoplanet“, „Kopfnote“. Die „Abwrackprämie“ steht in beiden, das „Flatrate-Bordell“ natürlich noch nicht. Gedruckte Bücher dieser Art sind immer schon veraltet.

Beide Wörterbücher wollen durch Masse beeindrucken (Wahrig 130.000 Einträge, Duden 135.000, das Pons-Wörterbuch gar 140.000) und bleiben doch Antworten schuldig. Wenn ein Schüler zum Beispiel Symfonie schriebe, wäre er im Recht, denn die neuen Regeln lassen es zu, nicht aber die Wörterbücher. Beide unterdrücken – bei Unterschieden im Detail – Trennmöglichkeiten wie „Lust-ration“, „Anal-getikum“, „Urin-stinkt“, die nach den Regeln keineswegs unzulässig sind, auch wenn der Ratsvorsitzende es immer wieder behauptet hat. Gilt die Großschreibung der Tageszeiten auch nach „neulich“ („neulich Abend“)? Wie verbindlich ist jene allerneueste Regel, wonach zu schreiben ist „weil sie ihm ähnlich sieht“, aber „weil es ihm ähnlichsieht“?

Ein dickes Pfund, ein enger Markt

Beide Bände belasten den Schulranzen mit jeweils zweieinhalb Pfund, haben genau 1216 Seiten, sind buchbinderisch nicht auf Haltbarkeit angelegt, werden übrigens auch vom selben Unternehmen hergestellt, nämlich in „Pößneck (Stadt in Thüringen)“ (Duden). In Österreich erscheint unterdessen ein Duden-Schulwörterbuch, das dem Österreichischen Wörterbuch Konkurrenz macht und mit dem Rechtschreibduden fast identisch ist, aber kaum mehr als die Hälfte kostet. Klett hat soeben sein Pons-Rechtschreibwörterbuch zur kostenlosen Nutzung ins Netz gestellt und will seine Produkte nach dem Wiki-Prinzip von den Nutzern selbst weiterentwickeln lassen.

Der Markt für gedruckte Rechtschreibbücher bewegt sich, zugleich wird er wegen der elektronischen Hilfsmittel immer enger. Seit der Dudenverlag vom Schulbuchriesen Cornelsen erworben wurde, der auch den Wahrig mitherausgibt, sind weitere Synergieeffekte zu erwarten, denn die Konkurrenz unter demselben Dach dürfte kein Dauerzustand sein.

„Duden - Die deutsche Rechtschreibung“. 25. Auflage. Duden Verlag Mannheim, Wien, Zürich 2009. 1216 S., geb., 21,95 €.

„Wahrig - Die deutsche Rechtschreibung“. 7. Auflage. wissenmedia Gütersloh/München und Cornelsen Verlag Berlin. 1216 S., geb., 17,95 €.

Quelle: F.A.Z.
Link: http://tinyurl.com/faz-zweieinhalb-pfund

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