20.07.2006


Reinhard Markner

Nicht empfehlenswert: der neue Duden

Nach nur 23 Monaten ein neuer Rechtschreibduden – das hat es noch nie gegeben.

Der gelbe Wälzer, der in diesen Tagen in die Buchhandlungen gelangt, ist bereits der vierte „reformierte“ Duden. Und auch die neueste neue Rechtschreibung, die er darstellt, unterscheidet sich wieder in mehreren tausend Fällen von allen vorangegangenen Versionen. Wer das Update kauft, kann ein Exemplar mit der nun veralteten neuen Rechtschreibung in Zahlung geben. Bis zu 4 Euro sollen die Buchhändler auf den Neupreis nachlassen dürfen.

Beim Verlag in Mannheim ist man über diese Entwicklung nicht sehr glücklich. Das einst so sichere Geschäft ist zu einer schwer zu kalkulierenden Angelegenheit geworden. Schon 1996 hatte man eine vorschnell in Druck gegebene Auflage wieder einstampfen müssen, nachdem Bayerns Kultusminister im letzten Moment das große H des Heiligen Vaters gerettet hatte. Und wie die Vorsehung es will, ist es auch diesmal wieder Hans Zehetmair, inzwischen als politischer Vorruheständler Leiter der Münchner Hanns-Seidel-Stiftung, der die Lagerbestände entwertet.

Acht Sitzungen hat der von Zehetmair geleitete Rat für deutsche Rechtschreibung seit dem Dezember 2004 darauf verwandt, einige der ärgsten Schwachstellen der reformierten Rechtschreibung zu beheben. Das Ergebnis, niedergelegt im aktuellen Amtlichen Regelwerk, kann man nur als kläglich bezeichnen. Aber es reicht aus, um mehrere Millionen Wörterbücher, die in den letzten Jahren verkauft wurden, unbrauchbar zu machen. Das eröffnet neue Absatzchancen, erschüttert aber auch das Vertrauen der Kundschaft in die Haltbarkeit der Mannheimer Produkte.

Die Duden-Redaktion, die selbst Sitz und Stimme im Rat hat, rächt sich auf subtile Weise. Die gelbe Signalfarbe findet sich nun nicht mehr nur auf dem Umschlag, sondern erstmals auch im Wörterverzeichnis. Wie mit einem Textmarker hervorgehoben sind in 3000 Fällen die von der Redaktion empfohlenen Schreibweisen. Der Rat hatte sich dazu durchgerungen, eine Vielzahl 1996 durchtrennter Wörter wieder zuzulassen: „bekanntmachen“, „bezugnehmend“, „halbtot“, „kaltstellen“, „selbstgedreht“ usw. Der Duden rät nun in diesen und in den meisten ähnlich gelagerten Fällen von der Zusammenschreibung ab.

Die Ausnahmen sind so zahlreich wie unvorhersehbar, denn nicht immer wird zur Getrenntschreibung geraten. Duden empfiehlt „kaputt machen“, aber „kaputtsparen“, „Furcht einflößend“, aber „furchterregend“, „High Heels“, aber „Highlife“, „Strom sparend“, aber „energiesparend“. In manchen Fällen hat offenbar das Los entschieden. Bemerkenswerterweise hält sich die Konkurrenz aus Gütersloh, der seit wenigen Wochen vorliegende Wahrig, mit Empfehlungen zurück, ist aber eher geneigt, den Rückbau zu unterstützen. So empfiehlt der Wahrig wieder „braungebrannt“ und „saubermachen“, der Duden hingegen weiterhin reformgetreu „braun gebrannt“ und „sauber machen“. Von einer einheitlichen Rechtschreibung bleibt Deutschland weit entfernt.

Zehetmair hatte besonderen Wert auf die Unterscheidung von „sitzenbleiben“ (in der Schule) und „sitzen bleiben“ (auf dem Stuhl) gelegt. Der Duden dreht ihm jetzt eine Nase und erklärt: „Die Grundregel, nach der zwei Verben getrennt geschrieben werden, ist so eindeutig und einfach, dass wir ihre Anwendung auch bei übertragenem Gebrauch empfehlen.“ So hält man nicht nur an einer Reformregel fest, sondern auch an der irrigen Grundannahme, einfache Regeln seien die Voraussetzung für eine leicht erlernbare und gut funktionierende Orthographie. Tatsächlich aber kann die Bildung neuer Wörter weder auf dem Verordnungswege noch durch den Duden beendet werden. Das Sprachgefühl ist letztlich stärker als jede künstlich ersonnene Regel. Wer Schülern Regeln einpauken möchte, statt ihr intuitives Sprachverständnis zu schulen, zieht unsichere Schreiber heran.

Werden die dann im Duden nachschlagen? Das darf man bezweifeln, denn für die meisten Menschen ist das Wörterbuch ein Auslaufmodell. Was das Textverarbeitungsprogramm nicht rot unterschlängelt, wird schon irgendwie richtig sein. Ob sich die Duden-Empfehlungen gegen Zehetmairs halbherzige Reparaturversuche durchsetzen werden, hängt deshalb vor allem davon ab, ob sie Eingang finden in die automatischen Schreibhilfen. Der Springer-Verlag, der vor knapp zwei Jahren zur bewährten Rechtschreibung zurückkehrte, hat angekündigt, sich seine Redaktionssysteme von Duden einrichten zu lassen. Im Ergebnis wird „Bild“ die heftig befehdete „Schlechtschreibreform“ folgsamer umsetzen denn je zuvor.

Schon im September wird der Rat für deutsche Rechtschreibung seine Arbeit fortsetzen. Die Scharfmacher in seinen Reihen dürfen sich über die Schützenhilfe aus Mannheim freuen. Eine wieder neue Version der „neuen“ Rechtschreibung soll in fünf Jahren vorliegen. Wie sie aussehen wird, weiß noch niemand. Aber spätestens dann ist das Verfallsdatum des jetzt erhältlichen Dudens erreicht.

Der Verfasser ist Vorsitzender der Forschungsgruppe Deutsche Sprache (www.sprachforschung.org).

Aachener Zeitung, 20. 7. 2006
Neues Deutschland, 24. 7. 2006

Link: http://www.aachener-zeitung.de/sixcms/detail.php?id=742016&template=detail_standard_azan

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