24.06.2006


Für wen ist denn die Rechtschreibung da?

Botschaft eines Chefredaktors an die Erziehungsdirektoren

Da das Kulturgut Sprache nicht allein den Bürokraten und Schulmeistern gehört, werden bei deren Schreibung Medien und Autoren auch künftig ein Wort mitreden, meint der Chefredaktor des St. Galler Tagblatts.


Für wen ist denn die Rechtschreibung da?

von Gottlieb F. Höpli

Tiefgestapelt, oder, nach neuer Rechtschreibung wohl eher: tief gestapelt hat diese Woche die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) mit ihrem Communiqué zum Dauertraktandum Rechtschreibung: Die Vorschläge des «Rates für deutsche Rechtschreibung» würden nun auch von der Schweiz übernommen – auch wenn sie vorgängig nicht konsultiert worden sei, wie die EDK leicht pikiert schreibt. Die Veränderungen beträfen aber «nur einzelne Regeln», und aufs Ganze gesehen seien die Veränderungen «marginal». Da wird, nach Politikermanier, etwas gar viel schöngeredet – oder schön geredet?

Denn im Gegensatz zu den verharmlosenden Erklärungen des EDK-Vorsitzenden ist mit der neuen Rechtschreibung noch längst nicht alles auf gutem Wege: Die Reform der Reform hat seit 1996 keine Vereinfachung, sondern eine offizielle «Vervierfachung» (Reformgegner Stirnemann) oder doch eine laufende Zunahme der Varianten gebracht, nicht zuletzt, weil sich die reformierte Schreibung ausserhalb der Schule oft nicht durchzusetzen vermochte. Deshalb haben sich nun auch in der Schweiz Reformskeptiker aus dem «Sprachkreis deutsch», der nationalen Nachrichtenagentur SDA, Zeitungs- und Buchverlagen (auch dem Tagblatt) zu einer «Schweizer Orthographischen Konferenz» zusammengeschlossen, die für die wachsende Variantenvielfalt die Faustregel «Bei Varianten die herkömmliche» empfiehlt. Wir schliessen uns dieser Regel grundsätzlich an und sind über die Eindämmung des unsinnigen Trends zur Auseinander- und Gross-Schreibung nicht unglücklich!

Nicht zuletzt gilt es, der deutschsprachigen Bildungsbürokratie wieder einmal in Erinnerung zu rufen, dass Rechtschreibung nicht zuerst für die Schreibenden, sondern für die Lesenden da ist (sonst könnte ja jeder schreiben, wie er mag). Und da das Kulturgut Sprache nicht allein den Bürokraten und Schulmeistern gehört, werden bei deren Schreibung Medien und Autoren auch künftig ein Wort mitreden. gf.hoepli@tagblatt.ch



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