22.03.2005


„Ausgeschlossen.“

„Die Neuregelung ist der politische Wille der Kultusministerkonferenz und der Ministerpräsidenten.“

Eine Rücknahme der Reform kommt für den Schweizer Reformer Peter Gallmann trotz ihres bereits erwiesenen Scheiterns keinesfalls in Frage.

Doch wird die Rechtschreibung, wie er der Thüringer Allgemeinen sagte, auch nach seiner Überzeugung noch auf lange Sicht ein Dauerthema bleiben.


Hier der Wortlaut des Interviews:

Technisch unmöglich
Thüringer Allgemeine 22.3.2005

Am 8. April wird der Rat für Deutsche Rechtschreibung erstmals Änderungen der Rechtschreibreform beraten. Die Zeit drängt, denn ab 1. August soll die neue Schreibweise in Schulen und Behörden verbindlich gelten. Zu dem 36-köpfigen Expertengremium gehört der aus der Schweiz stammende Germanistik-Professor der Universität Jena Peter GALLMANN (52).

Seit die Regeln 1996 verabschiedet wurden, hagelte es Schelte. Nun geht es um die Reform zur Reform. Ist gar die völlige Rücknahme denkbar?
Ausgeschlossen. Die Neuregelung ist der politische Wille der Kultusministerkonferenz und der Ministerpräsidenten.

Was passiert ab 1. August?
Das geht zuerst Schüler an, denn nach der Übergangsfrist seit 1996, in der Diktate nach zwei Normen korrigiert wurden, gilt ab diesem Termin ein Verstoß gegen die neuen Rechtschreibregeln als Fehler, mit Konsequenz für die Note. Man muss den Termin halten, man kann Lehrer und Schüler nicht ständig in neue Regeln hetzen. In den Ämtern ist die Neuschreibung quasi in Kraft.

Aber der Zeitplan. Bis 1. August ist doch eine Änderung der Reform nicht zu schaffen?
Zumindest nicht in allen Belangen. So werden Schulbücher keinesfalls umgestellt sein, das ist schon technisch unmöglich.

Also eine Übergangsfrist?
Die braucht man nicht. Wenn sie politisch gewollt wird - bitte. Aber der Rat hat freie Hand, wir sind zeitlich nicht begrenzt. Ich will die Beschlüsse des Rates nicht vorweg nehmen. Sie fallen frühestens im Mai/Juni, mit Zweidrittel-Mehrheit. Aber ich vermute, dass der Rat, um Ärger zu vermeiden, ein 2-Phasen-Modell einführt.

Mit neuen Unsicherheiten?
Ich denke, es wird mehr Kann-Regeln geben, also zwei oder mehrere richtige Varianten. In Phase zwei, wenn die Emotionen etwas abgeebbt sind, legt man dann eine allein gültige fest. Je nachdem, was sich durchsetzt. Kombiniert mit einigen kleineren Änderungen könnte das dann relativ unauffällig in vier, fünf Jahren sein, immer dann, wenn es etwa den neuen Duden gibt.

Welche Streitpunkte sind vor allem betroffen?
Hauptpunkt ist die Getrennt- und Zusammenschreibung, 90 Prozent aller Beschwerden an den Rat drehen sich darum. Paragraf 36 bewegt viele, wo es um die Kombination mit Partizipien geht, also "alleinstehend" oder "allein stehend", "besorgniserregend" oder "Besorgnis erregend". Da Klarheit zu schaffen, ist bis August drin. Der neue Duden hat schon einiges vorweg genommen.

Sollte man weniger per Dekret regeln und sich mehr orientieren, wie das Volk schreibt?
Es ist die Frage, ob man Rechtschreibung überhaupt staatlich regeln soll. In England ist das nicht so, da richten sich die Wörterbuch-Verlage nach dem, wie allgemein geschrieben wird.

Und bei uns?
Es gab schon 1901 bei der Rechtschreibreform die Regel, bei Zusammensetzungen alle Buchstaben stehen zu lassen. Der Duden hat dann eine eigene Hausregel eingeführt, die auch an den Schulen gelehrt wurde. Oder nehmen wir die Fremdwörter. Noch vor hundert Jahren hieß es "Bureau" und "Niveau". Jetzt haben wir das "Büro", aber das "Niveau" blieb. Das ist nicht vorhersehbar, da hilft kein Dekret.

Es heißt oft, der Rat sei nur eine Alibi-Veranstaltung.
So reden die Gegner der Reform, aber sie sind eine Minderheit. Die meisten wollen die Reform, mit Verbesserungen.

Hat man auf die Haupt-Anwender der Rechtschreibung, Lehrer, Verleger, Schriftsteller, 1996 zu wenig gehört?
Viele haben es verdrängt. Die Reform wurde als Buch publiziert, die meisten haben es gar nicht gelesen. Die Akademie für Sprache und Dichtung wurde aufgefordert, sich zu äußern. Dort landete das Schreiben im Papierkorb.

Am 8. April tagt der Rat zum zweiten Mal, ist diesmal Konkretes zu erwarten?
Konkretes war bei der ersten Sitzung nicht drin, Geschäftsordnung, Arbeitsgruppen wurden erst mal bestimmt. Am 8. April geht es nun um die Getrennt- und Zusammenschreibung. Wir werden danach erst mal ein Zwischenergebnis vorlegen. Verbindliche Beschlüsse wird es erst im Mai/Juni geben. Die Kultusministerkonferenz will zum 1. August einen Bericht vom Rat zur Reform. Das heißt aber nicht, dass dann die Diskussion beendet ist.

Wird die rechte Rechtschreibung ein Dauerproblem?
Wenigstens ein Dauerthema. Die Experten sind gut beraten, wenn sie die Entwicklung beobachten und die Orthografie-Regeln nach vier oder fünf Jahren wieder anpassen. Bei unseren Nachbarn im Norden, in Schweden, Dänemark, Norwegen ist das ganz normal. Davon kann man lernen.

Gespräch: A. REISER-FISCHERN
21.03.2005




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