16.09.2007


Theodor Ickler

Deutschbuch 9 (Cornelsen)

Streifzug durch das „Deutschbuch 9“ für bayerische Gymnasien

Die Bearbeiter sind unser alter Freund Wieland Zirbs und andere.

Das Buch versucht durchgehend, so reformiert wie möglich zu schreiben: vor Kurzem usw.
Geschützte Texte sind durch ein R markiert.
sich für Andere engagieren
Die Inhalte werden weit gehend frei dargeboten.
die Rede weit gehend im Kopf haben
Die Anderen schauten bloß.
die so genannte Bürgerglocke
(Theodor Storm; so genannt wird immer getrennt geschrieben)
Ich wollte Vieles lernen. Ich wollte viel erleben.
nummerisch, numerisch
(im selben Text)
Nicht weniger als sechsmal wird der Ausspruch „Sport ist Mord!“ Winston Churchill zugeschrieben, von dem in Wirklichkeit nur die Antwort No sports (auf die Frage nach dem Grund seiner Langlebigkeit) überliefert ist.
schwerwiegend (36), schwer wiegend (50)
Krebs erregende oder erbgutverändernde Wirkung
selbstständig
(nur so)
Das war der Mann, der erstochen wurde. Den Anderen hat er erschossen.

In der Rechtschreiblehre heißt es:
„Achtung: Die Buchstabenverbindung 'ck' steht für einen Laut und wird nicht getrennt.“
(einige Zeilen später:)
„Statt verdoppeltem k schreibt man ck.“
– Eine systematische Veralberung der Schüler.

Derzeit ist es unmöglich zu entscheiden, wer ... (Komma nach Vorgreifer-es fehlt).
Das Komma zwischen mit und verbundenen Hauptsätzen ist durchweg gestrichen.
Zu den geschützten, mit einem R versehenen Texten gehören nicht nur Brecht, Kunze und Loriot, sondern bemerkenswerterweise auch Bundespräsident Weizsäckers Rede vom 8. Mai 1985. Dagegen ist Jurek Becker, obwohl bei Suhrkamp erschienen, in Neuschrieb umgesetzt: ein Anderer, alle Anderen, überzeugender als Andere, kein Anderer, der Einzige, das Einzige, im Klaren.
Ebenso ein Text von Thomas Hürlimann („Amman“[!]-Verlag Zürich).
Frank Schirrmacher hat sein Buch „Minimum“ bekanntlich in Reformorthographie erscheinen lassen, die hier auftretende Trennung Katas-trophe geschieht ihm also recht, ebenso die jungen, viel versprechenden Männer. Diese Männer starben, weil sie bis zur Erschöpfung Holzfällen mussten.

Warum werden in der 9. Klasse Bewerbungsschreiben geübt, die erst in der 10. Klasse bedeutsam werden (und worin auch ständig vom bevorstehenden Abschluß der 10. Klasse die Rede ist)? Bei dieser Gelegenheit und später wird die Benutzung von Rechtschreibprogrammen empfohlen und gezeigt. Schleichwerbung: PowerPoint-Präsentation wird empfohlen und eingeübt, als Beispiel eines Rechtschreibwörterbuchs sind mehrere Seiten aus Wahrig 2006 reproduziert (unpraktisch genug, denn es wird dort auf Paragraphen des amtlichen Regelwerks verwiesen, die im Buch nicht wiedergegeben sind).

Das Wort transkribieren wird erklärt als „in eine andere Schrift (z. B. eine Lautschrift) übertragen“. Gerade hier kann es jedoch nur bedeuten: Tonaufnahmen verschriften. Von „Diskriminierung“ wird zunächst gesagt, sie sei eine „Benachteiligung auf Grund von Merkmalen wie ... Geschlecht“ (usw.) und widerspreche dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. Dann heißt es: „Oft zeigt sich Diskriminierung in der Sprache, indem abwertende Bezeichnungen oder Wendungen verwendet werden, z. B.: 'Ich bin doch nicht dein Neger!'“ Hier wird der rechtliche Begriff mit dem populären aus der ideologischen Debatte um die Political correctness vermischt. Übigens wird Max Herrmann Neiße als „zwergwüchsig“ bezeichnet, was ja laut Duden der PC widerspricht ...

Es versteht sich von selbst, daß das ganze Buch hindurch immer von Zuhörerinnen und Zuhörern usw. die Rede ist, es ist also in der Sprache der Kultusministerien abgefaßt, die außerhalb des engeren Kreises der Politisch Korrekten niemand verwendet.
Den Zeitungen beispielsweise ist auch längst klar, daß die Schreibweisen so genannt usw. keine Zukunft haben, aber hier sind sie strikt durchgehalten, so daß der gesamte Text bereits jetzt die Patina der Reform von 1996 trägt.


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