02.07.2006 Theodor Ickler Sprachreport extraZur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ab 1. August 2006Vier Wochen vor dem Verbindlichwerden erfahren die Lehrer in groben Zügen, was sie unterrichten sollen.Zum Sprachreport extra Juli 2006 (hier erhältlich) (Anmerkungen von Th. I. in Klammern) (Im Beschluß der KMK vom 2.3.2006 hatte es geheißen:) „Die Geschäftsstelle des Rats für deutsche Rechtschreibung und das Institut für deutsche Sprache werden gebeten, - Regeln und Wörterverzeichnis entsprechend den Empfehlungen des Rats im Netz zugänglich zu machen und - die vorgelegte synoptische Übersicht in Form einer Sonderausgabe des „Sprachreports" zu veröffentlichen und als Informationsmittel insbesondere auch für die Schulen zur Verfügung zu stellen.“ (Die Reform von 1996 war im Bundesanzeiger und in den Amtsblättern der Kultusministerien veröffentlicht worden, da sie als verbindliche Grundlage des Schulunterrichts galt. Schon die revidierte Fassung von 2004 wurde nicht mehr in dieser Weise bekanntgemacht. Die Fassung von 2006 ist wiederum rund 300 Seiten lang und nur im Internet greifbar. Die nun vorgelegte synoptische Übersicht im „Sprachreport“ läßt naturgemäß noch mehr Fragen offen als die amtliche Fassung; ohne die Auslegung in den großen Wörterbüchern, deren Zuverlässigkeit jedoch nicht überprüft werden kann, läßt sich der Inhalt der Reform nicht erfassen. Während die Synopse beispielsweise die geänderte Schreibweise entlegenster Fremdwörter wie Drapee auflistet, fehlt der Hinweis, daß dagewesen seit 2006 zusammengeschrieben werden kann – als einzige Ausnahme vom Verbot der Zusammenschreibung mit sein. Der Text geht auch mit keinem Wort darauf ein, daß die Arbeit des Rechtschreibrates vorzeitig abgebrochen wurde und die Bearbeitung der Groß- und Kleinschreibung, der Laut-Buchstaben-Beziehung und des Bindestrichs noch bevorsteht. Als Anwendungsbereich werden einleitend die Schule und die Medien genannt. Damit soll aufs neue suggeriert werden, daß die Zeitungen in besonderem Maße betroffen seien. In diesem Sinne reiste der Vorsitzende Zehetmair im Winter 2005/2006 bei den großen Zeitungsverlagen herum und überredete sie, die Zusage des Dudenverlags auf rechtzeitige Bereitstellung des neuen Wörterbuchs in der Tasche, zur Übernahme der Revision ab August 2006.) [zwei] Armvoll, Arm voll [Reisig]; ebenso: Fingerbreit, Fußbreit, Haarbreit, Handbreit, Handvoll, Mundvoll, Spaltbreit, Zeitlang, Zollbreit (S. 3) (Diese Auflistung der ganzen Gruppe findet sich nur hier.) Die Reform 1996/2004 hat für einzelne, zumeist selten gebrauchte Wörter neue Schreibungen eingeführt mit dem Ziel, eine tatsächliche oder angenommene Wortverwandtschaft herzustellen. (S. 5) (Bemerkenswertes Eingeständnis, daß auch angenommene Wörterverwandtschaft hergestellt werden sollte.) Die Reform 1996/2004 trägt dem insofern Rechnung, als sie bei Fremdwörtern wie z. B. Attaché, Philosophie, Restaurant und Theater an der fremdsprachigen Schreibung festhält. Sie lässt Variantenschreibungen nur für eine Fallgruppe, in der die integrierten Formen bereits sehr verbreitet waren, grundsätzlich zu (a) und beschränkt sich ansonsten auf Einzelfälle (b), deren wesentliche im Folgenden angeführt werden. Ein Nachschlagen im Wörterbuch für den konkreten Einzelfall ist damit weiterhin unerlässlich. (Auch dies bedeutet ein Versagen der Reform. Insgesamt werden im Bereich der Laut-Buchstaben-Beziehungen vor allem Einzelfälle aufgezählt und auch als solche gekennzeichnet. Das bedeutet umgekehrt, daß es hier an allgemeinen Regeln fehlt; die Prinzipienlosigkeit der Reform wird so besonders deutlich.) Daneben ist in wenigen Fällen neu eine Variantenschreibung neben der überkommenen Schreibung zugelassen: (...) Mesmer oder Mesner oder Messner (Die Schweizer Form Mesmer ist natürlich keine „Variantenschreibung“ für Mesner.) In der jüngeren Geschichte des Deutschen hat sich die Tendenz durchgesetzt, syntaktisch benachbarte Einheiten in bestimmten Fällen zusammenzuschreiben. Zusammenschreibung tritt u. a. ein, wenn ein Bestandteil seine Selbständigkeit verloren hat (z. B. ‹teil› in teilnehmen) oder wenn eine neue Gesamtbedeutung entsteht (z. B. freisprechen im Sinne von für unschuldig erklären). (S. 6) (Diese Formulierung löst jeden Zusammenhang mit der Unterscheidung von Zusammensetzung und Wortgruppe. Die Beispiele sind syntaktische Gruppen, keine Zusammensetzungen im Sinne der Wortbildung – ein Begriff, der im ganzen Text kein einziges Mal vorkommt, auch nicht im amtlichen Regeltext; die Reformer haben eigentlich keinen Begriff von Wortbildung. Daran krankte die Reform von Anfang an. Wenig später werden die „trennbaren Verben“ als „zusammengesetzte Verben“ bezeichnet. Immerhin wird dies nicht kurzerhand mit Zusammenschreibung gleichgesetzt, sondern diese ist, wie Güthert mit Recht feststellt, gesondert zu regeln. Demnach wäre die Konstruktion Rad fahren ohne weiteres als „trennbares Verb“ und im Sinne des Regeltextes a fortiori sogar als „Zusammensetzung“ anzusehen, womit der überlieferte Begriff allerdings seine Bedeutung einbüßt; richtiger wäre es, allgemein von Verbzusatzkonstruktionen zu reden. Später wird noch der ebenfalls ungeklärte Begriff der „Verbindung“ eingeführt: „(Schreibungen von Verb + Verb:) Hierhergehörige Fälle können können grundsätzlich als Verbindung aufgefasst, d. h. (!) getrennt geschrieben werden.“ Gleich darauf heißt es aber in Übereinstimmung mit dem amtlichen Regelwerk, daß „Verbindungen“ dieser Art durchaus auch zusammengeschrieben werden können, nämlich solche mit bleiben und lassen sowie kennenlernen. Der ganze Abschnitt über die GZS bei Verben ist sehr nachlässig formuliert. Die „Handreichung“ mit ihrer Unterscheidung von Subjekts- und Objektsprädikativen hat bemerkenswerterweise keine Spuren hinterlassen.) Zusammengesetzte Verben können trennbarer oder untrennbarer Art sein (d. h. mit bzw. ohne Wechsel der Reihenfolge der einzelnen Bestandteile). (Verben „trennbarer Art“ sind einfach trennbare Verben.) Während Zusammensetzungen aus Verbzusatz und Verb einen Hauptakzent tragen, können bei Verbindungen aus Adverb und Verb beide Bestandteile betont werden, z. B.: abwärtsfahren – rückwärts einparken, aufeinanderstapeln – aufeinander achten, querlesen – quer (im Bett) liegen, (jmdn.) wiederbeleben – (die Wirtschaft) wieder beleben Diese Regel gilt ausnahmslos und erfasst mithin Fälle, die nach der herkömmlichen Rechtschreibung bzw. nach der Rechtschreibreform getrennt zu schreiben waren, so z. B. Einzelfälle wie abhandenkommen und zunichtemachen, aber auch ganze Gruppen wie z. B. die mit ‹einander› und ‹wärts› gebildeten Verbzusätze. (wieder herstellen – wiederherstellen werden gleich betont.) Darüber hinaus sind in vier Übergangsfällen beide Schreibungen zugelassen: Acht geben/achtgeben, Acht haben/achthaben, Halt machen/haltmachen, Maß halten/maßhalten (Wahrig hat achthaben – habt acht als Variante. Daraus muß man folgern, daß dasselbe auch für die anderen drei gilt. Bei Güthert und im Regelwerk ist das nicht deutlich ausgesprochen.) (Zur neuen Großschreibung:) eine Platte mit Gebratenem [= nähere Bestimmung im Dativ] (S. 11) (Es handelt sich um ein präpositionales Attribut, der Dativ ist von der Präposition regiert, die Beschreibung daher ungenau.) die Bedenken Verschiedener [= nähere Bestimmung im Genitiv] (Hier wird die Sinnwidrigkeit der neuen Schreibweise besonders greifbar. Es handelt sich ja nicht um die Bedenken von Leuten, die verschieden sind, sondern um die Bedenken einiger oder mancher.) Einen Grenzfall zwischen Ableitungssilbe und Bestandteil einer Zusammensetzung stellt ‹fach› dar. Daher können Verbindungen aus Ziffern mit ‹fach› sowohl mit als auch ohne Bindestrich geschrieben werden, z. B.: die 3fache oder 3-fache Menge (S. 9) (Wieso? Das Substantiv Fach kommt doch hier gar nicht in Betracht.) Die Hauptänderungen in diesem Bereich liegen bei der Schreibung von formalen Substantivierungen; Substantive sind von Änderungen nur insofern betroffen, als (kleingeschriebene) Zwischenstufen zugunsten der Generalregel: „Entweder getrennt und groß oder zusammen und klein“ aufgegeben wurden. (S. 11) (Diese – auf den Amateurlinguisten Eugen Wüster zurückgehende – Generalregel ist im amtlichen Regelwerk nicht enthalten, man findet sie nur in Reformentwürfen, die Jahrzehnte zurückliegen.) Für die Schreibung von Substantivierungen ist das sog. Konzept der modifizierten Großschreibung maßgeblich. Dieses Konzept sieht vor, dass bei formaler (auch scheinbarer) Substantivierung Großschreibung eintritt. (Im Unterschied zur GZS ist also bei der GKS nicht die Semantik, sondern die formale grammatische Kategorie maßgebend. Damit geht ein Riß durch die Neubearbeitung.) Wesentlich für das Konzept der modifizierten Großschreibung ist folglich die generelle Großschreibung auch der nur scheinbaren, formalen Substantivierungen nach den oben genannten Kriterien. (S. 12) In Verbindung mit den Verben sein/bleiben/werden gibt es eine Reihe von Wörtern, die wie Substantive aussehen, bei denen es sich aber um (alte) Adjektive oder Adverbien handelt. Diese sind in einer Liste erfasst, die 2006 ergänzt und geöffnet wurde, da nur wenige dieser Wörter im Blick der Diskussion sind. Dies betrifft: angst, bange, feind, freund, gram, klasse, leid, not, pleite, recht, schnuppe, schuld, spitze, unrecht, weh, wurst/wurscht (Hier wird also anerkannt, daß leid kein Substantiv ist, während es bei der GZS als ein verblaßtes Substantiv bezeichnet wurde. Ähnlich die anderen Beispiele. Güthert äußert sich nicht zu wie Recht du hast.) (Die Großschreibung der Adjektive innerhalb von festen Begriffen ist jetzt deutlicher als 1996 eingeschränkt auf:) Klassifikationsbezeichnungen in der Biologie und Zoologie, z. B.: Fleißiges Lieschen, Grüner Veltliner, Schwarze Witwe Bei Verbindungen, die einer Fachsprache zuzurechnen sind, richtet sich die Schreibung wie bisher nach dem Gebrauch in der jeweiligen Fachsprache. (S. 13) (Statt „Biologie“ muß es offensichtlich „Botanik“ heißen. In der Biologie muß also immer, in anderen Fachgebieten nur gelegentlich groß geschrieben werden. Es muß daher heißen „einer anderen Fachsprache zuzuordnen“. Übrigens gehört der Grüne Veltliner allenfalls am Rande zur Botanik, nämlich so wie der Trollinger oder der Gewürztraminer.) (Der Text ist in einem recht ungelenken Deutsch abgefaßt:) Geändert wurden die Regeln zur Schreibung von adjektivischen Dubletten (z. B. freund sein), von festen Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv sowie von den Anredepronomina du und ihr (samt den besitzanzeigenden Fürwörtern dein und euer) in Briefen. (S. 3) („zur Schreibung von den Anredepronomina"?) Sie dient dem Lesenden als zusätzliche Informationshilfe. (S. 6) („Informationshilfe“? Verständnishilfe) Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich im Einklang mit der Entwicklung für einen Angang ausgesprochen, in dem die unterscheidende Leistung von Getrennt- und Zusammenschreibung akzentuiert wird. (S. ) (Das Wort „Angang“ – später noch einmal benutzt – steht in keinem Dudenwörterbuch.) (Güthert schreibt übrigens durchweg selbständig, während der neue Wahrig sich für selbstständig entschieden hat, was wahrscheinlich keinen Bestand haben wird.) Innervokalisch vorkommendes ck in einfachen und suffigierten Wörtern wird bei der Trennung als Ganzes auf die neue Zeile gesetzt. (S. 15) („Innervokalisch“? Zwischenvokalisch!) (Zu guter Letzt: der Geist des IDS) Die Zeitschrift SPRACHREPORT, die viermal im Jahr erscheint, richtet sich an sprachinteressierte Bürgerinnen und Bürger, an Lehrerinnen und Lehrer, an Politikerinnen und Politiker sowie an Journalistinnen und Journalisten, die wissen möchten, womit sich die germanistische Sprachwissenschaft dieser Tage beschäftigt. (S. 16)
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