15.02.2006 Theodor Ickler Aus dem Leben eines Rechtschreibrates IIJuni 20054. Ratssitzung, 3. 6. ’05 im IDS Mannheim, 11.00–15.20 Uhr6 Mitglieder fehlen (Looser, Fürstner, Ossner, Pasquay, Wolf, Zilk), neu sind Eisenberg und Pörksen für die DASD dazugekommen. Als Aufpasser von der KMK ist diesmal Stillemunkes dabei, wirkt verbittert, erwidert meinen Gruß nicht. Die Presse ist schon vor Beginn reichlich anwesend, Fernsehen; die Zeitungen sind voll mit unseren Informationen: SZ hat ganze zweite Seite, darunter Ickler/Unterstöger, FAZ hat meinen Aufsatz über GKS, in der WELT Joachim Peter mit einem von mir durchgesehenen Text, viele Teilnehmer haben es schon gelesen, manche haben die Zeitungen mitgebracht. 75 Minuten Diskussion, bevor wir an § 34 gehen. Banse wirft mir meinen FAZ-Aufsatz vor, kann aber nicht sagen, warum ich eigentlich nicht solche Arbeiten veröffentlichen darf, zumal das Thema GKS gar nicht auf unserer Tagesordnung steht. Eckinger klopft anklagend auf die SZ, die vor ihm liegt. Der Spiegel-Artikel von Schmitz, über den sich manche besonders empören, soll auf die Tagesordnung, aber dazu kommt es nicht mehr. Dové und andere kritisieren, daß der Rat durch die KMK tatsächlich zur Hofnarrentruppe degradiert werde. Zehetmair ist über KMK verärgert, betont Unabhängigkeit des Rates, auch was die Agenda betrifft. Hat Druck bekommen: Schreiben, in dem er ermahnt wird, den Rat auf Kurs zu bringen. Das habe er zurückgewiesen. Bei den Reformern fällt die vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber der sprachlichen Richtigkeit auf. Besonders kraß Lindauer. Der wehrt sich sogar dagegen, die guten Zeitungen, die ich als Maßstab des Usus anführe, anzuerkennen. Sie sind für ihn elitär. Als ob die Schüler in einer eigenen Welt lebten. Sagt auch ausdrücklich, daß ihm die Grammatik egal sei, wenn die Regeln nur einfach formuliert werden können. Er merkt nicht, welche Geringschätzung der Schüler aus seinen Argumenten spricht. Alle Anträge der Reformer werden überstimmt, die Änderungsvorschläge der Arbeitsgruppe um Eisenberg mit wachsenden Mehrheiten angenommen. Sitta will am Ende noch geheime Abstimmung, aber der Vorsitzende wehrt das ab: erstens sei es sowieso nicht vorgesehen und bei Sachfragen abwegig; zweitens meine er, daß jemand, der eine neue Rechtschreibung einführt, auch mit seinem Namen dafür einstehen solle. Zu Beginn der Sachdiskussion stellt Sitta fest, die „Philosophie“ der Reform sei ins Gegenteil gewendet. 1996 habe man Regeln aufgestellt, aus denen bestimmte Schreibweisen, darunter auch gewöhnungsbedürftige, abzuleiten seien. Auch wenn die Regeln nicht perfekt gewesen seien, habe man doch formal eindeutig vorgehen können, während in der Vorlage nun semantische Kriterien vorherrschten. Dies wird von Eisenberg und mir bestätigt: Orientierung am Gebrauch. Sitta und andere haben anscheinend vergessen, daß die Reformer schon 2004 die Hauptgrundsätze bei der GZS aufgegeben haben. Schon damals wurden Bedeutung und Betonung als zuvor verpönte Kriterien wiedereingeführt. Gallmann stellt plötzlich mit Heftigkeit fest, daß er selbst ständig von der Textfassung von 1996 ausgehe und nicht von der gegenwärtigen Beschlußvorlage von 2005; allgemeines Kopfschütteln über diese abwegige Einlassung, aber noch mehr verwundert, daß die Revision von 2004 aus dem Bewußtsein ihrer Verfasser, der Mitglieder der Zwischenstaatlichen Kommission, vollständig verschwunden zu sein scheint. Ist es denkbar, daß die Revision in größter Eile und gar nicht von allen Kommissionsmitgliedern verabschiedet worden ist? Aber selbst dann hätten sie inzwischen ein Blick darauf werfen müssen, zumal wir es ja nicht an neuen Kommentaren haben fehlen lassen. Sitta schließt mit der Bemerkung, daß auf dem nun eingeschlagenen Weg der Rechtschreibfriede nicht wiederhergestellt werden könne. Ich erinnere daran, daß der Rechtschreibfriede herrschte, bevor 1996 die Reform ihn zerstörte. Jemand wendet ein, es habe im 20. Jahrhundert 100 Reformvorschläge gegeben. Ich weise auf deren Marginalität hin; ein Handlungsbedarf könne durch solche Aktivitäten einzelner Eiferer nicht nachgewiesen werden. Es fällt auf, daß der Dudenchef noch niemals ein gutes Wort für den Duden eingelegt hat, in dem sich eine gut funktionierende Rechtschreibung und allgemeinverständliche Regeln fanden, bevor die Reform zuschlug. Solche Regeln zu formulieren ist eine große Kunst; der Duden hatte es recht gut gemacht. Wermke desavouiert die jahrzehntelange Arbeit seiner Redaktion. Trotz Überziehens der Zeitplanung wird nur § 34 verabschiedet. Redaktionell ist sicher noch daran zu arbeiten (wer macht das eigentlich?), aber inhaltlich ist praktisch die vollständige Rücknahme beschlossen.
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