22.05.2010 Theodor Ickler Nicht Erfolg versprechendABM für Germanisten»Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften haben vereinbart, sich durch einen zweijährlich erscheinenden 'Bericht zur Lage der deutsche Sprache' mit wissenschaftlich fundierter Information an der öffentlichen Sprachdiskussion zu beteiligen.Von engagierten Bürgern über Elterninitiativen oder professionell mit Sprache arbeitenden Berufsgruppen bis zu politisch Handelnden soll Interessierten eine zuverlässige Orientierung geboten werden. Dies entspricht der Aufgabe und Rolle der Akademien in unserer Gesellschaft. Das öffentliche Interesse an der deutschen Sprache habe in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. So werde in teilweise lebhaften Diskussionen über den Einfluss des Englischen, den allgemeinen Sprachverfall oder die Überforderung der Schulen gestritten. Die Schlussfolgerung der beiden Akademien: "Urteile über die Probleme und ihre Ursachen sind oft schnell bei der Hand, ebenso auch die unterschiedlichsten Therapievorschläge. Was jedoch fehlt, sind fundierte Diagnosen, auf deren Grundlage nach Erfolg versprechenden Problemlösungen gesucht werden kann. Es ist deshalb notwendig, die öffentliche Diskussion durch verlässliche und verständliche Informationen auf eine solidere Grundlage zu stellen." Dieser Aufgabe wolle man sich künftig als Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und als Union der deutschen Akademien der Wissenschaften gemeinsam mit einem 'Bericht zur Lage der deutschen Sprache' widmen. Der erste 'Bericht' soll Ende 2011 vorgelegt werden, weitere werden jeweils im Abstand von zwei Jahren folgen. Jeder Bericht setzt inhaltliche Schwerpunkte, für deren Bearbeitung ausgewiesene Expertenteams verantwortlich sind. Der erste Bericht wird unter dem Generalthema ´Reichtum und Armut der Sprache` folgende Einzelthemen behandeln: 1. Entwicklung des deutschen Wortschatzes (Ist die deutsche Sprache ärmer geworden?) 2. Anglizismen im Deutschen (Ist die deutsche Sprache durch den Einfluss des Englischen gefährdet?) 3. Untergegangene Wörter (Gehen dem Deutschen wichtige, unersetzliche Wörter verloren?) 4. Die Entwicklung der Flexion (Büßt das Deutsche seinen Formenreichtum ein?) 5. Nominalisierungsverbgefüge (Erstarrt das Deutsche in bürokratischem Nominalstil?) Die fünf Einzelprojekte werden von Mitgliedern der beteiligten Akademien geleitet. Als Projektleiter sind ausgewiesene Experten beteiligt: Prof. Dr. Ludwig M. Eichinger (Mannheim), Prof. Dr. Peter Eisenberg (Berlin), Prof. Dr. Wolfgang Klein (Nijmegen/Berlin), Prof. Dr. Hartmut Schmidt (Mannheim) und Prof. Dr. Angelika Storrer (Dortmund). Die Befunde werden aus der Perspektive der Sprachkritik von Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Greifswald) kritisch gewürdigt. Die Themen werden auf der Grundlage umfangreichen Datenmaterials bearbeitet, das es ermöglicht, die Entwicklung in den vergangenen etwa einhundert Jahren zu verfolgen. Dazu werden Daten an drei Zeitschnitten - Anfang des 20. Jahrhunderts, um 1950 und Anfang des 21. Jahrhunderts - erhoben. Mit der Erstellung dieses 'Berichtskorpus' ist jetzt am Institut für deutsche Sprache in Mannheim und an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften begonnen worden - der erste Schritt auf dem Weg zum ersten 'Bericht zur Lage der deutschen Sprache'.« (Bildungsklick, 21. Mai 2010) Thomas Steinfeld hat dieses Vorhaben in der heutigen "Süddeutschen Zeitung" schon kritisiert. Ich möchte noch auf die Sinnlosigkeit der Fragestellung hinweisen. Weder wird geklärt werden können, was Armut und Reichtum bei einer Sprache überhaupt bedeuten könnten, noch ist erkennbar, wie einer Sprache geschadet werden könnte – außer wenn man sie verbietet oder nicht mehr spricht. 1. Frage: Es gibt sicher Sprachen, deren Wortschatz (zumindest in der Standardsprache) weniger Einheiten umfaßt als der einer anderen Sprache. Das ist aber mit Armut/Reichtum falsch benannt. Die französische Akademie hat immer Wert darauf gelegt, den Standardwortschatz klein zu halten. Weniger kann mehr sein, Fülle kann ersticken. Ich werde in absehbarer Zeit vielleicht eine Anleitung zur Reduzierung des deutschen Wortschatzes vorlegen können, an der ich schon länger arbeite. Es gibt ferner wortweite und wortenge Texte (das betrifft die Type-Token-Ratio). Auch das ist nicht der Gegensatz von "reich" und "arm". Stilisten von höchstem Rang haben absichtsvoll wortenge Texte geschaffen. Aber wem sage ich das? Es ist ja alles längst bekannt. 2. Frage: Natürlich kann Lehngut einer Sprache nicht "schaden". Und wenn man wegen zu vieler Fremdwörter nicht verstanden wird, dann kriegt man alsbald die Quittung und muß sich anders ausdrücken. 3. Frage: Wie soll denn das gehen, daß man unersetzliche Wörter verliert? In reformierten Wörterbüchern ist zwar manches nicht mehr zu finden, aber solche Gewaltakte sind ja wohl nicht gemeint. 4. Frage: "Formenreichtum" ist schon wieder ein irreführendes Wortspiel – als ob viele Flexionsformen ein Pluspunkt wären und ihr Verschwinden ein Verlust. Wie können erwachsene Sprachwissenschaftler überhaupt so etwas fragen, wovon sie doch sehr gut wissen, daß es Quatsch ist? 5. Frage: Die schon vor 40 Jahren totgekauten Funktionsverbgefüge und Verwandtes sind und bleiben Randerscheinungen. Bürokratisiert bis zum Lächerlichen sind vor allem die Lehrpläne, Bildungsstandards und ähnliche Ausscheidungen. Wenn man Zeitungen liest – die wichtigste Textsorte –, kommt man schwerlich auf den Gedanken, ein Bericht zur Lage der deutschen Sprache sei notwendig. Manches könnte natürlich besser ausgedrückt werden, aber im großen und ganzen und wenn man von der Rechtschreibreform absieht, ist die deutschen Sprache quicklebendig, und man kann ohne Mühe alles ausdrücken und wird auch verstanden, oder etwa nicht?
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