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08.10.2014
 

"Eine gewisse Übung wäre wieder gut"
Ludwig Eichinger im Gespräch mit Kate Maleike

Vor zehn Jahren wurde der Rat für deutsche Rechtschreibung gegründet. Die Rechtschreibleistung sei heute nicht viel schlechter, sagt Ratsmitglied Ludwig Eichinger. Allerdings fehle in vielen Bereichen die Übung. Eine grundlegende Rechtschreibreform sei auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. "Wir haben den Sprachfrieden in einem Ausmaß, wie man das schaffen kann, glaube ich, geschafft", sagte Eichinger.

Kate Maleike: Heute vor genau zehn Jahren haben die Ministerpräsidenten der Bundesländer zusammengesessen und entschieden, den Rat für deutsche Rechtschreibung zu gründen, und zwar als Antwort sozusagen auf die heftige Kritik, die es in der Öffentlichkeit, speziell in Schulen und in den Medien, nach der Reform der Rechtschreibung gehagelt hatte. Damals hatten viele Neuerungen, die eigentlich als Erleichterung geplant waren, auf Aufschreie gesorgt. Zum Beispiel, dass ein stummes h nicht mehr geschrieben werden muss, bei Spagetti zum Beispiel, oder dass Flussschifffahrt nun mit drei s und drei f geschrieben wird oder das "dass" eben mit doppeltem s und nicht mehr mit Buckel-S. Die Rechtschreibung verwirrt Schüler eher, statt zu helfen, und durch die Reform würden mehr Fehler entstehen - so wird noch bis heute kritisiert. Der Rat für deutsche Rechtschreibung, der aus circa 30 Vertretern besteht aus deutschsprachigen Ländern, hat also nun seit gut zehn Jahren die Aufgabe, den Sprachfrieden wiederherzustellen, vor allem den schulischen Sprachgebrauch zu beobachten. Mit Professor Ludwig Eichinger, einem der Ratsmitglieder, möchten wir jetzt Bilanz ziehen. Herr Eichinger ist auch Direktor des Deutschen Institutes für Deutsche Sprache in Mannheim. Guten Tag!

Ludwig Eichinger: Guten Tag!

Maleike: Wie fällt denn Ihre Bilanz jetzt aus, haben Sie den Sprachfrieden schaffen können?

Eichinger: Wir haben den Sprachfrieden in einem Ausmaß, wie man das schaffen kann, glaube ich, geschafft. Dadurch, dass wir gewisse Dinge, die so stark gegen den Schreibgebrauch und die Üblichkeit gingen, ein bisschen wieder zurückgefahren haben und so die alte Systematik des Schreibens ein bisschen stärker hergestellt haben, haben wir, glaube ich, bis 2006, wo ja der erste Arbeitsschritt des Rates war und wo das letzte Mal dann die Kultusministerkonferenz auch Änderungen am Regelwerk dann akzeptiert hat, haben wir, glaube ich, einen Kompromiss gefunden, von dem man sagen kann, er ist ganz gut akzeptiert worden, weil er auch an manchen Stellen, wo die Sachen wirklich unklar sind, ein bisschen mehr offengelassen hat, sodass dann auch Wahl des Schreibens besteht.

"Die Bedingungen für Rechtschreibung haben sich ja insgesamt geändert"

Maleike: Was sagen Sie denn zu den allgemein geäußerten Kritiken, dass die Rechtschreibung in Deutschland ein Problemfall ist?

Eichinger: Also die Bedingungen für Rechtschreibung haben sich ja insgesamt geändert. Wir schreiben ja viel weniger von Hand und wir schreiben sehr viel häufiger mit dem Computer und auch mit dem Rechtschreibprogramm. Und die Rechtschreibprogramme sind noch immer nicht sehr kontextsensitiv, und dann korrigieren sie uns manchmal was, was wir eigentlich so schreiben möchten und so was Ähnliches, sodass es eine Reihe von Faktoren gibt, die eine erhöhte Verunsicherung machen. Und sicherlich hat auch die Rechtschreibreform, die sicher nicht gut gemanagt war sozusagen, zur Verunsicherung der Menschen beigetragen. Aber tatsächlich, glaube ich, sind die Rechtschreibleistungen nicht viel schlechter. Ich sage ja immer, wenn heutzutage jemand es mit den zwei s und dem ß hat, dann hat er eigentlich die Hauptregel, die man ganz grundsätzlich haben muss, erkannt, und an vielen anderen Stellen kann man ja ein bisschen konservativer und ein bisschen weniger konservativ schreiben, und dann macht man eigentlich kaum Fehler.

Maleike: Also verstehen wir Sie richtig, Sie sagen, es ist gar nicht so schlecht mit der Rechtschreibung in Deutschland, wie das zum Beispiel gerne mal Arbeitgeber sagen über die Lehrlinge, die da kommen, oder aber auch Hochschulprofessoren über die Qualität ihrer Studenten?

Eichinger: Sagen wir mal so, Rechtschreibüben ist vielleicht ein bisschen stärker außer Praxis gekommen, weil wir eben so viel mit dem Computer schreiben, wo uns viel selber korrigiert wird. So gesehen ist es sicher so, dass in vielen Bereichen zur Übung zur Rechtschreibung fehlt, vielleicht auch in der Schule über längere Zeit die Rechtschreibung vielleicht keine so große Rolle gespielt hat. Also so gesehen stimmt das schon, dass eine gewisse Übung in der Rechtschreibung wieder gut wäre und dass es auch sicher eine gewisse Verunsicherung gab, weil durch die Rechtschreibreform die Sachen sich so oft geändert haben. Ich hoffe aber, dass diese Verunsicherung auch allmählich wieder ausläuft.

"Niemand will auch eine Reform um der Reform willen"

Maleike: In einer Pressemitteilung von Ihrem Rat wird ja gefordert auch, dass mehr für den Erwerb der Orthografie in der Schule getan werden kann, weil da zu wenig Zeit eigentlich ist.

Eichinger: Also das ist sicher war, dass insgesamt eben grammatische und Rechtschreibdinge im Unterricht kontinuierlich einen guten Platz bräuchten. Es ist auch so, dass offenkundig ja zum Beispiel nach der sechsten oder siebten Klasse kaum mehr im Lehrplan überhaupt irgendetwas Rechtschreibliches vorkommt, und das heißt, komplexere Dinge, da wo es Schwierigkeiten macht, die man den kleinen Kindern noch gar nicht beibringen kann, werden eigentlich weniger geübt, als sich das gehören würde, sodass wir zweifellos denken, dass so die Kompetenz in Rechtschreibung doch im Unterricht einen gehörigen Platz bekommen sollte.

Maleike: Droht uns eigentlich eine Reform der Reform, also stricken Sie noch mal an einer Rechtschreibreform?

Eichinger: Nein. Also ich glaube, niemand will auch eine Reform um der Reform willen. Es ist ja so, dass der Rat für Rechtschreibung die Aufgabe der Sprachbeobachtung jetzt hat, und es gibt ja wirklich auch ein paar Alternativen manchmal in der Schreibung. Und wenn sich herausstellen sollte, dass bestimmte Alternativen überhaupt nicht mehr gebraucht werden oder so was, dann würden wir vermutlich an einzelnen Stellen den Ratschlag geben, ob man das nicht, eine Alternative mal sozusagen abschafft. Aber eine grundlegende Rechtschreibreform ist ja auf absehbare Zeit und ich denke auf Jahrzehnte, heißt es, nicht zu erwarten.

Maleike: Professor Ludwig Eichinger war das. Er ist Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung, dessen Gründung heute vor genau zehn Jahren von den Ministerpräsidenten beschlossen wurde, um Sprachfrieden nach der heiß diskutierten Rechtschreibreform zu schaffen.


Quelle: Deutschlandfunk
Link: http://www.deutschlandfunk.de/rat-fuer-deutsche-rechtschreibung-eine-gewisse-uebung-waere.680.de.html?dram:article_id=299772


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Kommentare zu »"Eine gewisse Übung wäre wieder gut"«
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Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 09.10.2014 um 15.04 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=713#9995

Statt eines eigenen Kommentars empfehle ich nur, die letzte Äußerung von Professor Eichinger (also den vorletzten Abschnitt) noch einmal zu lesen: Diese spricht für sich – und gegen den Rat für deutsche Rechtschreibung und die "Reform".


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 09.10.2014 um 23.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=713#9996

Fast könnte einem Herr Eichinger leid tun bzw. – in Sprachfriedisch – leidtun, denn es ist ja nicht zu übersehen, wie der Funktionär und der Wissenschaftler miteinander ringen. Fast jeder Propaganda-Euphemismus wird gleich wieder eingeschränkt oder relativiert.

Dann die Bewertung der Rechtschreibleistungen: eigentlich sind sie nicht schlechter geworden, aber sie sind es eben doch, und daran sind die Computer und zu wenig Unterricht schuld.

Immerhin wissen wir jetzt:

1) Die Reform war schlecht gemanagt.

2) Die Hauptregel ist Pseudo-Heyse, alles andere ist eigentlich egal. Wenn man das mit den ursprünglichen Reformzielen vergleicht, kann man sich nur an den Kopf fassen.

3) Eine Reform um der Reform willen wird es nicht geben. Gut so, aber es gibt ja noch ganz andere Gründe für weitere Korrekturen.

Und beim "stummen h" hat die Journalistin etwas falsch verstanden, nicht war?


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.10.2014 um 09.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=713#9997

Eichinger ist ja zur Rechtschreibreform gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Als IDS-Direktor konnte er praktisch gar nicht anders, als Institutsvertreter im Rechtschreibrat zu werden und damit dann auch rechte Hand des Vorsitzenden Zehetmair (von dem er nicht viel hält).
Der Rechtschreibrat ist von Anfang an und satzungswidrig nicht nur am IDS angesiedelt, mit einer Geschäftsführerin, die er sich nicht selbst wählen, sondern als IDS-Angestellte nur übernehmen durfte, sondern quasi zu einer dem IDS angegliederten Abteilung geworden. An sich hätten alle Mitglieder gleiche Rechte, aber der IDS-Direktor hat gleichere. (Fachlich hat sich Zehetmair auf den Reformretter Eisenberg verlassen.) Dieses Operieren an den rechtlichen Grundlagen vorbei war einer der Gründe, die mein Ausscheiden veranlaßt haben. Am IDS gibt es wahrscheinlich so gut wie keinen Mitarbeiter, der die Reform nicht schon immer für mißraten gehalten hätte, viele sind allerdings auch bloß gleichgültig. Man muß zugestehen, daß der fiese Ton aus Stickels Zeiten (z. B. gegen die deutschen Schriftsteller) schon lange nicht mehr zu hören ist, Eichinger ist persönlich ein verträglicher, unaggressiver Mensch.

Ich habe immer bedauert, daß die Ratssitzungen nicht öffentlich waren und sind. Allerdings hätte es dann vielleicht gar keine zweite und dritte gegeben... Ein Ionesco hätte seine Freude gehabt.


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 11.10.2014 um 09.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=713#9998

Es lag keineswegs in meiner Absicht, Herrn Eichinger herabzusetzen, ganz im Gegenteil.

Das Interview zeigt aber doch m.E. ganz gut, wie sehr die Abhängigkeit eines nichtstaatlichen Instituts, das auf öffentliche Gelder angewiesen ist, dessen Leiter dazu zwingt, sich derartig zu verbiegen.

Man könnte das alles als institutionell erzwungene "kognitive Dissonanz" oder "stalinistische Dialektik" einordnen, aber es bleibt in jedem Fall eine Schande.

Ich beneide den klugen und sympathischen Herrn Eichinger nicht um seine Rolle.


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 09.11.2014 um 09.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=713#10010

Weitere schlechte Nachrichten für Herrn Eichinger (und Herrn Zehetmair) aus der Feder eines Praktikers:

www.faz.net/aktuell/politik/gymnasien-bringen-den-schuelern-nichts-mehr-bei-13249698.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

"Die Lehrerin hat sechs Fehler angestrichen, 22 weitere ignoriert und in ihren Aufgaben acht eigene fabriziert. Die Eltern toben, holen sich fachkundigen Rat, studieren alle Hefte ihres Sprösslings und finden heraus, dass - außer den Sprachenlehrern in Klassenarbeiten - keine Lehrkraft sich in drei Jahren um die Rechtschreibung gekümmert hatte."


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2014 um 17.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=713#10011

Den Beitrag in der FAZ hatte ich auch gelesen. Warum sollte sich Zehetmair dadurch beunruhigen lassen? Er sagt doch dasselbe: daß mehr geübt werden müsse usw.
Klaus Ruß reiht, wie so viele andere Gastbeträge in der FAZ, ein paar krasse Anekdoten und einige kritische Gemeinplätze über "die" heutigen Schulen aneinander und kann sich der Zustimmung der meisten Leser sicher sein. Manches trifft zu, anderes ist übertrieben, und die Verallgemeinerung sowieso. Wem soll das Ganze nutzen? Auf seiner Homepage sieht man außerdem, daß er nicht ohne Eigeninteresse Stimmung macht. 40 Euro pro Stunde kostet seine Beratung.
Ich würde mir gründlichere und empirisch untermauerte Beiträge zu einzelnen Punkten wünschen, z. B. zum "Kompetenz"-Begriff, den ich ja selbst auch für sehr problematisch halte.
Wie Ruß Stimmung macht, kann man z. B. ann diesen Sätzen sehen:
Universitäten bieten Nachhilfe in Grammatik und Schreibtechnik an, derweil schafft NRW Latein als Studienvoraussetzung für gymnasiale Sprachenlehrer ab.
Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun? Sollen wir annehmen, daß Lateinschüler das Deutsche besser beherrschen? Und sollen sie Latein lernen, damit sie das Deutsche besser beherrschen (was Ruß doch später selbst ablehnt)?


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 10.11.2014 um 12.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=713#10012

Nun, die schlechte Nachricht für den Rechtschreibrat besteht darin, daß nicht einmal mehr Lehrer die deutsche Orthographie beherrschen.

Was das Latein angeht, so erwähnte Herr Ruß nicht nur Deutsch- sondern alle "Sprachenlehrer".

Und wenn es auch nur ansatzweise stimmt, daß sich der Computereinsatz im Fremdsprachenunterricht auf das Nachschlagen Vokabeln im Internet ("Effizienz der textbezogenen Datenbeschaffung") beschränkt und keine Vokabeln mehr gelernt werden, dann ist etwas oberfaul an deutschen Schulen.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2014 um 08.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=713#10019

Zur Zeitrechnung: Daß die Rechtschreibung der Schüler nicht viel schlechter als vor zehn Jahren sei, kann stimmen. Aber vor zehn Jahren war die Neuregelung schon acht Jahre in den Schulen und die Verwirrung der Lehrer auf einem ersten Höhepunkt. (Schmachthagen schiebt ja die Verunsicherung dem Rechtschreibrat in die Schuhe, das ist aber falsch, wie jeder Lehrer weiß.) Auch bleibt es dabei, daß die Reformer die Umsetzung ihres Werkes in keiner Weise wissenschaftlich begleitet haben, alle Äußerungen aus dieser Richtung sind wertlos.



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