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27.07.2008
 

Fehlermuster nach der Rechtschreibreform
Theodor Ickler im Deutschlandfunk

In der Sendung Kultur heute brachte der Deutschlandfunks ein Interview mit Theodor Ickler zum Stand der Rechtschreibreform. Dabei ging er auch auf die wichtigsten Ergebnisse der Jahrestagung der FDS ein.

Das von Beatrix Novy telefonisch geführte Interview (Sendezeit: 27.07.2008, 17:47) liegt beim Deutschlandfunk als MP3-Datei und im Flash-Format zum Abruf bereit; leider fehlen darin die An- und Abmoderation.


Sigmar Salzburg hat nach Gehör folgende idealisierte Mitschrift angefertigt (ohne Gewähr); herzlichen Dank dafür!

Ickler: Also, die Bestandsaufnahme, nun die ist etwas zwiespältig. Einerseits sind ja viele grobe Fehler der Reform im Zuge der Revisionen beseitigt worden, so daß also beim Lesen einer Zeitung bespielsweise heute nicht mehr so großes Unbehagen entsteht wie noch vor zehn Jahren. Das ist wohl eindeutig. Andererseits muß man leider sagen, daß die Revisionen und Korrekturen an der Reform in den Medien und auch bei einigen Buchverlagen noch längst nicht angekommen sind, auch in der Schule nicht, sondern man schreibt unverdrossen weiter in den ziemlich fehlerhaften Schreibweisen von 96, also nach dem ersten Entwurf einer Reform. Und das ist natürlich nicht sehr befriedigend. Das ist ein Hauptgrund der Uneinheitlichkeit, den man immer noch hat.

DLF: Einer der Teilnehmer [der Tagung der FDS] hat neue Fehlerbildungsmuster herausgefunden, solche, an denen gerade die Reform schuld ist – gesucht und gefunden in den Medien. Wie sehen solche Muster aus?

Ickler: Ja, es gibt hauptsächlich falsche Verallgemeinerungen bei der Getrenntschreibung, also nach dem Muster „Aufsehen erregend“ schreibt man dann auch „Video überwacht“ getrennt und solche Sachen. Das war ja vorauszusehen und ist nicht neu. Dann – also, es gibt nach wie vor die Fehler bei der s-Schreibung, das hatten wir auch vorausgesagt.

DLF: Aber die gab es ja nun auch vorher, in welcher Form gibt es sie jetzt?

Ickler: Kaum. Vor der Reform gab es da eigentlich kaum Fehler, in der Presse jedenfalls nicht. Und diese „Übergeneralisierung“ von Doppel-s beispielsweise, in „heiß“ oder „außen“ und so etwas und sogar bei dem Artikel und Pronomen „das“, das finden wir ja in fast jeder Ausgabe einer Zeitung.. Aber das war gar nicht mal so sehr …

DLF: Es wird also öfter Doppel-s geschrieben als eigentlich nötig … weil man sich jetzt einmal beim „dass“ daran gewöhnt hat, macht man es überall.

Ickler: Ja, das ist wohl auch so, daß man manches den Rechtschreibprogrammen überläßt, die das dann nicht unterscheiden können. Also, das ist eine Unterscheidung, die eigentlich schon 600 Jahre lang in der deutschen Sprache gemacht worden ist, mit dem scharfen „s“ und so weiter. Sie müssen auch sehen, daß früher ja nach der Faustregel „ss am Schluß bringt Verdruß“, die jeder Volksschullehrer beherrschte, nur zwei verschiedene s-Schreibungen am Ende eines Wortes möglich waren, entweder einfaches „s“ oder das „ß“. Und jetzt haben wir drei Möglichkeiten, „s“, „ß“ oder „ss“ wie in „heiß“, „das“ und „Haß“ oder „Fluß“. Wir haben jetzt drei Möglichkeiten am Ende, das ist natürlich eine objektive Schwierigkeit für Schüler. Aber das war gar nicht mal der Hauptpunkt, sondern das Besondere war eine Fehleruntersuchung, die ein Germanist, Uwe Grund, vorgelegt hat, worüber er auch schon veröffentlicht hat, umfassende Untersuchungen an Hunderten von Schülertexten, und da war ganz klar, daß nach der Reform eine – ja mehr als – Verdoppelung der Fehlerzahl eingetreten ist, womit ich also nicht sagen möchte, daß diese Fehler ausschließlich reformbedingt sind. Einige davon sind unspezifisch reformbedingt, das heißt, die allgemeine Verunsicherung führt zu einer Vermehrung der Fehler. Eine ganze Gruppe von Fehlern, gerade bei der s-Schreibung, ist aber auch ganz offensichtlich durch die Reform erst verursacht.und – obwohl die Rechtschreibleistung nicht signifikant abgenommen hat bei den Schülern – kann man doch in diesen sensiblen Bereichen, wo die Reform eingegriffen hat, eine Verschlechterung beobachten. Das ist sehr interessant und auch eine Pionierarbeit, die weiter bekannt werden müßte.

DLF: Was man aber nach einem Jahr noch als Übergangsschwierigkeit …

Ickler: Nein, nein, nein. Diese Punkte sind seit 96 in den Schulen, schon über zehn Jahre, zwölf Jahre jetzt schon fast, da kann man von Übergangserscheinungen nicht mehr sprechen. Wir haben jetzt ganze Schülerjahrgänge, bis zum Abitur praktisch, die nur in der neuen Rechtschreibung sozialisiert worden sind, und da kann von Übergangsschwierigkeiten wirklich keine mehr die Rede sein. Diese Ausrede zählt nicht mehr jetzt.

DLF: Aber es gibt doch Lehrer, die mit den Ergebnissen der Reform nicht unzufrieden sind. Zumindest hört man so etwas …

Ickler: Da müßte man länger drüber sprechen, da müßte man sehen, was sie von der Reform überhaupt verstanden haben und manchmal – wir hatten ja bisher immer noch die Übergangszeit, die gilt übrigens noch weiter, also auch die frühere Rechtschreibung wird noch nicht in allen Bereichen als fehlerhaft angestrichen – und wenn natürlich sehr vieles zugelassen ist – und dazu kommen ja noch die dreitausend Varianten im neuesten Duden – dann werden automatisch weniger Fehler angestrichen. Das ist ja ganz klar: Die Lehrer möchten auf Nummer sicher gehen und nicht Dinge anstreichen, die möglicherweise doch richtig sind. Und dadurch ergibt sich, wenn man großzügig bewertet, eine Verminderung der Fehler, aber das ist natürlich ganz unsauber.



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Kommentare zu »Fehlermuster nach der Rechtschreibreform«
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Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 28.07.2008 um 12.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=597#7050

Überraschend hat als eins der ersten Printmedien das sonst so blauäugige "Börsenblatt" über die Arbeit von Uwe Gund berichtet, die auf der FDS-Tagung vorgestellt wurde:
http://www.boersenblatt.net/sixcms/detail.php?id=221152
Und zwar ohne den Reflex "Sommerloch".


Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 28.07.2008 um 20.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=597#7067

An den Fragen, die die Journalistin stellt, erkennt man gut, wie ihr eigener Wissensstand zur Reform ist. Wahrscheinlich hat sie keine Zeit für eine Interview-Vorbereitung gehabt.


Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 29.07.2008 um 08.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=597#7073

Die dumme Frage der jungen Frau war eigentlich doch ganz gut, denn so konnte sie für diejenigen Hörer, die ähnlich irrige Vorstellungen haben, beantwortet werden.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2008 um 10.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=597#7074

Das Interview war nur sehr kurz, und nach dem langen Gespräch, das ich ein paar Tage zuvor mit einem anderen Mitarbeiter geführt hatte, war ich von der Hauptfrage nun etwas überrascht, weil sie mir keine Gelegenheit gab, das zu sagen, was mir eigentlich am Herzen lag. Die wichtigen Ergebnisse von Hern Grund hätte dieser bestimmt besser referiert. Na, man muß schon froh sein, wenn sich überhaupt noch jemand interessiert.



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