Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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07.02.2008
Linguistische Luftnummer
Bastian Sick und Peter Eisenberg kämpfen gegen den Verfall der deutschen Sprache
Die „Märkische Allgemeine“ läßt Eisenberg gegen Sick und gegen die Rechtschreibreform wettern.
POTSDAM/BERLIN - Erscheint die Lieblingszeitschrift vierzehntägig oder vierzehntäglich? Wann hat man zuletzt die Fenster geputzt – war das am Anfang diesen Sommers oder doch am Anfang dieses Sommers? Und bestellt man seinen Salat mit Scampis oder doch lieber mit Scampi? Wenn es um Fallstricke geht, hat die deutsche Sprache einiges zu bieten. Was Nicht-Muttersprachler und, wenn man ehrlich ist, auch so manchen Ur-Deutschen regelmäßig an den Rande der Verzweiflung bringt, sichert selbsternannten Sprachpolizisten wie Bastian Sick ein erkleckliches Auskommen. Sein Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ ging innerhalb von zwei Jahren mehr als 1,5 Millionen Mal über den Ladentisch. Es gibt Sick-Hörbücher, Sick-DVDs und ein Sick-Gesellschaftsspiel. Und natürlich geht Bastian Sick auch regelmäßig auf Lesereise.
Den großen Saal des Berliner Schiller-Theaters füllt Sick problemlos. Die Atmosphäre an diesem verregneten Abend könnte kaum genitivfreundlicher sein: Sicks Publikum – das sind arrivierte Mittfünfziger, die Tweedjacketts, goldene Brillen und Hochsteckfrisuren tragen und sich sicher sind, dass Hermann Hesse kein Buch mit dem Titel „Der Suppenwolf“ geschrieben hat. Und auch Bastian Sick freut sich riesig, dass das „Berliner Bildungsbürgertum“ so zahlreich den Weg zu ihm gefunden hat. Er, der schon für sein erstes Diktat eine glatte Eins bekommen hat, weiß ganz genau, dass er es hier im Schiller-Theater ausschließlich mit Menschen zu tun hat, „die mit einem gewissen Anspruch hergekommen sind“. Und so amüsiert sich das Publikum zwei Stunden lang köstlich über eine „vermieste Chihuahua-Hündin“, Kater, die sich „am gernsten“ draußen aufhalten und über einen „Lederchef-Sessel“, den ein Supermarkt zum Schnäppchenpreis von 34,99 Euro anbietet. Fehler machen bei Sick immer nur die anderen. Die Supermarktverkäuferinnen, die „Ananässer“ und „Gurgen“ im Angebot haben und auf Plakaten für „frische Kalbsbrust von der Schweinelende“ werben. Aber auch Friseure, die ihre Salons „Vier Haareszeiten“, „Philhaarmonie“ und „Haarem“ nennen, beleidigen Sicks Sprachgefühl. Wer hier lacht, lacht im sicheren Bewusstsein, dass zwischen ihm und der sprachamputierten Unterschicht Universen liegen.
Während der 42-Jährige sich über die mokiert, die mit anderen Problemen zu kämpfen haben als mit gebeugten Verben und Objektsprädikativen, macht Peter Eisenberg, emeritierter Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Uni Potsdam, die Politik für den Verfall der deutschen Sprache verantwortlich. „Die Geschichte der sogenannten Rechtschreibreform ist eine Geschichte politischer Intrigen“, wettert Eisenberg im voll besetzten Hörsaal der Potsdamer Uni. Der älteste Zuhörer trägt Hörgerät, der jüngste kann gerade mal „Mama“ sagen. Für „Gürüstbauer“, die nicht mehr aus dem Orthographie-Dschungel herausfinden, interessiert sich hier niemand. Schließlich tobte der „Rechtschreibkrieg“ ja auch ganz woanders: in der Kultusministerkonferenz und in der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, die Peter Eisenberg im März 1998 wutschnaubend verlassen hat. Die „systematischen Attacken auf eine der besten Orthographien in Europa“ wollte er nicht länger mittragen. Seitdem tut der 67-Jährige alles, was in seiner Macht steht, um wenigstens die schlimmsten Vorstöße der Rechtschreibreformer rückgängig zu machen. Auf Unterstützung von Bastian Sick kann der Professor verzichten. „Sick schaut den Leuten nicht aufs Maul, er will es ihnen verbiegen und verbieten“, schimpft er. Im übrigen sei vieles von dem, was Sick erzählt, aus linguistischer Sicht „völliger Unsinn“. Anders als bei dem Sprach-Fundamentalisten Sick darf bei Eisenberg nicht nur gewinkt, sondern auch gewunken werden. Auch dann, wenn Eisenberg im Unterschied zu Sick auf müde Anneliese-Rothenberger- und Mireille-Mathieu-Parodien verzichtet.
(Von Ariane Mohl)
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 03.08.2013 um 09.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#9475
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Angesichts des Umfanges dieser Website bin ich mir nicht sicher, wo mein Hinweis am besten untergebracht ist, daher wähle ich einfach diesen Strang.
Die University of Pennsylvania unterhält ein sehr aktives Blog (http://languagelog.ldc.upenn.edu/nll/) von Sprachwissenschaftlern, die sich ganz entschieden gegen die Präskription aussprechen. Es gibt sogar eine eigene Kategorie namens "Prescriptivist poppycock" (siehe hier).
Im deutschsprachigen Kontext würden die Themen wohl eher Diskussionen um Sick oder Duden Bd. 9 betreffen, aber wer jemals mit US-amerikanischen Redaktionen oder Verlagen mit ihren archaischen und dogmatischen Regeln um Formulierungen oder Schreibweisen gekämpft hat, kann die anhaltende Energie der Autoren gewiß nachvollziehen.
Das Blog ist aber auch ansonsten lesenswert, weil es nicht nur die englische Sprache behandelt.
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Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 23.05.2008 um 14.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6756
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Es bleibt ein unbemerkter Skandal, ein Fall ohne Parallele, daß das Reformprojekt – Belastung und Belästigung eines ganzen Volkes – in keiner Weise evaluiert wird, am wenigsten von den Betreibern und Durchsetzern, aber auch nicht von sonstwem. Niemand fragt, ob die Ziele erreicht wurden, keiner analysiert die Aus- und Nebenwirkungen, die Folgeschäden und die wirtschaftlichen Verflechtungen bleiben unbemerkt oder unbeachtet, nebenbei natürlich auch die unhaltbaren Behauptungen des "Rates". Sick ist in bester Gesellschaft, wenn er Duden so wenig hinterleuchtet wie andere das Neue Testament. Komischerweise wäre Sick vermutlich der einzige, der nochmal was in Bewegung setzen könnte, denn auf niemand sonst hört die Öffentlichkeit in Sprachdingen – wenn er sich entschlösse, den Skandal ins Rampenlicht zu zerren. Konjunktivus irrealis und hochskurril.
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Kommentar von jueboe, verfaßt am 23.05.2008 um 13.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6755
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Was an Sick stört, ist der dummdreiste Etikettenschwindel, mit dem er die Öffentlichkeit täuscht: nach außen hin neutraler Sprachguru, innen 100% Duden.
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 22.05.2008 um 22.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6754
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Bastian Sick für eine erfreuliche Erscheinung zu halten bedeutet, das Symptom mit der Kur zu verwechseln. Seine Botschaft lautet, daß es auch im falschen Schreiben noch ein richtiges gebe. Auf dieser Botschaft beruht sein Erfolg, weshalb er sich hüten wird, an der Rechtschreibreform herumzumäkeln. Er verheißt sowohl denen eine Zuflucht, die ihren Unmut über die Reform nicht gegen diese selbst zu wenden wagen, als auch jenen, denen sie eine liebgewordene Chance zur Besserwisserei nahm (es sind übrigens teilweise dieselben).
Gestalten wie Sick finden sich bei jeder Zeitung; nicht zufällig sind es häufig Schlußredakteure. Neben technischem Verständnis und Entscheidungsfreudigkeit müssen sie vor allem einen Blick für Normverstöße mitbringen, ob diese nun die hausinternen Layout- oder typographischen Standards verletzen, den guten Geschmack oder eben sprachliche Geltungsansprüche. Da liegt es nahe, sie die Normen gleich selbst festsetzen zu lassen und sie in der Zeit, in der sie nicht in die Produktion eingebunden sind, mit dem Formulieren von Stilfibeln oder ähnlichem zu beschäftigen.
Was dabei herauskommt, ist nicht immer dumm. Gegen die Maßgabe zum Beispiel, nicht "Jahreshauptversammlung" zu schreiben, sondern entweder Jahresversammlung oder Hauptversammlung, läßt sich nicht viel einwenden. Es gibt aber auch Wichtigtuer, die "Generalversammlung" mit der Begründung auf den Index setzen, es handle sich da um eine falsche Übersetzung von "Assemblée générale", oder, noch schlimmer (soweit das möglich ist), behaupten, die Hauptversammlung dürfe deshalb nicht Generalversammlung heißen, weil sich schließlich nicht Generale versammelten (alles schon erlebt).
Ganz früher hat man mit Tintenfässern nach solchen Schlaumeiern geworfen, später mit Aschenbechern. Heute nimmt man Teddybären. Das ist bedenklich.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 22.05.2008 um 14.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6752
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Gerade daß sich Sick als "Sprachpolizist" aufführt, ist besonders schädlich, denn er bedient und befördert damit im wesentlichen die Haltung, es sei alles eindeutig geregelt und man könne immer angeben, was richtig und was falsch sei; dadurch wird dann das Bestreben, sich richtig auszudrücken, zu einem Regelgehorsam. Aber eben diese Haltung hat zur Rechtschreibreform geführt.
Sinnvoller wäre eine Veranschaulichung sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten, Besonderheiten und Nuancen, so daß es nicht mehr um "richtig" oder "falsch" geht, sondern darum, vom normalen Deutsch zum besseren Deutsch zu kommen, zu einem sprachlichen Ausdruck, der in der jeweiligen Situation angemessen ist, zu einem tieferen Verständnis für Sprache – kurz, zu einer Schärfung des Sprachbewußtseins.
Spätestens dann würde klar werden, was von weiten Teilen der Rechtschreibreform zu halten ist; nur fände sich dafür wohl bei weitem nicht das große Publikum, welches Sick jetzt hat. Aber bereits jetzt könnte Sick mühelos darauf hinweisen, was an der Rechtschreibreform alles nicht in Ordnung ist. Das tut er nicht, obwohl er es eigentlich besser wissen sollte; zumindest traue ich ihm zu, daß er es besser weiß. Solches kann ich nicht gutheißen.
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Kommentar von Roland Römer, verfaßt am 22.05.2008 um 13.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6751
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07.02.2008
Linguistische Luftnummer
Bastian Sick und Peter Eisenberg kämpfen gegen den Verfall der deutschen Sprache
Mag sein, daß Bastian Sick sich gut verkauft. Das ist erlaubt. Viel wichtiger ist mir die Diskussion um die deutsche Sprache in Wort und Schrift, die er nicht nur angefacht hat sondern auch am Leben erhält.
Dabei schadet es auch nicht, wenn er ein bischen als "Sprachpolizist" auftritt. So tut es wenigstens einer. Ansonsten müssen wir ja immer öfter erleben, daß unsere Sprache gedankenlos z. B. anglizistischen Konstruktionen und Fremdwörtern verfällt.
Darum finde ich die Arbeit von Bastian Sick wichtig und gut. Und wer gute Arbeit leistet, soll auch entsprechend entlohnt werden.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 01.04.2008 um 05.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6624
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Wie ich gerade feststelle, hat der Duden seine Ablehnung von "diesen Jahres" um einen Hauch abgeschwächt. Auf der Internetseite des Duden – bei der Duden-Sprachberatung – steht jetzt:
"Heißt es Ende diesen oder dieses Jahres?
Standardsprachlich richtig ist Ende dieses Jahres."
Vor geraumer Zeit hatte es nur geheißen: "Richtig ist Ende dieses Jahres."
Eigentlich war ich der Meinung, daß sich der Duden grundsätzlich mit der Standardsprache befaßt. Und was ist "diesen Jahres" denn? Dialekt, Umgangssprache, Schweizerisch?
Und ist es wohl standardsprachlich, Body-Mass-Index als [bodi-mess ...] auszusprechen? Mir kommt das eher dialektal vor, und zwar in dem englischen Dialekt namens Deutsch.
Oh, what a mess!
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Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 31.03.2008 um 20.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6623
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Zu meiner Corpusauswertung (#6604) stellt Herr Schatte in #6605 folgende Fragen:
1. »Welche Tendenz (welchen ›Trend‹) können wir aus ihr ablesen?«
2. »Was sagt sie uns über das Gegenwartsdeutsch?«
Zu Frage 1:
In der Tat erwecken meine Zahlen den Eindruck, die Zahl der Verstöße gegen Herrn Schattes Regel gehe mit der Zeit immer weiter zurück. Jedoch sind die Prozentwerte zum Teil wenig verläßlich, weil der Umfang der Stichprobe recht gering war. Deshalb habe ich zur Sicherheit das DWDS-Kerncorpus nochmal gründlicher ausgewertet:
1900: 280mal d_jenig_, davon 250mal (89,3 %) nicht auf Menschen bezogen
1910: 303mal d_jenig_, davon 223mal (73,6 %) nicht auf Menschen bezogen
1920: 302mal d_jenig_, davon 168mal (55,6 %) nicht auf Menschen bezogen
1930: 195mal d_jenig_, davon 136mal (69,7 %) nicht auf Menschen bezogen
1940: 254mal d_jenig_, davon 192mal (75,6 %) nicht auf Menschen bezogen
1950: 56mal d_jenig_, davon 21mal (37,5 %) nicht auf Menschen bezogen
1960: 86mal d_jenig_, davon 36mal (41,9 %) nicht auf Menschen bezogen
1970: 28mal d_jenig_, davon 17mal (60,7 %) nicht auf Menschen bezogen
1980: 25mal d_jenig_, davon 9mal (36 %) nicht auf Menschen bezogen
1990: 42mal d_jenig_, davon 23mal (54,8 %) nicht auf Menschen bezogen
1999: 95mal d_jenig_, davon 25mal (26,3 %) nicht auf Menschen bezogen
insgesamt: 1666mal d_jenig_, davon 1100mal (66,0 %) nicht auf Menschen bezogen
Ab 1950 ist die Verläßlichkeit der Prozentangaben geringer, weil es ab da für jedes Jahr deutlich weniger Belege gibt als zuvor.
Die besonders hohe Zahl der Abweichungen von Herrn Schattes Regel in den Jahren 1900, 1910 und 1940 läßt sich mit dem überverhältnismäßig großen Anteil bestimmter Textsorten erklären: Von den 280 Belegen aus dem Jahr 1900 stammen 176 aus Georg Simmels ›Philosophie des Geldes‹. Von den 303 Belegen aus dem Jahr 1910 stammen 124 aus Fritz Mauthners ›Wörterbuch der Philosophie‹ und 73 aus ›Der Tierkörper als selbständiger Organismus‹ von Richard Hesse. Von den 254 Belegen aus dem Jahr 1940 stammen 96 aus ›Der Aufbau der realen Welt‹ von Nicolai Hartmann. d_jenig_ mit Bezug auf Menschen kommt hier deshalb so selten vor, weil es in diesen Werken ohnehin weniger um Menschen als um Entitäten, Kategorien und Relationen bzw. um Tiere und ihre Organe geht.
Daher läßt sich anhand des DWDS-Kerncorpus keine allmähliche Durchsetzung der Schatteschen Regel nachweisen.
Außerdem habe ich noch das ZEIT-Corpus untersucht, und zwar nur Artikel aus dem Ressort Wirtschaft, um möglichst thematische Gleichartigkeit zu erreichen.
1946–59: 9mal d_jenig_, davon 5mal (55,6 %) nicht auf Menschen bezogen
1960–63: 110mal d_jenig_, davon 57mal (51,8 %) nicht auf Menschen bezogen
1970–73: 105mal d_jenig_, davon 25mal (23,8 %) nicht auf Menschen bezogen
1980–85: 116mal d_jenig_, davon 20mal (17,2 %) nicht auf Menschen bezogen
1990–93: 110mal d_jenig_, davon 25mal (22,7 %) nicht auf Menschen bezogen
1996: 94mal d_jenig_, davon 21mal (22,3 %) nicht auf Menschen bezogen
1998: 63mal d_jenig_, davon 14mal (22,2 %) nicht auf Menschen bezogen
2000: 88mal d_jenig_, davon 17mal (19,3 %) nicht auf Menschen bezogen
2002: 72mal d_jenig_, davon 17mal (23,6 %) nicht auf Menschen bezogen
2004: 76mal d_jenig_, davon 16mal (21,1 %) nicht auf Menschen bezogen
2005: 32mal d_jenig_, davon 7mal (21,9 %) nicht auf Menschen bezogen
insgesamt: 875mal d_jenig_, davon 224mal (25,6 %) nicht auf Menschen bezogen
Hier ist der Prozentsatz seit den 70er Jahren ungefähr gleich geblieben. (Die Angaben für den Zeitraum 1946–1959 sind wieder ohne Aussagekraft.)
Es scheint hier also kein Sprachwandel vonstatten zu gehen.
Zu Frage 2:
Wie auch immer man die künftige Entwicklung einschätzt: Im Gegenwartsdeutsch kann man das Pronomen d_jenig_ ohne weiteres mit Bezug auf Nicht-Menschen gebrauchen. Besondere Seltenheit oder Häufigkeit dieses Gebrauchs in einem Text dürfte sich dadurch erklären lassen, daß darin ohnehin besonders oft von Menschen bzw. Nicht-Menschen die Rede ist. (Zeitungsschreiber ›personalisieren‹ ihre Artikel usw.)
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 31.03.2008 um 14.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6622
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Nicht "Neuschöpfung", schrieb ich, lieber Herr Konietzko, sondern "Wortschöpfung". Ich weiß durchaus, was das Wort Univerbierung bedeutet. Der einzige Neologismus ist womöglich "Letztinstanz", da bin ich mir aber auch nicht ganz sicher.
Ich habe diese vier Begriffe auch nur herausgepickt, weil sie sehr schön zeigen, was man in einem eh schon fast inhaltsleeren Text anrichtet, wenn man ihn zusätzlich mit schicken Begriffen garniert. Eben ein Gericht, das nach mehr aussieht, als es dann tatsächlich bietet.
Das ist nun auch prinzipiell nicht neu in den Geisteswissenschaften. Jedesmal wenn man das Rad eigentlich nicht neu erfinden kann, produziert man Worthülsen, die alle zunächst glauben lassen, man habe da doch etwas Neues erfunden. Dabei müssen diese Worthülsen selbst gar nicht unbedingt neu sein. Ihre zum Teil unmotivierte Verbindung ergibt nur ein neues Gericht, so wie ich es ja auch machte. Streichen Sie doch im Text von Frau Güthert mal alle Fachtermini heraus. Dann sieht es schon nicht mehr so wichtig aus, was das IDS schon alles geleistet hat und demnächst noch macht.
Ein anderes Beispiel gefällig?
"Kommunikatbasen bestehen aus solchen materialen Kommunikationsmitteln, die ein Kommunikationsteilnehmer produziert und die andere Kommunikationsteilnehmer aufgrund der Struktur ihres Wahrnehmungsapparates sowie durch Anwendung von regelhaften bzw. konventionalisierten Operationen als solche Gegenstände erkennen, denen sie Bedeutungen, Sinnbezüge und Relevanzen zuordnen und eventuell Handlungen als Konsequenzen daran anzuschließen gelernt haben." (Siegfried J. Schmidt: Grundriß der Empirischen Literaturwissenschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 61–62.)
Das ist nur ein Satz, wohlgemerkt. Aber er klingt doch viel schicker und wichtiger als: Wenn mindestens zwei Menschen miteinander kommunizieren, dann sind die Verständnismöglichkeiten einer Handlung, die sich aus diesem Verständnis ergibt, nicht nur zu erwarten, sondern auch vorauszusetzen. So ähnlich würde ich das ausdrücken. Aber mein Satz ist bei weitem nicht so schick. Statt "Handlung" könnte ich auch "Tun" schreiben, und dann würde es endgültig niemanden mehr interessieren. Vergleichen Sie auch nur die Länge des Satzes von Schmidt und der "Übersetzung".
Aber zurück zum Thema: Wie haben Sie denn den Regel-Ebene-Satz verstanden? Herr Mahlmann und ich verstehen ihn ja eindeutig anders. Ich weiß, ich vermenge jetzt zwei Tagebuch-, bzw. Nachrichtenstränge. Antworten Sie einfach, wo es Ihnen besser paßt.
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Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 31.03.2008 um 13.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6621
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»Allein Wortschöpfungen wie (...) ›Univerbierung‹ sind so schön, daß sie es verdienen, als kleine stilistische Trüffel möglichst viele Texte zu verfeinern.« (Oliver Höher, #6620)
Univerbierung ist keine Neuschöpfung, sondern ein üblicher sprachwissenschaftlicher Fachausdruck, der hier und auf www.rechtschreibung.com schon oft verwendet wurde.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 31.03.2008 um 13.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6620
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Peter Eisenberg: [...] Die Deutschen haben ihre Sprache eigentlich ganz gern. Ich glaube nur nicht, dass sich das darin ausdrückt, dass sie Herrn Sick nachlaufen. Es drückt sich zum Beispiel darin aus, dass sie eine vom Staat verordnete Orthographie-Reform nicht akzeptieren. Da hat wirklich das Volk gesprochen und gesagt nein, das wollen wir nicht. Das ist ein Eingriff in unsere Sprache. Das nehmen wir nicht hin vom Staat. [...]
Warum das Volk, das doch "nein" gesagt hat, dann aber weiterhin mit der ebenfalls zu dieser Reform gehörenden Heyseschen s-Schreibung behelligt wird, ist unklar. Und gehörte nicht Eisenberg zu denen, die unbedingt diesen "Eingriff in unsere Sprache" durchbringen wollten?
Peter Eisenberg: [...] Die deutsche Sprache ist eine der bestausgebauten Sprachen der Erde. Sie bietet uns eigentlich alles, was wir uns nur wünschen können. Aber der Gebrauch, den wir von ihr machen, der ist nicht immer gut genug. Daran müssen wir arbeiten - ganz besonders in der Schule, aber auch in den Medien. Das gehört auch zu den Aufgaben, die sich das Institut für deutsche Sprache stellt, bei dem wir ja ab heute zu Gast sind. [...]
Fällt nicht der gute Gebrauch einer Sprache in den Bereich der Stilistik? Das heißt, das IDS ist nicht nur der Hüter und Wahrer der deutschen Orthographie ("Letztinstanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung"), sondern plötzlich auch unser aller Vorbild in der Stilistik. Das ist der Ehre fast zu viel. Vor allem, wenn man den Text, den Herr Ickler in seinem Tagebuch vom 30.03.2008 vorstellt, als Mustertext ansieht. Allein Wortschöpfungen wie "Letztinstanz", "Regel-Ebene", "Schreibgebrauchsbeobachtung" und natürlich "Univerbierung" sind so schön, daß sie es verdienen, als kleine stilistische Trüffel möglichst viele Texte zu verfeinern.
Na dann guten Appetit bei "Letztinstanz auf Regel-Ebene an univerbierter Schreibgebrauchsbeobachtung", frei von künstlichen Aromen und Geschmacksverstärkern. Und natürlich von den Chefköchen des IDS auf "breiter Anerkennung auch außerhalb der Domänen, für die der Staat Regelungskompetenz hat," zubereitet.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 31.03.2008 um 11.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6618
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Kann mich jemand beruhigen und mir versichern, daß die Kommasetzung im Beitrag von www.dradio.de tatsächlich so katastrophal ist, wie sie mir zu sein scheint? Oder geben die neuen Kommaregeln etwa derlei her?
Dann wäre ja selbst der Lichtblick "im allgemeinen" nurmehr ein Flüchtigkeitsfehler in einem ansonsten "vorbildlichen" Text.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 30.03.2008 um 21.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6615
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Armer Bastian Sick! Dabei hat er doch eigentlich nur vom Duden abgeschrieben. Und deswegen nun von Duden-Autor Eisenberg so angegangen zu werden - die Welt ist ungerecht!
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Kommentar von www.dradio.de, 11. März 2008, verfaßt am 30.03.2008 um 19.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6614
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Sprachwissenschaftler Eisenberg: Deutsche Sprache so differenziert wie noch nie
Experte bezeichnet Autor Bastian Sick als Entertainer
Moderation: Sandra Schulz
Der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg hat der deutschen Sprache einen guten Gesamtzustand bescheinigt. Sie gehöre zu den "bestausgebauten Sprachen der Erde". Der Gebrauch des Deutschen lasse manchmal zu wünschen übrig. Daran müsse gearbeitet werden. Selbsternannten Sprachrettern wie dem Autor Bastian Sick ginge es jedoch nicht um die Sprache, sondern um "Entertainment", kritisierte Eisenberg.
Sandra Schulz: "Hier werden sie geholfen!" Dieser Satz ist grammatikalisch falsch. Richtig wäre die Wendung mit Dativobjekt, mit dem so genannten indirekten Objekt. "Hier werden sie geholfen", ein Werbespruch, der heute in aller Munde ist. Zum Sanierungsfall erklärte die Wochenzeitschrift "Die Zeit" die deutsche Sprache im vergangenen Jahr. Mit seinem Bestseller "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" suggeriert der Autor Bastian Sick Ähnliches. Wie berechtigt ist die Sorge um die Verfassung unserer Sprache? Dieser Frage geht die Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache nach. Heute beginnt sie in Mannheim. Dabei ist auch Professor Peter Eisenberg, emeritierter Sprachwissenschaftler und Autor des Duden-Bandes Nr. 9 "richtiges und gutes Deutsch". Guten Morgen Herr Eisenberg!
Peter Eisenberg: Guten Morgen Frau Schulz.
Schulz: Was ist denn schlechtes Deutsch?
Eisenberg: Es gibt viele Formen von schlechtem Deutsch: zum Beispiel die Form, dass man den so genannten Nominalstil pflegt oder dass man etwas Überflüssiges sagt, dass man zu viele Worte macht, oder dass man grammatische Fehler macht.
Schulz: Jetzt feiert der Autor Bastian Sick ja große Erfolge. Er hat sogar einen Weltrekord aufgestellt mit der größten Deutschstunde der Welt. Ist das eine gute oder schlechte Nachricht für die deutsche Sprache?
Eisenberg: Für die deutsche Sprache ist das im Prinzip gar keine Nachricht. Es geht hier nicht um die deutsche Sprache, sondern es geht um ein Entertainment, das wir ja heute auf sehr vielen Gebieten finden. Wenn der deutschen Sprache etwas zugefügt wird, dann eher ein Schade, aber ich hoffe und glaube, dass das auch nicht der Fall ist.
Schulz: Warum eher ein Schade, ein Schaden besser gesagt?
Eisenberg: Na ja, das ist schon ein interessanter Fall, ob wir sagen "ein Schade" oder "ein Schaden", "der Friede" oder "der Frieden". Aber darüber wollen wir uns jetzt nicht unterhalten. Das würde ein bisschen zu lange dauern. Der Schaden könnte dadurch entstehen, dass Herr Sick den Leuten einfach sagt, wie es richtig ist und wie es falsch ist. Das was er ihnen sagt, das stimmt in vielen Fällen nicht mit ihrem Sprachgefühl und auch nicht mit dem Zustand des gegenwärtigen Deutschen überein, sondern das sind Meinungen, die irgendwo herkommen. Niemand weiß genau, woher sie kommen, Herr Sick schon gar nicht. Die werden so unter die Leute gebracht nach dem Motto: Das ist richtig, das ist falsch - richte dich danach, etwas anderes gibt es nicht. So funktioniert eine natürliche Sprache wie das Deutsche nicht.
Schulz: Bei einem Beispiel, das Sie auch mehrfach besprochen haben, da geht es um diese Wendung "zu Beginn dieses Jahres". Bastian Sick stellt "zu Beginn diesen Jahres" - eine Formulierung, die immer wieder zu hören ist, die auch immer wieder zu lesen ist - als falsch heraus. Was ist daran wiederum falsch, Formulierungen, die grammatikalisch nicht einwandfrei sind, als solche zu brandmarken?
Eisenberg: Der Fall ist gleich ein etwas komplizierterer. Ich will mal versuchen, ihn einfach zu erklären. "Am Anfang dieses Jahres" ist nicht falsch. Das heißt Herr Sick vertritt in diesem Fall die Meinung, dass etwas richtig ist, was tatsächlich richtig ist. Der Fehler, den er macht, besteht darin, dass er sagt, "am Anfang diesen Jahres" sei falsch. Es gibt eine allgemeine Entwicklung im Deutschen, die dazu führt, dass wir möglichst in einer solchen so genannten Nominalphase nur ein "s" haben. Das "s" ist ein sehr starker Konsonant. Den hört man gut und von dem will man nicht zu viele in einer Nominalphase - möglichst nur einen. So hatten wir vor 200 Jahren noch solche Wendungen wie "ich bin gutes Mutes" oder "sie kommt schnelles Schrittes". Da sehen Sie genau dieselbe Entwicklung. Heute sind wir guten Mutes und kommen schnellen Schrittes. Das heißt das eine "s" haben wir durch ein "n" ersetzt. Das "n" ist wesentlich schwächer, wesentlich allgemeiner verwendbar und genau derselbe Prozess spielt sich hier ab bei "am Anfang diesen Jahres". Sprecher und Sprecherinnen mit einem sehr gut entwickelten Sprachgefühl benutzen diese Wendung vornehmlich. Das wissen wir aus empirischen Erhebungen. Und es besteht überhaupt kein Grund dafür, dass sie sich von Herrn Sick sagen lassen sollen, dieses sei falsch oder schlechtes Deutsch. Im Augenblick sind beide Formen weit verbreitet. Beide sind richtig. Und die Vorstellung, dass immer nur eine einzige richtig sein könnte, gehört zu den allgemeinen Vorurteilen, die man als Sprachwissenschaftler nur bekämpfen kann. Das ist nicht der Fall. Auch in vielen anderen Fällen ist es nicht so. Wir Sprachwissenschaftler wissen ungefähr, wie groß die Variationsbreite im Deutschen ist. Und wenn wir Leuten wie Herrn Sick die Fälle erst mal nennen würden, die er bearbeiten könnte, dann hätte er unendlich viel zu tun. Wir haben in sehr, sehr vielen Fällen verschiedene Möglichkeiten, uns auszudrücken, und so auch in diesem. Und warum sollen wir den Leuten diese Ausdrucksmöglichkeiten wegnehmen?
Schulz: Wie erklären Sie sich aber, dass Bastian Sick so einen großen Erfolg hat? Die Leute scheinen sich ja nach dieser Eindeutigkeit zu sehnen.
Eisenberg: Es gibt dafür eine ganze Reihe von Gründen. Einer ist, dass die Sprache etwas ist, was in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden ist für das Selbstverständnis der Leute. Auch im Rahmen der deutschen Identitätsdebatten spielt ja etwa die Fremdwort-Problematik eine immer größere Rolle. Die Leute suchen auf allen möglichen Gebieten Sicherheit und wenn jemand kommt und sagt, ich sage euch wie es richtig ist, ich biete euch Sicherheit, und wenn er das dann auch noch auf eine ganz nette Form macht, so dass man sich gut unterhalten fühlt, und wenn man außerdem noch eine riesige Medienmacht im Hintergrund hat mit einer gewaltigen Werbekapazität. Sie dürfen ja nicht glauben, dass Herr Sick sein Buch geschrieben hat und dann wurde das ein Bestseller. So war das nicht. Er ist Angestellter oder arbeitet bei "Spiegel online". Dahinter steht eine riesige Medienmacht und wenn sie heute in eine große Buchhandlung kommen, dann sehen sie erst mal: Sick, Sick, Sick steht überall.
Schulz: Heißt das denn auch, dass die Deutschen nicht das richtige Verhältnis zu ihrer Sprache haben?
Eisenberg: Das heißt erst mal, dass die Leute sich schon in einem gewissen Umfang für ihre Sprache interessieren. Es wird den Deutschen ja oft vorgehalten, dass sie ein gebrochenes Verhältnis zu ihrer Sprache haben, dass sie ihrer Sprache nicht loyal genug gegenüber sind. Das stimmt im allgemeinen nicht. Die Deutschen haben ihre Sprache eigentlich ganz gern. Ich glaube nur nicht, dass sich das darin ausdrückt, dass sie Herrn Sick nachlaufen. Es drückt sich zum Beispiel darin aus, dass sie eine vom Staat verordnete Orthographie-Reform nicht akzeptieren. Da hat wirklich das Volk gesprochen und gesagt nein, das wollen wir nicht. Das ist ein Eingriff in unsere Sprache. Das nehmen wir nicht hin vom Staat. An so etwas zeigt sich die Sprachloyalität der Deutschen, aber nicht darin, dass sie nun zu Herrn Sick oder zu anderen Entertainern laufen. Ich meine alle Gegenstände, die im Entertainment behandelt werden, müssten ja dann Gegenstände sein, die die Leute sehr lieben. Das glaube ich eigentlich nicht.
Schulz: Und insgesamt gesprochen - das Lamento wird ja allenthalben geführt -, wie steht es um die Verfassung der deutschen Sprache?
Eisenberg: Da muss man unterscheiden. Die deutsche Sprache selbst als ein System, das ein Vokabular hat, das eine Syntax hat, das Ausdrucksmöglichkeiten bereitstellt, ist so groß und so umfangreich und so differenziert wie es noch nie war. Die deutsche Sprache ist eine der bestausgebauten Sprachen der Erde. Sie bietet uns eigentlich alles, was wir uns nur wünschen können. Aber der Gebrauch, den wir von ihr machen, der ist nicht immer gut genug. Daran müssen wir arbeiten - ganz besonders in der Schule, aber auch in den Medien. Das gehört auch zu den Aufgaben, die sich das Institut für deutsche Sprache stellt, bei dem wir ja ab heute zu Gast sind. Daran müssen wir arbeiten, aber wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, dass wir sagen, die deutsche Sprache ist schlecht oder die deutsche Sprache verfällt. Das ist wirklich nicht der Fall!
Schulz: Ein Plädoyer gegen Kulturpessimismus war das von Professor Peter Eisenberg. Vielen Dank!
(http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/752011/)
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 16.03.2008 um 17.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6605
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An Herrn Konietzko zunächst besten Dank für die Recherche.
Welche Tendenz (welchen "Trend") können wir aus ihr ablesen?
Was sagt sie uns über das Gegenwartsdeutsch?
"Mitglieder" von Wortarten kann man in Texten vom Ende des 19. Jahrhunderts recht oft finden. Das waren allerdings die Zeiten vor den Klassen im heutigen Verständnis. Gegen "Mitglieder von Wortgemeinschaften /-sozietäten" und ähnlich Humanem wäre ja – wenigstens stilstisch – nichts einzuwenden.
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Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 16.03.2008 um 15.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6604
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Herr Schatte schlägt vor, seine Behauptung »Deutsche Muttersprachler (Linguisten ausgenommen) engen den Bezug der Katapher (der Anapher oder des Biphorikons) ›d_jenig_‹ auf Menschen ein« (#6599) nachzuprüfen, indem man »dem Volk aufs Maul schaut« (#6603).
Zu diesem Zweck habe ich das Corpus ›Gesprochene Sprache‹ ausgewertet:
1900–19: 4mal d_jenig_, davon 1mal (25 %) nicht auf Menschen bezogen
1920–39: 58mal d_jenig_, davon 12mal (20,7 %) nicht auf Menschen bezogen
1940–59: 38mal d_jenig_, davon 3mal (7,9 %) nicht auf Menschen bezogen
1960–79: 14mal d_jenig_, davon 1mal (7,1 %) nicht auf Menschen bezogen
1980–2001: 172mal d_jenig_, davon 10mal (5,8 %) nicht auf Menschen bezogen
insgesamt: 286mal d_jenig_, davon 27mal (9,4 %) nicht auf Menschen bezogen
Im ›Berliner Wendecorpus‹ (Interviews mit 39 Ostberlinern und 28 Westberlinern aus dem Zeitraum 1992–96) in normalisierter Schreibweise kommt 19mal d_jenig_ vor, immer auf Menschen bezogen.
Im DWDS-Kerncorpus sind von den 50 jüngsten Belegen für d_jenig_ (aus dem Jahr 1999) 16 (32 %) nicht auf Menschen bezogen, von den 50 ältesten Belegen (aus dem Jahr 1900) widersprechen 34 (68 %) Herrn Schattes Behauptung. Hier zwei Karl-Kraus-Zitate:
»Während der ersten drei Jahre muss der Schüler dasjenige, was Handwerk an der Chemie ist, erlernen.« (Die Fackel 2 [1900], Nr. 31, S. 16–19)
»Im Interesse der Technik wäre es daher zu wünschen, dass an dieser künftig auch diejenigen Wissenschaften, die sie mit der Universität gemein hat, durch gediegene Kräfte jene Pflege finden würden, die einer Hochschule angemessen ist.« (Die Fackel 2 [1900], Nr. 32, S. 12–13)
Auch außerhalb sprachwissenschaftlicher Arbeiten wird also d_jenig_ mit Bezug auf Nicht-Menschen verwendet, aber in gesprochener Sprache wohl seltener als in geschriebener.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 15.03.2008 um 22.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6603
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Germanist hat völlig recht. Bleibt indes die Frage, ob Teilmengen aller Obermengen oder vielleicht doch nur bestimmter. Das ließe sich ermitteln, indem man nicht etwa Linguisten, sondern "dem Volk aufs Maul schaut".
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 14.03.2008 um 18.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6602
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"Derjenige", "diejenigen" usw. sind partitive Demonstrativpronomen zur Auswahl und näheren Beschreibung einer Teilmenge aus einer Gesamtmenge und sollten nur dafür verwendet werden.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 14.03.2008 um 11.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6601
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Lieber Herr Achenbach,
mir ging es um die anthropomorphisierende Koinzidenz von "diejenigen" und "Mitglieder" von Klassen (= members of classes?).
Durch Benennungsgepflogenheiten dieser Art wird die von Klassen und anderen Ungetümen handelnde hartleibige Sprachwissenschaft sicher ein wenig "humaner".
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 14.03.2008 um 03.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6600
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Herr Schatte hat sicher recht, daß der zitierte Satz unnötig kompliziert ist. Das "demjenigen" ist hier zweifellos überflüssig. Genauso überflüssig ist aber auch der "Bereich". Einfacher und damit besser wäre: "Eindeutigkeit sei in der Grammatik viel weniger gegeben als etwa in der Rechtschreibung."
Dagegen ist das "diejenigen" in der Formulierung "Diejenigen Mitglieder der Wortklasse, die ..." keineswegs überflüssig. Es hat hier sogar eine Doppelfunktion. Es zeigt an, daß sich der Relativsatz auf die "Mitglieder" und nicht etwa auf die "Wortklassen" bezieht. Zweitens zeigt es an, daß der Relativsatz definitorisch zu verstehen ist. Die deutsche Kommaregelung erlaubt hier keine Unterscheidung. Im Französischen oder Englischen käme der definitorische Charakter (im Schriftlichen) darin zum Ausdruck, daß der Relativsatz nicht in Kommata eingeschlossen würde. Auch im Englischen würde man aber der Klarheit halber besser "those" (diejenigen) anstelle von "the" sagen.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 14.03.2008 um 01.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6599
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Was noch zu sagen wäre:
"... viel weniger gegeben als etwa in demjenigen der Rechtschreibung".
Sicher gilt diese Anapher in allen Sprachratgebern des Deutschen und allen ästhetisch ambitionierten Deutschlehrern als "stilistisch höherwertig" denn das primitive dem.
Im Forum kann man diese "Hochstilistik" nicht auf kürzestem Wege ad absurdum führen. Statt Ermüdendem sei folgendes vorgeschlagen:
Vorab: Die Kommunikationskanäle sind nach wie vor nicht frei von Rauschen. Das ist schlimm, aber momentan selbst von der allseits geliebten "Deutschen Telecom" nicht zu ändern.
Man nehme einen Trägersatz mit der Katapher "d_jenig_" und lasse ihre explikative Expansion ein wenig durch kurz nach 70/71 gezogene / verlegte Drähte oder einen "destructor" laufen. Dann kann man einen "Informanten" oder konsternierten Rezipienten des gegebenen Kommunikats fragen, auf wen oder was die Katapher "d_jenig_" wohl abgehoben habe. Deutsche Muttersprachler (Linguisten ausgenommen) engen den Bezug der Katapher (der Anapher oder des Biphorikons) "d_jenig_" auf Menschen ein. Linguisten indessen reden wie folgt:
"Diejenigen Mitglieder der Wortklasse, die ..."
So Geformtes gilt als "stilistisch höherwertig" statt die brutal-profane Teilstruktur
"Die Elemente der Wortklasse, die ..."
Und dies nicht allein in der Lyrik, sondern auch in deren die Linguistik faszinierenden Randbereichen. Auch sie möchte zuweilen wenigstens de dicto "im späten Licht auf Vogelfedern" glänzen und im Falle gedanklicher Leere müssen dürfen.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 13.03.2008 um 01.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6598
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"Eindeutigkeit sei im Bereich Grammatik viel weniger gegeben als etwa in demjenigen der Rechtschreibung" soll laut "MM" ein von Bruno Strecker geäußter Gedanke lauten – geäußert im März 2008. Man kann es nicht glauben. Vielleicht waren es nur Reminiszenzen (´68 usw.).
Wie kommt ein erfahrener Linguist auf die Idee, das Sprachsystem und die Regeln der Verschriftung von Äußerungen gemäß diesem System qua Dimension "Eindeutigkeit" in Zwangsvereinigung zu bringen. War es nur sich zum Volke hinabneigende Rede oder doch die etwas unbedachte Kontamination disparater Begriffe von "Eindeutigkeit"?
Im Bereich der gewissermaßen (und letztens völlig) arbiträren bzw. absolutistischen Rechtschreibung haben wir weitaus weniger "Eindeutigkeit" als im Weltverbesserern unzugänglichen nicht-arbiträren System der Sprache, dessen Regeln – auch in Prozenten – entschieden eindeutig und über Jahrzehnte stetig sind. Die der Staatsorthographie kann jeder Duodezfürst morgen in einer Grille kippen. Die Neuregelungen der deutschen Schreibung sind mehrheitlich zweideutig, widersprüchlich oder ungrammatisch, weshalb dieses in Hinterzimmern gedrechselte "Regel"werk den Namen Orthographie nicht verdient. Wohl deshalb halten sich die "geistigen" Väter (und Mütter?) dieser mutwilligen Destruktion einer gewachsenen Konvention überraschend bedeckt, d.h., ihre kampfgestählte Brust ist (noch) nicht fürs [...]verdienstkreuz hervorgereckt.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 12.03.2008 um 22.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6597
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"Was als richtiges Deutsch zu gelten habe, sei dagegen einfacher zu fassen. Es sei derjenige Sprachgebrauch, welcher der schriftlichen Standardsprache entspricht, wie sie sich vor allem in Presseberichten findet."
So etwas soll (in etwa) Eisenberg gesagt haben. Falls der Sinn seiner Äußerung wahrlich dieser gewesen sein sollte, bleibt nur anzunehmen, daß der das "richtige Deutsch" rundumschläglich Definierende seit mindestens zehn Jahren kein Stück Zeitung gelesen hat.
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Kommentar von cees, verfaßt am 12.03.2008 um 22.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6596
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Natürlich leben Journalisten (unter ihnen Schreiberlinge, Zeilenschinder, Graphomanen) evtl. auch als entsprechend eingewiesene Frontberichterstatter von den großen Schlachten und anderen Bataillien, von ihren head-lines bzw. dem jeweils Drübergenagelten und noch mehr von den vorurteilenden / aus- und zurichtenden / den Lichtkegel gezielt festsetzenden etc., und dennoch als innozent geltenden Zwischenüberschriften ihrer Äußerungskomplexionen. Damit diese richtig aufreißerisch / peppig / reibend / ätzend / konsternierend / degoutierend oder ohnmachtkreierend wirken, müssen sie die unabdingbare Bedingung erfüllen, einen Gegenstandsnamen zu erfinden, der keine Aussicht auf ein Objekt im Bereich dieser schönsten oder anderer Welten hat, bzw. einen Sachverhalt, der unentscheidbar ist oder überhaupt außer jeder der möglichen Welten usw. liegt (das Mega-Aporion an und für sich).
Also kann der Sprachwisser Thomas Groß als "kommunikativer" event-Komprimierer für seinen Blättle "MM" (nicht der Sekt!) und seine Leserschaft im Schweiße seines Unverstandes für den Gegenstand nur ein weltumspannendes und -werfendes Zündholzflämmchen zur Explosion zu bringen, wo lautet:
Sprache ist mehr als Grammatik
Ach Gottchen,
wer hätte vor Groß(, dem Thomas) beides in dieselbe Welt gepfercht und dann zum Überdrusse noch in eine Mengenrelation gezwungen? – Niemand, der nicht – schon vor Großens Großtat – ohnehin von Sinnen.
Vielleicht kann der Thomas (Groß) einmal im Rahmen von Begabtenförderung oder so vom zeilenhöchstergiebigen Texten freigestellt werden für ein paar "illuminationes" einerseits zur Sprache als solcher und als Grundlage des Fundaments der Basis der Bedeutung des Sinns sowie zu Grammatik als Anhäufung teerig verschmutzter Zellulose in Bibliotheken, als in manchen Journalisten mehr oder weniger heftig brennender Konflikt (der von Freud / C.G.J. kostengünstig therapierbar ist) und als das über allen (Deutschen) schwebende Große / Einengende / Befreiende / "Kreative" / Bio-ökologische / Unendliche / Profane, das gewisse Schreiberlinge in ihrer abgrundtiefen Unschuld und spezifischem Verständnis von Berufsehre mißbrauchen, solange sie und "Es" leben.
Daß die kleinen Schülerlein und die (ihnen?) angeleinten Beamten heute Morgen schreiben müssen, ist ohnehin nur Kryptopropaganda für eine am Zusammenfluß von R. & N. erscheinende Gazette, die – dank dem IdS – als Wetterfrosch für "Trend"s der deutschen Sprache in einem alldorten gehüteten Feuchtbiotop in ihrem Sein "verlängert" wird.
Aufklärung war Ende des 18 Jahrhunderts. Heute ist Vernebelung im "MM" und außerhalb seiner wie aller Gevierte ("Quadrate").
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.03.2008 um 18.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6595
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Wenn ich am Stöbern in alten Schulgrammatiken bin, amüsiere ich mich da immer wieder über, was früher alles als "schlechtes Deutsch" angeführt wurde, zum Beispiel durfte "kaputt" nicht als deklinierbares Attribut gebraucht werden. Die Kluft zwischen gesprochener und geschriebener Sprache wird trotz allgemein steigender Bildung nicht kleiner.
Im übrigen meine ich, daß Grammatiken auch für normale Bürger verständlich bleiben müssen und kein Fachchinesisch sein dürfen.
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Kommentar von Mannheimer Morgen vom 12. März 2008, verfaßt am 12.03.2008 um 17.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6594
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Kongress: Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache
Wo die Regel endet, beginnt die Norm
Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Groß
Gibt es so etwas wie richtiges und gutes Deutsch? Lässt sich überhaupt fassen, was als Deutsch gelten soll? Und wenn ja, lässt es sich dann schlüssig in Form einer Grammatik beschreiben? Fragen wie diese stehen seit gestern im Zentrum der 44. Jahrestagung des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache (IDS) im Kongresszentrum Rosengarten.
Unter dem Thema "Deutsche Grammatik - Regeln, Normen, Sprachgebrauch" lädt die Veranstaltung auch zur Selbstbesinnung der germanistischen Sprachwissenschaft ein. Wie jede Wissenschaft beschreibt sie ihren Gegenstand und will seinen gesetzmäßigen, geregelten Aufbau verstehen. Daraus dann Normen und Vorschriften abzuleiten, wie mit der Sprache umzugehen sei, ist indessen nicht ihre Aufgabe, jedenfalls nicht ihre erste. Umstritten bleibt, ob die Linguistik darüber urteilen soll, was als gutes, vorbildliches Deutsch zu gelten habe, und ob sie sprachkritische Aufgaben hat.
Die Diskussionen des gestrigen Tages zeigten, dass sich viele der hier versammelten Linguisten lieber selbst um Sprachkritik bemühen würden, als dies den medialen Sprachwächtern zu überlassen, deren Sprachverständnis, so führte etwa der Potsdamer Linguist und diesjährige Duden-Preisträger Peter Eisenberg aus, unzureichend sei. Wie viele seiner Fachkollegen hat auch Eisenberg Schwierigkeiten mit dem normativen Begriff des guten Deutsch, der unwissenschaftlich sei.
Was als richtiges Deutsch zu gelten habe, sei dagegen einfacher zu fassen. Es sei derjenige Sprachgebrauch, welcher der schriftlichen Standardsprache entspricht, wie sie sich vor allem in Presseberichten findet. Dabei gibt Eisenberg freilich zu, dass es solchen Standard nur geben kann unter der Voraussetzung dessen, was von ihm abweicht, nämlich der sprachlichen Variation.
Sprache ist mehr als Grammatik
Andere Linguisten wollen gerade Letztere besser berücksichtigen und empfehlen, auf große Textsammlungen, die Sprachkorpora, zurückzugreifen. So ließe sich eine "gebrauchsbasierte Grammatik" erstellen, für die dasjenige eine sprachliche Norm ist, was sich als statistische Regelhaftigkeit erfassen lässt.
Der Augsburger Sprachwissenschaftler Hans Jürgen Heringer begreift eben dies als die aufklärerische Aufgabe der Linguistik - aufzuzeigen, dass die Sprache mehr ist als ihre Grammatik; die Normativität der Letztgenannten sei schon deshalb anzuzweifeln, weil sie dem Sprachwandel zu wenig Rechnung trage. Demnach wäre es um die Legitimation einer wissenschaftlichen Sprachkritik schlechter bestellt.
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Kommentar von Mannheimer Morgen vom 10. März 2008, verfaßt am 12.03.2008 um 17.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6593
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Kongress: Jahrestagung des Mannheimer IDS beschäftigt sich mit der Grammatik des Deutschen
Wie viele Regeln braucht die Sprache?
Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Groß
Deutsche Grammatik? Hochspannend klingt das Thema für die meisten wohl nicht. Als sehr unterhaltsam werden dagegen Verstöße gegen ihre Regeln empfunden - zumal dann, wenn sie ein Bastian Sick auflistet. Die Fachwissenschaft findet das aber nicht so komisch.
Verbreitetes Missverständnis
Bruno Strecker, Professor am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache (IDS) und einer der Organisatoren der morgen beginnenden Jahrestagung des IDS über Grammatik, wirft Sick, dem Journalisten und Wächter des Genitivs, vor allem eines vor: Er nähre ein Missverständnis, das leider weit verbreitet sei, dass nämlich die deutsche Grammatik ein strikt geregeltes Sprachsystem sei, das man richtigerweise einfach befolgen oder von dem man fälschlicherweise abweichen könne.
Der wissenschaftliche Standpunkt sieht dagegen so aus: Die Sprache verändert sich ständig, und eine Grammmatik kann nur versuchen, ihren bestimmten Regeln folgenden Aufbau zu beschreiben. Mit der strikten Bewertung von richtig oder falsch solle man aber vorsichtig sein, rät Strecker. Eindeutigkeit sei im Bereich Grammatik viel weniger gegeben als etwa in demjenigen der Rechtschreibung. Sick berücksichtige die Sprachentwicklung nicht, kritisiert Strecker. Zudem unterscheide er nicht zwischen gesprochener Sprache, die mit gutem Grund häufiger von den Regeln der Hoch- oder Standardsprache abweicht, und der viel eher regelkonformen geschriebenen Sprache.
Vielleicht das Schlimmste: Sick nähre Vorurteile gegenüber Menschen, deren Sprachniveau, tatsächlich oder auch nur angeblich, niedriger sei; wenn sich echte oder nur vermeintliche Standard-Sprecher ihnen überlegen fühlen, finden sie bei Sick eine Rechtfertigung dafür - Sprachniveau als Klassenmerkmal, ein verständiger Umgang mit Mitmenschen sieht anders aus.
Wunsch nach Orientierung
Im Gespräch mit dieser Zeitung betont Strecker freilich ebenso wie IDS-Direktor Ludwig Eichinger, dass der Kernbestand der deutschen Grammatik unstrittig sei, jedenfalls was die geschriebene Hoch- oder Standardsprache angeht. Und natürlich kennen die Linguisten die Sehnsucht der Deutschsprecher nach Orientierung und Eindeutigkeit; bestätigt wird diese nicht zuletzt durch Fragen, die nach sprachlicher Orientierung Suchende an "Grammis" richten, das grammatische Informationssystem des Instituts im Internet. Wenn etwa auf die Frage nach dem richtigen Plural mehrere Möglichkeiten angegeben würden, so komme oft die Nachfrage, welche nun die richtigere sei, weiß Strecker.
Auf der Jahrestagung im Mannheimer Rosengarten beschäftigen sich bis Donnerstag 450 Linguisten aus 25 Ländern mit der Grammatik des Deutschen. In Referaten und Diskussionen geht es um "Regeln, Normen, Sprachgebrauch", so der Untertitel. Während der Jahrestagung wird auch der Mannheimer Duden-Preis verliehen. Die renommierte Auszeichnung erhält am Mittwoch im Mannheimer Schloss der Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 26.02.2008 um 11.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6529
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»Die französische Sprache verdanke ihre (damals) weltweite Verbreitung gerade ihrer Wohlgeregeltheit.«
Warum sollte das ein (Gegen-)Argument sein? Für mich ist das lediglich eine wenn auch interessante, so doch unbewiesene Behauptung. Zur Überprüfung müßte noch betrachtet werden, wie es sich mit der Verbreitung genau verhielt: Wie viele und welche Menschen waren in der Lage, sich des Französischen zu bedienen?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2008 um 12.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6520
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Man hat schon oft gesagt, daß die wunderbare Anpassungsfähigkeit des Englischen gerade auf das Fehlen eines zentralen Sprachwächteramtes zurückzuführen sei. Der Tod des Lateinischen trat nach Wilfried Stroh nicht erst mit dem Insistieren der Humanisten auf dem klassischen Latein ein, sondern schon gleich nach Cicero und Vergil, weil man diese und ihre nächsten Kollegen zum unüberbietbaren Maßstab erkor und jede Abweichung als falsch mißbilligte. Daran muß man denken, wenn man das Treiben unserer Sprachwächter vom Schlage des Herrn Sick beobachtet: Alles Neue, jede Entwicklung sind für sie Sprachdummheiten. Damit schaden sie der Sprache.
Das einzige Gegenargument, das ich kenne, stammt von Leibniz: Die französische Sprache verdanke ihre (damals) weltweite Verbreitung gerade ihrer Wohlgeregeltheit. Was ist davon zu halten? Jedenfalls hat die Welt sich für Englisch entschieden.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 22.02.2008 um 01.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=573#6508
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Eine Verbindung von Peter Eisenberg und Sebastian Sick mit dem Konjuktor und ist grenzfällig, da dieser simpelste aller Konjunktoren wie die übrigen nachweislich nur Gleichwertiges und Gleichrangiges verbindet, auch oder gerade im Kampf gegen den seit etwa 600 Jahren währenden Verfall der deutschen Sprache.
Das scheinbar rein beschreibungssprachliche Kriterium könnte sich hier nebenher auch als metasprachliches erweisen.
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