Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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23.11.2006
Stefan Stirnemann
Rechtschreibung bleibt Glücksache
Erkundungen im orthographischen Neandert(h)al
Geht es nach dem aktuellen Schülerduden, dürfen Schweizer Kinder schreiben: Sie fechtete, er flechtete. Nicht hingegen Ich werde ihn wiedersehen.
Denn das Wort gilt immer noch als abgeschafft. Wie Stefan Stirnemann in der Weltwoche erläutert, weiß man bei der neuesten Rechtschreibung nie, ob man es mit (törichten) Grundsätzen oder Druckfehlern zu tun hat.
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Kommentare zu »Rechtschreibung bleibt Glücksache« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.09.2012 um 07.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#9092
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Das Ausflugslokal "Ludwigshöhe" im mittelfränkischen Adlitz droht auf seiner Website zwar damit, auf Bestellung auch Weihnachts Gas zu liefern (dazu selbstgebrannte Schäpse), aber das sollte niemanden davon abhalten, diesen Ort zu besuchen und die schmackhaften und – wie überall hier auf dem Lande – preiswerten Speisen zu genießen. Biergärten in Bayern und besonders in Franken sind ja mit Recht berühmt, aber die Ludwigshöhe ist noch eine Stufe höher, nämlich auf einer natürlichen Terrasse über dem Regnitztal gelegen mit einem großartigen Fernblick, der einen beim Schäufele und ausgezeichneten Bier in eine anhaltend versonnene Stimmung bringen kann.
Nicht weit entfernt ist Atzelsberg, das auch einen großen Biergarten zwischen Obstplantagen hat, allerdings ohne die Aussicht. Schön ist es auch, sonntags ein paar Stunden übers Land zu radeln und in den Dörfern das Obst und Gemüse aus den Selbstbedienungskörben zu erwerben, alles zu sehr mäßigen Preisen, wenn auch nach EU-Vorgaben wohl meist nicht "marktfähig".
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 29.06.2012 um 15.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#9016
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Wenn es aber in einem Dorf brennt, kommen die Freiwilligen Feuerwehrfrauen, weil die Feuerwehrmänner auswärts in der Arbeit sind.
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 20.06.2012 um 19.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#9015
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Bei Ausdrücken wie Buhfrau frage ich mich immer, gibt es sie wirklich oder wurden sie nur erfunden, um dem „Gender Mainstreaming“ zu genügen. Wenn es nur Erfindungen sind, sind sie jemandem tatsächlich nützlich?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.06.2012 um 09.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#9014
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Der Rechtschreibduden führt die Buhfrau ohne Erklärung an, der Buhmann wird u. a. als "Prügelknabe" definiert. Warum es nur Prügelknaben gibt und keine Prügelmädchen, bleibt unerklärt, man muß es sich aus der Geschichte zusammenreimen.
Übrigens gibt es zwar Vogelscheucher, aber nur als Menschen, die tatsächlich die Vögel von Flughäfen usw. vertreiben sollen. Auf den Felder stehen nur grammatisch feminine herum.
Hat der Schwarze Peter noch keinen Anstoß erregt? Nur unter "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" vermerkt Wiki, daß es politisch korrekte Ersatzformen gibt ("vorm weißen Hai" usw., ziemlich albern).
Ein Deutschtürke von Münchner Linken hat im Februar vorgeschlagen, die Schwarzfahrer umzubenennen, weil sich Schwarze dadurch diskriminiert fühlen könnten. Leider scheint er keine Schwarzen befragt zu haben. Die fahren nämlich nie schwarz.
Konsequenter gedacht, müßte man alle Adjektive und besonders ihre Substantivierungen verbannen, klein wegen der Zwerge und links natürlich auch.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 16.01.2008 um 12.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#6403
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Theodor Ickler sieht am 15.01. gelegentlich, "daß im Schülerduden `viele Schwerverletzten´ angegeben ist, mit eher seltener schwacher Deklination nach `viel´."
Die Flexion von Adjektiv(nom)en nach pluralen Quantifikatoren wie viele, einige, alle, wenige, et(z)liche, manche u.v.a. scheint immer mehr Sprachteilhabern des Deutschen dunkel zu sein oder zu werden, was vor dem Hintergrund der grammatischen Beschreibungen nicht wundert. Also:
– der Schlaf vieler fähiger Beamter
– der Schlaf einiger fähiger Beamter
– der Schlaf weniger fähiger Beamter
– der Schlaf mancher fähiger Beamter
– der Schlaf etlicher fähiger Beamter
gegenüber
– der Schlaf aller fähigen Beamten
(– der Schlaf keiner fähigen Beamten).
Die Regel ergibt sich von selbst.
Sie läßt allerdings die von der hierzu gerade rein deskriptiven Duden-Grammatik peinlich genau verzeichneten "Ausnahmen" in etwas bejahrten Werken der deutschen (Trivial)prosa nicht zu, denn diese sind halt Ausnahmen oder wohl eher Flüchtigkeitsfolgen in den ungefilterten Texten der Korpora zu dieser Grammatik.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.01.2008 um 17.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#6402
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Eigentlich verlangen Verben mit "brauchen" immer ein Akkusativobjekt; und auch bei denen, die ohne Objekt gebraucht werden wie "dick, gesund, krank usw. machen", kann es ergänzt werden. Aber welches Objekt könnte bei "bankrottmachen" oder "pleitemachen" ergänzt werden, wo doch "Bankrott" und "Pleite" schon die Akkusativobjekte sind? Eine Bank bankrottmachen? Eine Firma pleitemachen? Mindestens wäre das sehr umgangssprachlich und dürftig im Ausdruck.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.01.2008 um 04.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#6401
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Einem Hinweis von Herrn Metz folgend, sehe ich, daß der Schweizer Schülerduden "bankrottmachen" und "pleitemachen" als zulässige Varianten angibt. Das ist eindeutig falsch. Bei dieser Gelegenheit sehe ich auch, daß im Schülerduden "viele Schwerverletzten" angegeben ist, mit eher seltener schwacher Deklination nach "viel".
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Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 07.05.2007 um 09.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#5877
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Auch WORD 2002 korrigiert in „barfuss“
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Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 07.05.2007 um 08.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#5876
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„Word 2000“ ist wohl die Erklärung für das Phänomen, daß auch in den „Kieler Nachrichten“ „barfuss“ eine ungewöhnlich häufige Falschschreibung ist. Die Endkorrektur-Automatik übersieht es anscheinend ebenso. Ein erlaubtes, aber herkömmliches „sogenannt“ wird dagegen gnadenlos gespalten. Das war neulich an einer einzelnen Fortsetzung des Zeitungsromans zu erkennen, die versehentlich in die „neue“ Rechtschreibung konvertiert worden war.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.05.2007 um 08.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#5872
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Meine Tochter macht mich darauf aufmerksam, daß die Rechtschreibprüfung von WORD 2000 das Wort "barfuß" nicht kennt und "barfuss" vorschlägt.
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Kommentar von rrbth, verfaßt am 28.11.2006 um 21.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#5442
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Gerade hab ich die Worttrennung von „auseinander“ nachgeschlagen. Mein RSR-Duden (21., völlig neu bearb. und erw. Aufl., hrsg. von der Dudenredaktion auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln. Mannheim 1996), den ich neulich bei Amazon für 1 Cent (+ 3 EUR Porto) gekauft habe, sagt dazu auf S. 135:
«aus|ei|nan|der (=> R 132)», wobei das hier Fettgedruckte im Original rot gedruckt ist.
Mir war bislang noch nicht aufgefallen, daß diese Neutrennungen nur über den Regelverweis gekennzeichnet waren (sind?).
Übrigens:
Nachgeschlagen hatte ich, weil meine Trennung „ausein-ander“ beim Drucken über ein anderes System zu einem „ausei-nander“ gemacht wurde.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 25.11.2006 um 19.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#5441
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Gallmann flechtet also Sitta seinen Jungfernkranz. Ja, und einen Lindauer und einen Feller fechtet das nicht an. Gott, sehen Sie, wie schön sich das da alles im Sanatorium Einfried machen läßt.
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Kommentar von Kratzbaum, verfaßt am 24.11.2006 um 02.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#5438
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Zu "Gymnastik" gespr. "Gümnastik": In der Schweiz, auch in der alemannischen, heißt das Ypsilon "i grec". Und da es im Französischen als i gesprochen wird, haben die Autoren vielleicht von daher eine Ausnahme gesehen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2006 um 19.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#5437
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Auch ich habe mir neulich bei einem Besuch in St. Gallen den Schülerduden besorgt und ihn durchgesehen, wenn auch nicht so gründlich wie Herr Stirnemann. Hier mein Text, als Ergänzung:
Schweizer Schülerduden. Neuausgabe 2006. Bearb. v. Afra Sturm; hrg. v. Peter Gallmann u. Thomas Lindauer.
Redaktion: Ralf Osterwinter (Dudenredaktion)
Beratende Mitarbeit: Peter Feller (Lehrmittelverlag)
(Gallmann, Lindauer und Feller sind Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung, Gallmann, Lindauer und Sturm haben auch die EDK-Richtlinien ausgearbeitet, in denen der Schülerduden wiederum ausdrücklich empfohlen wird; alle drei sind Schüler von Horst Sitta, der aus dem Rechtschreibrat ausschied, als erste substantielle Änderungen am Regelwerk sich nicht mehr verhindern ließen.)
Die Schreibweise des Schülerdudens ist nicht durchweg dieselbe wie im Rechtschreibduden. So wird zufriedengeben auch in Getrenntschreibung zur Wahl gestellt und S. 413 tatsächlich getrennt geschrieben, während der Duden ebenso wie das amtliche Wörterverzeichnis nur Zusammenschreibung zuläßt. wiederaufladbar ist S. 281 getrennt geschrieben, der Duden kennt nur Zusammenschreibung. Besonders verblüffend ist die Anweisung, wiedersehen in jeder Bedeutung nur getrennt zu schreiben (wir haben uns am Abend wieder gesehen S. 424) – eine Fehlauslegung der Reformregeln, die schon 1996 richtiggestellt wurde. In Fällen wie furchterregend wird die Getrenntschreibung (Furcht erregend) jeweils als gleichrangige Alternative angegeben, ohne Hinweis auf die erheblichen grammatischen Beschränkungen, denen die Verwendung der Wortgruppe unterworfen ist.
Der Rechtschreibrat hat viele frühere Schreibweisen wiederhergestellt, zumindest als Varianten, aber der Schülerduden gibt diese Ergebnisse nicht an die Schüler weiter, sondern bleibt nach Möglichkeit bei den Reformschreibungen von 1996 – wie denn die genannten Schweizer Reformer um Horst Sitta im Rechtschreibrat Korrekturen grundsätzlich ablehnten. Mit keinem Wort wird also erwähnt, daß stehen lassen, sitzen bleiben usw. auch wieder zusammengeschrieben werden können. Im Regelteil am Schluß des Bandes wird ausdrücklich gelehrt, daß nur Getrenntschreibung zulässig sei, auch bei kennenlernen, um dessen Wiederherstellung der Rechtschreibrat lange gerungen hat. Das idiomatische klugreden, um dessentwillen der an sich triviale Eintrag klug reden überhaupt existiert, wird den Benutzern dieses Buches vorenthalten. Die Briefanrede du usw. wird laut Regel D 26 klein geschrieben, die wiedereingeführte Großschreibung wird nicht erwähnt, der Kasten S. 172 schärft vielmehr ausdrücklich ein: „Wenn die angesprochene Person geduzt wird, dann wird die Anrede kleingeschrieben.“ Stets werden die Schreibweisen von 1996 als „Normalfall“ bezeichnet und anempfohlen oder gar als einzige vermittelt. All dies entspricht der EDK-Richtlinie, die darauf hinausläuft, den Schweizer Schülern die amtlich zulässigen Alternativschreibweisen vorzuenthalten. Im Vorwort wird dieses Verfahren als „regelorientierte Variantenführung“ bezeichnet.
Denkt man an die Diskussionen der letzten Jahre und die schließlich 2004 und 2006 verfügten Revisionen, so fällt auf, daß die jetzt gültige Schreibweise von zu eigen machen dem Wörterbuch nicht zu entnehmen ist. sogenannt wird wieder zusammengeschrieben, fehlt aber als Stichwort. Die Großschreibung fester Begriffe wird im Gegensatz zum amtlichen Regelwerk auf vier Fallgruppen eingeschränkt, darunter die fälschlicherweise als exklusiv gedeutete Gruppe der biologischen Fachausdrücke, die im amtlichen Regelwerk nur als Beispiele angeführt sind. Klein geschrieben werden nach D 18 „adjektivische Paarformeln, die keine Personen bezeichnen“ (durch dick und dünn usw.). Diese Regel und die darin genannten Begriffe haben keine Entsprechung im amtlichen Regelwerk, außerdem paßt das Beispiel gegen Arme und Reiche nicht in den Zusammenhang. Die erst neuerdings auf Betreiben Gallmanns eingeführte fakultative Großschreibung von Neuem, seit Langem usw. wird als einzig zulässige gelehrt, und zwar nicht nur im Regelwerk, sondern auch im Wörterverzeichnis. Bei den Farbbezeichnungen (besonders ausführlich zu blau) wird ein häufig vorkommender Zweifelsfall nicht erwähnt: in Blau usw.
Während die Bearbeiter bei jdm. feind sein zur historisch und grammatisch richtigen Kleinschreibung zurückgefunden haben, ist das beim genau gleich gebauten jdm. freund sein noch nicht der Fall; es soll also wie seit 1996 weiterhin jdm. Freund sein geschrieben werden. Der Rechtschreibduden weiß von dieser Verirrung nichts mehr.
Aus der Regel B4 geht mittelbar hervor, daß die reformbedingte Zusammenschreibung grossschreiben, kleinschreiben eigentlich eine Ausnahme von den neuen Regeln darstellt, vgl. auch S. 193 zu kleinschreiben. Die Verfasser behaupten, hier habe sich „die Zusammenschreibung eingebürgert“ - eine irreführende und systemwidrige Berufung auf den Schreibgebrauch, den dieselben Reformer erst kürzlich in diesem Sinne geändert haben. Zu grossschreiben ('mit grossem Anfangsbuchstaben') wird im Kasten S. 152 die Begründung gegeben, es handele sich um „übertragene Bedeutung“; bei kleinschreiben fehlt diese nicht nachvollziehbare Angabe.
Die Zusammenschreibung jahrelang ist sicherlich richtig, aber die Begründung stimmt nicht: das Wort soll für mehrere Jahre lang stehen, aber gerade wenn es um mehrere Jahre geht, ist die Getrenntschreibung eindeutiger; unter jahrelang kann man eher 'ein oder mehrere Jahre lang' verstehen. So hatte auch noch die amtliche Regelung von 1996 ganz richtig argumentiert: „meterhoch (= einen oder mehrere Meter hoch)“.
In irreführen, irreleiten sieht das Regelwerk – wie die unbelehrbaren Reformer selbst – irrigerweise immer noch ein „kaum noch als solches erkennbares Nomen“ (B2); das reformbedingt ebenfalls zusammenzuschreibende irrewerden stellen die Bearbeiter immerhin als Ausnahme dar, weil hier die gewaltsame Umdeutung wirklich nicht mehr gelingt.
Die Regeln zur Silbentrennung enden mit dem Hinweis: „In schwierigen Fällen hilft der Wörterbuchteil weiter.“ Nun enthält allerdings der Wörterbuchteil im Gegensatz zu anderen Rechtschreibwörterbüchern gar keine Silbentrennung; nur in verschwindend wenigen Fällen sind solche Angaben hinzugefügt. Sie sind auf „Erleichterung“ im Sinne der Reform gestimmt, können aber nicht überzeugen. So steht der sinnvollen Trennung kon-struktiv die sinnlose des-truktiv gegenüber. Die Zerreißung eines auch für Schüler nachvollziebaren und lehrreichen Zusammenhangs kann nicht als Erleichterung bezeichnet werden. Eher muß man sagen, daß das Wörterbuch die Schüler nicht ernst nimmt. Das gilt auch für Res-triktion, Diph-thong und einige andere. Der im Vorwort mehrmals gegebene Hinweis auf die Volksschule ist unerheblich, wenn es um solche bildungs- und fachsprachlichen Ausdrücke geht, zu deren Verwendung die banausenhafte Trennung einen praktischen Widerspruch bildet.
Um die etymologisierende Neuschreibung behände ad absurdum zu führen, haben die Kritiker der Rechtschreibreform gern die Wendung mit behänden Schritten angeführt. Genau dies steht nun als Beispiel unter behände.
Das Wörterbuch ist „politisch korrekt“ und will es ausdrücklich sein: Roma sei, so wird behauptet, die „politisch korrekte Bezeichnung für Zigeuner und Zigeunerinnen“. Das mag man der Sache nach bezweifeln, aber wer ist überhaupt die Instanz, die über solche Korrektheit entscheidet? Einige Verbandsfunktionäre dürften nicht ausreichen. Statt Mißbildung soll man Fehlbildung sagen, weil das erstere „inzwischen“ als diskriminierend empfunden werde, statt Eingeborene Ureinwohner/Ureinwohnerin. Man erfährt, daß Mulatte und Mulattin „auf den Vergleich des Mulatten mit einem Maulesel (einem Muli)“ zurückgehen und „deshalb (!) oft als diskriminierend empfunden“ werden. Die wenigsten Menschen dürften von solcher Etymologie etwas wissen, und angesichts der Seltenheit dieses Wortes kann es auch mit dem „oft“ nicht weit her sein. (Der angebliche Vergleich beruht nach Kluge/Seebold auf der Verallgemeinerung von span. mulo 'Maultier' zu 'Mischling'.) Statt des in der Schweiz üblichen Lehrtochter soll man Stiftin sagen, weil -tochter „Abhängigkeit mitbedeutet“; oder man soll das deutsche Begriffspaar Auszubildender/Auszubildende benutzen (S. 217).
Zu männlichen Personenbezeichnungen ist regelmäßig das weibliche Gegenstück angegeben, mag es auch so selten vorkommen wie die Malawierin. Hier steht also endlich die Trapperin, auf die man in Wildwestgeschichten immer vergeblich gewartet hat. Auch auf Bösewichtinnen trifft man selten. Eher kommt schon mal ein Lausemädchen vor. Bösewichtin, Füsilierin, Gentlewoman, Henkerin, Neandertalerin, Trapperin, Schmierfinkin, Schneefrau und Strohfrau sind in keinem der anderen, ebenfalls auf politische Korrektheit bedachten Duden-Wörterbücher enthalten, und das gilt natürlich erst recht für die Skinheadinnen, mit denen sich die Rücksichtnahme auf das weibliche Geschlecht vollends ad absurdum führt. Die ebenso bedeutsame Buhfrau ist als „böse Frau“ nicht einmal richtig erklärt. Mit Kaplanin, Kaplaninnen eilt das Wörterbuch der vatikanischen Politik voraus. Es ist bemerkenswert, für welche Einträge dieses im Umfang doch sehr beschränkte Wörterbuch (insgesamt 24.000 Stichwörter) Platz hat.
Streng korrekt auch der eigene Sprachgebrauch der Verfasser:
„E 14: Der Ergänzungsbindestrich zeigt an, dass man in einer Zusammensetzung oder einer Ableitung einen Bestandteil ausgelassen hat, der vom Leser oder der Leserin sinngemäss zu ergänzen ist.“ (Zur Konstruktion der verschmolzenen Präposition mit unterschiedlichen Artikeln vgl. übrigens die Kritik in der Dudengrammatik 2005, S. 624 – verfaßt von Peter Gallmann!)
Fähe soll ein „Weibchen bei hundeartigen Tieren“ bezeichnen; Dachse und Marder sind aber, anders als Füchse, nicht hundeartig.
Sie krankte an Bronchitis: im Standarddeutschen kann etwas an vielem kranken, nur nicht an Krankheiten. Wenig gebräuchlich ist auch das angegebene Perfekt: die Firma hat an schlechter Organisation gekrankt.
Manche Auskunft in den blau unterlegten Informationskästen dürfte den Benutzern Kopfzerbrechen bereiten: „Wird 'schwarz' als Nomen gebraucht, schreibt man es groß. Man erkennt es daran, dass ihm ein Artikel vorangeht, ohne dass ein Nomen folgt: das Schwarze, ins Schwarze treffen, aus Schwarz Weiss machen, die Farbe Schwarz“. In den Beispielen geht teils kein Artikel voran, teils folgt sehr wohl ein Nomen.
Mit der schwachen Beugung sie hat gefechtet, ist geklimmt scheint das Wörterbuch seiner Zeit ein wenig vorauszueilen.
Bekanntlich besteht die Schweiz auf manchen Eigentümlichkeiten, die gegen das Ziel der orthographischen Einheit der deutschsprachigen Länder verstoßen. Dazu gehören Fremdwörter wie Reception, Occasion, von denen das Wörterbuch eine ganze Reihe anführt.
„Viele Fremdwörter werden anders gesprochen, als sie geschrieben werden. Dazu gehört auch das Nomen 'Gymnastik', das mit ü gesprochen, aber mit y geschrieben wird.“ (S. 154) Wie sollte es denn sonst gesprochen werden? In anderen Fällen wird sinnvoller formuliert: „Viele Wörter werden anders geschrieben, als sie gesprochen werden ...“
In den Eintrag zu satteln hat sich versehentlich ein Teil aus „satt“ hineingeschoben.
Druckfehler: vosichtig (s. v. knübeln), Mühsam (harzen)
Die Bearbeiter haben das vorliegende Wörterbuch nicht nur um die notwendigen schweizerischen Besonderheiten in Wortschatz (Töggelikasten, Velokurierin) und Schreibweise (Caramel, Marroni) bereichert, sondern gleichzeitig die Gelegenheit genutzt, die Arbeit des Rechtschreibrates, in dem sie selbst (freilich entschieden bremsend) mitwirken, grundsätzlich zu unterlaufen. Das war ihnen um so eher möglich, als die EDK sich einseitig an der Zürcher Deutschdidaktiker-Schule um Horst Sitta orientiert und auch die offiziellen Richtlinien von denselben Personen bestimmt sind, die auch das Wörterbuch zu verantworten haben.
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Kommentar von Kratzbaum, verfaßt am 23.11.2006 um 14.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=519#5436
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Wenn man diesen Artikel gelesen hat, ist man wirklich versucht, das Tun und Treiben der Verantwortlichen als kriminell zu bezeichen, vergleichbar etwa dem Tatbestand der Lebensmittelfälschung.
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