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05.08.2006
SDA
Die Wörterbücher wissen es auch nicht so genau
Dossier zur Rechtschreibreform
Bern (sda) Nach der Verabschiedung der zweiten Reform der Reform war man gespannt auf das Erscheinen der zwei wichtigsten Wörterbücher: des Dudens, Band 1, Die deutsche Rechtschreibung, 24. Auflage, 2006 und des Wahrigs, Die deutsche Rechtschreibung, 2006.
Von Peter Müller, SDA
Beide Verlage sind im Rat für deutsche Rechtschreibung vertreten und werden durch dessen Geschäftsführerin beraten. Man konnte also eine verlässliche und einheitliche Umsetzung des neuen Regelwerks erwarten.
Das Rennen machte vorerst der Wahrig; er erschien am 12. Juni. Auf der Banderole verheisst er in grossen Lettern: "Endlich Sicherheit! Auf dem aktuellen Stand der amtlichen Rechtschreibregelung, gültig ab 1.8.2006", und: "Ideal auch für den Schulgebrauch".
Der Konkurrent Duden benötigte etwas länger, er erschien am 22. Juli. Beworben wird er nicht weniger euphorisch: "Das sichere Ende der Rechtschreibreform ist gelb: der neue Duden, erstmalig mit Duden-Empfehlung".
Im Beipackzettel meint Duden-Chef Matthias Wermke, mit der Modifizierung des amtlichen Regelwerks könne die Rechtschreibreform nun als abgeschlossen betrachtet werden. Aus der Sicht der Dudenredaktion sei jetzt die Sicherheit in Fragen der Orthographie wiederhergestellt.
Diese einseitige Abschlusserklärung, vor allem aber die gelb markierten Empfehlungen in den über 3000 Fällen, in denen mehrere Schreibweisen zulässig sind, führten umgehend zu Irritationen.
Wahrig favorisiert das Herkömmliche
Die Empfehlungen unterlaufen nach Ansicht des Vorsitzenden des Rechtschreibrates, Hans Zehetmair, den Rat, indem sie in vielen Fällen Getrenntschreibung empfehlen, wo sich der Rat die herkömmliche Zusammenschreibung wieder erkämpft hatte. Ihm fehle jegliches Verständnis für dieses Vorgehen. Der Rat erachtet im übrigen seine Arbeit durchaus nicht als abgeschlossen.
Wahrig, für den der Vorsitzende des Rates ein wohlwollendes Vorwort geschrieben hat, kommt mit wesentlich weniger Empfehlungen in etwas über 50 Infokästen aus. Sie sind eher den herkömmlichen Schreibweisen zugeneigt, wie ein Vergleich zeigt:
Wahrig empfiehlt – Duden empfiehlt
allgemeinverständlich – allgemein verständlich
braungebrannt – braun gebrannt
engbefreundet – eng befreundet
fallenlassen (eine Bemerkung) – fallen lassen
freilaufende Hühner – frei laufende Hühner
leerstehende Häuser – leer stehende Häuser
Photosynthese – Fotosynthese
saubermachen – sauber machen
sitzenbleiben (in der Schule) – sitzen bleiben (in jeder Bedeutung)
steckenbleiben (im Vortrag) – stecken bleiben (in jeder Bedeutung)
Endlich Sicherheit? Eher noch mehr Verwirrung. Dazu tragen zusätzlich die widersprüchlichen Empfehlungen des Duden bei:
Dränage – Lymphdrainage
frei machen – freikratzen
kaputt machen – kaputtsparen
die Rote Karte – das ewige Licht
ebenso viel Mal – genausovielmal
Highlife – High Heels
hochbegabt – hoch bezahlt
hochgesinnt – niedrig gesinnt
besorgniserregend – Respekt einflössend
energiesparend – Strom sparend
Feuer speiend – fleischfressend
Furcht einflössend – furchterregend
gewerbetreibend – Handel treibend
gewinnbringend – Profit bringend
Handvoll – Zeit lang
Leben spendend – todbringend
nichtssagend – nichts ahnend
Raum sparend – platzsparend
Segen bringend – gnadenbringend
Sporen tragend – laubtragend
Verderben bringend – vertrauenerweckend
weiss glühend – weitblickend
wohlriechend – übel riechend
Unter "du" empfiehlt Duden: "per Du sein", unter "per" jedoch: "per du sein"!
Wenn Wörterbücher irren
Bisher ganz ungewohnt sind Rechtschreibfehler in Wörterbüchern. Den Vogel schiesst diesbezüglich Wahrig ab, der im Infokasten "spät" die spät Gebährende/der (?) Spätgebährende aufführt.
Aber auch der Duden ist nicht vor Fehlern gefeit. So bleibt in zwei Fällen die gelbe Markierung bestehen, obwohl die Zweitvariante, offenbar in letzter Minute, weggefallen ist (Braindrain, Showbusiness). Duden hätte besser die ganz und gar unmöglichen Varianten Eisschnell-Lauf und Rollschnell-Lauf entfernt.
Die zwischen 1996 und heute entfallenen Variantenschreibungen (Leid tun, auseinander setzen, lahm legen, zu Eigen machen) führen die Wörterbücher natürlich nicht mehr auf. Das heisst aber, dass sie für die in der Schweiz drei Jahre dauernde Übergangszeit, in der die herkömmlichen und die im Laufe der Revisionen entfallenen Schreibweisen in der Schule noch verwendet werden dürfen, für den Unterricht nur bedingt tauglich sind. Die Lehrer werden separate Listen mit diesen Varianten benötigen.
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Kommentare zu »Die Wörterbücher wissen es auch nicht so genau« |
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 11.03.2007 um 23.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=502#5764
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Der Wahrigsche Rechtschreibfehler ist schon geadelt worden: In einem Infokasten im Artikel zum Titelthema des diesjährigen Spiegels Nr. 9 (26. 2. 07) findet sich eine Spalte „Geburten pro Frau“ – mit der kleingedruckten Unterzeile „im gebährfähigen Alter“ (S. 54).
Allerdings war der Spiegel nicht der erste, das Leipziger Wortschatzlexikon verzeichnet zwei weitere Belege: Süddeutsche Zeitung 2001 und Frankfurter Rundschau 1992 (http://wortschatz.uni-leipzig.de/cgi-portal/de/wort_www?site=208&Wort_id=243289187).
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Kommentar von Wolf Busch, verfaßt am 05.08.2006 um 09.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=502#4704
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Noch ein Rechtschreibfehler im Wahrig: »Gesammtbedeutung« im Infokasten zu kurzarbeiten.
Kein Rechtschreibfehler: Anders als Duden und Wahrig erlaubt das ÖWB nun auch die Schreibung »SchülerInnen«. Zur Begründung heißt es im ÖWB auf S. 861: »Das große I im Wortinneren wird im amtlichen Regelwerk nicht behandelt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Gebrauch fehlerhaft ist«.
Merkwürdige Dudenempfehlung: Obwohl im Duden die Großschreibung von »Du« in Briefen empfohlen wird, findet man im Duden nur kleingeschriebenes »deinetwegen«, »deinerseits«, »deinesgleichen«, »eurethalben« usw. Für den Nachschlagenden bleibt somit unklar, ob in diesen Fällen die Großschreibung überhaupt erlaubt ist. Wahrig und ÖWB weisen bei den genannten Wörtern ausdrücklich auf die (fakultative) Großschreibung in Briefen hin.
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