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05.08.2004
 

Karin Pfeiffer-Stolz
Antwort auf die Presseerklärung des VdS Bildungsmedien

Der VdS Bildungsmedien, vertreten durch seinen Pressesprecher Andreas Baer, wehrt sich gegen die Abschaffung der Rechtschreibreform hauptsächlich mit dem Argument der nach seiner Darstellung auf die Schulbuchverlage dadurch zukommenden Kosten. Die Schulbuch-Verlegerin Karin Pfeiffer-Stolz widerlegt seine Aussagen kompetent und differenziert.

„Man wird bescheiden“ (Eugen Roth)
Ein Mensch erhofft sich fromm und still,
Daß er einst das kriegt, was er will.
Bis er dann doch dem Wahn erliegt
Und schließlich das will, was er kriegt.

Diese Art der Bescheidenheit wünschen sich sowohl Reformer als auch Vollstrecker der Reformschreibung vom Volk, dem widerspenstigen, welches die sogenannte „neue“ Rechtschreibung nicht will, das weiß auch Andreas Baer. Der Geschäftsführer des VdS liebt eine kräftige Sprache und große Zahlen. Das stellte er schon vor mehr als 10 Jahren in Beweis. In einem Schreiben an die Kultusministerkonferenz vom 30. 3. 1993 bezifferte Herr Baer den durch die seinerzeit geplante Reform entstehenden „finanziellen Mehrbedarf“ auf „ca. 5 bis 10 Milliarden Mark“. Wobei er gleichzeitig die Reform im Namen des VdS ausdrücklich begrüßte. Das ist nachzulesen in dem von Hermann Zabel herausgegebenen Band „Keine Wüteriche am Werk“ (Hagen 1996, S. 151).

Niemand bezweifelt, daß die Reform viel Geld gekostet hat. Jeder, der sie heute noch verteidigen möchte, sollte sich fragen, ob den Kosten irgendein Nutzen gegenübersteht. Sicher ist jedenfalls, daß seriöse Erhebungen über die bisher angefallenen Kosten nicht vorliegen, auch nicht von seiten des VdS Bildungsmedien. Die heute genannten 250 Millionen Euro, welche auf die mehr als 70 Mitgliedsverlage zu verteilen sind, werden als „exorbitant“ bezeichnet, was wohl eher auf die eben zitierten 5 bis 10 Milliarden Mark von 1993 zutrifft. Die Glaubwürdigkeit des Verbandes nimmt durch die rhetorische Kraftmeierei seines Geschäftsführers Schaden.

Cornelsen-Vorstand Fritz von Bernuth ist kürzlich von der Süddeutschen Zeitung auf die Auswirkungen der PISA-Studie auf den Schulbuchmarkt angesprochen worden. Er äußerte die Erwartung, daß der Markt in „den nächsten zwei, drei Jahren zwar nicht wachsen, sich aber erneuern“ werde. Und wörtlich: „Mehr als die Hälfte der Schulbücher dürfte dabei zur Disposition stehen.“ Alarmistische Presseerklärungen des VdS Bildungsmedien in dieser Sache sind mir bisher nicht zu Augen oder Ohren gekommen.

In der letzten Zeit entgegnet man Kritiken am Reformwerk gern mit dem vom VdS angeleierten Kostenargument. Dieses aber wird konterkariert durch die im gleichen Atemzug geäußerte Ansicht, eine Nachbesserung der Reform sei nötig. All jenen, die dieses Kostenargument wie einen Stein vor sich her durch die Presselandschaft wälzen, haben den offensichtlichen Widerspruch dieser beiden Aussagen nicht bemerkt: Wie, bitte sehr, soll „nachgebessert“ werden, wenn nicht durch Korrektur und Neudruck? Für einen Verleger bedeutet nachbessern ändern. Und Änderungen bedeuten Mehrkosten und Neudruck. Ob der Verleger seine Bücher wegen nachgebesserter Reformschreibung oder für die Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung ändern – das heißt neu drucken – muß, ist einerlei. Die geplante Flickschusterei jedoch bringt laufende Kosten in nicht voraussehbarer Höhe, auf unabsehbare Zeit. Schon aus pragmatischen, nicht aus privaten Gründen, wie unterstellt, muß man den einzig vernünftigen Weg aus der Misere fordern, und der heißt „Ausschleichen“ der Reform.

Wer stellt heute die Forderung auf, die Rücknahme der Reform sei sofort auf der Stelle zu realisieren? Die Lehrergewerkschaft GEW schrieb in ihrer Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht im November 1997: „Die GEW begrüßt den frühestmöglichen Vorgriff auf die Reform. Ein Unterrichten von Regeln, die in kurzer Zeit als überholt bezeichnet werden müßten, verstößt gegen die Würde der Lehrenden und Lernenden.“ Es hätte hier wahrlich nicht gegen die „Würde“ des VdS Bildungsmedien „verstoßen“, wenn seinerzeit gegen die vorschnelle Einführung der Reformschreibung protestiert worden wäre. Heute, da niemand die schlagartige Entfernung der falschen Neuschreibung fordert, protestiert Herr Baer lautstark gegen die „sofortige Entwertung“ der in den Schulen angeschafften Bücher. Er zieht damit, sozusagen etwas verspätet, gegen einen „Feind“ zu Felde, der vor acht Jahren zum Angriff blies.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, ließ vor einigen Tagen in einem Radiointerview verlauten, in der Bibliothek seiner Schule seien 40.000 Bücher vorhanden – 35.000 davon nach den früheren Regeln geschrieben. Die Reform entwertet diese Bücher. Wer zahlt hier wirklich die Zeche für das „Polittheater“, wie Herr Baer es formuliert?

Die Änderungen durch die „Interstaatliche Kommission“ (Baer) seien sachlich gesehen eher als gering einzuschätzen. Soll das bedeuten, daß keine Änderungen in Schulbüchern vorgenommen werden müssen? Wie war das denn im Jahr 1996, als die gesamte Auflage einer Fibel nur deshalb eingestampft werden mußte, weil auf einer einzigen Seite ß statt ss gedruckt worden war? Haben sich die strengen Richtlinien für zum Schulgebrauch zugelassene Bücher derart gelockert, daß die vermutlich „geringen Korrekturen“ und „Anpassungen“ der Rechtschreibung nicht berücksichtigt zu werden brauchen?

Herr Baer behauptet, in Österreich und der Schweiz verstehe man die deutsche Diskussion nicht. Das entspricht nicht den Tatsachen. Ich verbringe viel Zeit in meinem Heimatland Österreich. Sowohl in Österreich als auch in der Schweiz gibt es sehr wohl Proteste. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer sieht „keinen Sinn“ in den neuen Schreibregeln, und FPÖ-Bildungssprecherin Mares Rossmann forderte eine „Verlängerung der Übergangsfrist für die Reform über den 1. August 2005 hinaus“. Gusenbauer: „Außerdem richtet sich in Österreich der Großteil der Bevölkerung ohnehin nicht nach der neuen Schreibweise. Und wozu, bitte, brauchen wir etwas, das niemand haben will und an das sich niemand hält?“ (Kronen-Zeitung, 26. Juli 2004) Auch in der Schweiz regt sich Widerstand. Es protestieren z.B. der Schriftsteller Adolf Muschg und der Germanist Peter von Matt (Universität Zürich). Die renommierten „Schweizer Monatshefte“ haben ein Themenheft der Reformkritik gewidmet und sind inzwischen wieder zur bewährten Schreibung zurückgekehrt.

Wie bereits in früheren Pressemitteilungen zur Rechtschreibreform fordert Herr Baer dazu auf, das Thema „endlich emotionsfrei zu diskutieren“. Ob seine jüngste Einlassung dazu beiträgt, mögen andere entscheiden.

Karin Pfeiffer-Stolz
Stolz Verlags GmbH


Quelle: Buchmarkt-online
Link: http://www.buchmarkt.de


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