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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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13.06.2005
 

heute im bundestag
Gespräch mit Hans Zehetmair über die Reform der Rechtschreibung
Ausschuß für Kultur und Medien

Mit der Reform der deutschen Rechtschreibung wird sich der Kulturausschuß am Mittwoch, dem 15. Juni, in einer öffentlichen Sitzung befassen.

Rede und Antwort zu diesem Thema wird der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, stehen. Zur Debatte stehen außerdem ein Gruppenantrag "Die Einheit der deutschen Sprache bewahren" (15/4249) und ein Unionsantrag "Klarheit für eine einheitliche Rechtschreibung" (15/4261). Der Ausschuß berät unter anderem auch über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Abkommen zwischen Deutschland und dem Obersten Rat der Europäischen Schulen über die Europäische Schule in Frankfurt am Main (15/5517). Die Sitzung beginnt um 15.30 im Sitzungssaal E.200 des Paul-Löbe-Hauses.


Link: http://www.bundestag.de/bic/hib/2005/2005_160/02.html


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Kommentare zu »Gespräch mit Hans Zehetmair über die Reform der Rechtschreibung«
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Kommentar von Der Tagesspiegel, 17. 6. 2005, verfaßt am 17.06.2005 um 00.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#961

Schneller lesen mit den neuen Regeln

Die Rechtschreibreform ist ein voller Erfolg – zumindest, wenn es um das Lesen von Texten geht. Das besagt eine Studie von Psychologen der Berliner Freien Universität. Sie testeten bei 39 Kindern und 42 Erwachsenen, ob sich die Lesegeschwindigkeit bei Texten in der neuen und der alten Rechtschreibung unterscheidet. Das Ergebnis: Bei fast allen untersuchten Regeln kamen die Leser mit den neuen Schreibweisen besser oder gleich gut zurecht – und zwar Kinder, die nur die neuen Regeln gelernt haben, ebenso wie Erwachsene, die mit der alten Rechtschreibung aufgewachsen sind. „Unsere Befunde sprechen für die Beibehaltung und konsequente Umsetzung der Reform“, sagt der Psychologe Arthur Jacobs, der die Studie leitete.

Für die Studie setzten die Forscher ihre Probanden in ein Blickbewegungslabor. Eine Infrarotkamera zeichnete die Augenbewegungen auf. Da die Augen beim Lesen nicht kontinuierlich über die Buchstaben laufen, sondern springen, konnten die Wissenschaftler leicht erkennen, bei welchen Worten der Lesefluss hakt. Die neue s-Lautschreibung (Kuss statt Kuß) erleichtert demnach Kindern und Erwachsenen das Lesen ebenso wie die Schreibung nach dem Stammprinzip (Stängel statt Stengel). Auch die von Reformgegnern viel geschmähten Kängurus und Panter halten das Auge weniger auf als die alten Känguruhs und Panther.

Unterschiede gibt es bei der Getrennt- und Zusammenschreibung: Kinder kommen mit den neuen Regeln gut zurecht, Erwachsene nicht. Schwierigkeiten bereitet allein die neue Regel, wonach drei Konsonanten aufeinander folgen können. Bei der Balletttänzerin sind Erwachsene und Schüler irritierter als bei der Ballettänzerin – obwohl Kinder nur die neue Regel gelernt haben. Bei der Groß- und Kleinschreibung stellen die Forscher keine Unterschiede fest.

Eine Sitzung des Kulturausschuss des Bundestages ergab unterdessen, dass Kulturpolitiker aller Parteien es gerne sehen würden, die gesamte Reform erst ein Jahr später für Schulen und Behörden verbindlich zu machen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte kürzlich beschlossen, die unumstrittenen Teile zum 1. August verbindlich zu machen.

Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, sagte dem Ausschuss, die KMK hätte das Datum „festgezimmert“. „Aber die Alternative, das Ganze ein Jahr auszusetzen, ist noch nicht ganz vom Tisch“, sagte Zehetmair überraschend. Die KMK dementierte auf Anfrage. „Der Beschluss steht“, sagte Generalsekretär Erich Thies dem Tagesspiegel. tiw/-ry


Kommentar von Die Welt, 17. 6. 2005, verfaßt am 16.06.2005 um 22.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#960

Zehetmair stellt Zeitplan für Rechtschreibreform in Frage
von Dankwart Guratzsch

Frankfurt/Berlin - Der Kulturausschuß des Bundestags hält an der Rechtschreibreform fest. Das haben die Mitglieder beschlossen und gleichzeitig zwei Änderungsanträge von Bundestagsabgeordneten abgelehnt. Damit bleibt es bei der von der Kultusministerkonferenz (KMK) festgelegten Linie, wonach die "unstrittigen" Teile der Reform ab 1. August an den Schulen verbindlich werden sollen. Dabei handelt es sich um die Groß- und Kleinschreibung, die Laut-Buchstaben-Zuordnung und die Schreibung mit Bindestrich. Teilnehmer der Sitzung berichteten demgegenüber, der ebenfalls anwesende Leiter des Rats für deutsche Rechtschreibung, der frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (CSU), habe diesem Zeitplan widersprochen. Ein "Moratorium" für die Rechtschreibung sei keineswegs vom Tisch.

In den beiden Anträgen vom November 2004 war es um grundsätzliche Korrekturen an der Reform gegangen. So hatte der Frankfurter FDP-Abgeordnete Hans-Joachim Otto mit 47 Abgeordneten aus allen Fraktionen die Rücknahme der gesamten Reform verlangt. Der konkurrierende Antrag des CDU-Abgeordneten Günter Nooke, der auch die Unterschriften von Angela Merkel, Michael Glos und der gesamten CDU/CSU-Fraktion trägt, hatte dagegen lediglich "eine klare Entscheidung über eine verbindliche Rechtschreibung auf allen staatlichen Ebenen" gefordert.

Beiden Anträgen hielt die Ausschußvorsitzende Monika Griefahn (SPD) entgegen, die Rechtschreibreform sei nun nach dem Beschluß der Kultusminister auf einem "guten Weg". Ihr widersprachen die Abgeordneten Gauweiler (CSU) und Barthel (SPD). Hans-Joachim Otto äußerte die Befürchtung, daß die Reform zur "ewigen Baustelle" werde. Antje Vollmer (Grüne) bedauerte, daß der Bundestag die Chance nicht genutzt habe, zumindest einen Aufschub zu fordern. Die Reform bleibe eine Lehre dafür, daß "der Staat nicht alles machen darf". In den Abstimmungen fanden schließlich beide Anträge keine Mehrheit.

Zehetmair unterstrich, daß es zu umfassenden Änderungen an der Reform kommen werde. Bereits zuvor hatte der Politiker im "Tagesspiegel" angekündigt, daß auch die vermeintlich "unstrittigen" Teile der Reform wie die "Groß- und Kleinschreibung" korrigiert werden müßten.


Kommentar von F.A.Z., verfaßt am 16.06.2005 um 17.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#957

Der Sprachversöhner

Der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair ist, seit er als Vorsitzender des Rats für Rechtschreibung amtiert, zur Schlüsselfigur in der Farce der Rechtschreibreform geworden. Er kann die Reform, deren angeblich "unstrittige" (in Wahrheit höchst umstrittene) Teile die Kultusministerkonferenz mit einem Eilbeschluß zum 1.August in Kraft gesetzt hat, mit seinem Gremium weder blockieren noch zurücknehmen. Aber er kann verhindern, daß die Farce zur Tragödie wird. In der Debatte um die Reform der Getrennt- und Zusammenschreibung, deren Rücknahme der Rat in seiner vierten Sitzung Anfang Juni empfohlen hat, hat sich Zehetmair als ehrlicher Makler des realen Sprachgebrauchs erwiesen. Gleiches gilt für Worttrennung und Zeichensetzung, die der Rat sich bei seinen kommenden Treffen vornehmen muß. Während die deutschen Schüler also ab August "Bankrott gehen" schreiben und so den geistigen Bankrott der KMK bezeugen müssen, besteht für die Aufhebung anderer Teile des absurden Regelwerks - und das heißt in Wahrheit: für die Rücknahme der Reform als Gesamtkorpus - noch Hoffnung. So jedenfalls stellte es Zehetmair in seiner behutsamen und bedächtigen Art am Mittwoch im Kulturausschuß des Bundestages dar, der ein öffentliches Gespräch zum Thema angesetzt hatte. Anlaß waren zwei Anträge, die mehr oder minder unverblümt das Scheitern der Reform konstatierten. "Klarheit für eine einheitliche Rechtschreibung" forderte das Papier der CDU/CSU-Fraktion, während ein Gruppenantrag von achtundvierzig FDP-Abgeordneten die "Einheit der deutschen Sprache bewahren" und zum alten Sprach- und Schriftgebrauch zurückkehren wollte. Keiner der Anträge fand eine Mehrheit, aber nicht aus inhaltlichen, sondern aus fraktionspolitischen Gründen. Denn über alle Parteigrenzen hinweg schienen sich die Mitglieder des Kulturausschusses in ihrer Ablehnung der Rechtschreibreform einig, und niemand widersprach, als Antje Vollmer feststellte, der Verlauf des Reformprojekts habe die Autorität der Kultusministerkonferenz nachhaltig beschädigt. Der gesamte Vorgang sei "ein Lehrbeispiel dafür, was der Staat nicht machen sollte", so Frau Vollmer, und ein komplettes Aussetzen der Reform bis zur endgültigen Empfehlung des Rats für Rechtschreibung die einzig saubere Lösung. Diese Moratoriumslösung haben die Kulturminister durch ihren Inkraftsetzungsfuror torpediert; aber für Hans Zehetmair, der im Lauf der Ausschußsitzung immer mehr in die Rolle des Weißen Ritters hineinwuchs, ist das Moratorium erstaunlicherweise trotzdem "noch nicht vom Tisch". Es gebe "heterogene Kräfte" im Rat und "gewisse Prestigefragen" zu klären, erklärte Zehetmair vorsichtig, aber er hoffe, im nächsten Jahr "in ruhigeres Fahrwasser" zu kommen, um verwirklichen zu können, worin er den Sinn der Arbeit des Rates sieht - "daß wir die Sprache mit dem Volk insgesamt versöhnen". Die zentralen Fragen der Reform sollten "sinnorientiert" entschieden und eine "modifizierte" Neuregelung am Sprachgebrauch des "unverbildeten, aber allgemein gebildeten Bürgers" ausgerichtet werden. Das war so allgemein formuliert, wie es die desolate Lage erheischt, aber es wurde doch deutlich genug, in welche Richtung sich Zehetmairs Versöhnungsprojekt bewegt. Hans Zehetmair will über dem Reformdrama im vierten Akt, kurz vor der Katastrophe, den Vorhang fallen lassen, aber er darf es nicht sagen. So wie der Kulturausschuß des Bundestages nicht zeigen durfte, daß er die Reform mehrheitlich und parteiübergreifend ablehnt. Aber die Botschaft wurde dennoch verstanden. An diesem Tag, in diesem Saal konnte es scheinen, als sei die Rechtschreibreform schon Geschichte. kil


( F.A.Z., 17.06.2005, Nr. 138 / Seite 35 )


Kommentar von heute im bundestag, 16. 6. 2005, verfaßt am 16.06.2005 um 16.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#956

Zehetmair: "Die Sprache mit dem Volk versöhnen"
Ausschuss für Kultur und Medien

Berlin: (hib/BES) Mit Unverständnis hat der Kulturausschuss am Mittwochnachmittag auf die Entscheidung der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 3. Juni reagiert, die umstrittene Rechtschreibreform am 1. August in weiten Teilen in Kraft treten zu lassen, obwohl sich der im vergangenen Dezember von der KMK zur Überprüfung des Reformwerks berufene Rat für deutsche Rechtschreibung noch längst nicht mit allen Streitfragen befasst hat. Der Vorsitzende des Rates und frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair berichtete in der Sitzung über die Ergebnisse der bisherigen Arbeit des Sprachgremiums. Es sei "ein mühsames Geschäft", angesichts der sehr heterogenen Kräfte im Rat ein Ergebnis mit der verbindlichen Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Dennoch "kommen wir mit Erfolg voran", so Zehetmair, der sich sehr zufrieden zeigte, dass er auch prominente Reformgegner, darunter Vertreter der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, zur Mitarbeit als ordentliche Mitglieder im Rat gewinnen konnte. Der Rat sei politisch völlig unabhängig und kein "verlängerter Arm der KMK". In seiner Arbeit gehe Substanz und Qualität vor Zeitplan. Das Ziel sei, die Einheit der deutschen Sprache zu bewahren und "die Sprache mit dem Volk zu versöhnen".

Die Tendenz der Beschlüsse im Rat, so Zehetmair, sei ein sinnorientiertes Schreiben: Es müsse weiterhin sprachlich zu unterscheiden sein, ob es sich um einen "vielversprechenden Politiker" oder um einen "viel versprechenden Politiker" handele; auch sei es ein Unterschied, ob man einen Fraktionsfreund "kaltstellt" oder "seinen Kaffee kalt stellt". In vielen Fragen gebe es eine "gewisse Offenheit", um "unnötige Erschwernisse für Lernende" zu beseitigen. Es dürfe bei der Überprüfung der Reform und bei der Reform selbst nicht um "wissenschaftliche Rechthaberei" gehen. "Ich lege großen Wert auf den Usus", so Zehetmair. So solle es künftig möglich sein, "kennenlernen" und "kennen lernen" zu schreiben. Bei "Leid tun" und "Not tun" müsse wieder die alte Rechtschreibung gelten - klein und zusammengeschrieben, weil da kein Gegenstand angetastet wird wie das Leid oder die Not. Es gehe bei der Rechtschreibung um Sinnunterschiede, die durch den Sprach- und Schreibgebrauch wieder besser zum Ausdruck kommen müssten. "Bei Fremdwörtern sind wir sehr gelassen", meinte der Ratsvorsitzende. Wer sich leisten könne, ins Restaurant zu gehen, sollte auch es richtig schreiben können, und wer Portemonnaie statt Geldbörse schreibt, sollte auch den Ursprung des Wortes kennen.

In der anschließenden Abstimmung lehnte der Ausschuss zwei Anträge zur Rechtschreibreform ab: einen Gruppenantrag (15/4249), der eine Rücknahme der Reform fordert, und eine Unionsinitiative (15/4261), die die Kultusminister und die Bundesregierung auffordert, entsprechende Schritte zur "raschen Beseitigung der zunehmenden Unsicherheit bei der Bevölkerung einzuleiten".


Kommentar von Der Standard, 17. 6. 2005, verfaßt am 16.06.2005 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#955

Rechtschreibung: Strittiges bis 2006 geklärt?
"Vielversprechend" soll möglich werden

Berlin - Der Rat für deutsche Rechtschreibung will bis zum Sommer 2006 die Überarbeitung auch der restlichen noch strittigen Reformteile abgeschlossen haben. Auch diese könnten dann - ein Jahr nach den unstrittigen Regeln - zum Schuljahr 2006/2007 an den Schulen verbindlich werden, sagte der Vorsitzende des Rates, Hans Zehetmair, am Mittwoch bei einer Anhörung des deutschen Bundestags-Kultusausschusses in Berlin.

In Österreich dürfte Ähnliches gelten: Laut Bildungsministerium wird die Übergangsfrist am 31. Juli auslaufen, hieß es nach der letzten Sitzung des Rats aus dem Bildungsministerium. Wenn der Rechtschreibrat aber "vernünftige Vorschläge" für Änderungen einbringe, werde man nichts dagegen haben.

Vielversprechend viel versprechend

Bei der Überarbeitung der Reform verfolgt der Rat nach den Worten Zehetmairs "die Philosophie, dass Sprachgebrauch vor Regelwerk geht". Auch beim Lesen sollte man künftig wieder unterscheiden können, "ob es sich um einen vielversprechenden Politiker - oder um einen viel versprechenden Politiker handelt", sagte der frühere bayerische Kultusminister.

Der Rat hatte unlängst Empfehlungen für die umstrittene Getrennt- und Zusammenschreibung vorgelegt. Als nächstes will er sich der Zeichensetzung und der Silbentrennung am Zeilenende befassen. Der weitaus größte Teil der Reform wie etwa die neue ss-Schreibung, die verstärkte Betonung des Stammprinzips (Stängel statt Stengel, schnäuzen statt schneuzen usw.) sowie die "behutsame Eindeutschung" von Fremdwörtern tritt wie geplant am 1. August vollständig in Kraft. Dann endet die siebenjährige Übergangsfrist, während der die bisherigen Schreibweisen als überholt gelten, in den Schulen aber nicht als Fehler gewertet werden.

Konkret heißt dies, dass Lehrer veraltete Schreibweisen nicht nur kennzeichnen, sondern auch tatsächlich als Fehler beurteilen sollen. Bei den strittigen Teilen hingegen soll nur eine Kennzeichnung erfolgen. (APA/dpa)


Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 16.06.2005 um 15.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#953

"Die Zukunft ist begonnen worden"

„Die Politik hat den Rat aus der Erkenntnis heraus eingesetzt, dass die Reform eines begleitenden kompetenten Gremiums bedarf, das unabhängig und in eigener Verantwortung arbeitet. Wer mit dem dynamischen Gefüge Sprache verantwortungsvoll umgehen will, braucht Zeit.“ (Zitiert aus: Der Tagesspiegel, 11. 6. 2005)

Wieder und wieder habe ich diese Zeilen gelesen, habe die Äußerungen von Hans Zehetmair mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verglichen und bin zu dem Entschluß gekommen, daß uns die „Zeiten“ betrügen und belügen.

Denn:
Statt einen Zeitaufschub anzuordnen hat sich die KMK auf den Termin, 01.08.05 festgelegt, wohlwissend, „daß ein verantwortungsvoller Umgang mit dem dynamischen Gefüge Sprache Zeit braucht“.
Aber: In genau 46 Tagen wird diese Zeit abgelaufen sein zu Lasten des verantwortungsvollen Umgangs, ganz einfach deshalb, weil die konstruierte, nahe Zukunft sehr bald – eigentlich schon heute – schreckliche Realität ist.

Zum zweiten:
Anstatt die gesamte „Palette“ Rechtschreibreform auf den Prüfstand zu stellen, hat die seit 1996 faktenschaffende Realitätskommission im vorhinein eine Auslese getroffen; einzelne Paragraphen nach dem Denkmuster „strittig“ und „unstrittig“ sortiert; hat somit bestimmte Bereiche für eine unabhängige Untersuchung durch Fachleute tabuisiert und ausgeklammert. Und, d.h.: Die „Zeiten“ haben der Unabhängigkeit einen Riegel vorgeschoben.

Zum dritten:
Lange vor der Konstituierung des Gremiums hat eine Instanz – die aus Anonymitätsgründen als „Überrealität“ zu bezeichnen ist – über die Zusammensetzung dieses Gremiums nachgedacht, jenem die Abstimmungsquote einer Zweidrittelmehrheit auferlegt und zudem weitere Gremien (z.B. den Bundeselternrat) als zusätzliche Kontrollinstanz vor die Nase gesetzt.
...

Was bleibt, ist die Freude darüber, daß Herr Zehetmair ein unabhängiges Gremium leitet und daß er in derart scharfen Worten die grauen Eminenzen maßregeln darf.
Nur eines:
Sehr geehrter Herr Zehetmair!
Unabhängigkeit wurde früher etwas anders definiert!



Kommentar von Christoph Kukulies, verfaßt am 16.06.2005 um 10.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#941

"Entscheidung des Rates soll abgewartet werden"

Wann "entscheidet" der Rat denn? Was sind die nächsten Termine? Gibt es noch etwas, was vor dem 1.8.2005 die Dinge entscheidend beeinflussen kann?


Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 16.06.2005 um 09.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#940

Letzten Endes geht es doch nur darum, zu verhindern, daß - z.B. durch Rückkehr bedeutender Zeitungen zur Rechtschreibung - Fakten gegen die Reform geschaffen werden. Da ist die Strategie des Fabius Maximus Cunctator nun einmal unübertrefflich.


Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 16.06.2005 um 00.52 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#937

Tagesspiegel:
Jetzt scheint es durcheinander zu gehen: "leidtun" nur noch klein und zusammen, "eislaufen" ebenso, aber bei „brustschwimmen“ kann man auch schreiben, "er schwimmt Brust".
Antwort Zehetmair:
Bei "brustschwimmen" sind wir liberaler – wenn der substantivische Bestandteil hinten steht.

Was soll denn der Blödsinn: "er schwimmt Brust". So spricht doch kein Mensch! Ich erinnere mich noch an einen olympischen Radiosprecher, der aufgeregt zu einem anderen Becken umschaltete, denn "da wickeln die Frauen ihre 200 m Brust ab"! So sprechen richtige Menschen, wenn man ihnen aufs Maul schaut! Unsere Rechtschreibdisputanten dagegen, die also nur Wörter aus ihren perversen Wörterlisten kennen, wollen unbedingt Regeln, wo nichts zu regeln ist, und sie wollen generös liberal sein, wo kein vernünftiger Mensch mit Sorgen gekommen ist. Reden wir doch nicht so dumm herum: "Bei 'brustschwimmen' sind wir liberaler – wenn der substantivische Bestandteil hinten steht". Ist nun "Brust" in "brustschwimmen" ein trennbares Präfix oder nicht? So sprechen genaue Beobachter der Sprache, die mit der Sache etwas zu tun haben. Und "Brustschwimmen" ist doch eine Schwimmdisziplin und damit, — ja, was ist es denn dann? Jedenfalls ist die Brust nie "hinten", und brustgeschwommen ist auch noch keiner. Und daß mir keiner wagt, so einfach mal unbeaufsichtigt brustzuschwimmen, dann ist er nämlich nicht mehr zu retten! Bei Eislaufen kann man wenigstens noch mal ne Stunde eislaufen gehen, doch auch die etepeteteste Mutter sagt nicht: "Unsere Tochter läuft jetzt Eis." Aber der Trainer sagt: "Mach jetzt deine zwanzig Lagen Brust." Und danach trägt man auf seinem Trainingsformular hinter "Brust" todmüde ein: "1000", und man weiß intuitiv und aus Erfahrung , wie Brustschwimmen einen schlauchen kann. Es ist nämlich ein Substantiv. Und Eis laufe ich ebenso wenig wie die höhere Tochter. Und warum nicht? Weil ich deutsch spreche. "Eis laufen gehen": Wer so redet, dem hört doch keiner länger zu, und das zu Recht. "Im Zusammenhang mit 'eislaufen' wurde in der Tat diskutiert, ob es auch heißen könnte, 'sie läuft Eis'." Gott sei Dank hätten da aber einige doch bemerkt, es hätte sich (noch) "nicht durchgesetzt".

Zu "Was wir zu tun haben, darf nicht von wissenschaftlicher Rechthaberei geleitet sein, sondern von tiefer Sensibilität für den Sprachgebrauch der Menschen": Was ist denn das schon wieder für politisches Gerede! "Wissenschaftliche Rechthaberei"? Trägt sowas zum Rechtschreibfrieden bei? Die Volksfesthalle, die wir bauen, darf nicht von wissenschaftlichem Architekturstudium geleitet sein, sondern von tiefer Sensibilität für die Entertainmentwünsche der Menschen. Aber so muß man reden, wenn man in der deutschen Politik noch etwas Vernünftiges erreichen will.


Kommentar von R. M., verfaßt am 16.06.2005 um 00.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#936

Frau Griefahn kann sich so nur abseits der Sitzung geäußert haben. Im Ausschuß selbst war sie nahezu ausschließlich moderierend tätig. Nicht einmal Herr Barthel (SPD) hieß die Entscheidung der KMK gut, im Gegenteil.


Kommentar von ddp, verfaßt am 16.06.2005 um 00.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#935

Regierungsfraktionen lehnen Anträge zur Rechtschreibreform ab
Entscheidung des Rates soll abgewartet werden

Berlin (ddp). Die Vertreter von SPD und Grünen im Bundestags-Kulturausschuss haben am Mittwoch Änderungsvorschläge der Union und einzelner Abgeordneter zur Rechtschreibreform abgelehnt. Die zuständigen Institutionen seien auf einem guten Weg, deshalb bestehe an dieser Stelle keine Notwendigkeit für weitere bundespolitische Initiativen, sagte die Ausschussvorsitzende Monika Griefahn (SPD) in Berlin. Der Kompromiss der Kultusministerkonferenz (KMK) sei sinnvoll, um vorerst überhaupt eine Entscheidung zu haben.

Für die endgültige Abstimmung sei abzuwarten, zu welchen Ergebnissen der Rat für deutsche Rechtschreibung komme, fügte Griefahn hinzu. Der Ratsvorsitzende, der bayerische Ex-Kultusminister Hans Zehetmair (CSU), hatte ebenfalls an der Ausschusssitzung teilgenommen.

Die CDU/CSU-Fraktion hatte in ihrem Antrag von Kultusministern und Ländern gefordert, so schnell wie möglich eine verbindliche Rechtschreibung vorzulegen. Die Gruppe um Hans-Joachim Otto (FDP), Vera Lengsfeld (CDU) und Josef Philip Winkler (Grüne) will, dass die Reform zurückgenommen wird.

Die KMK hatte sich am 3. Juni darauf verständigt, dass zum 1. August nur die unstrittigen Teile der Reform in Kraft treten sollen. Dies sind die neuen Regeln zur Laut-Buchstaben-Zuordnung, zur Schreibung mit Bindestrich sowie zur Groß- und Kleinschreibung. Strittig sind die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Silbentrennung und Zeichensetzung. Mit Blick auf die Getrennt- und Zusammenschreibung beschloss der Rechtschreibrat bereits konkrete Änderungsvorschläge, die eine weitgehende Rückkehr zu den alten Regeln vorsehen.


Kommentar von R. M., verfaßt am 16.06.2005 um 00.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#934

N24 hat aus diesen Äußerungen eine Meldung mit dem Titel Zeitungen sollen Rechtschreibreform akzeptieren gemacht. Das ist verkürzend, aber nicht verzerrend.


Kommentar von Ruth Salber-Buchmüller, verfaßt am 15.06.2005 um 23.04 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#932

Pardon - aber ich gehe an die Decke, wenn ich lese, daß bei der GZS die Schüler überfordert sein sollen, wenn sie erkennen müssen, ob die Betonung auf "blank", oder dem "Putzvorgang" als solchem liegt. Wie ist es möglich, daß im Kopf des Herrn Vorsitzenden immer noch die Angst vor Überforderung der Kinder spukt?

Auch glaubt und hofft Herr H. Zehetmair, daß die abtrünnigen Zeitungen dann bald wieder zum "Common Sense" zurückfinden?

Mich packt die Wut bei der Lektüre dieses Interviews. Hoffentlich sehen manche (Manche!) es anders.


Kommentar von Der Tagesspiegel, 11. 6. 2005, verfaßt am 15.06.2005 um 20.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#931

„Wir werden intuitiver entscheiden“
Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rats für Rechtschreibung, erklärt, was von der Reform geblieben ist

„Kennenlernen“ soll künftig wieder zusammengeschrieben werden, „spazieren gehen“ weiterhin getrennt und „sitzen bleiben“ wahlweise getrennt oder zusammen. Die schlichte Reform-Regel „Verb und Verb schreibt man stets getrennt“ gilt offenbar nicht mehr. Können Sie das erklären, Herr Zehetmair?

Das sind Beispiele dafür, dass wir nicht mehr Regeln in den Vordergrund stellen, sondern wieder mehr darauf achten, wie im deutschsprachigen Raum gesprochen wird. Grundsätzlich wird bei der Zusammenstellung zweier Infinitive aber noch immer getrennt geschrieben. Es bleibt bei „laufen lernen“, „baden gehen“ oder „spazieren gehen“. Ausnahmen bilden Verbindungen mit „bleiben“ oder „lassen“. Hier kann auch zusammengeschrieben werden, wenn eine übertragene Bedeutung vorliegt: Die Akten sind „liegengeblieben“, aber: Am Sonntag möchte ich gerne länger „liegen bleiben“.

Warum soll „kennen lernen“ dann wieder zusammengeschrieben werden?

„Kennenlernen“ haben wir wegen der ausschließlich übertragenen Bedeutung als Sonderfall in die Gruppe der Verbindungen mit „bleiben“ und „lassen“ aufgenommen. Man kann es aber auch getrennt schreiben. Auf diesen Kompromiss haben wir uns nach einer langen Diskussion geeinigt.

Auch die Regel, dass Adjektivverbindungen mit Verben getrennt geschrieben werden, wenn sie steigerbar oder erweiterbar sind, wurde gestrichen. So kann jetzt „blank putzen“ auch wieder zusammengeschrieben werden.

Die Steigerungsregel hat sich als nicht praktikabel erwiesen. Jetzt soll gelten: Es kann zusammen- wie auch getrennt geschrieben werden, wenn es um das Resultat eines Vorganges geht. Hier sind die Varianten sinnvoll, weil es Schüler überfordert zu unterscheiden, ob die Betonung nun auf „blank“ liegt oder auf dem Putzvorgang als solchem. Es ist aber eine schöne Aufgabe für Lehrkräfte, den Schülern solche Sinnunterschiede nahe zu bringen.

Die Schulen kommen allerdings gut mit den vereinfachten Regeln zurecht – und vielen Eltern und Lehrern graut davor, den Kindern jetzt wieder etliche Ausnahmen erklären zu müssen.

Dahinter steht unsere Philosophie, dass der Sprachgebrauch wieder Vorrang vor der Regelhaftigkeit hat. Das ist für Schüler und auch für Erwachsene eingängiger. Wir werden intuitiver entscheiden, was wir getrennt oder zusammenschreiben: „Heilig sprechen“ kann der Papst, „heiligsprechen“ wird man ihn später. Außerdem ging es um die Korrektur all dessen, was man in der Bevölkerung nicht verstanden hat. Sinnentstellende Schreibweisen wie „Leid tun“ oder „Not tun“ soll es nicht mehr geben.

Warum wird nicht durchgehend liberalisiert? Jetzt scheint es durcheinander zu gehen: „leidtun“ nur noch klein und zusammen, „eislaufen“ ebenso, aber bei „brustschwimmen“ kann man auch schreiben, „er schwimmt Brust“.

Die Schreibweisen „leidtun“ und „nottun“ sind jetzt unantastbar, weil die Groß- und Getrenntschreibung schlichtweg unsinnig wäre. Im Zusammenhang mit „eislaufen“ wurde in der Tat diskutiert, ob es auch heißen könnte, „sie läuft Eis“. Jetzt hat sich das nicht durchgesetzt, aber wenn sich dieser Sprachgebrauch in einigen Jahren festsetzt, könnte man es noch modifizieren. Bei „brustschwimmen“ sind wir liberaler – wenn der substantivische Bestandteil hinten steht.

Wie radikal sind also die Änderungen in der Getrennt- und Zusammenschreibung, die der Rat am vergangenen Freitag in Mannheim beschlossen hat? Wird die Rechtschreibreform in diesem Bereich „nahezu vollständig zurückgenommen“, wie der Sprachwissenschaftler Theodor Ickler schon im April frohlockte?

Es ist kein radikales Zurückschrauben, sondern ein moderates Ausgleichen der Unebenheiten und Ungereimtheiten. Da ist einiges auch im Sinne von Herrn Ickler. Aber federführend war Peter Eisenberg von der Akademie für deutsche Sprache, weil er schlüssige, ausgewogene und besonnene Vorschläge gemacht hat. Ich bin sehr froh, dass er seit vergangener Woche ordentliches Mitglied des Rats ist. Insgesamt ist unsere Arbeit ein entschiedenes Aufeinanderzugehen sehr heterogener Befindlichkeiten. Zur Getrennt- und Zusammenschreibung gab es am Schluss nur vier Gegenstimmen bei 33 Prostimmen.

Warum beschäftigt sich der Rat nicht auch mit der Groß- und Kleinschreibung?

Wir werden sie uns mit Sicherheit noch gesondert vornehmen. Einige Probleme der Groß- und Kleinschreibung sind mit der Getrennt- und Zusammenschreibung ja auch schon gelöst worden. In der ersten Phase wollen wir bis Herbst die beiden weiteren gravierenden Themen klären: Zeichensetzung und Silbentrennung. Ab Herbst, wenn wir die ersten drei großen Komplexe zur politischen Entscheidung weiterreichen, setzen wir für andere Bereiche der Reform, die zum 1. August amtlich werden, Arbeitsgruppen ein und beobachten die Sprachentwicklung – auch in der Groß- und Kleinschreibung. Einen Zeitplan für etwaige Änderungsvorschläge gibt es aber noch nicht. Der Rat in seiner jetzigen Zusammensetzung ist für sechs Jahre berufen.

Warum wird zum 1. August dieses Jahres nur ein Teil der Rechtschreibreform amtlich?

Die Kultusminister wollten das einmal gesetzte Datum 1. August 2005 unbedingt halten. Da haben sie sich eben durchgerungen, die Bereiche zurückzustellen, über die wir noch beraten. Unsere Vorschläge müssen wir noch mit Eltern- und Lehrerverbänden diskutieren, und dann befindet die Politik abschließend darüber.

Warum sind Sie nicht bis zum 1. August fertig geworden?

Weil wir unsere Aufgabe sehr ernst nehmen und in den Arbeitsgruppen intensiv diskutieren. Die andere Möglichkeit wäre gewesen, das Ganze um ein Jahr zu verschieben. Dass die KMK anders entschieden hat, kritisiere ich nicht, aber ich mache es mir auch nicht zu Eigen. Das müssen die Kultusminister selber verantworten. Die Politik hat den Rat aus der Erkenntnis heraus eingesetzt, dass die Reform eines begleitenden kompetenten Gremiums bedarf, das unabhängig und in eigener Verantwortung arbeitet. Wer mit dem dynamischen Gefüge Sprache verantwortungsvoll umgehen will, braucht Zeit.

Und wann werden die Neuregelungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung, zur Silbentrennung und zur Zeichensetzung für Schulen verbindlich?

Ich gehe davon aus, dass die Länder die drei Komplexe zum August 2006 einführen. Um die Schüler nicht zu verwirren, sollte man das nicht mitten im Schuljahr machen – obwohl die Neuregelungen schon vorher stehen. Die Schule sollte aber nicht darauf kapriziert sein, an welchem Stichtag sie was als Fehler wertet.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Zeitungen, die sich der Rechtschreibreform mehr oder weniger verweigern?

In unserem Rat sitzen ja auch offizielle Vertreter der Journalistenverbände und der Zeitungsverleger. Angesichts der weitgehend positiven Reaktionen auf unsere Vorschläge bin ich guter Hoffnung, dass auch die Zeitungen, die sich besonders stark verweigern, wieder zum Common Sense zurückfinden.

Von Reformgegnern wird die Arbeit Ihrer Vorgänger, der Zwischenstaatlichen Kommission, weiterhin verteufelt. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit im Rat von der in der Kommission?

Formal unterscheidet sich der Rat von der Kommission dadurch, dass er unabhängig ist. Die Kommission war als Hilfsinstrument von der Politik eingesetzt – für eine Reform, in die sich die Politik aus meiner heutigen Sicht gar nicht hätte einmischen sollen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat eine höhere Eigenverantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. Wir arbeiten transparent und vermitteln nach jeder Sitzung in einer Pressekonferenz, was wir in der Abwägung langer Diskussionen als Erkenntnis gewonnen haben.

Steckt dahinter auch eine Philosophie?

Wir müssen gegenüber der sensibilisierten Öffentlichkeit alles tun, um den Eindruck zu vermeiden, dass Sprache aufgezwungen wird. Was wir zu tun haben, darf nicht von wissenschaftlicher Rechthaberei geleitet sein, sondern von tiefer Sensibilität für den Sprachgebrauch der Menschen.


Die Fragen stellte Amory Burchard.

Hans Zehetmair (68), 1986 bis 2003 CSU-Kultusminister in Bayern, ist seit Dezember 2004 Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung und leitet die Hanns-Seidel-Stiftung.


Kommentar von Berliner Zeitung, 16. 6. 2005, verfaßt am 15.06.2005 um 20.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#930

Reform-Reform
Von Torsten Harmsen

Die Verwirrung ist vollkommen: Die Kultusminister wollen die Rechtschreibreform durchziehen und erklärten einen Teil davon zum 1. August für amtlich. Doch der Rat für deutsche Rechtschreibung, der in ihrem Auftrag handelt, ruft zurück: Moment, wir haben noch nicht über alles geredet, zu vieles ist umstritten; es muss noch weiter repariert werden! Hier braucht es gar keine Reformgegner - die Verantwortlichen selbst sorgen für Chaos.

Doch die Gegner gibt es trotzdem. Sie blasen jetzt noch mal richtig zum Sturm. Am Mittwoch musste Hans Zehetmair, der Chef des 36-köpfigen Rechtschreibrates, vor dem Kulturausschuss des Bundestages antreten. Eine Gruppe der Unionsfraktion will die Reform gänzlich zurücknehmen - die Tafel restlos säubern, auf die die streitenden Reformer in den letzten zehn Jahren ihre Änderungen geschrieben und verworfen haben. Die meisten Abgeordneten allerdings wollen zunächst einmal "Klarheit".

Doch diese gibt es nicht. Niemand weiß das besser als Hans Zehetmair. Er verkörpert höchst persönlich die Karriere der Reform von ihrem schwungvollen Aufbruch 1996 bis zum totalen Hick-Hack. Er weiß um das Chaos, das er einst als bayerischer Kultusminister (mit) angerichtet hat. Als er Ende 2004 als Chef des Rechtschreibrates antrat, sagte er: "Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen". Heute betont er, die Reform der Reform brauche noch Jahre.

Wie wenig "Klarheit" sogar unter den Beteiligten zu erreichen ist, zeigte Zehetmair jüngst, als es um die strittigen Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung ging. Er nannte den Unterschied zwischen "krank schreiben" (in krankem Zustand schreiben) und "krankschreiben" (Attest des Arztes), um auf irreführende reformierte Schreibweisen hinzuweisen. In diesem Fall jedoch haben die Reformer ausnahmsweise mal richtig entschieden: von "krank schreiben" (alt) zu "krankschreiben" (neu), während sie bei anderen Begriffen ("auseinander setzen") in die Irre führten. Zehetmair, der die dringliche Notwendigkeit der Reform der Reform demonstrieren wollte, hat also nach dem falschen Beispiel gegriffen. Ein Beweis dafür, dass hier niemand mehr durchblickt.


Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 15.06.2005 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#929

Im Kulturausschuß sind heute die beiden Anträge zur Rechtschreibreform aus dem vergangenen Herbst mit wechselnden Mehrheiten abgelehnt worden. Frau Vollmer kritisierte das Vorgehen der Unionsfraktion, einen eigenen (per se chancenlosen) Antrag statt eines Gruppenantrags auf den Weg gebracht zu haben.

Sprecher aller (!) Fraktionen äußerten Unverständnis angesichts des KMK-Bechlusses, Teile der Rechtschreibreform vom kommenden Schuljahr an in Kraft zu setzen. Sie dankten Herrn Zehetmair für die bisherige Arbeit des Rechtschreibrats. Zehetmair überraschte mit der Äußerung, daß ein Moratorium für die Rechtschreibreform insgesamt "noch nicht vom Tisch" sei.


Kommentar von Das Parlament Nr. 52-53 / 20.12.2004, verfaßt am 15.06.2005 um 16.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#928

bes
"In der Schule wird etwas gelehrt, was die Schreibkultur ablehnt"
Selbstkritischer Rückblick im Ausschuss

Kultur und Medien. Die neue Rechtschreibung hat am 15. Dezember erneut den Ausschuss für Kultur und Medien beschäftigt. Ausgangspunkt für die teilweise kontroverse Diskussion waren zwei Anträge, in denen die Abgeordneten mangelnde Klarheit der neuen Schreibregeln und gestiegene Fehlerhäufigkeit als Folge der Rechtschreibreform beklagen.

In der Initiative der CDU/CSU-Fraktion (15/4261) werden die Kultusminister der Länder und die Bundesregierung aufgefordert, entsprechende Schritte einzuleiten, um die zunehmende Unsicherheit in der Bevölkerung rasch zu beseitigen. Der weitergehende Gruppenantrag (15/4249) hat dagegen die Rücknahme der Reform und die Rückkehr zur alten Rechtschreibung zum Ziel. Die Abgeordneten beklagen in beiden Anträgen, dass sich seit der Einführung der Reform zunehmend eine Unverbindlichkeit der Sprache beobachten lasse.

In der Diskussion im Ausschuss haben Vertreter aller Fraktionen ihre Unzufriedenheit über den Ist-Zustand der deutschen Rechtschreibung nach der Einführung des neuen Regelwerks zum Ausdruck gebracht. Selbstkritisch blickten sie auf die bisherige Beteiligung des Parlaments am Reformprozess zurück. Dennoch sahen die meisten der Abgeordneten keine Möglichkeit, zu den alten Schreibregeln zurückzukehren. Die letzte Phase vor der endgültigen Einführung der Reform müsse vom Bundestag genutzt werden, hieß es, damit die bereits festgestellten Unstimmigkeiten in der neuen Rechtschreibung wieder beseitigt werden können.

"Im Grunde geht die Rechtschreibung die Politik nichts an", stellte die Unionsfraktion gleich zu Beginn fest. Dennoch könne das Parlament an diesem Problem nicht vorübergehen, da der aktuelle Zustand unbefriedigend sei. Eine einheitliche Rechtschreibung müsse auf allen staatlichen Ebenen möglichst schnell und verbindlich eingeführt werden. Der Gruppenantrag sei jedoch völlig falsch und unrealistisch. Schließlich könne man das Rad nicht mehr zurückdrehen.

Die FDP-Fraktion sprach sich gegen das Regelwerk aus, das sich nicht am Sprachgebrauch orientiert: "In der Schule wird etwas gelehrt, was die Schreibkultur ablehnt." Auch sei der bisherige Umgang des Parlaments mit dem Thema "kein Schmuckstück". Den Unionsantrag kritisierte die Fraktion als "nicht ganz zu Ende gedacht".

Gleichzeitig beantragte die FDP eine öffentliche Anhörung zur Rechtschreibreform, mit dem Argument, man müsse diesem Thema mindestens die gleiche Aufmerksamkeit widmen wie der Musikquote. Der Vorschlag fand keine Zustimmung. Die Wirkung der Veranstaltung sei fragwürdig, so die übrigen Fraktionen. Es sei auch fraglich, ob es zu einem Zeitpunkt, da der Reformprozess fast abgeschlossen sei, noch sinnvoll wäre, sich nun so einzumischen.

www.bundestag.de/dasparlament/2004/52-53/plenumundausschuesse/008.html


Kommentar von Das Parlament Nr. 50-51 / 06.12.2004, verfaßt am 15.06.2005 um 16.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=276#927

bes
Rechtschreibreform in der Kritik
Gruppen- und Unionsantrag diskutiert

Kultur und Medien. Mangelnde Klarheit der neuen Schreibregeln und gestiegene Fehlerhäufigkeit als Folge der Rechtschreibreform beklagen CDU/CSU und einzelne Abgeordnete der Fraktionen in getrennten Anträgen (15/4261, 15/4249), die das Parlament am 2. Dezember an den Fachausschuss überwiesen hat. Während die Unionsinitiative von den Kultusministern der Länder und von der Bundesregierung Schritte zur Beseitigung der Unsicherheit bei der Bevölkerung erwartet, fordert der Gruppenantrag die Rücknahme der Reform und die Rückkehr zur alten Rechtschreibung. Beide Anträge beklagen eine zunehmende Unverbindlichkeit der Sprache seit Einführung des neuen Regelwerkes.

Zahlreiche Auslegungsdifferenzen in Wörterbüchern und eine "unübersehbare" Zahl von Fehlern in Zeitungen, Lehrwerken und Kinderbüchern seien an der Tagesordnung, so die Union. Es werde in Deutschland eine Rechtschreibung unterrichtet, die außerhalb der Schule kaum jemand vollständig anwende oder anzuwenden in der Lage sei. Die Diskrepanz sei nach der Rückkehr mehrerer deutscher Pressehäuser und Verlage zur alten Schreibweise noch größer geworden.

Der Gruppenantrag erklärt, Sprache sei als Grundelement nationaler Identität von gesamtstaatlicher Bedeutung. Daher solle die Regierung sich bei den Ministerpräsidenten und Kultusministern der Länder für die Rücknahme der Reform einzusetzen und dürfe die Entscheidung zur Rechtschreibreform nicht allein den Ländern überlassen. Die alte Rechtschreibung solle ab 1. August 2005 wieder eingeführt werden. Wenn keine vollständige Rücknahme der Reform erreichbar sei, müsse die Konzeption und Zusammensetzung des Rates für deutsche Rechtschreibung grundlegend geändert werden, da er vorwiegend mit Reformbefürwortern besetzt und daher nicht neutral sei.

www.bundestag.de/dasparlament/2004/50-51/plenumundausschuesse/010.html



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