Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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23.11.2004
„Der Bundestag bittet die Kultusminister …“
– wenn es nach der Unionsfraktion geht –
»… bis zum Ende des Jahres 2004 in einem Bericht darzustellen, welche Schritte zur Erreichung einer einheitlichen Rechtschreibung unternommen werden«.
Sonderlich kühn ist der Antrag, den gestern die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag nachgereicht hat, nicht. Er beläßt es dabei, nur ganz allgemein »eine klare Entscheidung über eine verbindliche Rechtschreibung« zu fordern. Doch angesichts der Vorgeschichte war mehr auch nicht zu erwarten.
Immerhin soll laut einer AFP-Meldung schon am 3. Dezember über ihn debattiert werden. Allmählich wäre es wirklich an der Zeit, daß die KMK ihren »Rat für Rechtschreibung« wenigstens einmal zusammenbrächte.
»Deutscher Bundestag Drucksache 15/
15. Wahlperiode 22.11.2004
Antrag
der Abgeordneten Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Renate Blank, Dr. Maria Böhmer, Verena Butalikakis, Dr. Peter Gauweiler, Dr. Martina Krogmann, Dr. Norbert Lammert, Barbara Lanzinger, Vera Lengsfeld, Werner Lensing, Dorothee Mantel, Melanie Oßwald, Katherina Reiche, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Erika Steinbach, Christian Freiherr von Stetten, Edeltraut Töpfer und der Fraktion der CDU/CSU
Klarheit für eine einheitliche Rechtschreibung
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland haben sich mit Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 1. Dezember 1995 darauf verständigt, von einer Expertenkommission ausgearbeitete Neuregelungen für die deutsche Rechtschreibung als verbindliche Grundlage für den Unterricht an deutschsprachigen Schulen einzuführen. Am 1. August 1998 wurden die neuen Regeln in den Schulen und in vielen Verlagen offiziell übernommen. Diese Änderungen finden nach einer zwischenstaatlichen Erklärung auch in Österreich, Liechtenstein und der Schweiz Anwendung. Die Ministerpräsidenten der Länder haben auf ihrer Jahreskonferenz vom 6.-8. Oktober 2004 in Berlin die Reform grundsätzlich bekräftigt, allerdings auch einen „Rat für Rechtschreibung“ berufen, der bis August 2005 besonders strittige Reformvorschläge einvernehmlich klären soll.
Bereits im März 1998 hatte sich der Deutsche Bundestag mit der Rechtschreibreform befasst und in einem Antrag festgestellt:
„Der Deutsche Bundestag nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, daß die Art und Weise der Umsetzung der Rechtschreibreform und ihre Inhalte bei vielen Bürgern unseres Landes ein hohes Maß an rechtlicher und sprachlicher Unsicherheit über die deutsche Rechtschreibung hervorgerufen haben.“ (Bundestags-Drucksache 13/10183)
Sechs Jahre später ist festzustellen, dass sich diese Unsicherheit eher noch vergrößert hat. Um eine weitere und dauerhafte Verunsicherung zu vermeiden, bedarf es einer eindeutigen und zügigen Entscheidung über die Regeln für die deutsche Rechtschreibung, die den Konsens der Sprachgemeinschaft wiederherstellt. Insbesondere muss Klarheit darüber bestehen, welche Rechtschreibung an den staatlichen Schulen in allen Ländern in Deutschland und in Österreich und der Schweiz gelehrt werden soll.
Schon 1998 wurde die „Gefahr einer Aufsplitterung der deutschen Sprache“ gesehen; um ihr entgegenzuwirken hieß es in der Begründung zum oben genannten Antrag: „Deshalb bittet der Deutsche Bundestag die Kultusminister der Länder, das Lehren und Lernen der Rechtschreibung an den Schulen nicht ohne eine gesicherte Verfahrensgrundlage ändern zu wollen.“
Der Deutsche Bundestag bittet deshalb die Kultusminister der Länder,
- ausgehend vom Beschluss der Ministerpräsidenten von Anfang Oktober 2004 schnellstmöglich dafür zu sorgen, dass der unbefriedigende und verunsichernde Zustand durch eine klare Entscheidung über eine verbindliche Rechtschreibung auf allen staatlichen Ebenen beendet wird;
- anzustreben, dass unter Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1998, wonach eine rechtliche Verbindlichkeit der neuen Rechtschreibregeln auf gesellschaftliche Akzeptanz gegründet sein muss und auf den Bereich der Schulen beschränkt bleibt, die Regeln der Rechtschreibung auf eine breite gesellschaftliche Basis gestellt werden;
- bis zum Ende des Jahres 2004 in einem Bericht darzustellen, welche Schritte zur Erreichung einer einheitlichen Rechtschreibung unternommen werden.
Berlin, den 22. November 2004
Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Renate Blank, Dr. Maria Böhmer, Verena Butalikakis, Dr. Peter Gauweiler, Dr. Martina Krogmann, Dr. Norbert Lammert, Barbara Lanzinger, Vera Lengsfeld, Werner Lensing, Dorothee Mantel, Melanie Oßwald, Katherina Reiche, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Erika Steinbach, Christian Freiherr von Stetten, Edeltraut Töpfer, Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion
Begründung:
Das vorrangige Ziel der Neuregelungen sollte seinerzeit die Erleichterung des Schreibens für die Bewohner des deutschen Sprachraumes und Deutschlernende sein. Dieses Ziel wurde bislang nicht erreicht. Die Rechtschreibung in Deutschland ist heute weniger einheitlich als im Jahr 1998, und ihre entscheidende Funktion, die Lesefreundlichkeit, ist erheblich beeinträchtigt.
Sechs Jahre nach der Reform leidet die deutsche Rechtschreibung zunehmend an Unverbindlichkeit und verunsichert weite Teile der Bevölkerung. Zahlreiche Auslegungsdifferenzen in Wörterbüchern und eine unübersehbare Zahl von Fehlern in Zeitungen, Lehrwerken, Kinderbüchern u.s.w. sind zu beobachten. Neun Jahre nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz wird überall in Deutschland eine Rechtschreibung unterrichtet, die außerhalb der Schule kaum jemand vollständig anwendet oder anzuwenden in der Lage ist.
Nach der Rückkehr mehrerer großer deutscher Pressehäuser und Buchverlage zur alten Regelung ist die Diskrepanz zwischen der in der Schule gelehrten Rechtschreibung und der außerhalb der Schule angewendeten Schreibweise noch erheblich größer geworden. Diese Diskrepanz beschädigt das Bild unserer Sprache, erschwert ihre nationale und internationale Anwendung und kompliziert das Erlernen von Deutsch im In- und Ausland.
Der Deutsche Bundestag hatte 1998 festgestellt: „Die Sprache gehört dem Volk“. Darum kann es bei der neuerlichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem Thema nicht um die Klärung von Zuständigkeiten gehen oder darum, ob überhaupt staatliche Ebenen quasi gesetzgeberisch in eine gewachsene und sich selbständig weiterentwickelnde Sprache eingreifen sollten. Vielmehr geht es um schnellstmögliche Schadensbegrenzung. Dabei werden die Entscheidungen der letzten Jahre nicht unberücksichtigt bleiben können. «
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Kommentare zu »„Der Bundestag bittet die Kultusminister …“« |
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Kommentar von Jörg Metes, verfaßt am 03.12.2004 um 01.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=143#86
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Die dpa-Meldung von heute nacht bestätigt, was Herr Krutzke schon am 24.11. prophezeit hat:
»Bundestag debattiert Rechtschreibung
Berlin (dpa) - Im Bundestag ist am Abend über die Rechtschreibreform debattiert worden. Ein Antrag aus verschiedenen Fraktionen, die Reform sofort zu stoppen, wurde an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Der CDU-Abgeordnete Günter Nooke sprach vor weitgehend leeren Reihen von einer «erschreckenden Verwirrung» in der Bevölkerung. Der SPD-Abgeordnete Eckhardt Barthel warf der Union vor, sie wärme sich ihre Hände an einem «populistischen Feuer». Zuständig bei der Rechtschreibung ist nicht der Bund, sondern die Länder.«
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Kommentar von Michael Krutzke, verfaßt am 25.11.2004 um 11.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=143#66
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Das haben Sie aber wieder schön geschrieben, lieber Herr Lachenmann.
Nun, die Ähnlichkeit mit einem alten Fischer und dann noch das Gespött des ganzen Dorfes wäre, was mich betrifft, zuviel der Ehre. Bin ich doch, um mal im Bilde zu bleiben, ein altes, einbeiniges Männchen ohne Angelschein in einer schrägen Hütte am Dorfrand und weitab vom Fluß mit den vielen "Tunfischen", die ich - zu allem Unglück auch noch einäugig und kurzsichtig - nicht mal von einem "Flusskrebs" unterscheiden könnte. Und wenn ich dann mal mit dem verbliebenen Bein aufstampfe, weil der eine oder andere "Miss-Klang" doch noch in mein schwerhöriges Ohr gedrungen ist, weckt das entstehende Nano-Beben nicht mal den alten Köter hinterm kalten Ofen, und kein dicker Fisch wird deswegen einen leckeren Köder an des Profi-Anglers Haken verschmähen. Soviel nur zum Maßstab.
Die beharrliche, erfolgreiche und auch von mir sehr geschätzte Arbeit der FDS wird nicht Schaden nehmen, wenn ein "wackerer Gesinnungsgenosse" wie ich sich hier ein wenig Luft macht und dabei Erfahrungen mit viel wichtigeren Themen und deren Behandlung im Bundestag vor Augen hat. Wenn ich damit dem einen oder anderen Unrecht tue, der unbeirrbar und in gutem Kontakt mit der FDS an der rechten Sache arbeitet, tut mir das natürlich leid. Was allerdings den mutigen Herrn Wulf betrifft, muß ich wohl einiges sehr falsch verstanden haben. Gabriele Ahrens (Initiative "WIR gegen die Rechtschreibreform Niedersachsen") offenbar auch, wenn sie, wie die taz gestern genüßlich meldete, ihrem Landesvater vorwirft, er sei ihrer Initiative in den Rücken gefallen. Womöglich sinkt er ja nicht, sondern taucht nur - verkannt von wortdonnernden Wehklägern - und wird sich dereinst wie U-Boot aus dem Meere wieder über die Wellen erheben, um sich erneut der gerechten Sache zu widmen. Schade ist es dann nur um die vielen WIR-Wasserleichen, die in diesem Stück den Kollateralschaden geben - aber auf solcherart Schäden kann ein Gerechter bekanntlich nicht immer Rücksicht nehmen.
Daß die "Journalisten, die über die Reform genauso kritisch denken wie wir und sich unter ganz anders problematischen Verhältnissen mit ihrer Kritik exponieren als wir alle miteinander" mit den SPIEGEL- und SZ-Verantwortlichen identisch sein sollen, habe ich hier weder gelesen noch gar selbst geschrieben. Wer das Verhalten der Verantwortlichen (!) (dessen spezielle Dialektik sich mir wohl nur nicht erschließt) kritisiert, dürfte den von Ihnen sehr treffend beschriebenen Journalisten und ihrem überaus achtbaren Wirken kaum in den Rücken fallen - im Gegenteil.
Ansonsten warte ich gern auf die Gelegenheit, mich bei all den von mir Geschmähten und Beschimpften an diesem Ort zu entschuldigen. Es gibt nämlich Einschätzungen, von denen ich zutiefst hoffe, sie würden sich als Irrtum herausstellen.
Abschließend - welcher Spatz fühlte sich nicht geehrt, wenn er das Gefühl haben dürfte, eine großkalibrige Kanone habe auf ihn gezielt, und das Donnern des nachfolgenden Abschusses habe auch ihm ein wenig gegolten. Daß der Schuß ihn zwar ein Federchen kostete, aber ansonsten daneben ging, erleichtert ihn mit Blick auf sein Spatzendasein natürlich sehr. Dessen ungeachtet, wünscht er den Kanonieren allzeit trockenes Pulver, damit sie weiterhin all die klug gewählten Ziele erfolgversprechend ins Visier nehmen und diese mit ebenfalls klug gewählter Munition des jeweils angemessenen Kalibers dann auch treffen können.
Herzlich grüßt,
Michael Krutzke
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Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 24.11.2004 um 23.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=143#65
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Es gibt unter uns Reformgegnern immer wieder einige, die dem alten Fischer ähnlich sind, von dem erzählt wird, er sei im ganzen Dorf zum Gespött geworden, weil er nie in seinem ganzen Leben einen ordentlichen Fisch nach Hause gebracht hat, nur immer so kleines Zeugs, von dem er mit Müh und Not sich selbst ernähren konnte. Eines Tages fischte er wieder weit draußen im Meer, ganz allein, denn natürlich wollte niemand mit einem solchen Pechvogel auf Fischfang gehen. Da beißt ein riesiges Exemplar eines – sagen wir mal, weils zum Tema passt – Tunfischs an. Er kriegt ihn schier nicht aus dem Wasser, so schwer ist er. Und er staunt und staunt und staunt, daß ihm das passiert ist. Er hebt ihn auf, wiegt ihn in seinen Armen, wirft ihn ein paarmal hoch und fängt ihn wieder auf. Schließlich wirft er ihn ins Meer zurück und seufzt resigniert: Den glaubt mir ja doch keiner!
Seit Jahren reden wir davon, daß die Rechtschreibreform wieder im Bundestag diskutiert werden müßte, ohne den geringsten Anhaltspunkt für die Hoffnung dafür, daß das je passieren würde. Mit ebenso wenig Aussicht auf Erfüllung unseres Wunsches sehnten wir seit fünf Jahren die Rückkehr »nur einer einzigen weiteren großen Tageszeitung« zur bewährten Rechtschreibung herbei, in der spekulativen Hoffnung, daß dann die Reform gekippt wäre. Daß diesen Wunsch dann sogar die gesamte Springerpresse mit ihren vielen auflagenstarken Publikationen wahrmachen würde, hätte keiner zu träumen gewagt. Die Schriftsteller müßten sich wehren, die Akademien, die Juristen, ein Nobelpreisträger. All dies ist geschehen und hat enorme Wirkungen ausgelöst, und in aller Bescheidenheit darf hinzugefügt werden, daß die Forschungsgruppe Deutsche Sprache bei nicht wenigen dieser Vorkommnisse sehr viel effiziente Antriebs- und Nachhilfeleistung erbracht hat. So wurden gerade auch die jetzt aktiv werdenden Bundestagsabgeordneten, ebenso wie die Abgeordneten der Landesparlamente, vor einigen Monaten mit unserer »Bilanz« erneut auf die mißlungene Rechtschreibreform aufmerksam gemacht und über deren Problematik sachlich, professionell und polemikfrei informiert. Diese beharrliche Informations- und Überzeugungsarbeit hat sich also ganz eindeutig mehr bewährt als alles in die unendlichen Leeren des Cyberspace hinausgeschmetterte pathetische Wehklagen und Wortgedonner mancher wackerer Gesinnungsgenossen über die Unvollkommenheit unserer Demokratie und deren Protagonisten.
Wir können doch nicht einerseits bei den Politikern um Verständnis und Engagement für dieses uns wichtige Anliegen werben und ihnen andererseits jegliche guten Absichten und demokratischen Tugenden absprechen. Wie schwierig es Politiker haben, die ihren eigenen Überzeugungen gegen den gerade vorherrschenden Opportunismustrend Gehör verschaffen und sie durchsetzen wollen, beobachten wir doch immer wieder. Welchen Sinn soll es etwa haben, Herrn Wulff als scheinheiligen Waschlappen zu beschimpfen, weil seine durchaus mutige Initiative an der anders orientierten Mehrheit gescheitert ist? Warum müssen die Parlamentarier, die sich unserer Sache annehmen wollen, schon im vorhinein als laue Dampfplauderer hingestellt werden? Die Forderung nach völliger Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung ließ sich in der CDU-Fraktion offensichtlich nicht durchsetzen. Sollte der Antrag deshalb lieber ganz fallengelassen werden? In dieser uns weniger befriedigenden Form kann er bei den Politikern zumindest das Bewußtsein dafür wachhalten, daß das Thema Rechtschreibreform alles andere als vom Tisch ist! Dann kommt eben noch ein solcher Antrag. Und wissen wir, welche Gründe dazu geführt haben, daß sich diejenigen Journalisten, die über die Reform genauso kritisch denken wie wir und sich unter ganz anders problematischen Verhältnissen mit ihrer Kritik exponieren als wir alle miteinander, in ihren Redaktionen nicht durchsetzen konnten? Und ob sie nicht weiterhin auf dieses Ziel hinarbeiten?
Also: Wir sollten unsere dicken Fische fröhlich nach Hause schippern, sie stolz und selbstbewußt herumzeigen und uns dran freuen. Die andere Seite wird sichtlich neidisch, immer nervöser und ihrer Sache weniger sicher denn je, und nachdem sie die Reformgegner schon für k.o. gehalten und sich ein bißchen ausgeruht hatte auf ihren vermeintlichen Lorbeeren, freut sie sich jetzt schon darüber, wenn sie meint, sie hätte mal wieder »gepunktet«.
Wir werden aber diejenigen, die sich nach ihren Möglichkeiten in der Öffentlichkeit und an den Stellen, wo Entscheidungen beeinflußt werden können, für unser Anliegen einsetzen, gewiß nicht zu motivierten Bundesgenossen gewinnen, wenn wir sie bei nicht sofort eintretendem Erfolg mit Kritik oder gar Schmähungen bedenken, ihnen die guten Absichten oder Fähigkeiten absprechen, nur weil sie gegen dieselben Wände nicht erfolgreicher anrennen, mit denen auch wir es zu tun haben.
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Kommentar von Michael Krutzke, verfaßt am 24.11.2004 um 15.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=143#63
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Was herauskommen wird, läßt sich erahnen:
Im weitgehend entvölkerten Sitzungssaal wird von wenigen zum Thema gesprochen. Ahnenformatige Redner werden - zwar unwissend, aber fest an die Macht ihrer Worte glaubend - nachplappern, was ihnen von den internen und externen Einflüsterern über Akzeptanz, Erfolg, alles beweisende Studien usw. diktiert wurde. Auch wird es heißen, die Forderung nach Einheitlichkeit sei durch den Bund mit der Schweiz und Österreich längst erfüllt, die breite gesellschaftliche Basis der Akzeptanz allein schon durch die parlamentarische Vertretung des Wahlvolkes prinzipiell gegeben. Das Ganze werde bis Ende 2004 auch dokumentiert, somit sei dem Antrag inhaltlich entsprochen, wenn das Hohe Haus die Rechtschreibreform bestätige.
Einige der wenigen kritischen Geister werden sich nach Wulfschem Vorbild gezwungen sehen, - leider, leider! - wegen der Macht des Faktischen, widerstrebend und bedauernd einräumen zu müssen, es könne keine Umkehr mehr geben, die Sache sei gelaufen, internationale Verpflichtungen ..., Verunsicherung der Schüler ..., Kosten usw. Man werde sich persönlich nun auch darauf einstellen und überhaupt seien gerade wichtigere Probleme zu lösen ...
Danach wird das Protokoll vermerken, der Deutsche Bundestag habe der endgültigen Einführung der reformierten Rechtschreibung ab 2005 mehrheitlich zustimmt und die rasche Bildung des allheilenden Rates für Rechtschreibung empfohlen.
Nährwert für die Vernunft? Nicht mal diätisch, eher noch schädlich. Die Reformer werden das als erneute Legitimierung ihres Werkes mit höchsten Weihen verkaufen und vielleicht neben dem netten Regelwerk-Beiwort „amtlich“ noch weiteren „Zier-Rat“ (*) auf ihren Wörterbüchern plazieren: „regierungsamtlich“, „Vom Bundestag beschlossen“ oder ähnliches.
Nun, alle Hoffnungen zu begraben, bin ich noch nicht bereit. Viel hängt sicher davon ab, wie sich die Medien verhalten, die den Unsinn nicht (mehr) mitmachen. Und Herrn Jochems Appell an die Charakterfestigkeit der Schreiber (und derer, die es besser wissen) sollte den SPIEGEL- und SZ-Verantwortlichen im Ohr klingen, die im Sommer mit viel Tamtam als Tiger lossprangen, um dann jämmerlich als re-reformierte Bettvorleger zu landen.
(*) In Übereinstimmung mit der dem Rat für Rechtschreibung kultusministeriellerseits zugedachten Rolle würde dieser Name doch viel besser passen.
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Kommentar von Helmut Jochems, verfaßt am 23.11.2004 um 23.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=143#60
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Wat wull Ji nu eentlich
Bei der Lektüre des CDU-Antrags zur Rechtschreibreform fällt einem das burleske Ende der Lübecker Revolution von 1848 in Thomas Manns Buddenbrooks ein:
»Smolt, wat wull Ji nu eentlich! Nu seggen Sei dat mal!«
»Je, Herr Kunsel, ick segg man bloß: wi wull nu 'ne Republike, segg ick man bloß ...«
»Öwer du Döskopp ... Ji heww ja schon een!«
»Je, Herr Kunsel, denn wull wi noch een.«
Die Antwort von Konsul KMK an Corl Smolt-CDU wird ähnlich lauten wie bei Thomas Mann. Der neue Antrag ist von ähnlicher Güte wie alles, was bisher von seiten der CDU in dieser leidigen Angelegenheit zu hören war. Wir wollen nicht ungerecht sein. Jedes Volk hat die Politiker, die es verdient.
Welchen Sinn hat es, den überfraktionellen Antrag von 1998 zu zitieren, wenn doch jedermann weiß, daß er absolut folgenlos geblieben ist. "Die Sprache gehört dem Volk" - schönes Geschwätz, wie schon das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat. Wie vor dem 22. November gab es auch 1998 einen eindeutigen Antrag, der auf CDU-Betreiben "entschärft" werden mußte. Angeblich hatte Herr Wernstedt als KMK-Präsident dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Schäuble in die Hand versprochen, bis 2005 werde alles zurückgenommen, wenn man nur den Kultusministern am 1. August 1998 die Blamage erspare. Bis jetzt hat man von Zurücknehmen nicht viel gesehen, im Gegenteil. Volker Rühe sah schon bald die couragierten Schleswig-Holsteiner mit ihrem erfolgreichen Volksentscheid auf dem "Wege nach Absurdistan", und seitdem sind Vernunftappelle an der Dickfelligkeit der Allparteienkoalition in Bund und Ländern abgeprallt. Das soll jetzt anders werden? Lächerlich.
Was will der Antrag denn überhaupt erreichen? Eine "klare Entscheidung über eine verbindliche Rechtschreibung auf allen staatlichen Ebenen" gibt es seit 1995 - bewußt ohne "gesellschaftliche Akzeptanz" und "breite gesellschaftliche Basis". Um "Klärung" geht es den Antragstellern ohnehin nicht, nur um "schnellstmögliche Schadensbegrenzung", wobei "die Entscheidungen der letzten Jahre nicht unberücksichtigt bleiben können." Smolt, wat wull Ji nu eentlich?
Wenn der Bundestag sich tatsächlich Anfang Dezember lustlos mit dem CDU-Antrag beschäftigen sollte, kann man vermutlich den FDP-Antrag vergessen. Lohnt es sich aber überhaupt, darüber traurig zu sein? "Läßt sich eine vollständige Rücknahme der Reform nicht erreichen, muß die Konzeption und Zusammensetzung des 'Rates für deutsche Rechtschreibung' grundlegend verändert weder. Eine neuzuschaffende nichtstaatliche Instanz soll zukünftig die Entwicklung der deutschen Sprache beobachten und Veränderungen deskriptiv festhalten." Kurz vorher hatte es geheißen: "Eine völlige Rücknahme der überflüssigen und inhaltlich verfehlten Rechtschreibreform ist aus den dargelegten Gründen unumgänglich." Dies entspricht der gedanklichen Höhenlage der GEW-Argumentation, die die überlegene Logik der Rechtschreibreform preist.
In Frankreich ist Anfang der neunziger Jahre eine Rechtschreibreform daran gescheitert, daß sie niemand auch nur zur Kenntnis nahm. In den angelsächsischen Ländern würde es im übrigen niemandem einfallen, einen solchen Unfug auch nur anzudenken. Bei uns besteht in dieser Hinsicht offenbar Nachholbedarf. Vielleicht ist noch nicht alle Hoffnung verloren. Jeder einzelne, der charakterfest die übliche Rechtschreibung praktiziert, leistet seinen Beitrag zur politischen Hygiene in "diesem unserem Lande".
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Kommentar von F.A.Z., verfaßt am 23.11.2004 um 18.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=143#57
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»Bundestag berät über Rechtschreibreform
ban. BERLIN, 23. November. Der Bundestag wird sich voraussichtlich am 3. Dezember mit der Rechtschreibung befassen. Die CDU/CSU-Fraktion brachte dafür nun einen Antrag ein, in dem nicht die Rückkehr zur alten Schreibweise verlangt wurde. Es hieß, diese Forderung sei in der Fraktion nicht durchzusetzen gewesen. Selbst ein Appell an die Bundesregierung, entsprechende Schritte einzuleiten, wurde mit Rücksicht auf die Zuständigkeit der Bundesländer vermieden. So wird in dem Antrag die Kultusministerkonferenz aufgefordert, dafür zu sorgen, daß der "unbefriedigende und verunsichernde Zustand durch eine klare Entscheidung über eine verbindliche Rechtschreibung auf allen staatlichen Ebenen beendet wird". Die Rechtschreibung müsse "auf eine breite gesellschaftliche Basis" gestellt werden. Darüber hinaus liegt dem Bundestag ein - von Abgeordneten aller Fraktionen eingebrachter - Gruppenantrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, sich bei den Ministerpräsidenten und Kultusministern für die Rückkehr zur alten Schreibweise einzusetzen. Der Antrag wurde vom FDP-Abgeordneten Hans-Joachim Otto vorbereitet und ist von vielen anderen FDP-Abgeordneten (darunter der Parteivorsitzende Westerwelle, der Fraktionsvorsitzende Gerhardt sowie Bundestagsvizepräsident Solms) unterschrieben. Von den Grünen unterzeichneten ihn die Parlamentarische Staatssekretärin Uschi Eid und der Abgeordnete Winkler, von der SPD bisher nur die Abgeordnete Jelena Hoffmann. Von der CDU haben einige Abgeordnete (Vera Lengsfeld, Erika Steinbach) beide Anträge unterschrieben. Otto sagte jetzt entsprechend, die Gegner der Rechtschreibreform dürften sich nicht zersplittern, sondern sollten zusammenwirken. "Ich will eine Bündelung der Kräfte." Der CDU/CSU-Antrag ist nach neuer, der Gruppenantrag nach alter Rechtschreibung geschrieben.«
( Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.11.2004, Nr. 275 / Seite 2 )
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