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29.10.2004
 

Die Verlegenheit wächst
Erklärungsnot in der Schweiz

»Ich kann Ihnen mitteilen, dass die Reform der Rechtschreibung gerade unter dem Gesichtspunkt der damit verbundenen Kostenfolgen auch bei mir als Finanzdirektor auf erhebliche Skepsis stösst.«

Der Finanzdirektor eines großen Schweizer Kantons muß es wissen. Allein: was soll er tun?

»Dennoch und bei allem Verständnis für Ihre Argumente sind die Möglichkeiten der Einflussnahme des Kantons äusserst minim, und ich kann Ihnen deshalb einzig (aber immerhin) versichern, dass ich die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen und mich dafür einsetzen werde, dass die Umsetzungsmassnahmen der Reform mit möglichst geringen Kostenfolgen verbunden sein werden.«

– In der Schweiz wird die Situation als zunehmend peinlich empfunden. Die Verlegenheit wächst. Der Finanzdirektor ist einer von 2800 Adressaten aus Politik und Bildung, die im Oktober Post bekommen haben: die neuesten Mitteilungen [pdf-Datei] vom Sprachkreis Deutsch in Bern. Und dazu das folgende Begleitschreiben:

»Reform der Rechtschreibung

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ende August ist der neueste Duden erschienen; es handelt sich bereits um den dritten seit Beginn der Reform im Jahre 1996. Die neueste Fassung des Regelwerks bietet z. B. im Bereich des Getrennt- und Zusammenschreibens eine grundsätzlich andere Sicht der Dinge. In unüberschaubar vielen Fällen ist plötzlich das wieder möglich, was bisher als „alte Schreibung“ ausgeschlossen war. Da aber die längst bekannten Fehler des Regelwerks nicht grundsätzlich angegangen und berichtigt werden, ist in absehbarer Zeit eine weitere Überarbeitung zu erwarten.

Was soll man davon halten, dass Fachleute 1996 eine ganze Sprachgemeinschaft auf bisher unübliche, neue Schreibweisen verpflichten wollen und acht Jahre später in Hunderten von Fällen die alten wieder zulassen?

Für unsere Ämter und Behörden bedeutet das hohe Kosten. Sie müssen nach 1996 und 2000 bereits die dritte Wörterbuchgeneration kaufen. Der „Leitfaden“ unserer Bundeskanzlei muss überarbeitet werden. Es müssen neue Umschulungskurse stattfinden.

Für die Schulen ist der Schaden noch grösser. In ihnen werden zur Zeit zwei Duden verwendet, die sich in Kernpunkten widersprechen; schon das ist eine Unmöglichkeit. Der dritte Reform-Duden führt nun dazu, dass auch ganz neue Schulbücher überarbeitet werden müssen. Die Lehrkräfte, die den Schülern bisher beigebracht haben, dass „Es tut mir leid“ alte Rechtschreibung und falsch sei, müssen nun weitergeben, dass es wieder richtig sei.

Korrigieren lässt sich nach der neuen Rechtschreibung nicht mehr. Auch dort, wo der neueste Duden die reformierten Schreibweisen beibehalten hat, ist das nicht möglich. Man kann einem Schüler nicht verbieten, statt „behände“ „behende“ zu schreiben, wie er es in der NZZ liest.

Hier wird öffentliches Geld verschwendet; es lässt sich unschwer ausrechnen, dass es um Millionenbeträge geht. Verspielt wird aber auch das Vertrauen in unsere Schulen und staatlichen Einrichtungen.

Das Regelwerk von 1996 hat sich als weitgehend untauglich erwiesen. Der Weg der Reform darf nicht weitergegangen werden.

Unabhängige Fachleute, das heisst solche, die nicht an der Ausarbeitung des Regelwerks beteiligt waren und die keine geschäftlichen Beziehungen zu Wörterbuchverlagen unterhalten, müssen das Regelwerk begutachten und überarbeiten. Dazu ist ein Moratorium nötig.

Wir bitten um Aufmerksamkeit für die beiliegenden Mitteilungen. Es ist jetzt Zeit zu handeln.

Mit freundlichen Grüssen,

Arbeitskreis Orthographie, Stefan Stirnemann
Sprachkreis Deutsch, Peter Zbinden«


Link: http://www.sprachkreis-deutsch.ch/


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