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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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04.10.2008
 

Synonymie
Irreführende Definition im Duden

"Der Ausdruck Synonym entstammt dem Griechischen und enthält die Bestandteile syn (= zusammen) und ónoma (= Name). In einem landläufigen Sinne handelt es sich bei Synonymen demnach um Gleichnamige, um Wörter, die dieselbe Bedeutung tragen."

Das schreibt der Germanist Andreas Gardt in: Duden – Das Synonymwörterbuch, 3. Aufl. Mannheim 2004.

Aber "gleichnamig" wäre = homonym. Vgl.:
gleich|na|mig : a) den gleichen Namen tragend: ein Film nach dem -en Roman von... (DUW)

Gardt weiter: "In einem seiner Spätdialoge definiert der griechische Philosoph Platon die Sprache als »belehrendes Werkzeug«, mit dem man »das Wesen der Dinge« unterscheidet. Die Welt tritt dem Menschen als amorphe Masse von Erscheinungen gegenüber, und mittels der Sprache gliedert er sie, indem er ihre Gegebenheiten mit Bezeichnungen belegt und Aussagen über sie formuliert."

Das ist aber nicht Platons Ansicht, sondern Saussure oder Weisgerber. Nach Platon haben die Dinge ihr festes Wesen; die Sprache dient nur dazu, die Unterschiede für andere Menschen deutlich zu machen, sie ist Mitteilungsinstrument, nicht Erkenntnismittel.



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Kommentare zu »Synonymie«
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 09.03.2024 um 14.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52928

Wobei »perspektivisch«, anders als »Perspektive«, nicht vorwiegend positiv assoziiert wird. Wenn beispielsweise ein Politiker oder Verbandsvertreter sagt, daß irgendeine Regelung perspektisch ausläuft, weiß man nicht, ob er das gut oder schlecht findet oder nur neutral feststellt.

Der Paritätische Gesamtverband ist in großer Sorge, dass insbesondere mit den vorgeschlagenen Änderungen zum sicheren Drittstaaten-Konzept der Zugang zum individuellen Asylrecht in Europa perspektivisch abgeschafft werden soll. (der-paritaetische.de, 16.04.18)

Perspektivisch verschlechtert sich die Einnahmebasis der Zeitungs- und Zeitschriftenhäuser durch sinkende Auflagenzahlen, eine Überalterung der Leserschaft und Rückgänge bei den Anzeigeerlösen. Das erhöht den Kostendruck und verschlechtert die Arbeitsbedingungen auch der Journalistinnen und Journalisten. (verdi.de, 21.10.09)

Reduziert haben sich laut Vereins-Bilanz in diesem Jahr die Stromspar-Checks, die perspektivisch auch auslaufen könnten, sagte die RUZ-Mitarbeiterin, „das liegt daran, weil es zur Zeit so wenig Arbeitslose gibt. Die wurden früher dann als Ein-Euro-Kraft vom Arbeitsamt zu uns geschickt und fehlen nun“. (kreiszeitung.de, 19.12.19)

Da der ehemalige Vorstandssprecher davon ausgeht, dass das niedrige Zinsniveau perspektivisch unverändert bleibt, müsse die Bank neue Geschäfts- und Ertragsfelder erschließen. (schwaebische.de, 17.01.18)

Der SPD-Hochschulpolitiker Lutz Liebscher: „Ich bin überzeugt: Exzellente Forschung und Lehre brauchen exzellente Standortbedingungen. Mit dem Hochschulbauplan 2030 kann die Attraktivität des Studien- und Forschungsstandortes Thüringen nicht nur auf gutem Niveau gehalten werden, sondern wird perspektivisch gesteigert. (spd-thl.de, 06.05.22)

Die Planung wurde mit der Inklusionsbeauftragen (!) und dem Behindertenbeirat abgestimmt. Das Blindenleitsystem aus der Fußgängerzone wird im Rahmen der Planung ergänzt. Perspektivisch wird die Entwässerungsrinne parallel zur Fahrbahn als Blindenleitlinie über den Weinmarkt dienen. […]
Mit der Umgestaltung der Platzfläche wird die Verweil- und Aufenthaltsdauer und auch die Frequenz am Weinmarkt perspektivisch gesteigert werden. Dies wird unter anderem den Gastronomiebetrieben zugutekommen und sich positiv auf die Geschäftslagen auswirken.
(https://bauwesen.memmingen.de/zukunft-altstadt/bauliche-massnahmen.html)

Des Weiteren wird die Geltungsdauer der Einzelfahrscheine auf einen Tag verlängert. Ein sofortiger Fahrtantritt, da das Ticket sonst nach einer Stunde ihre Gültigkeit verlieren würde, ist daher nicht mehr von Nöten. Hinzu werden ab August neue Tageskarten für ein und vier Waben eingeführt. Auch die Bepreisung der KVV.luftlinie soll perspektivisch optimiert werden. (regenbogen.de, 14.03.22)

In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und Grünen von 2022 (https://www.cdu-nrw.de/sites/www.neu.cdu-nrw.de/files/zukunftsvertrag_cdu-grune.pdf) kommt das Wort gleich fünfmal vor:

Unser Ziel ist es, den Flächenverbrauch zeitnah auf 5 Hektar pro Tag und perspektivisch auch weitergehend durch konkrete Maßnahmen zu reduzieren. (S. 44; früher hätte man hier vermutlich »kurzfristig« und »längerfristig« geschrieben.)
Gemeinsam mit unseren Bemühungen um die Förderung des Einsatzes alternativer Baustoffe ermöglichen wir so einen verbindlichen Degressionspfad und perspektivisch einen Ausstieg aus der Kies- und Kiessandgewinnung in den besonders betroffenen Regionen. (S. 45)
Wir wollen, dass perspektivisch alle weiterführenden Schulen das Projekt „Medienscouts NRW“ der Landesmedienanstalt NRW nutzen. (S. 59)
Wir unterstützen den Aufbau islamischer Studiengänge an Universitäten und werden den Ausbau der islamischen Theologie zur Fakultät an der Universität Münster fördern. Perspektivisch brauchen wir einen zweiten Standort in Nordrhein-Westfalen. (S.63)
Gründen muss für Frauen genauso selbstverständlich sein wie für Männer. Perspektivisch sollte die Start-up- und Gründungszene die Vielfalt der Gesellschaft abbilden. (S. 72)

Das Wort wirkt zwar wichtigtuerisch, ist aber ungemein praktisch, weil es jegliche Festlegung vermeidet, als Fremdwort aber den Anschein der Konkretheit erweckt. Deshalb ist es im Polit- und Funktionärsjargon inzwischen fest verankert. »Auf längere Sicht« würde es oft genauso tun, klingt aber zu sehr nach langer Bank. Gegen »mittelfristig« spricht, daß es in manchen Kontexten als Fachbegriff einen konkreten Zeitraum bezeichnet, so in der öffentlichen Finanzplanung ein bis fünf Jahre. Oft bedeutet »perspektisch« einfach nur »irgendwann«, aber das scheidet aus naheliegenden Gründen sowieso aus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.03.2024 um 04.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52924

„Türkischer Präsident Erdogan kündigt perspektivischen Rückzug an“ (Tagesspiegel 8.3.24)
Dieser eigentümliche Gebrauch von „perspektivisch“ ist erst wenige Jahre üblich. Gemeint ist „geplant“, „auf längere Sicht“ oder „eröffnet Aussicht auf Rückzug“.

Der Gebrauch ist so inflationär wie bei "proaktiv".
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 05.03.2024 um 09.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52901

Im Wikipedia-Eintrag stand bis gestern im Vorspann zur Inhaltsangabe noch »gestopft«, das ist inzwischen in »gesteckt« geändert worden. In der ausführlichen Beschreibung der Geschichte von den schwarzen Buben stand und steht »getaucht«. Vielleicht konnte sich der Autor nicht vorstellen, daß man ein ganzes Kind ohne zu pressen in ein Tintenfaß bekommt. Man muß aber bedenken, daß es sich um ein seeehr großes Faß handelt, siehe auch das Bild zum Text der Erstausgabe: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/25/Lustige_Geschichten_und_drollige_Bilder_f%C3%BCr_Kinder_von_3_bis_6_Jahren_09.jpg.

Wäre das Gefäß kleiner, könnte man durchaus sagen, daß ein Kind hineingestopft wird, aber dann müßte meines Erachtens zwingend dazugesagt werden, daß es danach wieder herausgezogen wird, denn sonst könnte man meinen, die Strafe bestünde darin, das Kind so in das Faß einzuzwängen, dass es nicht aus eigener Kraft wieder herauskommt, es soll im Faß verbleiben. Beim Tunken oder Tauchen dagegen steht der wahre Zweck der Handlung im Vordergrund, nämlich das Tränken mit der Tinte, da ist das Herausziehen sozusagen schon mit eingepreist. Doch selbst wenn erst gestopft und dann wieder herausgezogen würde – schon nach dem ersten Kind wäre wohl kaum noch Tinte im Faß, denn die Tinte würde, abgesehen von dem Teil, der das Kind und seine Kleidung einnäßt, beim Stopfen fast vollständig herausgedrängt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2024 um 04.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52899

Zu Herrn Riemers Vorschlag: Jede Sprache wimmelt von Zitaten und Anspielungen, sozusagen Fertig- und Halbfertigprodukten, deren Urheber oft vergessen ist und die auch Archaismen, Dialektales und andere Querschläger weitertragen, mit denen eine systematische Linguistik ihre Mühe hätte, wenn sie diese historische Tiefe, das Flickenteppichhafte, nicht berücksichtigte.

Die Bedeutung eines Autors in diesem Sinn würde ich nach dem Raum bewerten, den er im "Büchmann" einnimmt, auch nach der Häufigkeit der Anspielungen und Abwandlungen in der Alltags- und Zeitungssprache. Die bloße Bekanntheit einzelner Texte genügt da nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2024 um 04.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52898

Unsere Ehren wehren sich entschieden gegen Herrn Schaefers Einspruch! Erstens habe ich nicht gesagt, daß das Tintenfaß gestopft wird. Der Stopfen wird in der Tat, wie Sie sagen, mit leichtem Druck in einer Verengung gepreßt. Wenn man die Flasche als Objekt wählt, spricht man von Zustopfen, da haben Sie recht, und der Unterschied zur Gans ist, daß man zwar eine gestopfte Gans, aber keine gestopfte Flasche erzielen will. (Wir haben das u. a. an "füllen/verfüllen" diskutiert.)

Aber nun zur Hauptsache: Die bösen Buben werden nicht mit leichtem Druck in ein Tintenfaß gestopft, sondern hineingetaucht und wieder herausgezogen wie Pommes ins Ketchup. Fachsprachlich könnte man auch sagen, sie werden "getaucht", aber nie und nimmer gestopft.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.03.2024 um 01.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52897

Es sind wohl vor allem Dichter.
Vielleicht könnte man auch Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Joseph Mohr dazurechnen?
Evtl. auch Theodor Fontane?
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 05.03.2024 um 01.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52896

Einspruch, Euer Ehren!

Man kann sich etwas in die Tasche(n) stopfen oder auch die Taschen vollstopfen. Von Texten kann man sagen, sie seien vollgestopft mit was auch immer. Auch Gänse werden gestopft, und bei manchen Musikinstrumenten wird das Stopfen mit der Hand zur Modulation der Tonhöhe verwendet. In all diesen Fällen geht es wörtlich oder metaphorisch darum, daß ein begrenzter Raum von außen mit einem gewissen Druck (in der Regel mit der Hand) gefüllt wird, sofern diese Füllung nicht flüssig oder gasförmig ist.

Wenn der Stopfen aufs Tintenfaß oder die Flasche kommt, wird das Gefäß zugestopft, aber eher nicht gestopft.

Im Falle des Struwwelpeter wird also gestopft und beinahe gleichzeitig getunkt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.03.2024 um 07.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52894

„Die Kinder, die einen schwarzen Mann verspotten, werden in ein riesiges Tintenfass gestopft und noch viel schwärzer eingefärbt.“ (Wikipedia über Struwwelpeter)
Gestopft? Getunkt! Der Stopfen kommt oben aufs Tintenfaß.

Wenn ich überlege, welche Autoren durch Zitate zu Bestandteilen der deutschen Sprache geworden sind, fallen mir ein:

Luther
Goethe
Schiller (wegen Schullektüre)
Wilhem Busch
Heinrich Hoffmann
Shakespeare (via Schlegel/Tieck)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.02.2024 um 05.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52737

"Der Bau der geplanten 18 Windräder ist bereits genehmigt, Rodungen wurde aber wegen des Vorkommens der streng geschützten Haselmaus zwischenzeitlich an 11 von 18 Standorten gestoppt. Versuche, die dortigen Haselmäuse mittels extra aufgestellter Quartiere zum Umzug in das Umfeld des Windparks zu bewegen, überzeugten bisher nur einen Teil der Mäuse." (hessenschau.de)

Nett gesagt, aber die Haselmäuse sind keine Mäuse, auch wenn sie so aussehen.

Die Meldung verdeutlicht übrigens die neue Wertordnung: Eine geschützte Art darf unter keinen Umständen beeinträchtigt werden, während das Gemeinwohl verhandelbar und im Zweifel zurückzustellen ist. Ich finde das, obwohl grün im Herzen, ziemlich bedenklich und erinnere auch immer wieder daran, daß Regenwürmer wichtiger sind als z. B. die Eisbären, die es gerade wieder zum "Naturfoto des Jahres" gebracht haben. Ganz zu schweigen von den unzähligen Kleinlebewesen in jeder Handvoll Erde, um die sich fast niemand kümmert (Glyphosat usw.).
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 09.02.2024 um 00.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52732

Der intensivierende Gebrauch von »mehr als« scheint mir derart verbreitet zu sein, daß Ihre Frage, ob man das so sagen könne, wohl zu bejahen ist. Ich selbst hätte wahrscheinlich eher »äußerst/ausgesprochen/extrem gering« gesagt, aber das eine ist so geläufig wie das andere. Die Formulierung »kleiner als gering« mag »logischer« sein, aber ich empfinde sie als relativ auffällig, jedenfalls auffälliger denn »mehr als gering«, und fürchte deshalb, daß sie die Zuhörer erst recht dazu verleiten könnte, die Wendung mathematisch aufzulösen, statt sie spontan richtig zu verstehen, was die meisten vermutlich tun. Denken Sie an ähnliche Fälle wie »Die Inflation geht zunehmend zurück«. Hier bezieht sich »zunehmend« grammatisch auf den Rückgang der Inflation, nicht auf die Inflation selbst: die Inflationsrate sinkt immer weiter, sie steigt nicht. An der Formulierung ist eigentlich nichts auszusetzen, abgesehen vielleicht davon, daß sich der Rückgang hier nicht als Prozeß intensiviert, sich also nicht beschleunigt (z. B. 10, 9, 7, 4 … Prozent Inflation), sondern erst mal nur absolut (z. B. 10, 9, 8, 7 … Prozent Inflation). Die Grenze zur Stilblüte ist freilich rasch überschritten, man sollte in solchen Dingen aber auch nicht zu streng sein (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=328#25685).

Übrigens stolpere auch ich gelegentlich über dieses »mehr als«, aber aus einem etwas anderen Grund. Wenn es etwa heißt, jemand sei »mehr als enttäuscht« über irgend etwas, frage ich mich, ob es sich bei diesem Mehr um eine graduelle oder eine qualitative Steigerung handelt. Der Unterschied zwischen Enttäuschung und großer Enttäuschung ist graduell, der zwischen Enttäuschung und Verzweiflung oder Resignation qualitativ (große Enttäuschung ist immer noch Enttäuschung und so gesehen nicht mehr als Enttäuschung, sondern allenfalls mehr als durchschnittliche Enttäuschung). Ich ärgere mich dann darüber, daß der Autor nicht genauer sagen kann oder will, was er meint, und mich mit einer Andeutung abspeist. Andererseits sehe ich ein, daß ein so hohes Maß an Präzision oft gar nicht nötig ist.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.02.2024 um 20.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52731

Heutige Tagesschau über Nadeschdins Versuch, bei den russischen Präsidentschaftswahlen zu kandidieren:

Die Wahl ist in fünf Wochen, seine Chance auf Zulassung mehr als gering.

Gemeint ist, daß seine Chance so gut wie null bzw. noch geringer sei, als daß man sie einfach "gering" nennen könnte. Kann man das so sagen? Ich denke eher, "weniger/kleiner als gering".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.02.2024 um 18.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52729

Manche Wörter waren mir in meiner Kindheit geläufig, aber danach (in anderen Wohngegenden) habe ich sie nie wieder gehört. Wenn ich heute jemanden treffe, der aus der alten Heimat stammt und zum Beispiel von "Teilchen" spricht (süßes Gebäck, kleiner als Kuchen, aber größer als Plätzchen), beschwört er eine ganze seit 65 Jahren versunkene Welt herauf.

Komisch wiederum finde ich es, wenn jemand "das Teil" auf Gegenstände anwendet, die ich nie und nimmer so nennen würde, z. B. eine Lokomotive. Hermann Unterstöger hat dieses "Teil" auch mal glossiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2024 um 05.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52664

Ich versuche mal eine Annäherung:

„Erinnerst du dich an die doch so schöne Hochzeit der beiden?“
= Was immer seither passiert ist/was immer man dagegen sagen kann – die Hochzeit war schön.

„Erinnerst du dich an die ach so schöne Hochzeit der beiden?“
= Manche fanden die Hochzeit wunderbar, obwohl der Wurm drin war. (Der Jubel wird mit dem Ausruf ironisch nachgeahmt.)

(Der satzwertige Ausruf "Ach so!" hat damit nicht viel zu tun. Ich habe ihn neben "Ach ja!" schon mal besprochen.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.01.2024 um 22.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52663

Nicht ganz zum letzten Thema, aber da wir gerade bei "ach so" sind:

In einer Unterhaltung mit einer Japanerin, natürlich auf englisch, rutschte mir ein paarmal das deutsche "ach so" dazwischen, als Ausdruck der Überraschung oder zur Kommentierung eines eigenen Irrtums. Irgendwann sagte sie es mir, und zwar sagte sie, sie verstünde mein "ach so" sehr gut, denn auf japanisch klinge es genauso und habe auch genau die gleiche Bedeutung. Auf meine Bitte hat sie mir dann noch die beiden japanischen Zeichen dazu aufgeschrieben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.01.2024 um 16.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52662

Auch mein letztes Beispiel mit "doch so" gehört wahrscheinlich nicht hierher. Danke für den Hinweis!
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 25.01.2024 um 12.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52661

Die Variante "ach so" scheint mir nicht an Wissen oder Urteilsvermögen des Hörers zu appellieren, kann auch nicht wegbleiben, ohne den Sinn ins Gegenteil zu verkehren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2024 um 12.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52655

„Es ist erstaunlich, dass die Schutzwürdigkeit des Embryos in den meisten Ländern so ganz anders eingeschätzt wird als in Deutschland.“ (Christiane Nüsslein-Volhard: Wie das Leben entsteht. München 2004:190)

Dieses „so“ ist schwer zu erklären. Meiner Vermutung nach ist es ein Deiktikon der zweiten Person, es verweist autoklitisch auf die Sphäre des Hörers und appelliert an dessen Wissen oder Urteilsvermögen. Es kann immer wegbleiben, aber damit fehlt eine gewisse Verbindlichkeit, die stets durch Einbeziehung der Person entsteht. (Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#44204)

Ich habe früher viel dazu gesammelt, hier noch einige Beispiele:

„(Knigge) kann 1773 Henriette von Baumbach heiraten, die ihm im Folgejahr die geliebte und später so unsäglich herumkommandierte Tochter Philippine schenkt.“ (SZ 4.5.96)

„(Knigge) gerät in die Nähe der so verheißungsvollen Freimaurerei.“ (SZ 4.5.96)

„Gerade diese komplizierte und den wechselnden Umständen sich anpassende Verhaltungsweise ist es ja, die dem Instinkt das so überaus Rätselhafte gibt; denn hierdurch gewinnt die Instinkthandlung eine so große Ähnlichkeit mit der bewußten Willenshandlung des höher entwickelten Menschen.“ (William Stern: Psychologie der frühen Kindheit. Darmstadt 1971:47)

„Insbesondere vermochte Hitler mit seiner Regierungserklärung vom 23. März 1933 die christlichen Wähler von dem doch so guten Willen der Nazis zu überzeugen, fortan nicht gegen, sondern mit dem Christentum den neuen Staat aufzubauen.“ (Denzler/Fabricius: Die Kirchen im Dritten Reich. Bd. 1. Frankfurt 1984:15)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.12.2023 um 12.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52472

Ich hätte es kürzer sagen können:
Nur glauben bedeutet Fürwahrhalten, wissen bezieht sich immer auf wahr sein. Wer sich irrt, wußte nicht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.12.2023 um 12.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52471

Jeder kann glauben, was er will, glauben ist privat, subjektiv, ein anderer kann nicht wissen, was jemand glaubt, außer derjenige bekennt es, bekennt sich dazu. Deswegen gibt es Glaubensbekenntnisse. Glauben kann und braucht nicht verifiziert zu werden.

An Glauben kann man nicht zweifeln, weil er eben subjektiv ist, weil er sowieso vom Typ Zweifel bzw. Unbestimmtheit ist. Vermeintlichen (irrtümlichen) Glauben gibt es nicht. Wer meint zu glauben, der glaubt halt (bis er ggf. nicht mehr glaubt).

Wissen ist dagegen objektiv, man kann nur wissen, was ist, was verifiziert (überprüft) ist, oder was man mit den eigenen Sinnen zweifelsfrei erfahren hat. Wissen ist eindeutig, man kann es sich nicht aussuchen, sondern nur das Eindeutige wissen, was wahr ist. Es ergibt keinen Sinn, sich zu etwas zu bekennen, was sowieso nicht anders sein kann.

Wissen hängt von keiner/keinem (subjektiven) Bekenntnis ab. Es könnte höchstens vermeintliches Wissen auf Irrtum beruhen, aber dann wäre es eben auch kein Wissen. Genau darum ist Zweifel am Wissen möglich. Es bedeutet nicht, daß Wissen weniger eindeutig und klar ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.12.2023 um 09.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52470

Soweit wissen und glauben beide ein Fürwahrhalten bedeuten, sind sie synonymisch zu differenzieren. Gewöhlich liest man, Wissen sei sicherer als Glaube, sozusagen "glauben plus Gewißheit", aber es ist gerade umgekehrt: Wissen ist immer unsicher, revidierbar, Glaube nicht. Darum ist wissen ein faktives Verb und kann wie zweifeln mit ob verbunden werden, glauben nur mit daß. Es gibt Glaubensbekenntnisse, aber keine Wissensbekenntnisse. Warum eigentlich nicht?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.12.2023 um 05.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52454

Zum Begriff des Autoklitischen:

Schließlich wird nicht mehr dazu verwendet, die Redegegenstände zu ordnen ("als Letztes"), sondern nur noch (autoklitisch) zur Ordnung der Rede darüber ("um das Thema abzuschließen"). Im Englischen wird der Unterschied von finally und eventually diskutiert, der für Deutsche besonders schwer zu fassen ist, nicht nur wegen des naheliegenden Fehlers der „falschen Freunde“ (eventuell). Die englischen Wörter sind, wie für Synonyme typisch, in vielen Fällen austauschbar, aber in einigen eben auch nicht. Collins erfaßt die autoklitische (redebezogene) Verwendung durch den letzten Absatz:

„You can also use finally to introduce a final point, ask a final question, or mention a final item.
Finally, Carol, can you tell us why you want this job?
Combine the flour and the cheese, and finally, add the milk.

Don’t use ´eventually´ with this meaning.“
(https://grammar.collinsdictionary.com/de/verwendung-von-englisch/what-is-the-difference-between-eventually-and-finally)

Vgl. Hat er es nun/jetzt getan oder nicht?
In Fragen lenkt nun/jetzt nach einer Abschweifung zum Thema zurück. Die Adverbien gehören zur Gesprächssituation (Ordnung der Rede) und nicht zum Gegenstandsbereich. Sie sind unbetont und nicht negierbar. Ebenso: Wie heißt das noch mal? Das bedeutet ja nicht daß es ein zweitesmal so heißt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.12.2023 um 04.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52452

Kinder gehen ins Bett, Erwachsene gehen zu Bett. Das ist aber nur eine Tendenz, beides ist weitgehend austauschbar. Ein Leser meint mit Recht, „zu Bett“ sei etwas altmodisch. Feine Leute gehen zu Bett und setzen sich zu Tisch. Das klingt abstrakter. „Ins Bett“ hat was kolossal Anschauliches (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1437#23315), allzu Intimes (wie „Unterhose“).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.11.2023 um 07.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52297

"Skilangläufer friert Penis bei Weltcup-Rennen ein"

So noch mehrmals im Text. Nachdem wir uns ausgelacht haben, hoffentlich ohne uns einzunässen, überlegen wir mal kurz, ob die Partikel hier am Platz war. Von einem Gerät sagt man, es sei eingefroren, wenn es seine Funktion wegen des Frostes nicht mehr erfüllen kann. Beim Skilaufen ist das aber, was den Penis betrifft, ohnehin schwierig. Das hat auch der leidgeprüfte Mann so verstanden, denn er weist mit Genugtuung darauf hin, daß er schon zwei Kinder hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2023 um 08.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#52011

Rechthaberei soll bedeuten „die Tatsache, dass jemand Recht hat“ (Norbert R. Wolf in: Jürgen Dittmann/Claudia Schmidt, Hg.: Über Wörter. Grundkurs Linguistik. Freiburg 2002:68

So wird schon Anfängern zu verstehen gegeben, daß es in der Sprachwissenschaft nicht so darauf ankommt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.10.2023 um 03.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51951

Sie haben eine musterhafte synonymische Studie geliefert. Ich empfinde es ebenso. Die beiden Begriff liegen zweifellos nahe beieinander und sind oft austauschbar (was sich an Texten zeigen läßt, die das im Sinne einer stilistischen Wiederholungsvermeidung tatsächlich tun), überlappen sich also, und dann gibt es den Bereich der Nichtüberlappung, den man aufsuchen muß, wenn man distinktive Synonymik treibt.
In diesem Fall könnte man Angriff als Oberbegriff definieren: Jeder Anschlag ist ein Angriff, aber nicht umgekehrt. Ins Wörterbuch gehört beides, der Unterschied und die Neutralisierbarkeit. Es gibt aber kein Wörterbuch, das diesem Prinzip folgt. Ich habe das Projekt vor 50 Jahren im Anschluß an Gauger formuliert, bin aber nicht dazu gekommen, es auszuführen, außer einer Menge Probeartikel.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 13.10.2023 um 21.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51949

Ihre Frage ist wahrscheinlich rhetorisch gemeint, aber ein Unterschied, der mir in diesem Zusammenhang einfällt, ist der, daß ein Anschlag oft politisch motiviert ist, während sich diese Assoziation beim Wort Angriff nicht automatisch einstellt. Auch die Feuerwehr spricht zum Beispiel bei der Brandbekämpfung von verschiedenen Arten des Angriffs. Vielleicht spielt auch die allgemeine moralische Bewertung des Vorgangs eine Rolle. Anschläge, also Attentate, werden gemeinhin als unzulässiges Mittel in der politischen Auseinandersetzung angesehen und verurteilt. Gegen die Löscharbeiten der Feuerwehr wird man dagegen in der Regel nichts haben. Auch das Überraschungsmoment des Anschlags kann dem Angriff fehlen. Und wenn sich alle bereits einig wären, daß es bei Chrupalla überhaupt ein Angriff war, könnte man auch die Kategorie Thema/Rhema ins Spiel bringen; daß der Angriff ein Anschlag war, wäre dann die neue Information über den als bekannt vorausgesetzten Gegenstand. Bestimmt gibt es noch weitere Unterschiede, aber allein schon aus den genannten Gründen kann er nur den ersten Satz gesagt haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.10.2023 um 14.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51947

Chrupalla:

"Insgesamt ist dieser Angriff auf mich als Anschlag zu werten", sagte er am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Berlin.

"Insgesamt ist dieser Anschlag auf mich als Angriff zu werten", sagte er am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Berlin.

(Was ist original, was habe ich gefälscht?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.10.2023 um 13.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51945

Ja, das ist wirklich sehr kompliziert, und ein Ausländer kommt nicht leicht darauf, was es bedeuten könnte.

Der Film, der das Zudecken zeigt, ist der gleiche wie der, der das Abdecken zeigt, aber die Motivation der Wortwahl ist verschieden. Beim Zudecken schließt man den Innenraum unter der Decke zu, beim Abdecken grenzt man die Außenwelt ab. Oder so ähnlich. Man müßte sich vergewissern, ob das historisch so gelaufen ist.
Der Abdecker (Schinder, Skinner) zieht das Fell ab. Mit Objektvertauschung: Er zieht den Hasen ab.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.10.2023 um 12.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51944

Mir fallen dazu drei Besonderheiten ein.

(1) Zudecken und abdecken bilden Gegensätze. Aber auch ein und derselbe Verbzusatz kann gegensätzlich verwendet werden: abdecken wird auch im gleichen Sinne wie zudecken verwendet. Wir haben hier schon das doppeldeutige abisolieren diskutiert.

(2) Im MM lese ich heute: Ausgeflogen aus Israel.
Sehr oft kommen bei VZ solche Verdopplungen vor, die kaum zu vermeiden sind: Geflogen aus Israel?
Oder wenn ich meinen Enkel frage: Möchtest du mit mir mitkommen? Dagegen klingt Möchtest du mit mir kommen? beinahe schon leicht gehoben.
Er ist am Bahnhof angekommen. Vermeiden der Dopplung verändert leicht den Sinn: Er ist an den Bahnhof gekommen, während Er ist am Bahnhof gekommen gar nicht geht.

(3) Manche VZ verändern das Grundverb bis zur Unkenntlichkeit. Dafür gibt es wohl etymologische Begründungen, die aber heute nur noch Linguisten verstehen: anfangen (beginnen), aufhören (beenden) und viele andere.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.10.2023 um 05.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51941

Zum vorigen:

Man kann nicht sagen: „Bitte wiegen Sie mir ein Kilo aus!“ Was beim Wiegen herauskommt, ist ja gerade offen, anders als beim Abwiegen, wo die Menge vorgegeben ist.
Ein und derselbe Film zeigt den Metzger beim Wiegen, Abwiegen, Auswiegen: die Topographie des Verhaltens ist die gleiche, nur die Funktion, die Einbettung in den Kontext ist verschieden.
Bei zweigliedrigen Ausdrücken wie den VZ-Konstruktionen kann man fragen, was jeder Teil zur Gesamtbedeutung beiträgt.
Der Verbzusatz spezifiziert die Funktion (in andern Fällen die Richtung) des Verhaltens. Das ab- drückt also das „Abben“ aus. (Dieses Wort gibt es nicht, wir könnten uns mit einem Archilexem wie „Abtrennen“ behelfen.) Der verbale Teil gibt an, auf welche Weise das Abben bewirkt wird, durch Schneiden, Wiegen usw., er ist ein Troponym.

Zwei Erscheinungen verdunkeln die Verhältnisse:
1. Natürlich können abwiegen und auswiegen gelegentlich austauschbar verwendet werden, aber die grundsätzliche Neutralisierbarkeit der synonymischen Differenzierung ist etwas anders als Bedeutungsbeschreibung.

2. Eine andere Erscheinung ist die Objektvertauschung: abmähen, abernten, abgießen usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.10.2023 um 05.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51933

Deutsch, Altgriechisch und Sanskrit sind einander sehr ähnlich, was die Verbzusatzkonstruktion ("Partikelverben") betrifft.
Die altindische Grammatik zählt den Verbzusatz (upasarga) zu den vier Wortarten. Er steht im Vedischen auch getrennt vom Verb, im klassischen Sanskrit immer unmittelbar davor, wird aber, wie im Griechischen, weiterhin durch das Augment von ihm getrennt, wodurch seine Eigenständigkeit als Wort gewahrt bleibt. (Er ist also weder Präfix noch kann man von Infigierung des Augments sprechen.)

Worauf ich aber hinauswill: Welche semantische Wirkung der Verbzusatz eigentlich hat, ist eine schwierige Frage, erstens für den Lernenden, der besonders im Sanskrit dadurch fast zur Verzweiflung getrieben werden kann, zweitens für den Linguisten, der sich mit distinktiver Synonymik beschäftigt.

Nehmen wir einen von tausenden Fällen: wiegen, abwiegen, auswiegen. Spontan würden wir wohl sagen (alles auf den Alltagsbereich Einkaufen bezogen):

wiegen (das Gewicht feststellen)
abwiegen (eine gewünschte Menge dem Gewicht nach abtrennen)
auswiegen (eine abgetrennte Menge wiegen [und den Preis danach berechnen])

Duden zu abwiegen:
...
2. durch genaues Wiegen das präzise Gewicht von jemandem, einer Sache feststellen

Zu auswiegen:

1. das Gewicht von etwas genau feststellen
-
Dann wäre auswiegen 1 genau dasselbe wie abwiegen 2. - Das kann nicht sein.

Außerdem ist die Genauigkeit, obwohl irrelevant, mehrmals erwähnt. So werden die Definitionen in den Wörterbüchern fülliger, aber nicht besser.

Das war aber nur eine kleine Übung am Einzelfall. Die große Frage ist, ob sich die Wirkung der Zusätze verallgemeinern läßt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2023 um 07.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51595

Vielleicht habe ich es schon einmal erwähnt: Bekanntlich drückt man mit "sicher, gewiß, bestimmt" meistens aus, daß etwas unsicher, ungewiß, unbestimmt ist. Ebenso wird man finden, daß die Wendung "in regelmäßigen Abständen" fast immer bedeutet "in unregelmäßigen Abständen".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2023 um 04.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51535

„Hirn“ und „Gehirn“ sind weitgehend dasselbe, aber es gibt Gebrauchsunterschiede, die teils rhythmische Gründe haben mögen, teils mit ähnlichen Assoziationen zusammenhängen wie „flesh“ und „meat“. Man sagt öfter „im Gehirn gespeichert“ als „im Hirn gespeichert“, aber öfter „Hirnforschung“ als „Gehirnforschung“. „Gebackenes Hirn“ kommt oft vor, „gebackenes Gehirn“ praktisch gar nicht, „gebackenes Kalbsgehirn“ nur in einigen alten Kochbüchern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2023 um 05.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51520

Kann der Tod des 96jährigen Martin Walser wirklich „Betroffenheit“ auslösen, wie man liest? Ein Verlegenheitsausdruck. Man sagt ja, daß die Nachrufe für betagte Prominente schon in der Schublade liegen. Das ist immerhin besser, als vor Redaktionsschluß schnell etwas zusammenzuschmieren.

„In seinen literarischen Werken hat er die bürgerlichen Fassaden des Nachkriegsdeutschland als hohlen Schein entlarvt und ist dem Seelenleben der Deutschen auf den Grund gegangen.“ So Claudia Roth. Eine von vielen. Der Glaube an seherische Fähigkeiten von Dichtern ist einfach nicht totzukriegen. Romane sind keine Forschungen, sie können naturgemäß nichts „entlarven“. Fehlt nur noch, daß Walsers Werke „unbequem“ wären, wie man so gern sagt, wenn man Schriftstellern Relevanz zusprechen will. Unser Zeitalter ist in Gesellschaftskritik verliebt, sie gehört einfach zum guten Ton.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.07.2023 um 10.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51418

Es heißt ja oft, bestimmte Dinge könnte oder dürfte man nicht vergleichen.

In Frankreich hat ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle die Flucht eines Autofahrers verhindert. Der jugendliche flüchtige Fahrer starb.

In München haben Polizisten einen sogar verdächtigen 21jährigen Autofahrer bei einer Kontrolle davonkommen lassen. Auf der Flucht verursachte er einen Verkehrsunfall, tötete dabei einen 18jährigen Unbeteiligten, verletzte einen 18jährigen schwer und mehrere andere leicht. (MM, 10.7.2023)

Hat der französische oder der deutsche Polizist Schlimmeres in Kauf genommen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2023 um 07.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51417

Viele Verben scheinen eine Tätigkeit zu bezeichnen, tun es aber nicht. Beispiele sind vergleichen, berücksichtigen. Wenn ich jemanden zum Vergleichen auffordere, weiß er genau genommen nicht, was er tun soll. Je nach Situation und Kontext kann es Verschiedenes bedeuten:

Vergleiche die beiden Zahlen – das kann heißen: sag, welche Zahl größer ist (aber auch noch vieles andere)
Vergleiche die beiden Gedichte – das kann heißen: nenne die Übereinstimmungen und Unterschiede.

Nimm Rücksicht – das kann heißen: fahr langsam oder sprich lauter usw.

Man könnte sagen, die Verben seien unterspezifiziert.

Vgl. machen: Ich mache das Bett, wir machen Holz, ich mache dir die Haare usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2023 um 07.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51175

Mensch und Tier "verhalten sich", aber nur der Mensch "benimmt sich". Der Begriff setzt Kultur voraus. Diese Unterscheidung, meist als inklusive Opposition wie hier, durchzieht unseren ganzen Wortschatz. Eine komplette Darstellung wäre wünschenswert.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.05.2023 um 12.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51075

Es kann ja nur am Bedeutungsunterschied von gut und schön liegen.
Auch andere Adjektive und Adverbien passen nicht mit jedem Substantiv oder Verb zusammen, z. B. kalter Geschmack sagt man ja auch nicht.
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 16.05.2023 um 20.26 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51068

Dazu paßt folgendes Kompliment an meinen Chor, das uns nach einer Hochzeit verspätet erreichte: "Ich habe noch nie einen so schönen Chor gesehen."
Ich mußte unwillkürlich überlegen, was wir an dem Tag anhatten. Unsere Damen hochzeitsangemessen herausgeputzt, ja das mag schon etwas hergemacht haben. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, daß das Nächstliegende gemein war, der Gesang. Aber so sagt man es eben nicht.
Und eigentlich gibt es gar kein adäquates Wort als Attribut für einen schön singenden Chor. Vielleicht am ehesten noch "ein fantastischer Chor", aber auch das ist es nicht ganz. Schön (oder ausdrucksvoll, ergreifend, mitreißend, berührend), das alles wird immer auf die Darbietung bezogen und nicht auf den Chor. Bei "schön" kommt dann noch die Doppelbedeutung hinzu, die zur Verwirrung führen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.05.2023 um 18.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51067

FDS:
Als Kinder machten wir uns einen Spaß daraus, bei Tisch zu sagen: „Schmeckt schön!“ Unweigerlich kam die Korrektur: das könne man nicht sagen, sondern nur „schmeckt gut“. Warum man das eine sagen darf und das andere „in den Ohren wehtut“, konnte aber niemand erklären. Die Sache ist kompliziert. Man sagt nur „es riecht gut“, aber andererseits sprechen sie in der Mode- und Kosmetikbranche von einem „schönen Duft“, den man außerdem „trägt“, als gehöre er zur Kleidung. Einen Körpergeruch dagegen hat man, den trägt man nicht. Andererseits wurde vor Jahrzehnten mal ein Waschmittel damit beworben, daß es „die 7 schönsten Düfte der Welt“ (oder so ähnlich) verströme. Das kam mir so absurd vor, daß ich es nicht vergessen habe.
Ob es mit der Doppelfunktion des Geruchssinns zusammenhängt? (Sexuallockstoff und Appetitanreger bzw. Warnung von Fäulnis)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.05.2023 um 18.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#51058

Wutbürger, Bürger in Wut – ich frage mich, ob das überhaupt das richtige Wort ist. Als Programm kommt es nicht gut in Frage, schon weil man nicht dauernd wütend sein kann. Ein Parteigremium, das zusammentritt, um seine Wut auszuarbeiten, ist kaum vorstellbar. Nicht zufällig spricht man von Wutanfall. Heimito von Doderer ist der Dichter des Wutanfalls. „Wut“ ist etymologisch ursprünglich Raserei. Der berserkerhafte Kämpfer, auch Götter wie Wotan, Indra versetzen sich in Kampfeswut oder -rausch, die Mänaden geben sich der Raserei hin (mainesthai heißt rasen, toben).
Haß oder vornehmer „Ressentiment“ ist etwas anderes. Die Nazis haßten die Juden, sie waren nicht wütend auf sie. Einige Medien schüren Haß. Eine Partei des Ressentiments ist nicht nur vorstellbar, es gab und gibt sie.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.04.2023 um 21.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50935

zum vorigen Eintrag:
Tiere werden zwar jetzt auch immer öfter schwanger, aber sie schlafen nicht miteinander. Wie ich gerade in einer Tierdoku gehört habe, paaren sie sich noch.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.03.2023 um 15.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50778

zu #30384 und #44985 (schwanger):

Wildunfall: Schwangeres Reh getötet
(MM, 29.3.23, S. 18)

Noch in meiner Schulzeit hätte man das für einen (schlechten) Witz gehalten. Heute ist es nichts Besonderes mehr, daß Tiere (zumindest die niedlichen) schwanger sind und essen. Hoffentlich kommen die meisten schwangeren Rehe dann doch noch ordentlich zur Entbindung.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.02.2023 um 18.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50590

Lieber Prof. Ickler,
setzen Sie hier (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50559), indem Sie sagen, Wissen/Kennen sei alltagspsychologisch und existiere als Gegenstand nicht, das erst zu Beweisende nicht schon voraus?

In http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1626#50579 definieren Sie Lernen als relativ dauerhafte Verhaltensänderung. Sie sind einverstanden, daß die "Bahnungen" der umstrittene Speicher sei, der die Dauerhaftigkeit erst garantiert. Sie sagen sogar "selbstverständlich", das ist es ja auch, was ich die ganze Zeit meine. Ohne diese "Bahnungen", ich nenne sie nur neutral Speicherinhalte (Information), geht gar nichts.

Diese "Bahnungen" sind materielle Muster (Formen), sie existieren also, sie können im Prinzip untersucht werden. Der Speicher existiert. Dann kann man doch, analog zur Definition von Lernen, Wissen/Kennen als das Gelernte, nämlich die "Bahnungen" (die materiellen Muster) definieren.

Das Wichtigste dabei:
Meiner Ansicht nach sind wir bis hierher noch nicht(!) im Bereich des Mentalen angelangt. Wissen und motorische Fähigkeiten werden so als Bestandteil des Materiellen hergeleitet. Der Schritt zum Bewußtsein, Denken usw. ist damit noch nicht gemacht!

Ist diese Auffassung von Wissen(sspeicherung) nicht durchaus mit einer naturalistischen Anschauung vereinbar?
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 25.02.2023 um 18.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50560

Hauptsache, man weiß sich zu helfen. In Norddeutschland bedeutet "Ich kenn da nix von" übrigens, daß man von einer Sache nichts verstehe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2023 um 14.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50559

Ja, natürlich. Es sind ja alltagspsychologische Verben, und außerhalb der alltagssprachlichen Konstruktion des Geistes gibt es gar keinen Gegenstand "Wissen", "Kennen", den man untersuchen könnte. Darum dreht sich ja meine ganze Schreiberei.

Und noch etwas zur Synonymie: Sie suchen nach Fällen der Nichtunterscheidung (wo es egal ist, ob man wissen oder kennen sagt), ich suche nach Fällen der Nichtaustauschbarkeit. Beides ist berechtigt und auch notwendig, wenn man distinktive (!) Synonymik treiben will.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.02.2023 um 12.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50558

Sie fragen mich, ob ich weiß/kenne, und das vernebelt die Problematik. Ich schlage Ihnen folgende Frage an mich vor:

Kennt Paul den Weg nach Marloffstein?
Weiß Paul den Weg nach Marloffstein?
Kennt er Marloffstein?
Weiß er Marloffstein?

Oder mit meinem Beispiel:
Ich kannte die Bedeutung von schwimmen schon, als ich noch gar nicht schwimmen konnte.

Ich hatte Sie zunächst so verstanden, daß Sie der Natur des Wissens/Kennens selbst untersuchen wollen.
Aber es geht Ihnen um etwas völlig anderes, Sie untersuchen das sprachliche Verhalten in bezug auf die Wörter wissen, kennen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2023 um 02.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50556

Ich probiere noch ein bißchen herum (anstelle von echten Belegen):

Kennen Sie den Weg nach Marloffstein? Da habe ich heute morgen vier Rehe gesehen.
Wissen Sie den Weg nach Marloffstein? (= Wissen Sie/Können Sie mir sagen, wie man nach Marloffstein kommt?) *Da habe ich heute vier Rehe gesehen.
Kennen Sie Marloffstein? *Wissen Sie Marloffstein?

Wenn die Verben gleichbedeutend wären, müßten die Sternchen-Formen möglich sein.
Nach dem Studium der Karte weiß ich den Weg nach Marloffstein, aber ich kenne ihn nicht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.02.2023 um 01.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50555

Ich meine weder den Sprecher noch den Hörer, sondern die Person, von der es heißt, sie wisse oder kenne etwas. An ihr entzündet sich doch m. E. die Frage über die mentale oder naturalistische Erklärung, was Wissen/Kennen wirklich ist, ob sich die Speicherung von Inhalten bzw. das Verhalten der Person dabei irgendwie unterscheidet:
So wie jemand, der über eine Brücke geht, sich augenscheinlich anders verhält als jemand, der durch einen Fluß schwimmt.

Falls Sie sich jedoch mit der "Speicher"-Metaphorik wirklich nur auf Sprecher und vor allem Hörer der beiden Verben beziehen und gar nicht das menschliche Subjekt der Handlung meinten, dann habe ich Sie leider völlig mißverstanden. Dann verstehe ich Sie aber jetzt, und meine Fragen und Einsprüche haben sich schon erledigt. Allerdings hielt ich das Speichern in bezug auf das Handlungssubjekt gerade für das interessantere Problem.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler , verfaßt am 24.02.2023 um 21.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50554

Bevor ich auf den Unterschied von "kennen" und "wissen" eingehe, will ich den Abend mit dem Hinweis beschließen, daß es nicht auf das Verhalten des Sprechers ankommt, sondern auf das Verhalten des Hörers.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.02.2023 um 18.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50553

Ich sehe gerade, Sie haben sich ja hier auch selbst auf diese Thematik (Mentalismus, Speicherung von Wissen) bezogen:

"All diese Differenzierungen müssen vorgenommen werden, bevor an eine naturalistische Rekonstruktion zu denken ist, also an die Eliminierung dieser mentalistischen Vokabeln (samt "Speicher"-Metaphorik)."

Genau darauf wollte ich hinaus mit dem m. E. nicht existierenden Unterschied.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.02.2023 um 18.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50552

Das verstehe ich und gebe Ihnen recht.

Ich habe die beiden Wörter gerade mehr vor dem Hintergrund der Diskussion über sprachliche Zeichen, Verhalten, Mentales usw. gesehen und versuche zu abstrahieren, was sich eigentlich in unserem Innern oder in der Konsequenz für unser Verhalten unterscheidet, je nachdem, ob wir etwas wissen oder etwas kennen. Es würde mich wundern, wenn Sie (zumindest unter anderem) nicht auch an diesen Aspekt gedacht hätten.

Mentalistisch formuliert, bedeutet m. E. beides, eine bestimmte Information zu besitzen, also keinen Unterschied.
Behavioristisch formuliere ich es mal als Frage:
Verhält sich ein Mensch, der etwas weiß (z. B. einen guten Kinderarzt), anders als einer, der es (einen guten Kinderarzt) kennt?
Ich denke, nein, also auch kein Unterschied.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2023 um 15.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50550

Das ist eine rein empirische Frage nach dem Sprachgebrauch und diesseits aller Unterscheidungen von Mentalismus usw.

In diesem Sinne bleibe ich dabei, daß "ich weiß einen guten Arzt" völlig normales Deutsch und kein bißchen gehoben ist. Geben Sie "weiß einen guten Arzt" ein und sehen Sie, daß Sie eine Menge völlig alltägliche Belege bekommen! Ich bin hier ein bißchen pingelig, weil das Sammeln von Belegen und die Sicherung der empirischen Grundlage für mich das A und O ist.

Ganz allgemein muß ich sagen, daß grammatische Unterschiede wohl niemals semantisch irrelevant sind. Daß z. B. "kennen" keinen Ergänzungssatz regiert, ist enorm wichtig.

Und was den Arzt betrifft, den ich weiß, so haben Sie ganz recht: Es ist so etwas wie ein Wissen, wo er praktiziert, wie man hinkommt usw. Ich kann nämlich nicht sagen: "Guten Tag, Herr Dr. R., ich weiß Sie noch vom vorigen Besuch."
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.02.2023 um 12.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50549

Ich weiß einen guten Kinderarzt
kommt mir nicht so ganz standardsprachlich vor. Es klingt etwas gehoben. (Sicher, es gibt dafür viele literarische Belege.) Aber im Chinesischen beispielsweise könnte man "zhi dao" in diesem Satz wohl kaum verwenden, es ist, wie Sie schon sagen, klarer.

Ich kenne einen guten Kinderarzt.
ist m. E. die üblichere (Normal-)Form.
Damit ist bis jetzt auch noch nicht gesagt, wie gut ich ihn kenne. Es kann genauso bedeuten, daß ich nur seinen Namen und Praxisort kenne und irgendwo gehört habe, er sei gut. Die Differenzierung erfolgt erst durch den zweiten Teil:

aber ich kenne ihn nicht.
Damit soll offenbar gesagt werden, daß er dem Sprecher nicht näher bekannt ist. Es klingt nun natürlich paradox, wenn man im ersten Teil schon das gleiche Verb verwendet hat. wie das, was nun negiert wird. Aber das läßt sich ja auch anders ausdrücken:

aber ich weiß nichts Näheres über ihn,
kenne ihn nicht näher,
bin ihm selbst noch nicht begegnet.


Daher glaube ich immer noch, daß wissen und kennen im Prinzip die gleiche Bedeutung haben, vor allem aus sprachphilosophischer Sicht. Ich kann es leider nur mit mentalistischen Begriffen ausdrücken: In beiden Fällen geht es um das Speichern und Wiederholen der gelernten Information.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2023 um 05.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50546

Daher meine paradoxe Definition: Synonyme sind Antonyme, die in bestimmten Kontexten austauschbar sind.

Man darf eben nicht nach Formulierungen suchen, die auf dasselbe hinauslaufen, sondern nach Fällen von Nichtaustauschbarkeit.

Ich weiß einen guten Kinderarzt, aber ich kenne ihn nicht.

Es gibt einen ähnlichen Unterschied bei sprechen von und sprechen über. Das habe ich anderswo schon erwähnt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.02.2023 um 00.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50544

Hat denn wissen tatsächlich eine etwas andere Bedeutung als kennen?
Unterscheiden sich die beiden Wörter nicht nur in ihrer Grammatik?

Ich frage, weil man wohl jeden Satz, der mit einem dieser beiden Verben gebildet wird, mit m.E. genau gleicher Bedeutung auch mit dem jeweils anderen Verb sagen kann.

Beispiel:
Ich weiß, wie man Butter herstellt.
Ich kenne das Verfahren der Butterherstellung.

Ich weiß, daß heute Freitag ist.
Ich kenne den heutigen Wochentag, es ist ein Freitag.

Natürlich sind die Sätze recht unterschiedlich gebaut, man muß sie umschreiben, aber es geht ja nur um die Bedeutung der Verben, die ich als identisch ansehe. Mir fällt kein Unterschied ein. Stimmt das?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2023 um 05.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50539

Allerweltsverben wie "wissen" haben meistens einen großen Anwendungsbereich, in dem auch historische Relikte noch mitgeschleppt werden. Man muß dann unterscheiden zwischen "wissen daß" und "wissen wie", während im Englischen noch die Bedeutung "kennen" hinzukommt (Russell mußte ausdrücklich "knowledge by acquaintance" abtrennen, was uns weniger schwer fällt). Im Chinesischen wird ganz klar zwischen "zhi dao" und "renshi" unterschieden, das kann man, soviel ich weiß, gar nicht verwechseln.
All diese Differenzierungen müssen vorgenommen werden, bevor an eine naturalistische Rekonstruktion zu denken ist, also an die Eliminierung dieser mentalistischen Vokabeln (samt "Speicher"-Metaphorik).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2023 um 08.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50503

Fast alle, die für die Corona-Politik verantwortlich waren, geben zu, daß sie auch Fehler gemacht haben, verweise aber auf die damalige Situation. Das entschuldigt natürlich nicht den ausgemachten Betrug mit Maskendeals usw.

Aufarbeitung kann auch hart sein, aber "Abrechnung"? Das ist wieder einen Tick zuviel in die bekannte Richtung.

Ich habe es – Gnade der späten Geburt – zwar nicht mehr selbst gehört, aber durch Lektüre irgendwie im Ohr: das Abrechnen, die Nacht der langen Messer usw. – Belege muß ich wohl nicht bringen.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 15.02.2023 um 06.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50502

Man könnte es auch als Rache bezeichnen. Bestrafungswillen gab es auch auf der anderen Seite.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2023 um 05.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50499

Von vielen Seiten wird die "Aufarbeitung" der Pandemie gefordert und in Angriff genommen, damit man daraus für künftige Seuchen lernen kann. Die Liberal-Konservativen nennen es "Corona-Abrechnung".
Sie wollen bestrafen, nicht lernen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2023 um 08.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50486

Was ist eigentlich ein "Achtungserfolg"? In Berlin hat die CDU bei der Wahlwiederholung, also nach kurzer Zeit, von 18,2 auf 28,2 Prozent zugelegt. Bei anderer Interessenlage würde man von einem "Erdrutschsieg" sprechen. Allerdings ist in Berlin nichts von Dauer. Der Abwärtstrend der FDP scheint mir besonders bedeutsam zu sein, vermutlich selbstverstärkend.

Ich habe übrigens gerade Michael Wolffs Trilogie über Trump beendet. Der dritte Band heißt "Landslide", nach dem Stichwort, das Trump unermüdlich wiederholt hat, um seine deutliche Niederlage als überdeutlichen Sieg darzustellen. Diesen Titel hatte Wolff gegenüber Trump in einem Interview in Mar-a-Lago auch schon angekündigt, und der Meister hatte nichts dagegen.

Wolffs Werk ist sicher keine zuverlässige Geschichtsquelle, aber doch lesenswert, weil viele seiner Informanten sehr nahe dran waren. Wolff ist hauptsächlich am Geheimnis von Trumps Wirkung interessiert und scheut sich nicht, von "Charisma" zu sprechen, was freilich im amerikanischen Englisch weniger pathetisch klingt als im Deutschen. Wie sich ein Mitglied der New Yorker Milliardärsclique als Volkstribun präsentieren konnte, bleibt letzten Endes unaufgeklärt. Wahrscheinlich ist der Ansatz falsch. Die kleinen Leute jubeln dem Mann nicht zu, weil sie ihn für "einen von uns" halten, im Gegenteil. "Charisma" ist schon richtig, muß aber aufgeklärt werden.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.01.2023 um 03.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50375

Die Nachricht, daß Oettinger einige Biersorten aus dem Sortiment wirft, kommentiert jemand im Netz mit den Worten:
"Gut, dass immer noch eine große leckere Vielfalt besteht".

"Lecker" ist auch so ein Modewort, das heute besonders von Jüngeren ständig für alles mögliche (was Geschmack betrifft) verwendet wird. Muß wohl daran liegen, daß sie gar keine andern Wörter mehr kennen. Ich finde, für Bier paßt es einfach nicht. Bier ist alles, aber doch nicht lecker!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.01.2023 um 05.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50219

"Ein deutsches ja ("Du kennst ja meinen Vater") signalisiert, daß der Sprecher davon ausgeht, daß der Hörer die Information kennt und daß er sich eigentlich nur nochmals dessen versichern will, daß diese Kenntnis aktualisiert ist." (Wolfgang Raible: Junktion. Eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration. Heidelberg 1992:209)

Der alte Fehler! Dieser Inhalt steckt in der Proposition selbst: „du kennst“... Besser wäre: „Mein Vater war ja Diabetiker.“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2022 um 07.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50152

Feuerwerk besitzt viele Dimensionen. (FAS 31.12.22)
Was muß alles passiert sein, bis man so verrückt formulieren kann? Selbst mit dem normalsprachlichen „haben“ wäre es schwach, sich mit solchen Plastikwörtern wie „Dimension“ zu begnügen. Über Feuerwerk läßt sich vieles sagen. (Auf der gleichen Seite „besitzt“ Mondgestein eine unbekannte Zusammensetzung...)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2022 um 17.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50021

Danke! Muß meine Brille überprüfen lassen...

(Aber viel läßt sich nicht ändern, es handelt sich um eine geringfügige Metamorphopsie... Das soll aber keine Entschuldigung sein. Ich kann zur Zeit nicht direkt korrigieren, komme seit Windows 11 nicht rein.)
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 07.12.2022 um 17.48 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50020

Bzw. Delegitimierungstaktik
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2022 um 17.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50019

Pardon: Deligitimierungstaktik
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2022 um 17.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#50018

Die Rechtsradikalen sprechen gern von den „Regierenden“ statt von der „Regierung“. Die Regierung ist ein Verfassungsorgan, Regierende können alle sein, die gerade am längeren Hebel sitzen, auch Mafiosi oder Revolverhelden. Es ist eine ähnliche Deligimierungstaktik wie bei den „Reichsbürgern“, die jetzt viel Sympathie z. B. in den Leserforen der Springer-Presse finden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2022 um 06.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49875

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32116

Wie ich gerade sehe, habe ich aus dem Gedächtnis falsch zitiert. Bei Schubert heißt es "das Mädchen", nicht "die Tochter". Dem schönen Wort "Mädchen" rücken sie ja gerade zuleibe: https://www.duden.de/rechtschreibung/Maedchen, aber ich wollte keineswegs vorgreifen.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 27.10.2022 um 11.45 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49839

https://duden.de/rechtschreibung/woke

Bedeutung
in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung

BEISPIELE
ein woker, etwas zu selbstgefälliger Zeitgenosse
woke Bloggerinnen, Aktivistinnen
man gab sich demonstrativ woke

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2022 um 08.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49829

„Arschgeige: Person, auf die jemand wütend ist (oft als Schimpfwort)“ (Duden)

Das ist ziemlich schräg. Manche Leute sind auf Kanzler Scholz wütend, aber deshalb kann ich ihn nicht Arschgeige nennen. Es wäre auch nichts Unterscheidendes, denn auf jeden ist irgendein anderer wütend.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.10.2022 um 04.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49718

Beinahe jede Woche macht sich (der Literaturwissenschaftler) Morten Freidel in der FAS für die Kernenergie stark. Niemals erwähnt er das Problem der Endlagerung, das im Wirtschaftsteil sogar Rainer Hank zu denken gibt, obwohl der von sich sagt: „Ich mag die friedliche Kernenergie eigentlich.“ (2.10.22) Bei Freidel kommt noch ein gehässiger Ton gegenüber allem Grünen hinzu, zu dem sich selbst die Hayek-treuen Wirtschaftsredakteure selten hinreißen lassen, der mir aber von „Tichy“ her vertraut ist.

Zur Wortwahl (und weshalb ich den Fall Freidel diesmal hier erwähne): Kann man die Kernenergie „mögen“? Hanks Satz wirkt seltsam mädchenhaft, wie „Ich mag Zimtsterne.“ Ich halte die Windräder für notwendig und vertretbar, aber ich würde nicht sagen, daß ich sie „mag“.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.09.2022 um 22.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49710

zu
Das Kind lernt also "gakgak" am Huhn und nennt dann auch Bienen so:

Unsere Enkel wollen immer "die Entchen" auf meinem Handy oder Tablet sehen. Es gibt da so ein hübsches Video des Liedes "Alle meine Entchen" in drei Strophen, zuerst Entchen, dann Täubchen, und zum Schluß sieht man die "froh" hüpfenden Hühnchen, nachdem sie ein Körnchen gefunden haben. Die zweitjüngste Enkelin quittierte diese Szene, als sie noch erst wenige Worte sprechen konnte, immer mit "Häschen hüpf".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.09.2022 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49709

Quines Problem besteht darin, daß wir die Wörter an Einzelfällen lernen, aber nichts über die Extension erfahren, also den Anwendungsbereich. Das Kind lernt also "gakgak" am Huhn und nennt dann auch Bienen so (auch Walther von der Vogelweide rechnet die Mücken zum Geflügel...) Viele Kinder nennen alle Männer "Papa"... aber irgendwann lernen sie es doch.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 29.09.2022 um 10.42 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49708

Bommel kennen schon kleine Kinder von der Pudelmütze, die Quaste kennt man auch als breiten Pinsel. Vielleicht braucht man deshalb kein gesondertes Wissen über Textilverzierungen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.09.2022 um 07.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49707

Den Unterschied zwischen Quaste und Bommel bestimmt meine Frau auf Befragen ganz genau so wie ich, und auch mit anderen Muttersprachlern dürfte man sich schnell einigen können. Vgl. Wikipedia zu beidem. Den Oberbegriff Posament kennen wir zwar passiv, haben ihn aber wohl noch nie selbst verwendet.

Diese Intuition kann nur aus der Erfahrung mit dem Gebrauch stammen, denn ganz gewiß hat nie jemand ausdrücklich darüber gesprochen und die Differenzierung vorgenommen. Das ist erstaunlich, weil wir sehr selten über Quasten und Bommeln sprechen, wahrscheinlich jahrelang überhaupt nicht. Höchstens daß die Kinder mal eine Bommelmütze aufgesetzt bekamen.

Es gibt zahllose weitere Fälle dieser Art. Dürftiger Input, aber sehr sichere Ergebnisse, sozusagen die genaue Umkehrung von Quines "Unbestimmtheit der Übersetzung" (Gavagai-Gedankenexperiment).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2022 um 18.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49682

„Dass der Krieg begonnen wurde, ist ein Fehler der Russen. Das habe ich immer gesagt.“ (Schröder laut WELT 21.9.22)

Ein Fehler ist unklug, aber nicht verwerflich. Die Russen hätten es anders anstellen sollen, sich die Ukraine anzueignen. „Das ist mehr als ein Verbrechen, das ist ein Fehler.“ (Joseph Fouché) So denkt der wahre Politiker.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2022 um 14.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49544

„Mit dem Mehrweg-Frischenetz für loses Obst und Gemüse unterstützen Sie uns, Plastikmüll zu vermeiden und die Umwelt zu schonen.“

Die korrelatlose Konstruktion (statt „unterstützen Sie uns dabei...“) geben die Verfasser zu erkennen, daß sie „unterstützen“ wie „helfen“ verstehen. Der Irrtum ist die Ursache meines kleinen Unbehagens beim Lesen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2022 um 13.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49497

Eine Psychiaterin (Heidi Kastner) hat ein Buch über Dummheit geschrieben. Sie will Dummheit nicht als Gegenteil von Intelligenz verstehen, sondern von Weisheit. Aber Weisheit hat mit Lebenserfahrung zu tun und wird daher von älteren Menschen gesagt. Kinder können dumm sein, aber nicht weise. Das Gegenteil von Weisheit ist Torheit. Die Abweichung vom üblichen Sprachgebrauch bringt nichts.

Die Verfasserin, die schon andere populäre Bücher verfaßt hat, nennt nur solche Einstellungen und Meinungen dumm, die ihr nicht gefallen. Daß gefühlsgeleitetes, unreflektiertes Verhalten auch künstlerisch Wertvolles hervorbringen kann, scheint sie nicht bedacht zu haben.

Der Begriff der „Dummheit“ ist analytisch so wenig zu gebrauchen wie jene „Schusseligkeit“, die ein anderer Autor seit Jahren „erforscht“. Die Qualifikation als Fachärztin für Psychiatrie (laut Wikipedia wegen Überlastung von der Liste der Gerichtsgutachter gestrichen) garantiert nicht, daß man auf anderen Gebieten Nützliches leisten kann.

Unabhängig vom Buch: Natürlich neigt man dazu, Trump-Wähler, Coronaleugner, Impfgegner, Homöopathiegläubige (ja, und Religiöse) für dumm zu halten. Aber das wäre ein gefährlicher Irrtum.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.06.2022 um 06.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49298

Kann man „teilvegan“ leben? Auf meinem Teller ist eine Hälfte vegan, die andere nicht. Ich bin Flexitarier (Allesfresser).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.06.2022 um 23.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49296

In der neuen Führung sind erstmals keine Vertreter des sich selbst als freiheitlich-konservativ betrachtenden Lagers vertreten.
(Freie Presse, Annaberger Zeitung, 20.6.22, S. 5)

Wer sollte die Vertreter auch vertreten?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.05.2022 um 05.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#49152

In älteren Romanen (Wieland) haben Menschen, besonders junge Frauen, "seelenvolle Augen". Den Lesern hat das offenbar genügt. Es ist schon seltsam, mit welchen doch sehr unbestimmten Ausdrücken man sich verständigen kann.

Nachdem ich zwischendurch ein Dutzend englische Romane des 19. Jahrhunderts gelesen habe, finde ich es auch bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit den Menschen ein "gut ausgeprägtes Kinn" oder eine gerade richtige bzw. etwas zu breite Nase zugeschrieben wird – als ob es da eine wohlbekannte Norm gäbe. Und das alles lange vor der Gleichmacherei durch die heutigen Medien bzw. die Kosmetikindustrie.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.04.2022 um 05.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48967

Übrigens: Kinder lernen laufen, Reha-Patienten lernen gehen. Laufhilfen gibt es für Kleinkinder, Gehhilfen für alte Leute.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2022 um 05.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48768

Die Alltagssprache ist nicht zimperlich, was die Herkunft ihrer Mittel angeht. Wer hätte gedacht, daß sie Bürokratismen ("Kanzleisprache") wie begutachten, verabreichen usw. klaglos aufnehmen würde!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2022 um 11.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48703

„Die Sprache hat es immer schwieriger.“ So zitieren die VDS-Sprachnachrichten (93/2022) Günther Jauch. Schwer und schwierig werden oft verwechselt und sind ja auch in manchen Kontexten austauschbar, obwohl sie etymologisch zunächst nichts miteinander zu tun haben. Hier ist der Fall klar: Die Sprache hatte es ja nicht schwierig und hat es nun schwieriger.

Vgl. Hans Blosen et al.: schwer und schwierig in der Bedeutung ´difficilis´. Ein Modellfall für die Beschreibung synonymer Adjektive. Heidelberg 1987.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.03.2022 um 04.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48695

Ehrfurcht ist ein seltsames Wort.

Bayerische Verfassung:
Art. 131
(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.
(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.
(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.
(4) Die Mädchen und Buben sind außerdem in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen.


Unsere Töchter haben die bayerische Schule von Anfang bis Ende durchlaufen und nichts von den vier Punkten mitbekommen. Manche verstiegene Phrase wird mitgeschleppt, weil keiner sich in die Nesseln setzen will und daher keine Mehrheit für eine Änderung oder Abschaffung zustande kommt.
Die menschenrechtswidrige Festlegung auf religiöse Ziele ist ebenso obsolet wie die Anmaßung, sich um das „Herz“ der Bürger zu kümmern. Jeder weiß, daß dieser Artikel überhaupt nichts mit der Wirklichkeit des Schulunterrichts zu tun hat. Und wir Erwachsenen beobachten das gottlose Treiben der CSU mit der gleichen Indifferenz.

Ehrfurcht kann mitsamt der Bezeichnung aus der Gesellschaft verschwinden. Das Wort drückt unser Verhalten gegenüber dem „Sakralen“ aus: sacer oder tabu im ursprünglichen Sinn haben die gleiche Ambivalenz, die auch im Gebot des „Fürchtens und Liebens“ steckt, das die abrahamitische Religion gegenüber dem Vatergott vorsieht. Jedenfalls beginnt Luther im Kleinen Katechismus die Erklärung jedes der Zehn Gebote mit „Wir sollen Gott fürchten und lieben“ und wiederholt abschließend noch einmal die Androhung von Strafen, die dadurch das Gesamtbild beherrscht. Man kann ja auch viel eher in Angst vor Höllenstrafen leben als eine imaginäre Person „lieben“ (das ist psychologisch eigentlich gar nicht möglich). Vgl. Orwells Big Brother, eine Figur wie Väterchen Stalin oder Xi. (Putin an seinem langen Tisch ist noch auf dem Weg.) Mit der patriarchalischen Gesellschaft und dem Glauben an Götter (verwässert als die Gottheit, das Göttliche, das Heilige) verschwindet auch diese Haltung. Ehrfurcht ist heute ein Feiertagswort, das im Alltag kaum noch unironisch gebraucht wird (oft im Sportjournalismus). Ersatzweise bietet sich der Prominentenkult an. Vgl. „Ehrfurcht“ bei Wikipedia.
Als ehemaliger Schüler einer „Albert-Schweitzer-Schule“ bin ich auch mit der „Ehrfurcht vor dem Leben“ traktiert worden, aber ohne besondere Wirkung. Es war ein Wort für Schulfeiern in der Aula, wo das handsignierte Foto des Oganga von Lambarene über dem Klavier hing (auf dem ein Musiklehrer unsere schrägen Gesänge begleitete und nach deren Ende immer weiter improvisierte, weil er keinen Schluß fand).
Das Deutsche Wörterbuch verzeichnet, daß êre früher schon die gleiche Ambivalenz enthielt wie der spätere Ersatz Ehrfurcht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2022 um 04.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48660

Sind Wladimir Putin und seine Soldateska ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof?
fragt Reinhard Olt. Das erzeugt den Eindruck, als habe Putin keine Kontrolle über die russischen Truppen, daher wohl auch nicht die volle Verantwortung, falls er nicht selbst der Anführer der Freischärler ist.

Originelle Ansicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2022 um 04.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48534

Ländervergleiche sind schwierig, man muß immer genauer hinsehen. Immer wieder werden die skandinavischen Länder erwäjhnt, aber auch diese Zwischenbilanz vom 10.2.22 ist interessant:
Japan: 20.000 Tote (126 Mill. Einwohner)
Südkorea: 7.000 Tote (52 Mill. Einwohner)
Neuseeland: 53 Tote (5 Mill. Einwohner)
Australien: 4.500 Tote (25,6 Mill. Einwohner)
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 13.02.2022 um 22.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48533

Noch zu #43667 ff.:

Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen ist dafür, daß wir noch mindestens bis zum vollständigen Abklingen der Omikronwelle Maske tragen, auch wenn sonst in absehbarer Zukunft immer mehr Einschränkungen fielen – "gegebenfalls auch einfach als Gebot und nicht als Pflicht", so der Experte (dpa).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2022 um 12.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48441

Zwei Polizisten bei Verkehrskontrolle hingerichtet (tz)

Im Radio höre ich einen Kommentator, der vom "Mangel an Respekt" für die Polizei spricht. Eine Polizistin in den Kopf zu schießen würde ich, ohne übertreiben zu wollen, geradezu als unhöflich bezeichnen.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 01.02.2022 um 10.41 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48440

Der Vergleich mit einer Hinrichtung würde sich bei einem Attentat anbieten: Gezielte Bestrafung oder Vernichtung einer nur mittelbar bekannten Person. Vielleicht auch wenn die Tötung in irgendeiner Weise perfektioniert erscheint.

Bei der Tötung der Polizisten dürfte allerdings eine Art Ausweglosigkeit vorgelegen haben, denn die Täter sind ja in eine Polizeikontrolle geraten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2022 um 06.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48439

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34015 usw.

Der Polizisten-Doppelmord "erinnert an eine Hinrichtung", sagt die Bundesinnemnisterin. Die SZ macht daraus sogar ihre Hauptschlagzeile. Es entspricht dem schon mehrmals besprochenen "regelrecht hingerichtet". Was soll damit ausgedrückt werden? Jedenfalls nicht der juristische Rahmen, in dem Hinrichtungen vollzogen werden, sei das Urteil noch so windig. Vielleicht das Geplante, "Zielgerichtete"? Andere fühlen sich bei einer Hinrichtung vielleicht an einen Mord erinnert.

Oder ob unbewußt mitspielt, daß man an den Mördern am liebsten die Todesstrafe vollstrecken würde? (Ich kann es nachfühlen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2022 um 03.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48382

Martin Suter hat ein Buch über den Fußballer Schweinsteiger geschrieben. Im Verriß der SZ (26.1.22) wird ausdrücklich die Manier gerügt, das einfache „sagen“ als Redeausleitung durch alle möglichen Synonyme zu ersetzen – die bekannte Wiederholungsvermeidung auf Teufel komm raus. Ich wundere mich immer wieder darüber, daß manche das für elegant halten, andere – wie ich – für unerträglich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.01.2022 um 11.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48206

Noch kürzer: Ta ta tan tan (Buchtitel von Valentin Chu in damals üblicher Umschrift)
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 13.01.2022 um 10.50 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48205

Mir sind gerade zwei hübsche Zitate über den Weg gelaufen, und ich frage mich, ob sie das gleiche bedeuten totz der sehr verschiedenen Wortwahl.

1. „Empirisch gesehen ist moralische Kommunikation nahe am Streit und damit in der Nähe der Gewalt angesiedelt. Sie führt im Ausdruck von Achtung und Missachtung zu einem Überengagement der Beteiligten“
(Niklas Luhmann, Die Moral der Gesellschaft)

2. https://twitter.com/a_nnaschneider/status/1480642700458303489
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 09.01.2022 um 12.37 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48178

Ich hoffe, daß es hier richtig ist. ZDF-heute twittert: "Deutschlandweit Tausende für und gegen Corona auf der Straße"
https://twitter.com/ZDFheute/status/1479915051888828421

Wahrscheinlich das Streben nach Verkürzung. Corona hat ja schon drei Silben.

Vielleicht ist auch die weitverbreitete Bezeichnung der Kritiker als "Rechte" so eine Verkürzung (zwei Silben).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2022 um 10.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48134

Die schlechte Nachricht, die Harald Schmidt verbreitet, ist die: Er liefert verballhornten Gegnern der Corona-Maßnahmen einen prominenten Namen, auf den sie sich berufen können. (t-online.de 5.1.22)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2022 um 11.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48125

Nicht zu vergessen die Gottesleugner. Sie lügen nicht, sondern befinden sich im Irrtum, kommen aber trotzdem in die Hölle. Oder gerade deshalb, seit nämlich der richtige Glaube verdienstvoll, der falsche sündhaft ist.

Ursprüngich war das nicht so unlogisch, weil es nicht um Atheismus ging, sondern um die Anbetung falscher Götter.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.01.2022 um 14.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48123

Oft ist das Wort Leugner natürlich gut begründet. Auf jemanden, der das heliozentrische Weltbild, die Darwinsche Lehre oder Corona leugnet, paßt das Wort natürlich, da ist keine Alternative nötig.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.01.2022 um 13.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48122

Die gängige Alternative ist wohl, jemanden nicht Leugner von etwas, sondern Vertreter oder Anhänger des Gegenteils zu nennen.

In Leugner steckt für mich eine negative Wertung. Mir ist klar, daß es nicht unbedingt so gemeint sein muß, aber ein anderer Gebrauch irritiert mich jedesmal.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 04.01.2022 um 12.14 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48120

Gibt es denn eine brauchbare Alternative zu Leugner? Bestreiter, Verneiner? Leugner ist immerhin kurz und bündig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2022 um 12.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48119

Vielleicht habe ich es hier schon einmal erzählt: Ich bin tatsächlich einmal nach einem Vortrag angegriffen worden, in dem ich das Wort "leugnen" gebraucht hatte, wie ich es verstehe, einer der Zuhörer es aber nicht verstand. Ich solle nicht von Lüge sprechen usw. Damals ist mir erst bewußt geworden, daß es diese beiden Verwendungen gibt. Man findet viele Belege wie Ich leugne das, allerdings meist verneint, aber selbst dann kann es nicht "lügen" bedeuten, sondern nur "bestreiten". Die lautliche Ähnlichkeit und die Etymologie werden aber immer wieder für Verwirrung sorgen. Vor Gericht wird das Leugnen aber nicht als Lüge (bewußtes fälschliches Abstreiten) gewertet werden; da muß noch mehr hinzukommen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.01.2022 um 11.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48118

Man findet das Wort Leugnen in politischen und philosophischen Schriften und Kommentaren der DDR sehr oft, aber niemals wird man dort lesen, daß Marx oder Lenin etwas geleugnet hätten. Leugner waren ausschließlich die andern, und es bedeutete immer, daß die so Genannten selbstverständlich nicht recht hatten.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.01.2022 um 11.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48117

Wenn die Chefideologen in der DDR von "leugnen" sprachen, taten sie auch immer so, als meinten sie nur "bestreiten". Dennoch war es ihnen nicht egal, sondern sie machten es sich propagandistisch zunutze, daß "leugnen" wie "lügen" klingt bzw. meist als "entgegen besserem Wissen reden" verstanden wird.

Auch darin waren sie sich mit den "Klassikern" (Marx, Lenin) einig, wobei ich bei Lenin gerade nicht weiß, was es mit den deutschen Übersetzungen auf sich hat.

"Leugnen" ist ja außerdem bildungssprachlich bzw. gehoben. Ich selbst würde es (wenn überhaupt) auch nur im Sinne von "wider besseres Wissen" verwenden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2022 um 09.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#48116

Mit dem Begriff „Leugner“ wird die Corona-Diskussion moralisch aufgeladen: Corona-Leugner bestreiten – wie Angeklagte vor Gericht – wider besseres Wissen offenkundige Tatsachen. Übrigens: Wer jemanden einen „Leugner“ nennt, behauptet implizit, dass er selbst die Wahrheit kennt. (Helmut Berschin bei Tichy)

Es trifft zwar zu, daß viele Menschen Leugner als Lügner verstehen, aber im wesentlichen ist doch das bloße Bestreiten gemeint, unabhängig von der Wahrheitsfrage.
Übrigens spekuliert Berschin an gleicher Stelle, wie sich linksautonome Antifaschisten verhalten hätten – nur daß es eben keine gab, sondern „Spaziergänger“, die für Berschin einfach Spaziergänger waren. Berschin ist selbst tendenziös, wie bisher schon, dem Veröffentlichungsort entsprechend.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2021 um 17.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47989

Sie haben recht mit Ihrer Vermutung: Die Ableitungen auf -ern sind analog nach solchen gebildet, wo das s zum Stamm des Substantivs gehörte: kälbern (ahd. kelbirîn) u. a. Dazu der übliche Rhotazismus s > r zwischen Vokalen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.12.2021 um 15.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47988

Meine Bank kann mit der Endung -(e)n auch nichts Rechtes anfangen, sie schreibt immer was von "papierhaften Kontoauszügen".

Bei der Gelegenheit fällt mir wieder einmal das an dieser Stelle ungewöhnliche Fugenelement -r- in steinern auf, wie auch in bleiern, gläsern, das mit dem Wortstamm nichts zu tun hat.

Vielleicht angelehnt an silbern, kupfern, eisern, ehern?

Eigentlich müßte es ganz analog zu dem Paar steinern – steinig auch wässern – wässrig und eisen – eisig geben, aber seltsamerweise kommen wir ohne die Adjektive wässern und eisen aus. Bei eisen liegt es wohl an der Verwechslungsgefahr mit eisern, und etwas Wässernes würde einfach zu schnell zerrinnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2021 um 09.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47986

Der steinerne Weg des Friedrich Merz

Gemeint ist steinig. Ein steinerner Weg ist aus Stein wie die Via Appia, ein steiniger Weg ist voller Steine, über die man stolpern kann.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 15.12.2021 um 14.32 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47934

Die Verwirrung liegt vielleicht auch darin begründet, daß die Länder (und Firmen?) es unterschiedlich handhaben und man sowieso noch nicht so recht weiß, welche Art von Impfung in den nächsten Monaten ausreichend wirkt.

Wegen der ständigen Veränderungen der Wirksamkeit und der daraus folgenden notwendigen Weiterentwicklungen ist ein Vergleich mit früheren Pflichtimpfungen schwierig. Abgesehen von Problemen der Umsetzung (z.B. fehlendes Impfregister).

Auch das derzeitige Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft ist meines Erachtens neuartig.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.12.2021 um 11.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47931

Fragen zur Genesung, die bereits jeden zwölften Bundesbürger betreffen, sind m. E. wichtig genug, daß sie nicht im hintersten Kleingedruckten versteckt werden dürfen. Wenn es wirklich so wäre, wäre es nicht wesentlich anders wie Nichtbeantwortung. Medien haben eigentlich die Aufgabe, die Bevölkerung zu informieren, Mißstände aufzudecken. Politiker sollten ebenfalls ein Interesse daran haben, statt immer nur "impfen, impfen" zu rufen. Wenn nicht deutlich und offen gesagt wird, für wen was gilt, was z. B. Dritt- oder Booster-Impfung genau bedeutet, schwindet halt das Vertrauen in die Politik.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 15.12.2021 um 09.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47930

Die Schwemme falscher und richtiger Zahlen, Fakten und Bezeichnungen ermüdet, ja. Warngeschrei, Beschwichtigungen, gebetsmühlenhafter Ausschluß einer Impfpflicht vor der Wahl, zuwenig Impfstoff, zuviel Impfstoff, zuwenig Impfstoff, Lockdown, Shutdown, "Bundesnotbremse", schillernde Bestimmungen, alle naslang wechselnd von Land zu Land, 2G, 3G, 3G+, testen, boostern (müßte es nicht eigentlich boosten heißen?), dazu ein pralles Angebot einander widersprechender Experten – neben Virologen gern auch Fußballer, Schlagersänger und vegane Köche – und schließlich die mediale Volkserziehung, die das Spektakel aus allen Rohren befeuert. Die Seuche ihrerseits hält sich ungerührt an die Jahreszeiten. Sicher ist unterm Strich, daß man sie weder wegrechnen noch durch Querdenken verschwinden lassen kann, und daß letztlich nur Impfungen helfen. Aber die Impfgegner! Die Spaltung der Gesellschaft! Lieber Himmel, Impfgegner gab es schon vor 200 Jahren, als die Pocken wüteten. Nach der Kuhpockenimpfung, hieß es damals, würden die Kinder brüllen wie Kühe. Erst der Erfolg der angeordneten Impfpflicht machte dem Irrsinn ein Ende. Wir hätten sie schon letzten Sommer gebraucht.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 15.12.2021 um 05.06 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47923

Sind Impfpflicht und Booster-Impfung nicht zwei verschiedene Dinge?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2021 um 04.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47920

Zu Herrn Riemer:

Mir schwirrt der Kopf von den vielen Beiträgen über Corona, die ich gelesen und gehört habe. Deshalb kann ich nicht auf Anhieb sagen, wo von den Fragen die Rede war, die Ihren Ansicht nach "niemand" beantwortet. Ich wäre aber mit "niemand" und "nirgends" vorsichtig. Vielleicht sind es Einzelheiten, die es nicht in die Überschriften schaffen, sondern nur in die Ausführungsbestimmungen.
Wichtiger scheint mir zu sein, daß die Neuregelung nicht aus medizinischen Erwägungen kommt, sondern aus gesundheitspolitischen: es soll einen Anreiz mehr geben, sich impfen und boostern zu lassen. All diese Eiertänze werden ersonnen, weil man sich nicht zutraut, eine generelle Impfpflicht durchzusetzen. Die Juristen scharren ja auch schon mit den Hufen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.12.2021 um 19.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47917

Von diesen Fragen hängt ja immerhin viel ab. Zum Beispiel heißt es, wer dreimal geimpft ist, braucht künftig keinen Test mehr vorzuweisen. Und ähnliches.

Bin ich denn nun als Genesener mit nur einer Auffrischungsimpfung "dreimal geimpft"? Laut meinem Impfnachweis bin ich jetzt "vollständig" geimpft. Aber das will eigentlich niemand wissen. Es geht einzig und allein ständig und ausschließlich nur darum, ob ich die "Drittimpfung" bzw. "Booster-Impfung" habe.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.12.2021 um 19.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47916

Es scheint, als würden die Ausdrücke "Drittimpfung" und "Booster-Impfung" synonym gebraucht. Und zwar liest oder hört man beide Ausdrücke gefühlt täglich hundertmal.

Aber niemand und nirgends erfährt man, was eine Drittimpfung oder eine Booster-Impfung eigentlich genau ist. Zählt wirklich nur die genau dritte Impfung?

Oder zählt bei manchen Impfstoffen, wo eine einzige Impfung zum "vollständigen" Schutz ausreicht, auch die zweite Impfung nach einem halben Jahr schon als Dritt- bzw. Booster-Impfung?

Und was ist mit den mittlerweile schon fast 8% Genesenen in Deutschland? Zählt ihre erste Impfung nach einem halben Jahr auch Dritt- bzw. Booster-Impfung?

Ich begreife nicht, daß sich niemand von den Verantwortlichen oder von den Journalisten diese Fragen stellt und daß sie nicht endlich einmal verbindlich geklärt oder geregelt werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.12.2021 um 18.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47911

Mindestens 30 Tornados haben in sechs Staaten der USA ihr Unwesen getrieben. (FR)

Klingt komisch, weil das Unwesen der Tornados eigentlich ihr Wesen ist. Dann lieber die Schneise der Zerstörung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.12.2021 um 13.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47886

Das bestätigt meine Vermutung, daß nicht nur diese Redakteurin einfach nicht weiß, was Stechschritt bedeutet. Das ist so ähnlich wie mit Quantensprung und Epizentrum.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.12.2021 um 11.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47885

Ich habe es komplett gesehen, war neugierig, wie der "vergessene Farbfilm" von der Militärkapelle klingt. Ein Stechschritt war nicht dabei. Die Soldaten sind ganz normal im Gleichschritt marschiert. Interessant finde ich immer die ganze Abfolge rund um "Präsentiert das Gewehr". Das habe ich bei meinem Grundwehrdienst vermißt, hätte ich damals lustig gefunden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.12.2021 um 04.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47877

Ich habe den Zapfenstreich zu Merkels Verabschiedung nicht gesehen, aber hat die Bundeswehr tatsächlich den "Stechschritt" vorgeführt, wie die ZEIT und andere berichten?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2021 um 13.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47838

Haben Sie Verständnis für Menschen, die sich nicht impfen lassen? (Umfrage beim STERN)

Die Antworten sind nicht zu verwerten, weil das Wort Verständnis zweideutig ist.

Ich habe dafür Verständnis, wenn er Angst vor der Spritze hat, aber ich finde es nicht gut.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.11.2021 um 04.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47698

In der Vorweihnachtszeit mit ihren Krippenbildern usw. ist eine Beobachtung nicht unpassend:

Noch immer "wickeln" wir Kinder, auch im "Wickelraum", aber nur sprachlich. In Wirklichkeit ist ja das "Wickelkind" mit gutem Grund völlig aus der Mode gekommen; vgl. den sehr ausführlichen Eintrag hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wickeln_(Kind)

Um der Hüftdysplasie entgegenzuwirken, "wickeln" wir die Kinder "breit".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.11.2021 um 08.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47688

Die Sprachkultur des gerade verstorbenen Volker Lechtenbrink wird gelobt. Gemeint ist die Sprechkultur.

Übrigens hatte ich ihn, ebenso wie Fritz Wepper, seit der "Brücke" nicht mehr gesehen, vgl.
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40611

Mein Jahrgang.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2021 um 16.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47549

Kinder verstehen unter „bauen“ etwas anderes. Das Bauen mit Bauklötzen fängt für sie mit dem Aufeinanderstapeln an. Das Nebeneinanderstellen von Säulen ist noch kein Bauen.
Und fällt es nicht noch uns bei Stonehenge leichter, von einem Bauwerk zu sprechen, weil es Querbalken gibt? Ein paar Stelen nebeneinander sind noch kein Bauwerk und schon gar kein Gebäude.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 19.10.2021 um 22.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47381

Oder so.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 19.10.2021 um 22.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47380

Oder "Ich werde niemals aufhören, Soldat zu sein"?
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 19.10.2021 um 19.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47379

Ich weiß nicht, was der Anlaß für den Vergleich zwischen »stets« und »immer« war, aber ich bin gestern beim Hören der Tagesschau über einen Satz im Beitrag über den Tod von Colin Powell gestolpert: »Ich werde stets nichts anderes sein als ein Soldat.« Das war die Übersetzung der Korrespondentin. Im Original lautete der Satz: »I will never not be a soldier.« Mit der wörtlichen Übersetzung war sie wohl nicht so glücklich, und so hat sie vermutlich ziemlich lang an der deutschen Formulierung herumgeschraubt. Mit unbefriedigendem Ergebnis, wie ich finde. Zwar hätte ich »immer« statt »stets« hier als etwas weniger störend, weil nicht so gestelzt empfunden, aber das Problem liegt woanders, nämlich in der Verschiebung der Aussage. »never not be X« und »stets nichts anders sein als X« bedeuten nicht das gleiche. Powell wollte doch nicht sagen, daß er Soldat und nur Soldat sei, sondern daß das Soldatsein, neben vielem anderen, immer ein Teil von ihm sein werde. Man hätte etwa übersetzen können: »Ich werde immer auch Soldat sein«, »Ich werde immer Soldat bleiben«. Der unbestimmte Artikel kommt mir übrigens recht englisch vor, ich würde ihn in vielen Fällen eher weglassen.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 19.10.2021 um 17.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47378

Vielleicht liegt es daran, daß "stets" noch eine gewisse Nähe zu "beständig" aufweist. Wer stets zur Stelle ist, steht allzeit bereit. "Das macht er immer" weist eher auf einen Wiederholungstäter hin. Es ist auch ein Unterschied, ob jemand immer noch betrunken oder stets noch betrunken ist, wenn er morgens im Büro erscheint.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2021 um 15.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47377

Man könnte meinen, daß immer und stets ziemlich gleichbedeutend sind, letzteres ein wenig gehoben. Beim Gebrauch zeigt sich jedoch eine enorme Asymmetrie:

immer willkommen, stets willkommen (beide häufig)
nicht immer willkommen, aber: *nicht stets willkommen (extrem selten)

Man kann den Test auch mit erwünscht machen, mit ähnlichem Ergebnis. Der Grund ist mir unbekannt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2021 um 04.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47138

In gewisser Weise bringt "Home office" die Heimarbeit zurück. In der Fachliteratur wird darauf hingewiesen, daß letztere rechtlich definiert und mit arbeitsrechtlichen Folgen verbunden ist, während die Definition von Home office sich noch im Fluß befindet. Auch wenn der Arbeitgeber das Equipment stellt – für den Arbeitsraum muß der Angestellte selbst sorgen und kann ihn allenfalls von der Steuer absetzen (wenn er denn überhaupt eine hinreichend große Wohnung findet) usw.

An einer meiner Töchter (Fachübersetzerin, zwei kleine Kinder) sehe ich die Probleme ganz konkret.

Die Zeiten ändern sich gewaltig, und die Sprache kommt kaum nach.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2021 um 06.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47115

Im "Triell" bestand Laschet in kindlichem (unter Erwachsenen also kindischem) Trotz darauf, daß der Staatsanwalt (CDU) in Scholzens Haus tätig geworden sei, während Scholz sinngemäß darlegte, daß er zwar unter seinem Dach, aber nicht gegen sein Haus ermittele. Laschet: "Also doch in Ihrem Haus!"

Wie man sieht, war das ein Spiel mit der konkreten vs. abstrakten Bedeutung von Haus. Es war recht peinlich, und man hätte gern disambiguierend eingegriffen.

Sogar die FAZ nannte es die "gekünstelte Angriffswut von Armin Laschet" (15.9.21).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2021 um 04.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#47021

Manche Antworten fielen ebenso knapp wie lapidar und ehrlich aus. (stern.de 27.5.21)

Das Ministeriun antwortete ebenso knapp wie lapidar: „Nein.“ (SZ 2.9.21)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2021 um 06.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46959

Irgendwo (ich kann die Stelle nicht finden) haben wir die ironische Verwendung der Koordination mit und besprochen:

Du und aufräumen!

Etwa gleichbedeutend sagt man:

Aufräumen? So siehst du aus!

Das Gemeinsame ist "das paßt nicht zusammen". Es muß aber exklamativ artikuliert werden, sonst wird die Ironie nicht deutlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2021 um 09.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46829

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46777

Brennt Griechenland um Platz für Windparks zu schaffen?, fragen Zeitungen (Musikwissenschaftler Matthias Nikolaidis bei Tichys Einblick 13.8.21)

Irgend jemand wird schon so gefragt haben.

Brandstiftung zur Baulandgewinnung ist seit langem üblich, warum nicht auch für Windräder übereifriger griechischer Klimawender?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.08.2021 um 06.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46777

Zur Klimadiskussion: Teilweise unter http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=840#29005 zu finden.

Unsere Klimaskeptiker haben gerade herausgefunden, warum in Südeuropa die Wälder brennen: Durch Brandstiftung soll Platz für Windräder in Naturschutzgebieten geschaffen werden.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 08.08.2021 um 22.48 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46776

Die Klimadiskussion ist nicht mehr auffindbar, aber das war nur so ein Beispiel. Es geht mir um die Frage, ob jemand, der sich über den Stand der Wissenschaft im Irrtum befindet, als denkfaul bezeichnet oder in die VTler-/Esoteriker-Ecke geschoben werden sollte. Das würde ich erstmal verneinen. Mir reichen dafür auch keine formalen Grobheiten wie z.B. Anti-Merkel-Sprüche, solange es an der Oberfläche bleibt.

Ich habe überlegt, mal ein paar Sachargumente zusammenzutragen, die die Impfskepsis stützen oder zumindest logisch nachvollziehbar erscheinen lassen. Ich glaube aber, daß ein paar ganz allgemeine Überlegungen sinnvoller sind, und die habe ich schon geäußert.

Ansonsten wird es einfach zu viel und würde hier nicht so recht passen. Ich habe die letzten zwei, drei Tage mal darauf geachtet, was mir so über den Weg läuft, und ein bißchen notiert. Das würde schon sehr lang werden, und genau das möchte ich verhindern. Abgesehen davon habe ich mir auch zuvor meine Gedanken gemacht, das könnte ich noch ergänzen. So eine Meinung wächst ja allmählich und besteht aus zahllosen "Komponenten".

Als ich letztens mit meinem Bruder telefoniert habe, sagte er mir, daß er mit der Impfung abwarten will – auch aus Skepsis gegenüber der schnellen Zulassung. Das hat mich erstmal geplättet, denn so kenne ich ihn überhaupt nicht. Aber hätte ich versuchen sollen, ihn zu überzeugen? Was ist, wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, daß es in ein paar Jahren zu Spätfolgen kommt, von denen man heute noch nichts weiß? Ich habe meine Abwägung nur für mich selbst getroffen, nicht für andere.

Die epidemiologischen Aspekte sind meiner Meinung nach auch nicht ganz so einfach zu beantworten. Exemplarisch und ausnahmsweise ein Link:
https://nationalgeographic.com/science/article/leaky-vaccines-enhance-spread-of-deadlier-chicken-viruses
(Irgendwo mußte ich auf Weiterlesen klicken, um an den ganzen Text zu kommen.)

Wie sich die Infektionswellen aufbauen und wie sie wieder abschwellen, scheint mir auch noch nicht wirklich verstanden zu sein. Neulich kam die Meldung, daß Geimpfte soviel Viren ausscheiden wie Ungeimpfte. Ich will das nicht besonders hervorheben, es ist nur ein Detail unter vielen.

Ich kann einfach verstehen, wenn die Leute sich nicht mit Bratwurst und plumper PR überzeugen lassen.

Eben ein einem Forum aufgeschnappt, der zweite und letzte Link:
Auch im Radio mischt sich aktuell der ständige und werbende Impfaufruf stets ins Normalprogramm.
Beispiel: In der Freitagssendung sagt ein Hörer, dass er sich am Wochenende mit Freunden trifft.
Moderator mit latent empörtem Unterton: Aber sie sind doch hoffentlich alle komplett geimpft, oder?

https://forum.massengeschmack.tv/t/themenvorschl%C3%A4ge-mediatheke/76128/4423

Es ist auch der Tonfall, der moralische Zeigefinger, der die Leute abschreckt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2021 um 10.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46773

Nebenbei: Zufällig weist in der heutigen Zeitung jemand auf den Unterschied zwischen Impfangebot und Impfung hin, erinnert an den Erfolg bei den Pocken (damals wurde die Hälfte der Menschheit geimpft!) und kritisiert dabei auch das sprachliche Herumeiern, mit dem man jeden Anklang an Impfzwang vermeiden möchte. Dabei wäre eine gesetzliche Impfpflicht durchaus verfassungsgemäß. Wenigstens dies sollte man den Menschen auch sagen; aber wer traut sich?

Zur Klimadiskussion: Ich selbst bin seit mindestens 40 Jahren grün im Herzen, war mit Herbert Gruhl befreundet und habe jahrelang für die ÖDP gearbeitet. Trotzdem (?) habe ich ebenso lange fragwürdige Thesen der Umweltschützer gesammelt und auseinandergenommen. Besonders frappiert haben mich immer die Meldungen, wonach ein wichtiger Faktor bisher nicht wahrgenommen worden sein soll usw. (Vielleicht spielen Sie, lieber Herr Fleischhauer, auf solche kritischen Einwürfe von mir an? Ich nehme nichts davon zurück, im Gegenteil, ich mache weiter.)
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 08.08.2021 um 07.41 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46772

Noch eine Ergänzung, obwohl ich jetzt keine Sachdiskussion anstoßen möchte.

Es entspricht nicht jedermanns logischem Verständnis, dass aus epidemiologischen Gründen geimpft werden soll (Streitfrage Herdenimmunität). Aus der Politik kam mehrfach die Ansage, daß Maßnahmen nicht mehr nötig sind, wenn für jeden ein Impfangebot besteht.

Nehmen wir einmal an, daß im Herbst und Winter massenweise Ungeimpfte schwer erkranken – dann wird die Impfbereitschaft doch sicher steigen, oder nicht? (Das Detail, daß die Impfung nicht sofort immunisiert, lasse ich mal beiseite.) Wenn man Politik und Wissenschaft einen Meinungswandel zugesteht, warum nicht auch der Bevölkerung?
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 08.08.2021 um 07.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46771

Man kann nicht von jedem verlangen, auf dem neusten Stand der Wissenschaft zu sein. Ich habe selbst erst 2007 erkannt, was für ein großes Problem der Klimawandel ist, obwohl es damals schon einen jehrzehntelangen wissenschaftlichen Konsens gab. Ich habe es dann zwar verstanden, mich dann aber gewundert, mit welch oberflächlichen Argumenten der damals aktuelle IPCC-Bericht kritisiert wurde, auch auf rechtschreibreform.com.

Daß Wissenschaft, Medien und Politik bei einer neuartigen Pandemie ihre Meinung ändern, ist nicht so sehr das Problem, es sind die manchmal großspurigen Verlautbarungen.

Und wenn Leute nicht überzeugt von einem bestimmten Pharmaprodukt sind, müssen sie es sich in einer freien Gesellschaft nicht spritzen lassen.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 07.08.2021 um 23.05 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46769

Das muß ich noch erläutern. Eigentlich ist das ein Forum über Sprache, nicht zu allen möglichen Wissenschaften.

Ich sehe aber eine gewisse Überschneidung, denn die sich ausbreitende Skepsis gegenüber der Wissenschaft(skommunikation) ist eben auch Skepsis gegenüber einer bestimmten Rhetorik.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 07.08.2021 um 22.52 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46768

Das war ein bisschen Ironie. Wahrscheinlich haben diese Leute alle möglichen Impfungen und zögern auch nicht, ihre Kinder zu impfen.
Ich finde auch deren Begründungen ganz akzeptabel, auch deren Trotz gegen staatliche Anmaßung.

Wahrscheinlich ist hier nicht der Platz, das zu diskutieren. Ich hatte vor längerer Zeit mal versucht, mich im Forum anzumelden, aber ich bekomme bei zwei Mail-Adressen keine Antwort.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.08.2021 um 22.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46767

In dem Artikel steht zweimal "vier Menschen", nicht Impfmuffel, d. h. diesen Begriff haben Sie, lieber Herr Fleischhauer, hier auf die vier angewandt.

Ihre Definition "ein Impfmuffel [ist] jemand, der sich nicht gern impfen lässt" (#46750) paßt aber dazu nicht gut, denn die vier lassen sich nicht nur nicht gern, sondern gar nicht impfen.

Zur Definition gehörten außerdem noch die Gründe. Ich würde Muffeligkeit mit Unlust, Faulheit, Trägheit, Bequemlichkeit, kleinlicher Furcht verbinden. Aber dann paßt es nicht zu den vieren, denn die haben andere Gründe genannt. Sind das nur Ausreden? Immerhin äußern sie sich dazu, was sie gar nicht nötig hätten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2021 um 17.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46766

Man könnte zu jedem der vier etwas allzu Naheliegendes sagen. Aber es würde wohl nichts ändern.

Ernst zu nehmen ist die medizinische Kontraindikation, wenn sie denn vorliegt. Dafür sind die Ärzte zuständig.

Insgesamt bestätigt sich mein Eindruck.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 07.08.2021 um 16.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46765

4 Impfmuffel aus dem Nürnberger Umfeld erklären sich:
https://nordbayern.de/region/vier-menschen-aus-der-region-erklaren-warum-sie-sich-nicht-impfen-lassen-1.11258370
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2021 um 04.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46760

Danke für den persönlichen Gedankenaustausch! Was mich betrifft, so will ich abschließend noch einmal bekennen, daß ich mich auf begrenzte Quellen stütze, nämlich hauptsächlich Texte und Bilder von Querdenker-Demonstrationen und auf "Tichys Einblick". Dort findet man all das beisammen, was ich kritisiere. Wie weit es repräsentativ ist, kann ich nicht untersuchen. Einflußreich ist es bestimmt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.08.2021 um 02.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46759

Obwohl ich mich zur Zeit und auf unbestimmte Zeit nicht gegen Corona impfen lasse, würde ich mich selbst weder als (Corona-)Impfgegner noch als (Corona-)Impfskeptiker bezeichnen, sondern eher ungefähr als Impfrealist.

Ich habe hier schon einmal geschrieben, daß ich bereits Impfungen habe, warum also nicht auch gegen Corona, vor allem da ich auch schon weit in meinen 60ern bin. Damals war ich noch nicht an der Reihe, aber wahrscheinlich hätte ich es sobald als möglich getan. Aber dann, obwohl nicht unvorsichtig, hatten meine Frau und ich uns irgendwo angesteckt. Vielleicht beim Arzt, beim Einkaufen, meine Frau in ihrer Firma (ich arbeite nicht mehr), wir wissen es nicht. Das ist jetzt ein halbes Jahr her, inzwischen gelten wir daher offiziell nicht mehr als genesen, die Frage der Impfung stellt sich also wieder.

Jetzt sehen die Verhältnisse aber für mich anders aus. Erstens habe ich sicherlich noch Antikörper, auch wenn die offizielle Frist vorbei ist, und diese würden mich zumindest vor schlimmeren Krankheitsverläufen bewahren. Zweitens habe ich die Erfahrung gemacht, daß Corona mir persönlich sowieso nichts ausmacht. Warum sollte das bei einer evtl. zweiten Ansteckung anders sein? Aus diesen beiden Gründen muß ich jetzt das Risiko einer schweren Erkrankung an Corona für mich selbst ganz anders einschätzen. Es ist m. E. in meinem Fall geringer als das Impfrisiko. Ähnlich wie das RKI für Kinder und Jugendliche wegen des gegenüber ihrem Krankheitsrisiko nicht unwesentlichen Impfrisikos keine allgemeine Impfempfehlung gibt, kann ich mir selbst z. Z. auch keine geben.

Ich bin geimpft gegen Pocken, Diphtherie/Keuchhusten/Wundstarrkrampf, FSME, mehrfach gegen Grippe, womöglich habe ich in dieser Liste noch etwas vergessen. Mein Impftermin gegen Gürtelrose steht kurz bevor, was für mich höhere Priorität als gegen Corona hat, und beides möchte ich sowieso nicht gerade kreuzen.

Ich bin also sicher kein Impfgegner, trotzdem sehe ich für mich aus vielen Gründen eine Coronaimpfung erst einmal zumindest in weiter Ferne. Ich hoffe, daß ich meine persönlichen Gründe einigermaßen plausibel dargelegt habe, so daß klar wird, daß es nicht nur (Corona-)Impfgegner und -skeptiker gibt.
Ich würde aus diesen Gründen auch anderen keine generelle Impfempfehlung geben, sondern ich glaube, jeder sollte für sich selbst vernünftig entsprechend seiner speziellen Situation entscheiden.

Gäbe es eine allgemeine Impfpflicht, sähe das anders aus, dann würde ich mich natürlich impfen lassen. Allerdings bin ich der Ansicht, daß die Gefährlichkeit von Corona bei weitem keine Impfpflicht rechtfertigen würde. Früher starben an großen Seuchen große Teile der Bevölkerung, was eine Impfpflicht (z. B. gegen Pocken) erzwang. Heute hingegen muß man eine erhöhte Sterberate durch Corona schon mit der Lupe suchen, allenfalls sporadisch ist sie erkennbar.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 06.08.2021 um 21.40 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46758

Meines Erachtens kann man die Corona-Impfskeptiker nicht mit gewöhnlichen Impfgegnern gleichsetzen. Es gibt eine enorme Skepsis bezüglich der Sicherheit der mRNA- und Vektorimpfstoffe; die verkürzte Zulassung nehme ich als häufigstes Argument wahr, neben Berichten von vermeintlichen Impftodesfällen. Ich hoffe, klassische Impfstoffe wie Novavax führen zu mehr Akzeptanz, wenn auch da die Zulassung natürlich unter Zeitdruck erfolgt.

Es gibt hinter dieser Skepsis eine nachvollziehbare Rationalität – das ist nicht vergleichbar mit den Vorstellungen der "klassischen" Impfgegner.

Diese klassischen Impfgegner waren auch nie im konservativen oder libertären Spektrum zu verorten. Insofern sehe ich auch bei oberflächlicher Betrachtung keine Verbindung. Es sind einfach nicht die gleichen Leute.

Die Sache ist natürlich noch komplizierter. Viele der angeordneten Hygienemaßnahmen sind logisch nicht nachvollziehbar (bei uns z.B. herrscht Maskenpflicht auf manchen Straßen und Plätzen, auch bei Niedriginzidenz, auch bei Regen, und das durchgehend seit November), die Gefährlichkeit von Impfdurchbrüchen ist nicht belegt, es ist nicht klar, wem die Nichtgeimpften schaden. Da gibt es einfach eine Menge offene Fragen.

Viele sind auch abgeschreckt von der Art der politischen Kommunikation - Klima, Corona, Gender, Cancel Culture und Verweigerung von Zusammenarbeit in Parlamenten werden da durchaus im Zusammenhang gesehen. Man nimmt eine einseitige Politisierung von Wissenschaft und Medien wahr, nicht ohne Grund.

Der Protest gegen Grundrechtseingriffe ist sozusagen mehrfach verursacht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2021 um 17.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46756

Was meine Erfahrung betrifft, will ich etwas ausholen, alles natürlich rein subjektiv, wie Erfahrungen so sind.

Schon Jahrzehnte vor Corona habe ich immer wieder erlebt, daß ich mit Impfgegnern nicht reden kann. Das war immer wie mit Homöopathie-Anhängern, Jehovas Zeugen usw. (Wie mich das Thema beschäftigte, habe ich in eigenen Veröffentlichungen gezeigt.)

Ein vernünftiges Gespräch über Impfen und andere medizinische Gegenstände sieht anders aus. Heute morgen haben wir uns z. B. gegen Gürtelrose impfen lassen. Vorher hat uns die Ärztin klar gesagt, welche Wirkungen und Nebenwirkungen zu erwarten sind. Wir sind auch gegen FSME und gegen Lungenentzündung geimpft, letzteres vor allem wegen Corona, wogegen seinerzeit noch nicht geimpft werden konnte.

Über das Gespräch vor der Darmspiegelung habe ich schon berichtet (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1426#46616).

In keinem Fall wollten die Mediziner uns etwas andrehen. Einmal sind wir allzu vorsichtig beraten worden (Humanpapillomvirus bei den Töchtern, das war damals noch so neu, daß die Frauenärztin abriet; das bedauern wir aus heutiger Sicht).

All das kann man vernünftig erörtern. Bei den Impfgegnern geht es in Ton und Inhalt ganz anders zu. Natürlich gibt es Ausnahmen.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 06.08.2021 um 11.45 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46751

Meistens bezieht sich die Skepsis auf die Impfstoffklasse, die eben neu ist. Insofern muß man da noch weiter differenzieren.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 06.08.2021 um 11.41 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46750

Nach meinem Verständnis ist ein Impfmuffel jemand, der sich nicht gern impfen lässt, und zwar egal, um was für eine Impfung es sich handelt.

Ich würde eher von Impfskeptikern sprechen, natürlich mit klarem Kontextbezug (Corona-Impfskeptiker).

Es gibt durchaus längere Texte von intelligenten Leuten, die diese Skepsis erläutern. Was die Mehrheit der Skeptiker denkt, weiß ich natürlich nicht. Es sind aber nicht nur Rechte.

In meinem Umfeld waren es übrigens Konservative, die sich zuerst Masken besorgt haben. Während des ersten Lockdowns habe ich hier überall Protestplakate unserer hiesigen linken Szene gesehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2021 um 11.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46748

Das mag vorkommen, aber die Erfahrung (nicht nur meine) zeigt, daß es eine zu wohlwollende Beurteilung ist.

Nebenbei: Kein Thema hat beim rechtsradikalen Tichy eine solche Fülle von einschlägigen Leserzuschriften hervorgerufen wie die Diskussion um einen noch gar nicht existierenden Impfzwang. Der Ton entspricht den Erwartungen. Rational ist da nichts. Der Piekser scheint einen Nerv zu treffen...
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.08.2021 um 10.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46746

Beim Impfmuffel sehe ich das auch so, aber den Impfverweigerer sehe ich erst einmal neutral. Man kann gegen eine Impfung nicht nur aus irrationalen Prinzipien sein, sondern auch aus rationalen Überlegungen heraus. Selbst wenn jemand mit seinen Überlegungen evtl. nicht recht hat, muß man ihm doch zugestehen, daß er vernünftig und verantwortlich zu handeln versucht, also weder Wüterich noch Prinzipienreiter ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2021 um 07.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46745

Man muß natürlich Impfmuffel und Impfverweigerer unterscheiden. Auch hier kann die Opposition neutralisiert werden, der neutrale Pol ist Impfmuffel.

Wo es auf den Unterschied ankommt, gilt der Impfmuffel als ansprechbar; er kann durch eine Bratwurst (für Muslime: einen Döner) oder durch betont barrierefreies Impfen verführt werden. Den Impfverweigerer macht das noch wütender, weil er insgeheim auch gern eine Bratwurst hätte, es aber wg. Prinzipientreue nicht eingestehen darf.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2021 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46444

Robin Alexander schreibt über "Merkels Ende" (Untertitel seines Buchs). Das kommt mir schräg vor. Frau Merkel ist ja weder gestorben noch politisch gestürzt worden, sondern beendet einfach ihre Amtszeit. Alexander ist schlau und weiß das natürlich. Bei ihm geht es immer dramatisch zu. Und er ist ganz nah dran...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.06.2021 um 13.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46340

Ach ja, Sie hatten den Fall ja schon erschöpfend behandelt. Neu ist nur das einmalige Sonderangebot.

Laut Duden ist "Barren" tatsächlich die Bezeichnung für nichtbearbeitete Edelmetalle unabhängig vom Volumen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.06.2021 um 11.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46339

Siehe zum Goldbarren auch
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1103#42884
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.06.2021 um 08.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46337

Was ist eigentlich ein "Goldbarren"? Im Internet wird mir einer angeboten für 19 € zuzüglich Versandkosten. Es ist ein Harry-Potter-Bild drauf. Eigentlich nur ein fingernagelgroßes Plättchen von 0,31 Gramm; Gold notiert auf dem Markt ein ganzes Stück niedriger.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2021 um 06.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46332

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40021

Bis heute ist die Angst vor einem Machtverlust, wie ihn einst die Sowjetunion erlebte, der wichtigste Treiber für die Führungsspitze. Diese Furcht spiegelt sich besonders stark im Kurswechsel wider, den Parteichef Xi Jinping mit seinem Amtsantritt 2012 einleitete. (SZ 26.6.21)

Klarer Fall von nichtunterscheidendem Kontext, also Neutralisierung der Opposition.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.06.2021 um 05.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46241

denn und dann waren ursprünglich identisch. Interessant ist die Entwicklung der Vergleichspartikel und der kausalen Konjunktion aus derselben Logik:

er ist größer denn ich < er ist größer, dann komme ich
er ist größer, denn er ist älter < er ist größer, dann ist zu sagen, daß er älter ist (woraus sich erklärt, daß der auch größer ist)

(Angelehnt an Whitney/Jolly: Die Sprachwissenschaft 181)
 
 

Kommentar von Thepdor Ickler, verfaßt am 25.05.2021 um 06.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#46017

Kind verliert komplette Familie

- nämlich beim Seilbahnunglück in Italien.

Das unpassende Wort erinnert an Schiller: "Er zählt die Häupter seiner Lieben..."

Nur daß diesmal alle komplett tot sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.04.2021 um 06.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#45765

In der kindlichen Subkultur gibt es für die relevanten Gegenstände eine reiche Synonymik, die man dann im Laufe des standardisierten Bildungsweges vergißt. Während die Enkelkinder heranwachsen, fallen mir viele Wörter wieder ein, die ich seit 60 Jahren nicht mehr gehört und gebraucht habe.

Die Murmeln hießen bei uns Bicker. Ich kannte auch Schusser oder Schosser, aber das kam mir ziemlich verkehrt vor. Sie rollten nicht, sondern kullerten; man konnte auch aus dem Bett kullern.

Die Murmeln werden heute fast nur noch für Kugelbahnen gebraucht, aber für uns war eine sehr häufige Verwendung das Spiel auf dem nackten Erdboden: eine kleine Kuhle ausheben und dann die Bicker mit dem gekrümmten Zeigefinger hineinschubsen (wie Golf, nur kleiner). Die Bicker waren aus Ton und kümmerlich gefärbt; wenn man drauftrat, zerstoben sie. Glaskugeln waren zehnmal so viel wert; das Tauschen gehörte dazu. Der Handel fand nichts dabei, die Bicker einzeln oder in kleinsten Mengen für wenige Pfennige zu verkaufen. Manchmal fand man im Gras einen übersehenen Bicker, das war eine tolle Sache.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.04.2021 um 18.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#45679

Niemand zwingt die Union, überhaupt über irgendetwas abzustimmen. Warum machen nicht beide Parteien mit ihrem jeweiligen Kandidaten Wahlkampf füreinander? Der Kanzler wird erst nach der Bundestagswahl vom Bundestag bestimmt, bis dahin kann man sich immer noch einigen bzw. einer sich durchsetzen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2021 um 16.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#45678

Kampfabstimmung

Ist nicht jede Abstimmung eine Kampfabstimmung?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.02.2021 um 07.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#45175

Zur historischen Semantik:
Oft liest man, bis ins 19. Jahrhundert habe man keine Unterwäsche getragen. Das stimmt nicht, aber es hängt auch davon ab, wie man Unterwäsche definiert. Man kann mehrere Kleidungsstücke übereinander tragen. Wir legen den Mantel ab, wenn wir ins Zimmer kommen, vielleicht noch die Jacke darunter, aber dann ist Schluß. Andererseits: „Im Allgemeinen gilt es als ungehörig, keine Unterwäsche (besonders keine Unterhose) zu tragen.“ (Wikipedia) Jeder soll sie also tragen, aber keiner soll sie sehen. Der Fall einer Popsängerin wird erwähnt, die sehen ließ, daß sie anscheinend keine trug, ein Skandal.
Heute wird besonders bei uns Männern so getan, als trügen wir nicht eigentlich Unterwäsche (aus dem legendär spießigen „Feinripp“), sondern Sportswear, die wir jederzeit vorzeigen könnten. Antike Wandbilder zeigen Sportlerinnen mit fascia pectoralis und subligaculum, also BH und Slip. (Ich habe auch schon „Monatshöschen“ neben mein Feinripp auf die Leine gehängt.) Ich habe schon erwähnt, daß der Begriff „Unterwäsche“ sonderbarerweise nicht durch die Hauptfunktion (welche eigentlich?) motiviert ist, sondern durch die scheinbare Nebensächlichkeit der Waschbarkeit, vor allem aber Waschpflichtigkeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.01.2021 um 06.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#45069

Auf das Kopulasynonym darstellen habe ich schon hingewiesen. Entsprechend wird zeigen als Synonym von haben verwendet: Der Baum zeigt Trockenschäden, Käferbefall usw.

In Wirklichkeit zeigen Bäume nichts und stellen nichts dar. Es gibt ja keinen Adressaten. Umfassender Anthropomorphismus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.01.2021 um 07.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#45056

Merz stellt sich hinter Laschet (tagesschau.de 19.1.21)

Da sollte Laschet sich aber vorsehen. Aber mal im Ernst: Wir haben gesehen, daß sich vor jemanden stellen und sich hinter jemanden stellen in vielen Kontexten austauschbar sind. Wenn aber zu differenzieren ist, dann so: hinter jemandem steht man, wenn man ihn bei dem unterstützt, was er tut; vor ihm steht man, um ihn zu verteidigen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2021 um 09.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#44985

Wenn einem allzu vieles nicht paßt, sollte man sich fragen, ob es an dem allzu vielen liegt oder an einem selbst, einer allgemeinen Verstimmtheit, gegen die sich vielleicht etwas machen läßt (Schokolade ist besser als Alkohol, weil der Kater alles nur schlimmer macht).

Was ich eigentlich sagen wollte: Man kann zwar sagen, daß einem die Klimapolitik nicht paßt, aber nicht, daß einem das Klima nicht paßt. Hier muß man sagen, daß es einem nicht gefällt. Das ist zugleich der Oberbegriff (inklusive Opposition). Wieder zeigt sich, daß wir für menschliche Angelegenheiten besondere Ausdrücke haben, während sich natürliche mit den allgemeineren zufrieden geben müssen. (Ein bißchen anders ist der Dimorphismus bei schwanger/trächtig und essen/fressen geregelt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2020 um 08.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#44822

Sein Ärger freilich gilt weniger Joe Biden, dem gewählten Präsidenten, der in dem Südstaat mit einen Vorsprung von 12.000 Stimmen vorne lag, was inzwischen zwei Neuauszählungen bestätigt haben. Sein Zorn gilt einigen Republikanern des Bundesstaates, die es den Demokraten erlaubten, die Wahl „zu stehlen“. (FAZ 7.12.20)

Man sieht hier wieder, wie der stilistische Zwang zur Wiederholungsvermeidung sogar die Ausdrucksabsicht verdunkelt. Die Entgegensetzung wäre wirksamer, wenn der gleichbleibende Teil nicht auch noch variiert würde (Ärger – Zorn).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.12.2020 um 07.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#44802

Eine Reporterin des WDR warf ihm vor, ihr nach einem Interview mehrfach ans Gesäß gefasst zu haben. (FAZ 3.12.20 über den verstorbenen Giscard d’Estaing)

Wahrscheinlich mit beiden Händen, mehr geht ja nicht.

Übrigens steht im selben Bericht, daß er an den Folgen bzw. im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung verstorben sei. Niemand stirbt an Covid-19 selbst. Schwacher Trost.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.10.2020 um 05.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#44607

Unterstöger stimmt im "Sprachlabor" der SZ einer Leserin zu, die an den Hufen von Kühen Anstoß nimmt. Man habe sich doch darauf geeinigt, bei Paarhufern von Klauen zu sprechen. Bei "Paarhufern"? Paarklauern!

In derselben Ausgabe heißt es, Trump habe unschätzbaren Schaden angerichtet. Für mich hat das Wort eine positive Bedeutung, gemeint ist unabschätzbar, nicht abzuschätzen.
 
 

Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 28.08.2020 um 08.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#44205

Das Fehlen solcher deiktischen Partikeln läßt die synchronisierten Dialoge englischsprachiger Filme regelmäßig steif und unlebendig erscheinen. Es fehlt eben was.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.08.2020 um 04.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#44204

Kleiner Beitrag zur Semantik von unbetontem so in hörerdeiktisch-autoklitischer Verwendung (was ich hier nicht näher erklären will). In den Wörterbüchern, soweit ich sehe, nicht verzeichnet:

Wie ernähren Sie sich denn so? (Spiegel 25.8.20)

Um dieses so zu erklären, muß man Beispiele suchen, in denen die Hinzufügung oder Weglassung zu einem eindeutigen Unterschied führt. Bei Tisch kann ich nur fragen:

Was essen Sie (denn) (da)?, aber nicht Was essen Sie (denn) so?

Die erste Frage bezieht sich auf das aktuelle Essen, die zweite auf das gewohnheitsmäßige. Hier wird also lexikalisch ein Ersatz für den fehlenden Verbalaspekt bereitgestellt. An einer anderen Stelle der Grammatik leistet mal diesen Dienst: Sag mal die Wahrheit! vs. Sag die Wahrheit! (Im Griechischen würden hier Aorist und Präsens unterschieden.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.08.2020 um 06.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#44183

Beim Basic English hat es bekanntlich besonders die Verben erwischt, es gibt nur noch 18. Der Grund liegt in einer Tatsache, die Leisi mit dem Begriff der „irrationalen Verben“ beschrieben hat (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1332#27242). Bei der synonymischen Differenzierung der Verben merkt man, daß in deren Verwendungbedingungen aufgenommen ist, wer etwas tut, womit er es tut und wo und wie er es tut. Lauter Dinge, die man im Subjekt, Objekt und Adverbial unterbringen könnte und auch unterbringt, aber es färbt gewissermaßen auf die Verben ab: Die Taube gurrt, man blättert in einem Buch und schlendert durch die Straßen.

Das ist denn auch ein Hauptarbeitsgebiet der distinktiven Synonymik:

schlendern vs. bummeln
lutschen vs. nuckeln usw.

Syntagmatisch handelt es sich um Kollokationen oder „lexikalische Solidaritäten“, aber eben nicht nur, denn blond kommt ja auch ohne seinen Kollokationspartner Haar vor, und in to kick ist der Fuß „verkapselt“, wie Wallace Chafe es ausgedrückt hat. Beides muß in guten Wörterbüchern angegeben werden: Verwendungsbedingungen einschließlich Kollokationspartner.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.08.2020 um 05.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#44150

Sarmad A. – zwischen Fanatismus und psychischer Störung (Tagesspiegel 20.8.29)

Wieso „zwischen“?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.07.2020 um 09.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43978

Der Bedeutungswandel von feiern war schon angebahnt, aber durch Corona wird er beschleunigt.

Früher brauchte man im allgemeinen ein Anlaß, sei er noch so fadenscheinig. Heute trinkt man in Gemeinschaft Alkohol. Allmählich kommt noch eine Bedeutungskomponente ins Spiel: randalieren. Das könnte in zwanzig Jahren die Hauptbedeutung sein. Ein wohlbekannter Vorgang der historischen Semantik.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.07.2020 um 14.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43931

"Zur Qualität der Produkte gehört auch, dass sie unter fairen Bedingungen hergestellt werden.“ (Umweltministerin Svenja Schulze im DLF)

Nein, das gehört nicht zur Qualität – was aber nicht bedeutet, daß man es nicht berücksichtigen sollte.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.06.2020 um 23.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43802

Für Kreuzworträtsel verschwende ich normalerweise keine Zeit, aber heute fragte mich jemand lachend nach "kurz für: Flugzeug" mit 8 Buchstaben (MM, 27.6.20), denn "Flugzeug" hat ja selbst auch nur 8 Buchstaben. Das hat mich neugierig gemacht.

So war es nötig, ein paar Wörter ringsherum zu finden, bis die Lösung klar war: "Maschine". Gesprochen sogar eine Silbe länger. Und tatsächlich, auch Google führt auf die Anfrage "kurz für Flugzeug" mit 8 Buchstaben direkt auf "Maschine". Was manche nur unter "kurz" verstehen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.05.2020 um 12.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43669

Es ist so ähnlich wie mit der Freiheit, die nach dem Wunsch frommer Zeitgenossen nicht nur die Freiheit von etwas sein soll, sondern auch die Freiheit zu etwas. Oder mit dem Kampf für etwas (Kleinschreibung), aber nicht gegen etwas (Großschreibung)(http://www.sprache.org/).

Mehrmals habe ich rühmen hören, daß die Bibel die goldene Regel "positiv" faßt: Behandele deinen Nächsten, wie du von ihm behandelt werden willst! Und nicht "negativ": Was du nicht willst...

Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Pollyanna_principle
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 30.05.2020 um 12.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43668

Ich denke, daß Gebot von vielen mit geboten assoziiert wird, und das klingt nun mal weniger verbindlich als verboten. Verbotenes darf man nicht tun, Gebotenes sollte man tun, weil die Vernunft es verlangt (nicht der Staat oder sonstwer) – so ungefähr ist wohl der Gedanke. Eine Behörde, die Polizei, der Arbeitgeber verbieten, aber sie gebieten nicht, jedenfalls würde man das heute nicht mehr so ausdrücken. Das verstellt ein wenig den Blick auf die Verbindlichkeit von Geboten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.05.2020 um 06.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43667

Angesichts von Corona wird auf eine unlogische Weise mit den Begriffen "Verbot" und "Gebot" hantiert. Das Gebot, rechts zu fahren, ist äquivalent dem Verbot, links zu fahren, und kein Gegensatz.
Gemeint ist aber der Gegensatz zwischen Gebot/Verbot einerseits und Ratschlag andererseits.

In den letzten Wochen haben wir immer wieder gehört, daß die Schweden sich aus Einsicht und im Vertrauen auf die Regierung vernünftig verhalten, während die obrigkeitshörigen Deutschen das gleiche aus Angst vor der Polizei tun. Furcht und Zittern bestimmen unser Leben, das hätten wir ohne diese Erklärungen gar nicht bemerkt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.05.2020 um 19.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43652

Seine Aufgabe sah er in seinen bisher zwei Jahren als Botschafter vor allem darin, die Politik Trumps in Deutschland und Europa offensiv zu vertreten. Bei der Bundesregierung stieß er damit auf Verärgerung. (t-online 25.5.20 über Grenell)

Er stieß nicht auf Verärgerung, sondern löste sie aus.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.05.2020 um 18.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43651

Augenmerk auf Aerosolen

Im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus sollte nach Ansicht des Virologen Christian Drosten ein stärkeres Augenmerk auf feinste Schwebeteilchen in der Luft – sogenannte Aerosole – gelegt werden.
(Mannheimer Morgen, 26.5.2020, S. 3)


Es sollte in der Überschrift "auf Aerosole" heißen, denn darum geht es im Text. Aber gut, wenn man etwas wohin legt, dann liegt es schließlich dort, auf den Aerosolen.

Aber eigentlich ist mir dieser Artikel wegen des schönen, alten Wortes Augenmerk aufgefallen. Heutzutage wird ja normalerweise nur noch mit dem Fokus um sich geworfen.

Es erinnert mich auch an die Ablösung des Blickfangs durch den eye catcher.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.05.2020 um 07.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43566

"Wen jemand lobt, dem stellt er sich gleich." (Goethe)

Darum kann der Lehrer den Schüler loben, aber nicht umgekehrt. Auch trösten setzt dieses Gefälle voraus. (Allerdings weniger streng, denn ein Kind kann die Mutter trösten.)
Wenn er vom Schüler gelobt wird, bedankt sich mancher Lehrer ironisch. (So Professor McGonagall bei Ron Weasley in „Harry Potter“, fein beobachtet.)

Gott zu loben (halleluja!) gehört zum Kern der jüdisch-christlichen Religion, aber es ist mehr ein Preisen, Rühmen oder Verherrlichen als ein eigentliches Loben, also Beurteilen. Für Nichtgläubige befremdlich und auch als Sprechakttyp schwer einzuordnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2020 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43542

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43444

Masturbation Is the Only Winner of the Coronavirus Pandemic (Cosmopolitan)

Der Handel meldet aber auch eine Umsatzsteigerung bei Sexspielzeug mit Fernbedienung.

Tja, was macht Corona mit uns!

Die dreijährige Enkelin sagt: Beim Bäcker trägt man eine Maske und bei der Arbeit auch.

Wenn das noch eine Weile so geht, prägt es einen ganz ordentlichen Abschnitt ihres jungen Lebens. Da wir sie kaum sehen, nur am Telefon hören können, fällt mir übrigens wieder mal die enorme Tonhöhenmodulation der Kindersprache auf. Wenn sie bloß ja sagt, klingt es fast wie ein Lied.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 01.05.2020 um 12.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43541

Es geht halt um die Moneten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2020 um 05.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43539

Man kann Merkel und den Ministerpräsidenten wirklich nicht vorwerfen, dass sie es sich leicht machen würden oder es nur um monetäre Belange ginge. (Robin Alexander)

Mich stört das jedesmal. Monetär bezieht sich doch auf die Währung, gemeint ist aber finanziell, pekuniär. Duden freilich macht keinen Unterschied.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 18.04.2020 um 17.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43444

Gegenwärtig sind einer Übersicht zufolge in Deutschland unter anderem auch »Prostitutionsstätten und Bordelle« geschlossen.
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 18.04.2020 um 10.03 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43437

Apropos trotz: Trotz Corona-Pandemie - Drei Raumfahrer Richtung ISS gestartet. (Spiegel Online, 9.4.)

Trotz? Wegen!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2020 um 03.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43433

Urnengang trotz Pandemie (SPIEGEL 16.4.20)

Wieso "trotz"? Je mehr Tote, desto mehr Urnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.04.2020 um 05.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43377

Vielen Staaten droht ein gewaltiger wirtschaftlicher Absturz – mit kalkulierbaren ökonomischen Folgen für sie und nicht berechenbaren politischen Folgen für den schwindenden europäischen Zusammenhalt. (FAZ 7.4.20)

(kalkulierbar – berechenbar, wirtschaftlich – ökonomisch)

Die synonymische Variation erschwert das Verständnis. Der Wortreichtum imponiert, verdeckt aber die Schlichtheit des Inhalts.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.03.2020 um 15.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43301

Hierzu mehr im sehr lesenswerten und leicht lesbaren Bestseller des Israeli Yuval Noah Harari "Eine kurze Geschichte der Menschheit", Kapitel 12, Das Gesetz der Religion, Der eine Gott.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2020 um 05.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43299

Wieder einmal belehrt ein katholischer Priester die Leserschaft, daß Heilige nicht angebetet, sondern nur verehrt werden. Im Sinne der amtlichen Lehre ist das richtig, aber es entspricht nicht dem Sprachgebrauch und der Volksreligion.
Meistens heißt es, jemand bete zur Muttergottes, zur heiligen Jungfrau, zur heiligen Anna, zum Heiligen Geist usw. Aus religionswissenschaftlicher Sicht handelt es sich um Gespräch mit einem übernatürlichen, also imaginierten Gegenüber. Die feinen Unterschiede sind selbst dem gewöhnlichen Gläubigen nicht klar. Wie ja auch – damit zusammenhängend – das Verhältnis des Monotheismus zur "Trinität" und zum Marienkult, von den Muslimen mit einem gewissen Recht als Verwässerung moniert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2020 um 04.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43298

Zum vorigen: Politiker streiten nun gar, ob es zu früh ist, über einen "Exit" (dummes Wort) aus den coronabedingten Beschränkungen nachzudenken. Das sind bloße Wortspiele mit den beiden Bedeutungen von nachdenken. Zum Nachdenken im primären Sinn ist es nie zu früh. Es geht nur um den Termin einer Lockerung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.03.2020 um 06.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43280

Wir haben erlebt, wie das Verb prüfen eine Bedeutungsvariante entwickelte, die etwa "in Aussicht stellen" oder gar "beabsichtigen" gleichkommt. Das lief wohl über "einen Vorschlag auf seine Machbarkeit prüfen".

Zur Zeit wird verbreitet, es sie noch zu fürh, über eine Lockerung der Corona-Beschränkungen nachzudenken. Auch das ist umschreibend für "beabsichtigen".

In nachdenken steckt noch eine ältere Konstruktionsmöglichkeit: nach etwas denken, mit der Bedeutung "sich sehnen". (s. Deutsches Wörterbuch s.v. denken 13d)

Bei Trakl steht: träum ich nach ihren helleren Geschicken, recht interessant für die gefühlte Bedeutung der Präposition.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2020 um 04.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43145

t-online.de über das „gebrochene Versprechen“ von Bernie Sanders: Sanders führte seinen Wahlkampf mit dem Versprechen, er werde so viele Nichtwähler wie noch nie mobilisieren. Das löste er nicht ein.

Schon manchern hat seinen Liebsten versprochen, nicht zu sterben, und dann ist er doch gestorben.

Sanders kündigte etwas an, aber es gelang ihm nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2020 um 04.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43143

Im Radio: Vielen Dank fürs Zuhören und Hinhören!

Zuhören ist eine Hinwendung zu einer kommunikativen Quelle, meistens Sprache, aber auch Musik (interessanterweise). Er hörte dem Regen zu ist poetisch, eine anthropomorphisierende Metapher.

Hinhören (= Lauschen) gilt Lauten oder Geräuschen allgemein. Hör mal genau hin, da ist eine Maus! Ich habe nicht hingehört.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2020 um 04.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#43142

Jahrhundertelang wurde dann aber erbittert Jagd auf die Europäische Wildkatze gemacht, weil sie den Jägern angeblich Hasen und sogar Rehkitze abspenstig machte. (nordbayern.de 11.3.20)

Gemeint ist streitig machen. Die Wildkatze macht nicht Proselyten, sondern Beute.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2020 um 05.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42993

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42297

Schach wird meistens unter Sport gehandelt, Schachsport usw., aber von einem Sportlehrer erwartet man nicht Schachunterricht. Übrigens auch keinen Schießunterricht, trotz Sportschießen, und kein Autorennen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.02.2020 um 05.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42923

Zu Würdenträger gibt Duden folgende Beispiele:

- hohe geistliche Würdenträger
- Würdenträger der Partei


Letzteres kommt wohl nur selten vor. Oft hingegen neben den Geistlichen die parodistische Erscheinungsform der Karnevalsprinzen und Schützenkönige.

Seltsam zwitterhaft die Amtsinhaber der Protestanten:

Superintendent, Generalsuperintendent usw. Eigentlich dürfte es die ja gar nicht geben, nur Brüder und Schwestern...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2020 um 13.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42856

Das Handbuch zur Router-Installation ist ja mit größter Sorgfalt hergestellt und sozusagen idiotensicher. Um so stärker fällt auf, daß ein unnd dieselbe einzugebende Zahl im Heft, auf dem Gerät und auf dem Bildschirm unter drei verschiedenen Bezeichnungen läuft: WLAN-Schlüssel, Sicherheitsschlüssel und Passwort. Das ist sprachlicher Reichtum am falschen Ort.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2020 um 07.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42811

"Propheten des Untergangs" oder so ähnlich. Man verwechselt hier oft zwei verschiedene Dinge. Manche prophezeien wie Kassandra eine Katastrophe als unvermeidliches Schicksal. Andere konditionieren es: Wenn man nichts tut, wird eine Katastrophe kommen. Dies sind eigentlich Mahner und keine Prohpeten. Greta Thunberg gehört zu diesen im Grunde optimistischen Mahnern, die ja offensichtlich ein Abwenden der Katastrophe für möglich halten.
Das geht auch in den Zeitungen ständig durcheinander.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.01.2020 um 07.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42767

Burgfrieden zwischen USA und China

Beliebte Redeweise, weil kein Journalist weiß, was ein Burgfriede(n) ist. Das ähnelt dem Quantensprung, den Spurenelementen usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler , verfaßt am 09.01.2020 um 09.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42731

Allerdings ist upper left corner ungleich häufiger als left upper corner.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2020 um 09.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42730

Die Reihenfolge der Adjektivattribute ist im allgemeinen nicht gleichgültig. Aber die obere rechte Ecke und die rechte obere Ecke sind gleichwertig, ebenso oben rechts/rechts oben. (Häufigkeitsunterschiede sind bei so großen Belegzahlen kaum relevant und können auf kontextuelle Präferenzen zurückgehen.)

Es scheint so zu sein, daß wir nicht bevorzugt erst zur Seite und dann nach oben gehen oder umgekehrt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2020 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42717

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41238

Daß die Steigerungsfigur in vielen Fällen mit dem Fremdwort arbeitet (in 90 Prozent in dieser Richtung), habe ich an zahllosen Beispielen notiert. Zufällig finde ich eine Bemerkung darüber in Fontanes "Kinderjahren":

Es ist das Leben eines Einsiedlers, das ich führe, ja, man könnte schon von Anachoreten sprechen, die ich mir, übrigens vielleicht mit Unrecht, als gesteigerte Einsiedler denke. Fremdwörter haben fast immer was Gesteigertes. (Das sagt Fontanes Vater beim letzten Besuch seines Sohnes. „Meine Kinderjahre“ 17. Kap.)

Keine Steigerung, sondern strenge Synonymie und verhüllende Funktion des Fremdwortes liegen an der bekannteren Stelle auch dem "Stechlin" vor:

Kann eigentlich Fremdwörter nicht leiden. Aber mitunter sind sie doch ein Segen. Wenn ich so zwischen Hydropsie und Wassersucht die Wahl habe, bin ich immer für Hydropsie. Wassersucht hat so was kolossal Anschauliches.
Vgl. schon http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1437#23315
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2020 um 09.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42714

Wir und die Unsrigen üben Vergeltung, die anderen Rache.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2019 um 08.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42331

Schon in der Antike wurde die nachträgliche Verhöhnung und Schändung des getöteten Feindes als unnötige Roheit und Rückfall in unzivilisierte Zeiten mißbilligt. Musterbeispiel ist natürlich Achills exzessive Rache an Hektor. Die Götter waren damit nicht einverstanden.

Von Trump erwartet man nichts anderes, aber Journalisten müssen nicht unbedingt einstimmen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2019 um 12.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42326

Dabei fällt mir auf, daß das Wort liquidieren kaum noch gebraucht wird, während die Säuberung (ebenfalls nach russischem Vorbild) schon noch vorkommt, aber wohl meist in bezug auf quasi-stalinistische Verhältnisse.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2019 um 06.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42325

Noch einmal zum "Krieg gegen den Terror".

Für Verbrecher ist die Polizei zuständig.
Eigentlich billigen wir auch dem schwersten Schwerverbrecher den Anspruch auf rechtliches Gehör zu. Das ist ein unveräußerliches Menschenrecht, nicht wahr?

Jemand kann ermordet oder hingerichtet werden oder im Krieg fallen. Das verschwimmt nun alles in der inflationären "Tötung". Muster: We came, we saw, he died. Dazu triumphierendes Grinsen oder "wie ein Hund" und ähnliche Atavismen. (Khashoggi starb auch wie ein Hund. Das mag er selbst gedacht haben, wie Josef K.)

Das alles wird gleichmütig hingenommen und sogar gutgeheißen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 23.10.2019 um 09.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42300

Im vorliegenden Fall ging es aber tatsächlich um ein schneeweißes Pferd vor beschneiten Berghängen. Wie im Märchen oder eben in der Apokalypse.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2019 um 09.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42297

Allerdings heißt weiß bei Pferden auch nicht "schneeweiß", so wie weiß, rot und blau bei Weißkraut, Rotkohl, Blaukraut "verschoben" werden, was Chafe als "Tailoring" bezeichnet hat.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 23.10.2019 um 08.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42296

Es handelt sich nicht um Synonyme, denn ein Schimmel kann auch gräuliches Fell haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2019 um 06.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42295

In einem Leserbrief an die FAZ macht sich Prof. Hans Markowitsch die Mühe, das weiße Pferd, auf dem sich Kim Jong-un präsentiert habe, als „fast kindliche Umschreibung“ von Schimmel und Zeichen von Sprachverfall zu kritisieren. Nun, man kann sich oder so ausdrücken, vgl.

Und ich sah den Himmel aufgetan; und siehe, ein weißes Pferd. Und der daraufsaß, hieß Treu und Wahrhaftig, und er richtet und streitet mit Gerechtigkeit. (Offenb. 19,11)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.10.2019 um 04.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42247

Fremdwörter übernehmen die Konstruktion ihrer deutschen Synonyme:

daß Laut und Schrift voneinander autonom sind (unabhängig)

Nostalgie nach etwas (Sehnsucht)

Skepsis an etwas (Zweifel)


Man hat jedesmal den Eindruck, daß das Fremdwort nicht mehr richtig verstanden ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2019 um 05.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42223

Kinski hatte ein sehr wechselhaftes Temperament. (Wikipedia)

Gemeint sind Launen. Temperament verhält sich zu Laune wie Klima zu Wetter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.10.2019 um 06.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42216

Wurstskandal ist heutzutage fast doppelt gemoppelt. Früher bei der Hausschlachtung war das noch anders. Die Zutaten waren überschaubar und das Ganze ein ehrbarer Versuch, das Schwein bis zur letzten Schwanzspitze zu verwerten. (Nicht auszudenken, wo das hessische "Weckewerk" auf Klöckners Ampel landen würde! Uns unterernährten Kindern hat es geschmeckt.)

verwursten – „zu Wurst verarbeiten“ (Duden)

Das ist zwar die wörtliche Bedeutung, aber viel gebräuchlicher ist die durchaus verräterische übertragene.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2019 um 06.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42212

Menschenrechtsverletzungen als Begründung amerikanischer Sanktionen gegen chinesische Unternehmen werden als "Ausrede" bezeichnet. Richtig wäre "Vorwand".

Beides sind Fälle von Rechtfertigung. Vorwand gehört in den Deliberationsdialog, ein Vorwand dient als Begründung von etwas, was man tun will.

Ausrede gehört in den Schulddialog.

Warum willst du die Schule schwänzen?
Vorwand: Ich will an Fridays for Future teilnehmen (in Wirklichkeit schwimmen gehen)

Warum hast du die Schule geschwänzt?
Ausrede: Ich wurde bei Fridays for Future gebraucht (in Wirklichkeit war ich schwimmen)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2019 um 05.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42198

Wie viele Leute kommen zur Tagung? (= werden dort anwesend sein)?

Wie viele Leute gehen zur Tagung? (= werden hier abwesend sein)?

Die Tagung kann im ersten Beispiel am Ort des Sprechers oder auch anderswo sein. kommen und gehen sind so wenig symmetrisch-antonymisch wie her und hin.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.09.2019 um 20.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42078

(Oh, das war natürlich auf Homonymie gemünzt und sollte unter "Störende Homonymie" stehen.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.09.2019 um 19.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42077

Wie störend Synonyme sein können, sieht man besonders im Englischen.
Gerade bin ich über die Fehlermeldung "illegal variable name/number" gestolpert.
Ich habe mit Variablen A0, A1, A2, A3, ... zu tun, in der Reihe dürfen auch Lücken sein. Jede Variable hat eine Nummer (number), auch die Anzahl (number) aller Variablen ist variabel.

Was ist nun ungültig? Ist es ein Variablenname/Variablennummer oder ist die Variablenanzahl zu groß?

Auch die Groß-Klein-Schreibung trägt zur Klarheit bei. Im Englischen weiß man manchmal nicht, ob mit variable eine Variable oder das Adjektiv variabel gemeint ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.08.2019 um 03.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#42001

Die Eindeutschung von Fremdwörtern führte zu Synonymenpaaren, aber auch das Umgekehrte findet statt: Beauty neben Schönheit, Body neben Körper, Tool neben Werkzeug usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2019 um 04.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41951

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30655

Wenn wir mit einem Menschen zusammenleben, übernehmen wir einen Teil seiner Redeweise, nicht vollständig, aber doch überzufällig. Ich beobachte bei anderen (wo man es eher bemerkt als an sich selbst), daß sie von ihrem Partner Floskeln wie im Endeffekt übernehmen.

Wenn jemand sich bedankt, wehrt man bescheiden ab: Gern geschehen. Ich beobachte, daß offenbar aus der Praxis des Versandhandels Immer wieder gerne sich verbreitet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2019 um 05.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41783

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32116

Wir sprechen „über“ etwas, die alten Griechen „um etwas herum“ (peri, später auch „über“ hyper), ebenso die Skandinavier (om); die Römer „von etwas“ (de). Der englische Gebrauch hat Philosophen zu "aboutness" und auch "ofness" inspiriert. Verschiedene Bilder, gleicher Sinn. Im Deutschen wird noch zwischen „über“ und „von“ unterschieden.
Aus naturalistischer Sicht spricht man eher „unter“ etwas, nämlich unter der Steuerung durch Reize verschiedener Art. (Das ist aber auch wieder nur ein Bild und hat nichts mit „aktiv/passiv“ zu tun.)
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 27.06.2019 um 03.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41759

Wer hätte gedacht, daß jemand die Wörter Pädiater und Pädo(philer) verwechseln kann? Im Jahr 2000 wurde in Wales eine Kinderärztin (paediatrician) mit Graffiti an ihrem Haus als Paedo gebrandmarkt.

https://www.theguardian.com/uk/2000/aug/30/childprotection.society

https://www.telegraph.co.uk/news/uknews/1353904/Paediatrician-attack-People-dont-want-no-paedophiles-here.html

Vorausgegangen war eine Kampagne der Boulevardzeitung News of the World mit dem Ziel, Pädophile bloßzustellen und anzuprangern – naming and shaming. Schon einen Monat vor dem Vorfall in Wales hatte die Zeitung ihren Aufruf allerdings zurückgezogen.

https://www.telegraph.co.uk/news/uknews/1351615/Paper-drops-paedophile-campaign.html
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.06.2019 um 05.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41739

Jean-Claude Juncker habe 23-mal mit vier unterschiedlichen Schweizer Bundespräsidenten gesprochen. (FAZ 21.6.19)

unterschiedlich ist "gehoben", aber in diesem Falle, wo es um numerische Verschiedenheit geht, wäre verschieden besser gewesen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2019 um 17.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41646

Und plötzlich schafft es Trump, zum ernsten Staatsmann zu reifen (welt.de 7.6.19 über die Rede zum D-Day-Gedenken)

(Die WELT-Leser sind vor Begeisterung aus dem Häuschen.)

Kann man „plötzlich reifen“? Kann man ebenso plötzlich auch wieder entreifen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.06.2019 um 05.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41638

Trump nach seinem Gespräch mit Prinz Charles: “I did say, ‘Well, the United States right now has among the cleanest climates there are based on all statistics.’ And it’s even getting better because I agree with that we want the best water, the cleanest water. It’s crystal clean, has to be crystal clean clear.” (Guardian 5.6.19)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.05.2019 um 04.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41609

Aristoteles hat sehr knapp untersucht, worauf die Wirkung der anerkannt besten Tragödien (Ödipus, Antigone) beruhte. Seither sind buchstäblich ganze Bibliotheken über „das Tragische“ verfaßt worden, als sei dies eine Substanz, die mehr oder weniger stark konzentriert in Kunst und Leben vorkommt. Die Alltagssprache hat die Wortgeschichte zu einem possenhaften Abschluß geführt, etwa wenn man das Scheitern von Kramp-Karrenbauer „tragisch“ nennt. Damit sind wir fast zum Ursprung zurückgekehrt („tragos“ = Ziegenbock).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.05.2019 um 03.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41492

Der Text steht übrigens hier:

https://www.handelsblatt.com/technik/forschung-innovation/konkurrenzkampf-in-der-luft-dieses-neue-flugtaxi-von-lilium-soll-die-mobilitaet-revolutionieren/24345930.html
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.05.2019 um 03.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41490

An englische Vorlagen denkt man in der Pressesprache immer zuerst. In diesem Fall glaube ich es nicht, werde aber der Sache nachgehen. Meiner Erinnerung nach habe ich das Verb vor langer Zeit in Geschäftsberichten und dergleichen Texten gelesen, wo es unmöglich auf perform zurückgehen konnte. Eine Möglichkeit wäre der ursprüngliche Bezug auf Grafiken.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.05.2019 um 19.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41489

Richtig, im Wirtschaftsteil automatische Übersetzung von amerikanischen Agenturmeldungen. Im Politikteil automatische Übernahme der talking points des DNC, darauf läuft es hinaus.
 
 

Kommentar von Vollgasfahrer, verfaßt am 16.05.2019 um 17.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41488

.. Landung darstellen ..

Der Artikel ist leider schon im Bezahlbereich verschwunden, so daß man keine Quelle für diesen Text ausmachen kann. Ich vermute aber stark eine englische Pressemitteilung, die dann 1:1 übersetzt oder abgemalt wurde. Im Original könnte es vielleicht perform a landing geheißen haben, das Verb alleine kann eben auch darstellen bedeuten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.05.2019 um 11.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41486

Falle einer der insgesamt 36 Elektro-Propeller aus, könne man immer noch eine sichere Landung darstellen. (Handelsblatt 16.5.19)

Als Laie hofft man natürlich, daß jedes der versprochenen 100.000 Flugtaxis sicher landet und die sichere Landung nicht nur darstellt. (Man hofft auch, daß aus der Metropolis-Vision allgegenwärtigen Fluggeräts nichts wird.)

Dieser häufige Gebrauch könnte aus der Fachsprache der Chemie stammen. Unsere Chemielehrer legten großen Wert darauf, daß die Verbindungen nicht hergestellt, sondern dargestellt werden. Didaktisch gesehen eine Marotte, die den unbeliebten Chemieunterricht nicht beliebter machte.

Ich erinnere mich auch, wie unser Mathelehrer, den ich sehr mochte, mich einmal tadelte, weil ich geschrieben hatte, ein Punkt "bewege sich zwischen -1 und +1" (oder so ähnlich). Sicher eine bescheuerte Ausdrucksweise, aber das wußte ich selber. Daß ich mich nach fast 60 Jahren noch daran erinnere, deutet auf schwere Traumatisierung hin.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.05.2019 um 20.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41476

Das Pentagon prüft angeblich, bis zu 120.000 weitere Soldaten in den Nahen Osten zu entsenden. (faz.net 14.5.19)

Man sieht hier, wie „prüfen“ eine zweite Bedeutung angenommen hat („erwägen“), entstanden durch Verkürzung aus „die Möglichkeit prüfen“. Dessen Konstruktion ist übernommen, ein sicheres Indiz des Bedeutungswandels.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.05.2019 um 06.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41449

Es gibt weise Sprüche, aber keine weisen Aufsätze. Die Sieben Weisen haben Aphorismen hinterlassen, keine Abhandlungen. Eine Abhandlung mit Thesen und ihrer Begründung kann nicht weise sein. Logik ist das Gegenteil von Weisheit. Sie ist im Kern agonal, setzt einen Gegner voraus, dem man mit Beweistechnik beikommen muß. Der Weise kennt aber keine Polemik, er schenkt uns nur seine Erleuchtungen.

Normalerweise erlaubt man nur einem alten Menschen ein solches Auftreten, das sich der Begründungspflicht entzieht und den streitbaren Dialog verweigert. Nur in religiösen Überlieferungen kommt der Wunderknabe vor, der als puer senex schon so redet wie ein Alter, so daß alle Welt erstaunt.
 
 

Kommentar von Vollgasfahrer, verfaßt am 26.04.2019 um 13.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41363

"Greta Thunbergs Drohbotschaft" ist sicher nur ein Wortspiel mit Bezug auf Frohbotschaft, Frohe Botschaft, Evangelium.

Ein Begriffspaar wie Lach- und Sachgeschichten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.04.2019 um 12.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41362

Greta Thunbergs Drohbotschaft auch im Vatikan willkommen
(https://katholisches.info/2019/04/23/greta-thunbergs-drohbotschaft-auch-im-vatikan-willkommen/)

Gemeint ist Warnung.

Beide Sprechakttypen sind mit Hinweisen auf negative Folgen verbunden, beim Drohen gehen die Sanktionen jedoch vom Sprecher aus. Dazu muß er Macht haben, was im Falle von Greta Thunberg nicht der Fall ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.04.2019 um 04.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41315

sich räuspern müßte eigentlich mit eu geschrieben werden (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=850), da hatte Augst recht.

Im Augenblick interessiert mich etwas anderes. Das Räuspern scheint im Gegensatz zum Husten etwas Kommunikatives zu sein. Hunde können husten, aber sich nicht räuspern. Es wird angegeben, daß man durch Räuspern auf sich aufmerksam machen kann. Das gibt es wohl nur als Wortmeldung, als Einleitung zu einer Äußerung. Man spricht vom Hustenreflex, nicht vom Räusperreflex.

Ich erinnere mich an den Ratschlag einer Gesangslehrerin, nicht das schädliche Husten, sondern ein schonendes Räuspern anzuwenden, um den Atemtrakt freizukriegen, allerdings mit geschossenen Lippen. Nun lese ich bei Wikipedia:

„Räuspern stellt eine weitaus größere mechanische Belastung für die Stimmbänder dar als Husten.“

und bin etwas im Zweifel..

Zur Synonymik wäre hüsteln heranzuziehen. Das scheint mir ebenfalls kommunikativ (zeichenhaft) zu sein, auch wenn man natürlich einsam vor sich hin sowohl hüsteln als auch sich räuspern kann. Das Hüsteln könnte etwas stärker auf eine Unterbrechung oder einen wortlosen Kommentar hindeuten, weniger als Zeichen einer Wortmeldung verstanden werden. Man kann daher auch anzüglich hüsteln. Diese Hypothese muß aber noch geprüft werden, der Ostersonntag ist ja noch lang.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2019 um 17.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41308

Statt tiefere Bedeutung, tieferer Sinn sollte man einfach sagen andere Bedeutung, anderer Sinn. Ich habe immer gefunden, daß das eine gute Übung ist, die einem gewisse Vorurteile bewußt macht.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.04.2019 um 17.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41245

Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch: simpel – einfach;
Simplicius Simplicissimus 1669.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.04.2019 um 16.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41244

Wilhelm Busch: "Jung ein Gimpel – alt ein Simpel."
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 12.04.2019 um 14.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41243

Zumindest in Frankfurt auch abschätzig üblich: "Du Simpel!"
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.04.2019 um 13.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41242

Ich finde, in simpel schwingt noch etwas Abwertendes mit, dadurch ist es schon eine Art Steigerung von einfach. Auch ist es bereits recht lange eingedeutscht, zumindest das Adjektiv klingt kaum mehr nach einem Fremdwort.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 12.04.2019 um 11.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41240

Vielleicht schwingt im zweiten Beispiel in dem Wort »Simplizität« das Staunen des Verfassers mit (zum Beispiel darüber, daß derart einfach strukturierte Gesellschaften überhaupt funktionieren können). Damit muß nicht unbedingt eine Wertung verbunden sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.04.2019 um 03.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41238

Sollte das Stück über Nacht ganz einfach, ja simpel geworden sein? (über „Scarbo“, gespielt von Hamelin, RhP 25.5.14)

Es gibt viele Belege dieser Art, wie üblich mit dem Fremdwort als Steigerung, aber der Sinn ist nicht leicht zu erfassen. Bei simpel scheint über die formale Einfachheit hinaus manchmal der Gedanke an inhaltliche Anspruchslosigkeit mitzuwirken. Aber wie ist es hier:

Es gibt Großgesellschaften von äußerster Einfachheit, ja Simplizität. (René König: Leben im Widerspruch. Berlin 1984:134)

(Als Beispiel wird dann die indische Gesellschaft angeführt, mit Betonung auf dem bäuerlichen Charakter einer noch wenig arbeitsteiligen Zivilisation.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.04.2019 um 21.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41223

Die USA stufen erstmals das Militär eines anderen Landes offiziell als Terrororganisation ein. US-Präsident Trump erklärte, die iranischen Revolutionsgarden seien für Washington eine terroristische Vereinigung. (tagesschau.de 8.4.19)
Eine eigenwillige Wortwahl. Warum und warum jetzt? Der (metaphorische, trotzdem blutige) „Krieg gegen den Terror“ läuft schon, man braucht ihn nicht zu erklären.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.03.2019 um 04.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41139

Nach meiner Beobachtung verbreitet sich besitzen statt haben immer mehr, auch wo es keinen Sinn hat: Die arabischen Ziffern besitzen ihr Vorbild in Indien.
Es wirkt wie ein Fall rhetorischer Aufplusterung, aber es steckt wohl mehr dahinter. Man unterscheidet damit das Vollverb vom gleichlautenden Hilfsverb und vermeidet eine öft auftretende Zweideutigkeit oder kurze Irreführung.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.03.2019 um 13.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41121

So kriminell ist die Hälfte der Bevölkerung nun auch wieder nicht.

Doch, so kriminell ist die Hälfte der Bevölkerung durchaus

Spaßvögel sagen ja, daß zwischen diesen beiden Meinungen gar kein Widerspruch besteht.

Im Ernst: Natürlich muß Urheberschutz sein, aber es geht auch darum, daß nicht unter dem Deckmantel des Urheberschutzes die Meinungsfreiheit beschnitten werden kann. Das ist halt die Gratwanderung, die bewältigt werden muß. Und jeweils die Verteidiger der einen Seite tun so, als ob das andere Problem gar nicht besteht.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 25.03.2019 um 11.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41120

Doch, so kriminell ist die Hälfte der Bevölkerung nach geltender Rechtslage durchaus, und sie weiß es sogar. Urheberrechtsbrüche sind ihr trotz einer gewissen mulmigen Angst vor Abmahnanwälten zur lieben Gewohnheit geworden. Deshalb greift sie nun so bereitwillig die absurde Googlepropaganda gegen die Reform auf und spricht von Zensur und bedrohter Meinungsfreiheit. Daß der Hehlereipraragraph noch immer keinen Praxisbezug zur digitalen Welt hat, ist zu beklagen, macht die Ausbeutung der Urheber aber weder legitim noch legal – und die finanziellen Verluste der Urheber sind ebenso diesseitig wie die Milliardengewinne der Hehler.

Die digitale Welt ist an ihren Auswirkungen auf die analoge zu messen. Einer der ersten prominenten Piraten, Sebastian Nerz, erklärte vor Jahren mal:

„Wenn ich ne MP3 kopiere, hat der, von dem ich das kopiere, danach noch immer genausoviel wie davor.“

Derweil schrumpften meine Gema-Einnahmen. Ich wies ihn darauf hin, daß man mit seinem Argument auch das Kopieren von Geldscheinen gutheißen könne, und fragte ihn, ob ich mal bei ihm vorbeikommen dürfe, um seine Freundin zu vögeln; die werde anschließend ja ebenfalls noch da sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2019 um 06.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41119

Die FAZ (heute Jürgen Kaube) polemisiert gegen die Kritiker des geplanten Urheberrechts: Sie würden Hehlerei billigen usw. Das kann man sicher so sehen; ich habe mich damit nicht näher beschäftigt. Aber klar ist auch, daß die Anwendung solcher herkömmlichen Rechtsbegriffe auf das „Neuland“ Internet sich nicht von selbst versteht. In Erinnerung ist noch die Frage, ob Elektrizität eine „bewegliche Sache“ ist, an der man Diebstahl begehen kann. Ähnlich sollte man auch der Internetdiskussion zugestehen, daß die üblichen Begriffe der Interpretation bedürfen, und Bedenkenträger nicht wie gewöhnliche Anstifter zum Rechtsbruch behandeln. So kriminell ist die Hälfte der Bevölkerung nun auch wieder nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.03.2019 um 07.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41116

Ein Soziologe (Martin Schröder, Marburg) hat in vielen Aufsätzen dargelegt, warum die Soziologie konstitutionell dazu neigt, die Gesellschaft und ihre Entwicklung negativer darzustellen, als sie ist, die Fortschritte geringer, als sie sind usw.
Das hat ähnliche Gründe wie der Grundfehler der distinktiven Synonymik. Wenn man sich zwei Wörter isoliert, also vermeintlich „kontextfrei“, vornimmt und nach ihrer Bedeutung fragt, schafft man unwissentlich einen (in Gaugers Sinn) „synonymischen“, also unterscheidenden Kontext. Dann treten die Bedeutungsunterschiede hervor, die Neutralisierungsmöglichkeiten dagegen kommen gar nicht in den Blick. Ähnlich interessiert sich die Soziologie vorwiegend für Unterschiede, hebt also Ungleichheit (und Ungerechtigkeit) hervor usw. Darum ist die Lage meistens besser als die Stimmung.

Das ist politisch folgenreich: Es begünstigt diejenigen, die "das System zerschlagen" wollen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2019 um 07.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41055

Nordkorea missachtet Sanktionen (FAZ 14.3.19)
Es sollte heißen umgeht, denn missachten kann Sanktionen nur jemand, der sich dazu verpflichtet hat.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 09.03.2019 um 10.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#41020

Die Berühmtheit gibt es auch im Plural – wenn Personen gemeint sind. Auch wenn man diesen Fall außer acht läßt, ist Berühmtheit nicht unbedingt dasselbe wie Ruhm. Der Spiegel setzt einen Qualitätsunterschied an, indem er über Justus Frantz schreibt:

Klassische Werke aufzuführen, das war Justus Frantz nie genug. Er strebte nach Höherem. Mit Kanzler Helmut Schmidt nahm er Klavierkonzerte von Mozart auf, mit seinem Orchester, der Philharmonie der Nationen, musizierte er für den Weltfrieden. So hat es Frantz zu einigem Ruhm und zu noch mehr Berühmtheit gebracht; ihn kennen auch Deutsche, die sich für Klassik nicht sonderlich interessieren.

Berühmtheit ist auch nur eine Eigenschaft der betreffenden Person, was man vom Ruhm der Person nicht sagen kann. Der Versuch, Ruhm in realen Texten durch Berühmtheit zu ersetzen, führt oft zu dem Eindruck, daß man das nicht machen sollte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2019 um 07.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40990

Das Verb trinken ist in seiner Grundbedeutung unangefochten, obwohl verschiedene spezialisierte Kontextbedeutungen in Gebrauch sind. Man soll ein bis zwei Liter täglich trinken. Das rät der Arzt, und es ist in Ordnung. Er trinkt nicht bedeutet, daß jemand keinen Alkohol trinkt. Aber er trinkt oder er trinkt nicht mehr sind nicht einfach die Negation dazu, sondern beziehen sich auf Alkoholismus. Trinker ist praktisch ganz auf diese Bedeutung festgelegt.

Die Euphemismen (durch Weglassen des Objekts) haben ihre eigene Bedeutung bekommen.

Nach einer Veranstaltung fragt jemand: Gehen wir noch wohin? Das wird so verstanden, daß man noch etwas Alkoholisches zu sich nehmen will, je nach den Umständen ein Glas Wein trinken oder ein Bierchen zwitschern. Synonymik und Euphemismen sind hier reich ausgebildet.

Ebenso bei der Ausscheidung: Ich muß mal wohin ist eigentlich ebenso gebildet wie das erwähnte wohin gehen, bedeutet aber fast das Gegenteil. Es ist vergleichsweise direkt und wird fast nur Kindern nachgesehen. Der Mann, der schon einige Bierchen gezwitschert hat, muß mal die Keramik aufsuchen. Das finden die anderen, im selben Zustand, recht witzig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2019 um 07.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40971

Man muß die Deutsche Umwelthilfe e.V. nicht mögen, aber wenn die Autoindustrie und ihre parlamentarische Vertretung nun glauben, die Gelegenheit nutzen zu sollen, um ihr via Geneinnützigkeit ans Leder zu gehen, dann halte ich das für unklug. Insbesondere der Vorwurf, sie sei "militant", ist wenig durchdacht, wenn das Wort noch einen Sinn haben soll. Freilich bin ich es gewohnt, daß der Atheismus immer militant ist (diese Verbindung gehört ins "Wörterbuch der Gemeinplätze"), aber die DUH zieht doch einfach nur vor die Verwaltungsgerichte und bekommt recht. Also stellen die Gerichte, die jeder respektiert, schlicht fest, daß geltende Gesetze nicht eingehalten werden. Das ist nicht militant, sondern dient dem Gemeinwohl.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.02.2019 um 14.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40842

Theoretisch könnte mit dem morbiden Grund auch ein morscher, brüchiger Untergrund (Fußboden) gemeint sein.

Duden online hat bei blöd/-e, spröd/-e, fad/-e jeweils beide Varianten,
bei gerad/-e nur mit e (ohne e nur in Zus.),
bei schräg/-e hat er nur die Variante ohne e.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2019 um 04.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40836

Diesen Raum auf einem Kreuzfahrtschiff dürfen Passagiere nicht betreten – der Grund ist morbide
(https://www.derwesten.de/panorama/kreuzfahrtschiff-drogen-skandal-passagiere-id215873877.html)

Gemeint ist makaber (es geht um den Kühlraum für Leichen).

Abgesehen von der semantischen Verwechslung: Duden hat nur morbid, gegen den Sprachgebrauch, der auch bei prädikativer Verwendung gern das e anhängt; andererseits nur marode (alle aus dem Frz.).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2019 um 05.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40819

Zur Bedeutung und Funktion von meinen einige unvorgreifliche Gedanken:

„Die grundbedeutung von meinen, seinen sinn auf etwas richten, gedanken machen über etwas, ist in verschiedener weise ausgebildet worden.“ (Deutsches Wörterbuch)

Die Grundbedeutung wird also in der gleichen mentalistischen Begrifflichkeit beschrieben, zu der das fragliche Verb selbst gehört. Dieses Verfahren bietet sich an, wenn es darum geht, anderen Sprechern eine bewußtseinseigene Bedeutungsbeschreibung und -differenzierung zu bieten (distinktive Synonymik). Die naturalistische Semiotik nimmt einen anderen Standpunkt ein. Sie beschreibt das beobachtbare Sprachverhalten von außen, ohne sich ihm anzuschließen.

meinen gehört zu den vielen Verben, die eine Handlung bzw. ein Verhalten zu bezeichnen scheinen, in phänomenologischer Redeweise sogar ein „gerichtetes“ Verhalten, wie es die transitive Konstruktion nahelegt. beachten, lieben usw. werden ähnlich gedeutet (vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1586). Es ist das traditionelle Verfahren der rationalistischen, sprachverführten Psychologie.

Das Meinen scheint zum Sagen hinzuzukommen: Man kann etwas aussprechen (z. B. zitieren), ohne es zu meinen, aber im Normalfall meint man es auch, macht sich die „gerade Bedeutung“ gewissermaßen zu eigen. Dies ist aber kein zweites Verhalten neben dem Artikulieren, sondern verweist auf einen anderen Zusammenhang: Das meinende oder – mit Husserl - „bedeutungserfüllte“ Sprechen steht unter einer anderen Steuerung als das bloß artikulierende. (Wittgenstein hat diese Sprachverführtheit bereits aufgedeckt, ohne eine konsequent verhaltenspsychologische Analyse zu erreichen.) (https://www.philosophie-wissenschaft-kontroversen.de/details.php?id=246617&a=t&autor=Wittgenstein&vorname=%20L.&thema=Meinen)


Disambiguierendes meinen:
Wenn jemand von Memphis spricht und der Partner einwirft, daß er auch schon einmal in Ägypten war, kann der Sprecher das Mißverständnis so auflösen: Ich meine Memphis in Tennessee. Das bedeutet, daß sein eigenes Sprachverhalten von der amerikanischen Stadt gesteuert war und daß er den Partner auffordert, sein eigenes weiteres Verhalten ebenfalls durch diesen Reiz steuern zu lassen. (Es wird sich meist um einen intraverbalen Reizkomplex handeln, weil die Stadt nicht selbst, sondern nur durch Berichte usw. "anwesend" ist und so nur gebrochen auf das Redeverhalten einwirken kann.)

Selbstkorrigierendes meinen:
Der Sprecher kann auch von sich aus zu einer Neuformulierung ansetzen, wenn er den Eindruck hat, die erste Äußerung sei nicht wirksam genug gewesen.

Nachfragendes meinen:
Statt direkt zu fragen Was hast du gesagt?, kann man umschreiben: Wie meinst du das? - Dies ist höflicher, weil es nicht unterstellt, der andere habe sich völlig unverständlich ausgedrückt. Man gibt vor, seine Äußerung im wesentlichen verstanden zu haben und nur noch Einzelheiten genauer verstehen zu wollen.
Die Höflichkeitspragmatik hat dieser Wendung verschiedene, z. T. heute veraltete Formen gegeben: „Wie meinen der Herr?“ fragte er in einem gleichfalls völlig unbestimmbaren Ton. (Arthur Schnitzler: Traumnovelle; ähnlich mehrmals, in Österreich verbreitet)
Daraus dann auch mit der üblichen Unterdrückung des Subjekts: Wie meinen? (Nach Duden „veraltet oder scherzhaft“.)

Autoklitisches meinen (Heckenausdruck):
In der ersten Person dämpft ich meine den Anspruch des Sprechers auf Geltung seiner Aussage (wie ich denke, ich glaube; I think usw.): Ich meine, das wird ein Riesenproblem werden. (https://www.br.de/nachricht/interview-stoiber-ueber-asylantraege-unser-staat-ist-ueberfordert-100.html)
Das kann allerdings in anderem Ton auch eine feste Position markieren: "Hier stehe ich,ich kann nicht anders." Vielleicht mit der Nebenbedeutung, daß man zwar überzeugt ist, aber keine Begründung aufbieten kann. Diese dialogorganisierende Funktion muß noch untersucht werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.02.2019 um 10.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40778

Wieder ein Zeitungstext, in dem Jahrhundert schon im nächsten Satz durch Säkulum ersetzt ist, bloß um die Wiederholung zu vermeiden. Aber Säkulum ist nur für gebildete Leser, und bei denen ist es gleich mit Schiller assoziiert. Werden die Tintenkleckser das denn nie lernen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2019 um 06.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40699

In der FAZ wurde aus gegebenem Anlaß über die nach Panama transportierte Marienstatuette aus Fatima berichtet, die von den Gläubigen "verehrt", laut Ankündigung auf Seite eins aber "angebetet" werde. Erwartungsgemäß meldet sich ein kluger Leser und stellt richtig, nur Gott werde angebetet usw.

Das mag dogmatisch berechtigt sein, aber die Sprachwirklichkeit und Volksfrömmigkeit sieht anders aus.

Die Christen arbeiten sich ja auch schon 2000 Jahre lang an der "Trinität" ab, wobei nicht das geringste Problem in der Abwehr des Polytheismus-Vorwurfs liegt, der besonders vom Islam erhoben wird.

Kurt Flasch weist in seinem Buch über Augustinus darauf hin, daß diese polytheistischen Ansätze nicht aus der griechisch-römischen Tradition stammen, sondern auf dem Boden der jüdischen gewachsen sind.

Der Heiligenkult, der sich nicht um subtile synonymische Unterscheidungen kümmert (die sich auch nicht in allen Sprachen nachvollziehen lassen), hat sicher auch allgemeinmenschliche Grundlagen: In der Not ruft man gute Geister an, manchmal die der Ahnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2019 um 19.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40692

Experten und Leser geben ihre besten Tipps preis. (FAS 27.1.19)

Tricks kann man preisgeben, Tips nicht, denn wenn man Ratschläge für sich behält, sind es keine. Man gibt sie einfach.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2019 um 18.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40667

Wenn ein deutscher Gelehrter aus dem Lateinischen übersetzt:

Sie stammte aus Triest, wo sie zuerst mit einem Notar verheiratet war, aus welcher Ehe sie zwei außerordentlich schöne Töchter besaß (!).

– dann kann man sicher sein, daß der Scholastiker sich schlichter ausgedrückt hat, und so ist es auch:

De Tridento fuit, uxor cuiusdam notarii, ex quo habuit duas filias, pulcherrimas dominas.

(Der relativische Anschluß wäre auch noch zu verbessern.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2019 um 05.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40657

In about 1810 the lexicographer Noah Webster was – or was supposed to be – at work on the great dictionary which bears his name when his wife unexpectedly entered his study and found him in the arms of their housemaid.
"Oh, Mr Webster!" she cried, "I am surprised!" Her husband raised himself up on one elbow and said, with all the dignity he could muster in that posture, "No, my dear. We are surprised. You are astonished."


Dieselbe Anekdote wird auch von Dr. Johnson erzählt, der allerdings nie verheiratet war, von Émile Littré (mit den französischen Entsprechungen) und von anderen Lexikographen. Sie ist offensichtlich erfunden, aber sehr hübsch erfunden.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.01.2019 um 21.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40632

War es denn tatsächlich kein Migrant? Wurde das so offiziell bestätigt?

Ich halte ja auch die Wahrscheinlichkeit in diesem Fall für sehr gering, aber meine Hand würde ich dafür nicht ins Feuer legen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.01.2019 um 07.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40623

In Bayern hat ein Psychiatriepatient eine andere Patientin mit einem Messer bedroht. Der geringfügige Vorfall, den die Polizei mit großem Aufwand beendete, wird überall „Geiselnahme“ genannt. Allerdings heißt es auch: Zum Motiv des 40-Jährigen machte die Polizei keine Angaben. Er habe keine Forderungen gestellt. (SPON) Kann man dann von „Geiselnahme“ sprechen?

Die Leser bei welt.de reagierten schwarmgemäß:

In welcher Sprache wird denn da verhandelt? :-)

Mann und Messer. Man darf auf die Auflösung gespannt sein. Und ob man mit dem ersten Gedanken richtig lag.


Nachdem bekannt geworden war, daß der Täter aus Österreich kam:

Mann aus Österreich? Also 2015 über Österreich (illegal) eingereist?! Und schon spricht man von einem Mann aus Österreich? Fragen über Fragen.

Ich kann mittlerweile in einer einzeiligen Überschrift zwischen den Zeilen lesen.


Usw.

(Übrigens ist die Bewaffnung des Irren mit "zwei (!) Brotzeitmessern" nicht so gefährlich, wie es sich anhört; ein einziges Brotmesser wäre schlimmer gewesen. Ich füge das hier an, weil im Norden vielleicht nicht jeder weiß, was ein Brotzeitmesser ist...)

Der Vorfall ist schnell in Vergessenheit versenkt worden, war eben mangels Beteiligung eines Migranten kein Leckerbissen, den man tagelang auskosten kann.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 18.01.2019 um 13.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40612

Vielleicht spielt hier am Rande eine Rolle, daß dénonciation ein neutraler Begriff ist (Anzeige).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.01.2019 um 10.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40611

denunzieren, Denuntiation werden mit Recht als "abwertend" bezeichnet; allerdings kenne ich auch den feuilletontypischen neutralen oder sogar positiven Gebrauch:

Für den Filmkritiker Enno Patalas ging "Die Brücke" aber im Vergleich zu den zeitgenössischen Kriegsfilmen am weitesten in der Denunziation des Krieges. (Wikipedia "Die Brücke")

Auf den Eintrag bin ich übrigens gestoßen, weil in den Medien gerade der Schauspieler Fritz Wepper erwähnt wird, der offenbar sehr bekannt ist, den ich aber seit Wickis "Brücke" nicht mehr gesehen habe, also genau 60 Jahre. Der Film hat uns damals stark beeindruckt, und wenn ich heute lese, daß er nach Meinung einiger Kritiker als kriegsverherrlichend empfunden werden konnte oder als Lob der Durchhaltemoral, dann kann ich das gar nicht nachvollziehen. Wir waren 15 und legten natürlich keine ästhetischen Maßstäbe an, die Bilder verfolgten uns noch lange.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.01.2019 um 03.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40600

Die wörtliche Wiederholung gerade nicht zu vermeiden kann ein rhetorisches Mittel sein. Als der Schöngeist zum marxistischen Agitator wurde, brachte er solche Sätze hervor, wie ich sie anderswo schon zitiert habe:

Die demokratische Reform hingegen setzt die radikale Kritik der Inhalte voraus, damit ein demokratisches Bewußtsein einer demokratisch werdenden Gesellschaft die demokratische Schule schaffen kann. (Heinz Ide, Hg.: Bestandsaufnahme Deutschunterricht. 3., unv. Aufl. Stuttgart 1970/72, Vorwort)

Ob man solche Texte je zum Gegenstand der damals geforderten Ideologiekritik gemacht hat? Die dürftigen Ergebnisse und Folgen der "emanzipatorischen" Deutschdidaktik, zu denen auch die Rechtschreibreform gehört, sind betrüblich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.01.2019 um 05.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40546

Der in vielen Bedeutungen verwandte Begriff „Repräsentation“... (Sandkühler in ders. Enzyklopädie, S. 1384)

Nicht Begriffe, sondern Wörter haben viele Bedeutungen, und jede ist ein Begriff. Begriff ist die Zusammenfassung eines Wortes und seiner Synonyme und Übersetzungsäquivalente. Man sollte diese Zusammenfassung nicht hypostasieren, als wäre sie etwas Zweites neben den Wörtern (etwa die "Bedeutung"), aber als praktische Abkürzung ist sie sehr nützlich.

(In dieser Bedeutung ist übrigens „verwendet“ viel üblicher als „verwandt“.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.01.2019 um 15.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40510

Es ist womöglich nur sehr wenig geschehen und doch gleichzeitig unendlich viel passiert. (Bernhard Pörksen: Die große Gereiztheit. München 2018:7)

Möglicherweise unterscheidender Kontext, aber sicher ist es nicht, weil der gesamte Text zu allgemein und abstrakt formuliert ist.

(Langweiliges Buch, nach einigen Seiten aufgegeben)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2018 um 06.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40440

Auch Daniel Deckers (FAZ) benutzt in der Kritik an seiner Kirche den Ausdruck „sexualisierte Gewalt“ (entsprechend der erstaunlichen Fügsamkeit, mit der sich fast alle Journalisten diese feministische Begriffsbildung haben aufschwatzen lassen). Der sadistische Priester kommt eher in der gehobenen, auch autobiographischen Literatur vor, volkstümlicher ist der geile Priester. Der wendet selten Gewalt an, meistens nutzt er seine Macht aus, ebenso wie der Internatslehrer oder Filmproduzent. Macht und Gewalt sind aber nicht dasselbe. Unsere Vordenker haben die „strukturelle Gewalt“ erfunden, um den Unterschied zu verwischen. Das Warenangebot im Kaufhof ist strukturelle Gewalt usw. – Das Spiel ist ja längst bekannt, aber warum machen intelligente Leute immer noch mit?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2018 um 09.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40424

"Wenn ich es glaube, ist es Religion; wenn du es glaubst, ist es ein Mythos."

Hübsch gesagt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.12.2018 um 15.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40392

Die Preiselbeere müßte eigentlich Streifelbeere heißen, sie ist nach einem slawischen Verb für „abstreifen“ benannt. Die Unterschiede der Benennungsmotivation sind immer wieder erstaunlich, wenn man z. B. die Beeren durchgeht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2018 um 04.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40262

Wenn jemand eine „Einladung ins Mittelalter“ veröffentlicht wie Horst Fuhrmann, dann impliziert das seine eigene Zugehörigkeit, als sei er gewissermaßen der Hausherr.

Wenn ich jemanden ins Kino einlade, muß ich nicht der Kinobesitzer sein, aber weil ich den Eintritt bezahle, ist es vorübergehend „mein Kino“.

(Vgl. auch http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=783#39674 zur Diffamierungsvokabel „Einladungspolitik“)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.12.2018 um 10.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40246

Neuer Regierungschef in Mexiko
Angetreten, das Land zu ändern
(tagesschau.de 2.12.18)

Gemeint ist verändern.

Die Synonymik dieses Wortfeldes ist ziemlich kompliziert (mein alter Freund Sigbert Latzel hat vor vielen Jahren darüber geschrieben für den Bereich Deutsch als Fremdsprache).

Wenn ich meinen Namen ändere, trete ich unter einem anderen Namen auf, zum Beispiel Meier statt Ickler. Verändere ich ihn, dann nenne ich mich vielleicht Theodor stattt Hans-Theo (wie mich zu Schulzeiten alle nannten).

In der Musik nannte man Variationen früher Veränderungen. Dabei wurde das Thema abgewandelt. Eine Änderung des Themas würde auf ein ganz anderes Thema hinauslaufen.

Es gibt hier viele Überlappungen, Neutralisierungen des Unterschieds, wie zu erwarten:

Du mußt dein Leben ändern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2018 um 08.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40209

Erwachsene bedienen sich bei Canapés, für kleine Kinder gibt es "Schäfchen", wie man bei uns sagt. Mundgerecht zugeschnittene belegte oder bestrichene Brotstückchen werden überall anders genannt, aber ich kenne noch keine synonymische Zusammenstellung. Duden weiß auch nichts davon.

Kinder müssen erst lernen, daß es bei Brotscheiben usw. eine Ober- und Unterseite gibt. Ebenso läßt sich beobachten, daß der Löffel bald nicht mehr einfach in den Brei gesteckt und dann abgeleckt wird, sondern größere Ausbeute ermöglicht, wenn man ihn richtig hält. Mit eineinhalb klappt das schon ganz gut. (Mein unvergleichlicher Kartoffelbrei kommt besonders gut an, das hilft natürlich bei der Konditionierung.)
 
 

Kommentar von D. P., verfaßt am 26.11.2018 um 22.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40184

Sie bekamen Jugend- und Haftstrafen zwischen drei Jahren und neun Monaten sowie sechs Jahren und drei Monaten.

Vierfaches und wirkt vielleicht überladen (vor allem schriftlich?), aber besser wird es so nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2018 um 09.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40163

Ich gebe nur Beobachtungen wieder. Übrigens:

Birken sind oft Pionierpflanzen auf freien Flächen. Birken-Arten stellen nur geringe Ansprüche an Boden und Klima. Birken-Arten gedeihen sowohl auf trockenen wie nassen Böden, in Heidegebieten, auf Dünen wie auf Moor. (Wikipedia)
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 23.11.2018 um 02.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40161

"Hasel, Eberesche" – einverstanden, aber die Birke ist ein besonderer Baum, weil sie unglaublich durstig ist. Das ist ja einer der Gründe, warum man sie in ehemaligen Moorlandschaften wie der Lüneburger Heide so häufig sieht, denn sie entzieht dem Boden große Mengen an Wasser. Aus denselben Gründen ist sie in den Mittelgebirgen relativ selten. Nadelhölzer sind hingegen viel genügsamer, und auch Buchen, Eichen oder Pappeln kommen mit weniger Wasser aus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.11.2018 um 05.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40153

Man könnte die spracheigene Ordnung der Bezeichnung von Mannigfaltigkeiten etwa aus dem Dornseiff heranziehen und sich normativ eine daran angelehnte Systematik zurechtlegen:

Klasse – Exemplar
Rolle – Träger
Menge – Element
Gruppe – Angehöriger
Organisation – Mitglied
Ganzes – Teil

...

Darunter sind Begriffssysteme (durch Eigenschaften definiert, Similarität) und Bestandssysteme (durch Zusammensein definiert, Kontiguität).

Zur weiteren Unterteilung der Begriffssysteme stehen Sorte, Typ, Status u. a. zur Verfügung, bei den Bestandssystemen Reihe, Schar, Schwarm, Schule, Volk, Rudel, Meute, Herde, Bande, Horde, Rotte, Verein u.a., vor allem die menschlichen Einrichtungen Kompanie, Satz (Teller) usw. (Das kann sehr speziell werden: Im Englischen gibt es bevy für einen Schwarm Wachteln.) Das entspricht ungefähr den verschiedenen ZEW im Chinesischen oder den Kongruenzverhältnissen in Klassensprachen wie dem Suaheli.

(Wozu soll Nation gehören?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.11.2018 um 05.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40152

Das ist richtig und wird auch in meiner Hauptquelle ("Die Lage des Waldes") erwähnt. Dort habe ich auch gelernt, was ich mir eigentlich selbst hätte denken können, denn man sieht es ja: Der Normalzustand unserer geographischen Region ist die vollständige Bewaldung. Läßt man ein beliebiges Stück Land unbewirtschafet, stellen sich sofort Hasel, Eberesche, Birke ein. Wiesen sind immer künstlich. Daran ändern die heimischen Wildtierarten nichts. Anderswo auf der Erde ist es bekanntlich nicht so.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 20.11.2018 um 01.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40123

Kleine historische Ergänzung zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40118

Die Aufforstung mußte vielerorts nicht wegen der Laubentnhame durchgeführt werden, sondern aufgrund der Abholzung der Wälder zur Energiegewinnung während der beginnenden industriellen Revolution (Holzkohle). Erst die Entdeckung der Kohlevorkommen an Ruhr, Saar und anderen Regionen hat dem Raubbau ein Ende bereitet.

In zeitgenössischen Bildquellen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sieht man sehr deutlich die kahlen Hügel und Berge der Mittelgebirge.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.11.2018 um 17.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40119

Die Rake und raken erinnert mich an das ostfälische Plattdeutsch meiner Kindheit. Gemeint war die große hölzerne Harke.
In der gesetzlosen Zeit kurz nach dem Krieg holten die Bauern Laub aus dem Wald als Streu für die Kühe und Schweine, bis es von der Forstverwaltung zum Schutz des Waldes verboten wurde.
Es wundert mich, daß das deutsche System der Brandsperren durch waldfreie Streifen in Kalifornien nicht funktionieren soll.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2018 um 14.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40118

In den Berichten und Kommentaren zu Trumps Mahnungen (#RakeAmericaGreatAgain) wird mal harken und mal rechen gebraucht, offenbar gleichbedeutend, aber letzteres ist unangenehm wegen der Nähe zu rechnen und rächen.

Die Finnen amüsieren sich natürlich über das Ganze (s. Fotos und Videos), aber die Sache hat einen interessanten Hintergrund: In Deutschland hatte die jahrhundertelange Laubentnahme durch arme Bauern, die nicht genug Stroh für die Ställe hatten, zu einer solchen Verarmung der Waldböden geführt, daß die Wälder etwa ab 1800 mühsam wiederaufgebaut werden mußten.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.11.2018 um 22.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40023

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist der Plural. Die Furcht gibt es nur einmal, aber "diffuse Ängste" sind zur Zeit ein beliebter rhetorischer Kniff (von vornherein "eine Emotion, die unbegründet und somit nicht auf ein bestimmtes Objekt bezogen ist").
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.11.2018 um 17.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#40021

Aus dem Duden-Newsletter:

Furcht und Angst

Studierende leiden manchmal an Examensangst, Menschen in einer Partnerschaft an Verlustangst, wieder andere an Flugangst – oder etwa doch nicht? Wer zugibt, beispielsweise an Versagensangst zu leiden, bekommt womöglich zu hören, dass es das gar nicht gebe.
Stimmt dann mit dem eigenen Gefühl etwas nicht? Nein, da können wir Sie beruhigen – das Problem ist vielmehr (fach)sprachlicher Art. In den Wissenschaften, die sich mit menschlichen Gefühlen beschäftigen, vorrangig in der Psychologie, gilt nämlich Angst per definitionem als eine Emotion, die unbegründet und somit nicht auf ein bestimmtes Objekt bezogen ist. Sobald etwas Konkretes im Spiel ist, seien es Spinnen, Flüge oder Prüfungen, sprechen die Fachleute von Furcht.
Sucht man nun im Wörterbuch nach Zusammensetzungen mit Furcht als Grundwort, sieht es allerdings recht düster aus. An objektbezogenen Begriffen finden sich Gespensterfurcht, Gottesfurcht und Todesfurcht. Weder *Spinnenfurcht noch *Verlustfurcht oder *Krebsfurcht sind eingetragen. Auch im Internet sind die Zusammensetzungen mit Angst deutlich häufiger belegt. Dieses Phänomen lässt sich durch die Tatsache erklären, dass die meisten Menschen nun einmal keine ausgebildeten Psychologen sind. In der Alltagssprache lassen sich Furcht und Angst synonym verwenden – sie bedeuten praktisch das Gleiche.


Man sieht hier das verfehlte Herangehen an die Synonymik. Die Fachleute können definieren, wie sie wollen, wir haben es nicht mit Fachsprache zu tun. Aber die Dudenredaktion meint, wenn die Laien nicht die fachsprachlichen Unterscheidungen übernehmen, dann unterscheiden sie gar nicht. Weit gefehlt! (Der Text selbst paßt ja auch gar nicht zu dieser These.)

Richtig ist die Beobachtung, daß Furcht seltener gebraucht wird, übrigens sich fürchten schon eher, man kann hier nur Angst haben vergleichen. Ich habe Furcht (vor) sagt man auch nicht, sondern nur sich fürchten vor und etwas fürchten; sich ängstigen ist gehoben.

Warum kann man vor Angst schreien, aber nicht vor Furcht? Hier sind Gruppen von Ausdrücken "psychischer Kausalität" zu bilden: einerseits aus Berechnung, andererseits vor Kälte. Da gibt es keine Austauschbarkeit. Lauter kleine Beobachtungen, die man sorgfältig sammeln und auch nach Häufigkeit und Register ordnen muß.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 25.10.2018 um 12.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39918

Zu #39754:

Im Niederländischen ist »kist« das normale Wort für Sarg. Wenn man umgangssprachlich sagt »Ich gehe in die Kiste«, meint man allerdings das stationäre Bett und keinen Transportbehälter. Ist das eine scherzhafte Bezugnahme auf den Sarg? Duden kennt auch noch Kiste im Sinne von Gefängnis. Woher kommt das nun wieder? Große, häßliche Gebäude werden auch als Kästen bezeichnet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.10.2018 um 07.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39839

Der Autor des kürzlich erschienenen Ratgebers „Guten Morgen, Latte“ widmet dem Penis „und was sonst noch dranhängt“ ein gesamtes Buch. (mopo.de 27.7.18)

= „ein ganzes“ oder „sein gesamtes“

Wenn die Vollständigkeit hervorgehoben wird, sollte vorher gesagt sein, um wessen Vollständigkeit es geht. Behauptet wird, daß das Buch sich insgesamt oder lückenlos auf dieses Thema bezieht. „Ganz“ ist allgemeiner und kann sich auf den bloßen Umfang (nicht nur einen Aufsatz oder ein Kapitel, sondern ein ganzes Buch) oder auf die Vollständigkeit des Inhalts beziehen

Vgl. "komplett" hier im selben Strang.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.10.2018 um 03.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39754

Was mir auffiel:

Selbst im Innenhof des Bundestages stehen Bienenkisten. (Tagesspiegel 5.10.18)

Die Dudenredaktion versucht zwischen Kiste und Kasten zu unterscheiden und quält sich mit der Frage, ob Kisten oder Kästen aus Holz sind oder nicht, ob sie einen Deckel haben oder nicht. Das stimmt hinten und vorne nicht und führt zu nichts. Bei Artefakten müssen wir immer von der Funktion ausgehen. Das Wesentliche scheint mir zu sein, daß Kisten als Verpackung vorwiegend dem Transport und der Aufbewahrung dienen, Kästen jedoch eher zur Präsentation von Dingen, die man daraus entnimmt wie etwa aus einem Besteckkasten. Sogar derselbe Gegenstand kann Kiste oder Kasten sein, je nach Verwendungssituation:

Als Bob gegangen, blies der Alkalde in ein Muschelhorn, das die Stelle der Klingelschnur vertrat, nahm dann das Zigarrenkästchen zur Hand, prüfte eine Zigarre nach der andern, brach sie verdrießlich und warf die Stücke zum Fenster hinaus. (Dann beauftragt er den Diener:) Reitest hinüber zu Mister Ducie und holst da ein Kistchen. (...) Als dieser gegangen, griff er wieder nach dem Zigarrenkästchen... (Charles Sealsfield: Das Kajütenbuch. Frankfurt 1989:114f.)

Ein Besteckkasten hat keinen Deckel, aber ein Schmuckkästchen hat einen Deckel und ist trotzdem kein Kistchen. Beide werden eben nicht zum Transport, sondern dazu benutzt, daß man sich daraus bedient, das ist das Wesentliche. Bierkisten und Bierkästen kommen ungefähr gleich häufig vor, logischerweise, weil man das Bier in denselben Behältern transportiert, aus denen man dann auch Flasche für Flasche herausnimmt. Ähnlich bei Munitionskisten oder -kästen. Dagegen wird der Wein nur zum Transport in Kisten verpackt, dann aber herausgenommen und in Regalen gelagert; darum gibt es praktisch keinen Weinkasten. Bettkästen, Fischkästen, Schubkästen und Briefkästen werden auch nicht zum Transport benutzt, es sind keine Verpackungen. Sprotten werden in Kistchen geliefert, aber nicht serviert. Auch Särge werden seit dem Mittelalter als Kisten bezeichnet.

Bienenkiste scheint sich in der Amateurimkerei durchgesetzt zu haben und ist bei Google sogar häufiger als Bienenkasten, auch wenn Duden online es gar nicht kennt. Wahrscheinlich steht die Transportierbarkeit im Vordergrund. (Kasten soll mit Kar verwandt sein, das interessanterweise in Imker steckt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.10.2018 um 13.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39749

Gut beobachtet. Bedenken Sie aber auch, daß Lachen sündhaft ist. Hat Jesus jemals gelacht? Na also!
Protestanten, die zum Lachen in den Keller gehen, sind ja sprichwörtlich (und darüber habe ich als kleiner Junge nun wieder herzlich lachen müssen).
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 05.10.2018 um 11.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39747

Sinn für Humor, die Fähigkeit, Humor angemessen zu würdigen, hat natürlich jeder. Glaubt zumindest jeder. In Wahrheit neigt man in Deutschland eher zur Herablassung. Wenn das Publikum sich schlapplacht, ist das für viele – selbst für viele der Lacher – schon ein Beweis für Klamauk. Gebildete schämen sich oft für ihren Spaß an krachenden Pointen. Wenn man ihnen einen guten Witz erzählt, biegen sie ihr unwillkürliches Gelächter eilig in schmerzliches Stöhnen um, so als leide ihr Luxushirn unter der Zumutung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.10.2018 um 11.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39745

Fast möchte man meinen, es gebe mehr Menschen mit "Sinn für Humor" als solche mit Humor. Oft scheinen beide Ausdrücke aber gleichbedeutend gebraucht zu werden. Genauer besehen, würde jemand mit Sinn für Humor ein gewisses Verständnis für den Humor anderer Leute aufbringen, ohne selbst unbedingt humorvoll zu sein.
Wer Witze erzählt, hat Humor, wer nur zuhört (wie ich), braucht bloß Sinn für Humor.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.09.2018 um 10.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39666

"Synonymvorschläge" auch in Korrekturprogrammen dienen meistens der Wiederholdungsvermeidung und mehr oder weniger lächerlichen Ausdrucksvariation und nicht der Suche nach dem treffendsten Wort. Darum begnügen sich die meisten auch mit einer buchenden Synonymik ohne ausdrückliche Angaben zur Synonymenscheidung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.09.2018 um 04.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39663

Es gibt grundsätzlich zwei Arten der Bedeutungsbeschreibung.
Erstens kann man die Gebrauchsbedingungen eines Zeichens explizieren, d. h. bewußt machen. Ich habe zum Beispiel versucht, die Bedeutung der Modalpartikeln so zu erklären, daß der Sprecher nun ausdrücklich weiß (= sagen kann), wann und wie er sie verwendet.
Zweitens kann man aus der Sicht der dritten Person erklären, was der Sprecher tut, zum Beispiel die Konditionierungsgeschichte analysieren (wie bei der Abrichtung eines Hundes), oder z. B. die Farbwörter unter Angabe der Wellenlänge definieren, die ja dem Sprecher niemals zugänglich sein wird.

Auf die erste Erklärungsart könnte der Sprecher mit "ach ja!" antworten, auf die zweite mit "ach so!". (Diese Unterscheidung stammt nicht von mir, ich habe leider den Urheber vergessen.) Gauger spricht in ähnlicher Absicht von "bewußtseinseigen" und "bewußtseinsfremd".

Wenn man sich diesen Unterschied klar machte, wären die Wörterbucheinträge konsistenter.

Eine naturalistische Wissenschaft vom Sprachverhalten muß letzten Endes (wie Psychologie und Soziologie) bewußtseinsfremde Erklärungen anstreben. Die Fähigkeit oder Möglichkeit der bewußtseinseigenen Explikation ist ihrerseits erklärungsbedürftig und -fähig. Wenn ich wieder meinen Aufsatz über die Bedeutung der Modalpartikeln heranziehe: Die Explikation verwendet durchweg die mentalistischen Begriffe der Allgemeinsprache, bleibt also in meinem eigenen Sinn vorwissenschaftlich (nicht-behavioristisch). Ihr Adressat ist der gewöhnliche Sprecher, Sprachlerner und Wörterbuchbenutzer.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2018 um 11.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39633

Um dem adjektivischen Gebrauch von Adverbien auf -weise zu entgehen, greift man gern zum Fremdwort: tentativ = versuchsweise, partiell = teilweise usw. Neuerdings ist oft von seriellem Mißbrauch die Rede, wohl nach „reihenweise mißbrauchen“. Ohne diesen saloppen Hintergrund klingt es ja etwas verrückt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2018 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39511

Statt die Abneigung gegen Fremde aus einer womöglich angeborenen Angst oder Angstbereitschaft zu erklären, sollte man eine andere Herleitung versuchen: Es gibt schon bei verschiedenen Tierarten ein "Anstoßnehmen" am Abweichenden, am "Außenseiter". Rudolf Bilz hat es untersucht. Schulhofmobbing geht auch darauf zurück. Eine Zusammenfassung gab es vor Jahren in der Zeitung: https://www.zeit.de/1971/28/toetet-den-aussenseiter
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.09.2018 um 10.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39504

Ja, man muß Wörter wie Satz, Aussage, Sachverhalt klar definieren und genau verwenden. Ich habe hier etwas locker von Sachverhalten gesprochen und meinte damit nur, daß es manchmal um komplexere Aussagen geht, die vielleicht nicht in einem Satz beschreibbar sind. Ein Sachverhalt soll hier immer noch die verbale Beschreibung der vermeintlichen Wirklichkeit sein.

Wenn man es auf die Spitze treibt, kann man fast jede Aussage als falsch bezeichnen. Sage ich über einen 2 m langen Tisch, er sei 2 m lang, ist das falsch, denn genauere Messungen ergeben, daß er tatsächlich mindestens 0,1 mm länger ist. Eine wahre Aussage wäre, er ist zwischen 1,9995 m und 2,0005 m lang.
Trotzdem ist die Aussage, er sei (genau) 2 m lang, im Alltag nicht falsch, denn unausgesprochen gehört immer die Annahme einer bestimmten praktischen Toleranz zur Aussage dazu.

Aus demselben Grund ist auch die Newtonsche Mechanik nicht falsch und die dadurch ausgedrückte Wahrheit nicht relativ, wie manche Materialisten (Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus) behaupten. Mit den unausgesprochenen, selbstverständlichen Randbedingungen ist die Newtonsche Mechanik wahr und wird immer wahr bleiben. Unter relativistischen Bedingungen ist und war sie immer falsch, nur hat eine solche Theorie zu Newtons Zeiten wohl niemanden interessiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.09.2018 um 05.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39502

Zu Herrn Riemers Satz, daß es "überall nur eine Wahrheit gibt", und:

"Naturwissenschaftliche oder mathematische Sachverhalte sind immer eindeutig wahr oder falsch, oder ihr Wahrheitsgehalt ist noch unbekannt oder überhaupt nicht entscheidbar."

Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, wenn Sie sich damit gegen eine modische Relativierung wenden. Andererseits ist das alles klärungsbedürftig. Man darf "Wahrheit" ja auch nicht hypostasieren, sondern muß daran festhalten, daß es sich um eine Eigenschaft von Sätzen handelt, und die sind Menschenwerk. Also nicht die Sachverhalte sind wahr oder falsch, sondern unsere Aussagen (oder meinetwegen Vorstellungen) darüber.
Im Alltag sitzt die Katze auf der Matte oder nicht. In der erwähnten Astrophysik ist das nicht so einfach, hier arbeitet man mit Modellen, die sich dem unbekannten und anderswie nicht kennbaren Gegenstand mehr oder weniger nähern. Das ist nicht mit dem erwähnten Relativismus ("anything goes") zu verwechseln, und die experimentellen Methoden snd ja auch kontrolliert und streng genug.
Die Newtonsche Physik ist wahr – mit Einschränkungen, also irgendwie auch falsch. Aber solche Wortspiele bringen nichts. Man kann es weniger verfänglich ausdrücken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.09.2018 um 04.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39500

In einem späteren Interview differenziert Bandelow selbst zwischen Angst, Bedenken usw., allerdings ohne das Durcheinander zu beheben: https://www.tagesspiegel.de/politik/angstforscher-borwin-bandelow-das-vertrauen-in-den-staat-ist-erschuettert/23002840.html

Aber was soll man zu solchen Spekulationen sagen:

Grundsätzlich sind Menschen im Norden ängstlicher als im Süden. In Norwegen sind die Menschen zum Beispiel viel ängstlicher als die Menschen am Äquator. Nach meiner Theorie konnten die Ängstlichen früher in nördlichen Gefilden besser überleben, weil die Angst sie dazu angetrieben hat, sich besser auf den Winter vorzubereiten als es die Unbekümmerten getan haben.
- Angst ist also etwas Gutes?
Ja, vor vielen tausend Jahren wären wir ohne den Überlebensvorteil Angst ausgestorben.
- Sind denn auch die Norddeutschen ängstlicher als die Bayern oder Schwaben?
Dazu gibt es keine Untersuchungen. Aber vom Gefühl her ist das richtig. Die Ostfriesen sind wohl eher Bedenkenträger als Menschen, die in Süd-Baden leben.


Wer in Gegenden mit hartem Winter nicht vorsorgt, überlebt nicht (Aktion Eichhörnchen). Ackerbauer auch in südlichen Gefilden dürfen selbst bei schlechter Ernte das Saatgetreide nicht verzehren. Das Einschalten von Ängstlichkeit als allgemeiner Charaktereigenschaft ist überflüssig. Aber wir haben noch das oftbeschworene Klischee vom unbekümmert in den Tag lebenden Neger vor Augen. Vor Angst schlotternde Wikinger passen wieder nicht so gut, auch Cäsar und Tacitus fanden die Nordmänner nicht gerade ängstlich. Über die Ostfriesen, unter denen ich im Augenblick wieder lebe, kann ich nichts sagen. Mein liebes Juist jedenfalls war schon früh judenfrei, was ja nach Bandelow ganz natürlich wäre.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.09.2018 um 19.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39495

Wenn das Gehirn Erinnerungen fälscht, dann sind sie halt falsch. Die Wahrheit hängt von keiner subjektiven "Sicht" ab.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.09.2018 um 14.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39493

Anderes Beispiel: Vor Gericht sagt ein Zeuge aus, wie der Vorgang seiner Beobachtung nach abgelaufen ist, also aus seiner Sicht die Wahrheit. Das Gericht stellt dann einen ganz anderen Ablauf als die Wahrheit fest. Dann muß der Zeuge froh sein, daß er nicht wegen Falschaussage verurteilt wird. Eine Quelle: Julia Shaw, Das trügerische Gedächtnis; wie unser Gehirn Erinnerungen fälscht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.09.2018 um 06.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39492

Ein klassisches, ewig beunruhigendes Problem: Die Welt ist, wie sie ist, unabhängig von unserer Beobachtung. (Ein umstürzender Baum macht Lärm, auch wenn kein Lebewesen es hört.) Das ist sozusagen die transzendentale Voraussetzung des Beobachtens. Wir setzen uns mit dem Messen wie mit jedem Verhalten der Natur aus und lassen uns von ihr zwingen und auch korrigieren. Also ist sie unabhängig von uns.
Andererseits sind wir uns bewußt, daß wir die Eigenschaften der Natur nicht "an sich" erfassen (was eigentlich gar keinen Sinn hat), sondern in Begriffen und Bildern, die wir uns machen (Heinrich Hertz). Das Begreifen der Natur in ihrer von uns unabhängigen Beschaffenheit besteht gerade darin, daß wir uns immer bessere Modelle von ihr machen. Das ist also kein Widerspruch.
Natürlich gehören auch "Teilchen" und "Welle" zu den menschengemachten Bildern, aber das heißt nicht, daß wir uns damit nicht der wirklichen Beschaffenheit der Welt ein gutes Stück nähern könnten.
Zur Zeit ist viel von Dunkler Materie und Dunkler Energie die Rede, und als interessierter Laie liest man stark beunruhigt, daß beides zusammen 95 Prozent der Welt ausmachen soll – und vollkommen unerklärt ist. Man arbeitet dran, und gerade hier wird das Modellbauen besonders deutlich, weil so viele sich bemühen, etwas schockierend Neues und Unbekanntes zu verstehen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.09.2018 um 21.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39491

Da haben Sie also zwei wahre Aussagen. Na und? Was wollen Sie damit zeigen?

Es ist absolut unüblich, jede einzelne wahre Aussage als eine "Wahrheit" für sich zu bezeichnen.

Übrigens hängt der Welle-Teilchen-Charakter von Licht nicht von der Meßmethode ab. Licht hat alle seine Eigenschaften auch dann, wenn gerade niemand mißt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 06.09.2018 um 18.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39490

Eigentlich hielt ich es für überflüssig zu erwähnen, daß sowohl die Aussage "Licht besteht aus Photonen, d.h. Strahlungsteilchen" als auch "Licht ist ein Spektrum elektromagnetischer Wellen" wahre Aussagen sind, je nach der Meßmethode, d.h. abhängig vom Beobachter.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.09.2018 um 10.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39489

Das ist m. E. eine Frage der Weltanschauung. Ich bin der Ansicht, daß es überall nur eine Wahrheit gibt. Manche sozialen Sachverhalte oder Sätze der Geisteswissenschaften sind unterschiedlich interpretierbar, das hat aber dann nichts mit dem Wahrheitsbegriff zu tun.
Naturwissenschaftliche oder mathematische Sachverhalte sind immer eindeutig wahr oder falsch, oder ihr Wahrheitsgehalt ist noch unbekannt oder überhaupt nicht entscheidbar. Zu einem solchen Sachverhalt gehören natürlich immer alle Randbedingungen. Unterschiedliche Bedingungen bedeuten unterschiedliche Sachverhalte.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.09.2018 um 21.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39483

In der letzten Zeit gibt es anscheinend von immer mehr Dingen mehrere Wahrheiten. Korrekterweise müßte dann wie in der Physik die jeweilige Meßmethode angegeben werden. Das findet aber nicht statt. Folglich kann es sich dann nur um die Wahrheit des jeweiligen Beobachters handeln.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2018 um 05.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39480

Das Wörtlichnehmen und Nichtwörtlichnehmen ist ja gerade der Kern meiner Synonymie-Theorie, wie hier an vielen Beispielen erläutert: als unterscheidende und nichtunterscheidende Kontexte.
Wir hatten schon am Beispiel Homophobie gesehen , daß sich ein nicht ganz richtiger Gebrauch einbürgern kann und dann eben richtig wird. Bei Fremdwörtern am ehesten verständlich.

Wer allerdings eine ambitionierte These zur genetischen Verankerung von Fremdenangst vertritt, sollte wohl seine Worte mit Sorgfalt wählen. Auch wäre eine Operationalisierung wünschenswert, etwa auf diesem Wege: Mit dem allgemeinsprachlichen Begriff der "Angst" verbindet man eher Flucht- und Vermeidungsverhalten ("timor est fuga"), mit "Haß" eher Vernichtungswillen.
Antisemiten (wie man sie unscharf genug nennt) können Juden nicht ausstehen, aber Angst haben sie kaum vor ihnen oder nur manchmal ganz marginal.
Natürlich kann es Überlappungen geben, Beimischungen des einen zum anderen. Aber das hebt den Unterschied nicht auf.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.09.2018 um 17.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39479

Die Rede von Angst oder Besorgnis usw. wird wohl dadurch begünstigt, daß man sich in der Erwartung oder Vorhersage von negativen, also unerwünschten Ereignissen kaum mit einem neutralen Verb wie erwarten oder vorhersagen ausdrückt, sondern man bezieht bei der Auswahl des Verbs die Wertung gleich mit ein. Man verwendet also Angst haben, befürchten, sich sorgen, ohne wirklich in jedem Fall Angst, Furcht oder Sorge zu haben, sondern auch schon deswegen, um nur auszudrücken, daß man mit einem negativen Ausgang rechnet.
Manche Kommentatoren machen sich das zunutze und nehmen solche Aussagen absichtlich immer ganz wörtlich.
 
 

Kommentar von D. P., verfaßt am 04.09.2018 um 14.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39478

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38028

Der neue Duden-Newsletter zählt »Präpositionen mit Genitiv« auf und schließt von diesen Genitiven erst die allein stehenden starken Substantive im Singular aus, dann die im Plural. (Letztere wörtlich: Nominalausdruck mit stark flektiertem Substantiv im Plural ohne Begleitwörter.)

Die Begründungen sind auch zum Teil seltsam (man kann schlecht von einer Verwechslung Genitiv–Nominativ sprechen, wenn beides wie in trotz Beweise ganz unüblich ist), aber das ist ein anderes Thema.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2018 um 09.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39476

Das Interview stand unter der Überschrift Fremdenangst steckt in jedem von uns. Das kann der interviewte Psychiater/Neurologe aber gar nicht wissen, und er kann es mit seinen verschwommenen alltagssprachlichen (nichtoperationalisierten) Begriffen auch nicht beweisen. Man wundert sich immer wieder, wie wenig "Experten" der Versuchung widerstehen, über ihr Fachgebiete hinaus zu spekulieren und sich auch dafür noch als "Experten" ausgeben zulassen.
Ganz persönlich gestehe ich gern, daß ich eine gewisse Abneigung gegen Fremde (besonders einer gewissen Art) durchaus nachfühlen kann und mich dagegen wehren muß. Aber Angst habe ich nicht vor ihnen und kenne auch niemanden, der wirklich Angst hat, auch wenn er sie statt eines Arguments vor sich herträgt.

Ein Bevölkerungsexperte hat gerade noch einmal daran erinnert, daß die Gebärfreudigkeit der Migrantinnen genau wie die deutsche unter der Erhaltungsquote bleibt, eine Rettung vor Überalterung also auch von der Migration nicht zu erhoffen ist. Das Schreckgespenst einer karnickelhaften Vermehrung von Bartträgern und Kopftuchmädchen ist reine Einbildung. Aber man kann den Menschen mächtig Angst damit machen, und wenn man das Ganze noch mit sarrazinischen Statistiken unterlegt, sieht es "rational" aus. Ähnlich ja der Trick, die Zuwanderung mit Zahlen zu belegen und die Abwanderung gar nicht zu erwähnen. (Gehört eigentlich unter "Kopfrechnen", ebenso wie die Kriminalstatistik.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.09.2018 um 08.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39475

Den Menschen wird vor allem Angst und Haß und Rassismus und was weiß ich nicht noch alles unterstellt, auch wenn sie aus rationalen Überlegungen heraus einfach nur eine zu große Einwanderung ablehnen. Niedere Beweggründe lassen sich am besten verächtlich machen und so bekämpfen.
Wenn unter tausenden friedlichen, vernünftigen Demonstranten zehn Krakeler sind, wer auch immer die bestellt hat, dann stürzt sich die Presse darauf und verallgemeinert diese.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.09.2018 um 05.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39474

Die FAZ befragt den „Angstforscher“ Borwin Bandelow:

Woher kommt der Fremdenhass, der sich in Chemnitz Bahn bricht?

Fremdenangst ist evolutionsgeschichtlich sehr alt und im Menschen angelegt. Vor Hunderttausend Jahren war es überlebensnotwendig, Furcht vor Fremden zu haben. Man hat sich deswegen zu Stämmen zusammengeschlossen, um sich vor den Anderen zu schützen, die mit der eigenen Gruppe um Territorium und Nahrung konkurriert haben. Menschen, die dieses Stammesdenken nicht in den Genen hatten, sind nach und nach ausgestorben.
(...)
Man muss grundsätzlich zwischen zwei Arten von Ängsten unterscheiden. Neben der unangemessenen, genetisch veranlagten Fremdenangst gibt es auch eine reale, berechtigte Angst. Damit meine ich eine Furcht vor den tatsächlichen Problemen, die mit der Flüchtlingskrise einhergehen. Die sollte man auch nicht verharmlosen. Denn natürlich gibt es auch eine Reihe vernünftiger Gründe, die dafür sprechen, die Zuwanderung zu begrenzen – und die Besorgnis auslösen können.

Fremdenangst entsteht also aus der latenten Urangst gepaart mit rationalen Überlegungen.

Richtig. Manchmal überwiegt dann eben die Urangst, was dann sehr schnell in Fremdenhass münden kann, wie man aktuell in Sachsen sehen kann. Am stärksten ausgeprägt ist die Angst, wenn ein Problem neu auftritt und es unbeherrschbar erscheint. In vielen Fällen legt sich diese Angst aber auch bald wieder.


Der Neurologe gebraucht nicht nur Angst und Furcht in der üblichen Weise als austauschbar, sondern auch Angst und Haß (und Phobie) und dann sogar Besorgnis.

Der Sache nach könnte man allenfalls sagen, daß Abneigung gegen (wirklich oder vermeintlich) Fremde oder Andersartige weit verbreitet ist und sich leicht steigern und ausnutzen läßt. Von wirklicher Angst habe ich weniger bemerkt, aber das lasse ich dahingestellt. "Besorgnis" wiederum könnte ich äußern wegen der Umweltbelastung, der Geldpolitik usw. – Die begriffliche Unschärfe erlaubt viele Thesen und macht die Diskussion ziemlich wertlos.

Die phylogenetische Herleitung ist natürlich rein spekulativ, so etwa im Sinne von Eibl-Eibesfeldt. Es steckt auch eine gewisse Rechtfertigung darin.

Laut Wikipedia "gilt Bandelow als Erfinder der Ostfriesenwitze".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.09.2018 um 05.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39466

Trump wird zur Zeit dafür ausgelacht, daß er Großbritannien und England für synonym erklärt. (Ich sage es gleich auf deutsch, weil es hüben wie drüben funktioniert.) Die Art, wie er es tat, mag ebenfalls seinem komischen Stil entsprochen haben, aber die Gleichsetzung selbst ist doch ganz alltäglich, auch bei Menschen, die den Sachverhalt sehr wohl kennen. Ich habe den Verdacht, daß das Gelächter gerade dadurch befeuert wird, daß die Lacher den belachten Fehler ständig selbst begehen und nun erleichtert sind, weil es mal ein anderer tut.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.08.2018 um 04.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39343

wohlfühlen kann auch getrennt geschrieben werden (1996 anscheinend nur so), aber Duden empfiehlt Zusammenschreibung; unwohl fühlen nur getrennt. Eine Steigerung mit sehr würde sich je nachdem auf die Verbzusatzkonstruktion oder auf das Adjektiv allein beziehen.
Beim Übersetzen stehe ich vor der Wahl zwischen unwohl und unbehaglich. Zunächst verbinde ich mit unwohl eher eine Verdauungsstörung, mit unbehaglich Zugluft und dgl. Unwohlsein ist ein Grund zur Krankschreibung, Unbehaglichkeit nicht, die läßt sich abstellen, als Qualität der Umgebung. Unpäßlichkeit kommt mir etwas veraltet, geziert verhüllend vor und läßt mich an Menstruation denken.

Es sind wohl zwei benachbarte Wortfelder: Kränklichkeit und Ungemütlichkeit, mit jeweils reicher Synonymik.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.07.2018 um 17.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#39197

Vor der Tür arbeitet die Kanalsanierung, ein Wagen dient der "Dichtigkeitsprüfung". (Die gibt es auch in der Medizin, erst kürzlich an mir vorgenommen). Dichtigkeit und Dichtheit sind dasselbe. Da es kein dichtig gibt, muß man von einer Suffixerweiterung sprechen. Es gibt auch kein feuchtig, aber Feuchtigkeit hat gegenüber Feuchtheit (und Feuchte) eine zusätzliche konkrete Bedeutung angenommen, wie Flüssigkeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2018 um 15.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38921

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38861

Blickkontakt mit dem Säugling wird von der Mutter als Markstein erlebt (Jerome Bruner).

Man hat aber festgestellt, daß kleine Kinder eine Zeitlang eher auf die Lippen der Erwachsenen blicken, später auf die Augen. (Bericht SZ 18.1.12)

Verständnis und Lautbildung der Kinder erfordern wohl Sehen, "wie es gemacht wird".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.06.2018 um 08.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38876

Vogelschiß gehört nicht in das Wortfeld Scheiße (= schlecht), sondern in das von Kleinigkeit, Nichtigkeit, Lappalie, Fliegenschiß, Mückenschiß (= geringfügig).
Gegenüber Fliegenschiß enthält es eine gewisse Anerkennung von Bedeutsamkeit. Das Wesentliche ist die Relativierung. Auch die Existenz der Erde ist sub specie aeternitatis nur ein Fliegenschiß.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2018 um 14.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38861

jemanden ansehen bedeutet im allgemeinen "jemandem in die Augen sehen".

Kleine Kinder sehen uns in die Augen, aber auch Hunde tun das. Dabei ist doch unser Mund aktiver und interessanter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.05.2018 um 04.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38836

Sie finde, der Gebrauch des Kreuzes zum Zwecke der Politik sei „nicht nur fatal, sondern gefährlich“, so Grütters. (welt.de 25.5.18)

Offenbar als Steigerungsfigur gemeint.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.05.2018 um 17.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38800

Mit sehr vielen "-er"-Wörtern können auch Menschen bezeichnet werden: Geschirrspüler, Schraubendreher, Bohrer, Flaschenöffner, Staubsauger usw. usw. Vielseitige Menschen können das alles.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2018 um 17.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38799

Das war eine Analogie, es ging nicht um die Wörter.

In der Sache gibt es aber eigentlich kein Problem, ich hatte ja ausführlich gezeigt, wie das mit den Synonymen funktioniert. Wichtig war mir noch, wie "kreativ" der Kontext wirkt: daß nämlich keineswegs nur vorher festliegende Unterscheidungen getroffen werden. Das war gegen die "System"-Ideologie gerichtet, wonach die Rede nur aktualisieren kann, was in der Sprache angelegt ist. Mit dieser Einsicht ist ein strukturalistisches Dogma (sc. das von der bloßen Kombinatorik) in Zweifel gezogen. Das ist viel wichtiger als die Frage, ob in der Rede neutralisierte Unterschiede in der Sprache noch existieren.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 19.05.2018 um 11.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38798

»Die Möglichkeit der Unterscheidung ist [den Sprechern] im Augenblick der Nichtunterscheidung normalerweise nicht gegenwärtig.« Je schwerer zwei sprachliche Ausdrücke voneinander zu unterscheiden sind, desto wahrscheinlicher ist, daß sie synonym verwendet werden.

Die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Nußknacker und Flaschenöffner ist wohl jedem gegenwärtig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2018 um 05.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38796

Es geht nicht um Schwerunterscheidbarkeit.
"Ein Nußknacker bleibt ein Nußknacker, auch wenn er als Flaschenöffner verwendet wird."
"Ratte bleibt ein Schimpfwort, auch wenn es als Kosename gebraucht wird."
Wie sinnvoll ist das?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 18.05.2018 um 18.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38793

Die wenigsten Europäer können Chinesen von Koreanern unterscheiden. Aber das heißt offenkundig nicht, daß alle Chinesen Koreaner sind – oder umgekehrt.

Man wird also fragen, worin der Unterschied liegt bzw. hervortritt und wann und von wem die Unterscheidung getroffen wird oder eben nicht.

Je feiner die Differenzierung, desto unwahrscheinlicher, daß sie Allgemeingut ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.05.2018 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38792

Man müßte auf die wirklichen Vorgänge zurückgehen, um den Schein des Sophistischen aufzulösen. In konkreten Texten unterscheiden Sprecher oder eben nicht. Die Möglichkeit der Unterscheidung ist ihnen im Augenblick der Nichtunterscheidung normalerweise nicht gegenwärtig:

Naturtypen enthalten wesentliche und weniger bedeutsame Eigenschaften. (Ernst Kretschmer: Körperbau und Charakter. 25. Auf. Berlin 1967:VI)

Was könnte es heißen, daß der Unterschied zwischen wesentlich und bedeutsam erhalten bleibt? Daß man ihn machen könnte? Ob ihn irgend jemand macht, ist eine empirische Frage.

Grammatische Synonymie ohne Unterscheidung:

Allen war klar, wer die eigentlichen Verlierer sein würden, sollte das Miteinander in der demokratischen Gesellschaft zerfallen: Es wären die muslimischen Gemeinden. (FAS 28.11.04)
(sein würden – wären)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 18.05.2018 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38791

Die Neutralisierbarkeit von Unterschieden mag ja eine interessante Sache sein. Allerdings sind Unterschiede, die unter Umständen aufgehoben werden können, immer noch welche.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.05.2018 um 05.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38786

Um es noch einmal zu sagen:

Wenn ich mir zwei Ausdrücke vorlege und ihre Bedeutungen vergleiche, dann entspricht diese Situation einem "nicht-synonymischen" Kontext (im Sinne Gaugers) oder, wie ich lieber sage, einem "unterscheidenden Kontext". Er erzeugt eine starke Neigung, die Unterschiede hervorzuheben und die Neutralisierbarkeit dieser Unterschiede außer Sicht zu drängen.

Dasselbe gilt für syntaktische Muster. Vielleicht gibt es einen feinen Unterschied zwischen Er mag sie und Sie gefällt ihm. Er ist aber in Kontexten aufhebbar (neutralisierbar) und sollte nicht als Beleg für verschiedene "Perspektiven" o. ä. hergenommen werden.

Alle Theorien über "linguistische Relativität" leiden an einem methodischen Fehler dieser Art, also an der grundsätzlichen Überinterpretation von Ausdrucksmöglichkeiten. Es müßte eigentlich auffallen, daß Menschen mit angeblich so unterschiedlichen Weltansicht sich im praktischen Leben so sehr ähnlich verhalten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.05.2018 um 04.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38743

Polizisten haben einen wildgewordenen Hund, der eine Frau übel zugerichtet hat, "in Notwehr" erschossen, Bauern wollen Wölfe "in Notwehr" abschießen.

Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder jemand anderem abzuwenden, ohne dafür Bestrafung fürchten zu müssen.

Die falsche Wortwahl hat wohl den Hintergrund, daß es in Deutschland kein schlimmeres Verbrechen gibt, als ein Tier, besonders einen Caniden, zu töten. Daher ja auch der Rat eines Politikers an die Bauern, die Schafhaltung aufzugeben und auf Rinderzucht umzusteigen, um die deutschen Wölfe nicht in Versuchung zu führen. "Notwehr" ist auch eine Entschuldigung, aber natürlich muß jeder Einzelfall von Hundstötung untersucht werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.05.2018 um 07.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38688

Zu "Anti-Abschiebe-Industrie": Ansgar Graw kritisiert den Ausdruck, weil die Rechtsanwälte usw. nicht "der Spur des Geldes" folgten, sondern "szeneaffin" ideologisch motiviert seien. Aber natürlich bringen die Klagen den viel zu vielen Juristen auch Einkommen. Ideologisch motiviert sind Kirchenleute und Vereine, aber das Sein bestimmt auch hier letzten Endes das Bewußtsein; so haben wir es gelernt.

Die Zahl der Asylverfahren bei den Behörden ist zwar unter 100.000 gesunken, aber die Zahl der Asylklagen liegt, soviel ich weiß, über einer Viertelmillion. Das ist nach menschlichem Ermessen in diesem Jahrhundert nicht mehr zu schaffen und setzt viele Anwälte in Arbeit und Brot. Man wehrt sich erwartungsgemäß.

Richtig ist die Beobachtung der FAZ, daß die Politiker es waren, die die gesetzliche Grundlage dieses Mißstandes geschaffen haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.05.2018 um 05.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38686

In den ostdeutschen Bundesländern leben weniger und höher gebildete Ausländer als in den westdeutschen Ländern – und trotzdem werden die Zugezogenen dort weniger akzeptiert. (welt.de)

Das hat die OECD herausgefunden, der nichts entgeht. Aber wieso „trotzdem“?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.05.2018 um 05.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38685

Gegenwind von SPD und Grünen, Kritik von Juristen: Mit seinen Aussagen über eine "Anti-Abschiebe-Industrie" sorgt der CSU-Landesgruppenvorsitzende Dobrindt für Aufregung. Laut dem Anwaltverein schwächt Dobrindt gar den Rechtsstaat. (tagesschau de.)

(Dobrindt könnte mal recht haben.) Industrie hat einen pejorativen Klang, wg. rauchender Schlote usw., Wirtschaft wäre treffender gewesen, aber wenn man das Wort im lateinischen Sinn von "Betriebsamkeit" versteht, stimmt es.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2018 um 13.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38664

Aus Nordindien werden abwechselnd Staubstürme und Sandstürme gemeldet. Es handelt sich um sehr feinen Sand aus der Wüste und den Trockengebieten, die von Westen immer mehr an Delhi heranrücken. Sie sind um diese Jahreszeit normal. Ich erinnere mich an riesige Bäume, die morgens entwurzelt auf der Straße lagen und mir zeigten, wie wenig standfest die schnellwachsenden Gehölze eigentlich sind. Ich hatte meine Kamera (Praktica) in eine Plastiktüte eingeschlagen und in einem verschlossenen Schrank verstaut, aber am nächsten Tag war sie trotzdem ganz versandet. (Im Monsun ein paar Wochen später ist sie dann verschimmelt...) Mit Sand habe ich später noch mehr Erfahrungen gemacht, für uns Mitteleuropäer sehr lehrreich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2018 um 05.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38636

Neuerdings wollen die Leute ihre Muskeln "definieren", und im Streben nach einem "definierten Körper" oder "definierten Body" ruinieren manche ihre Gesundheit.

Sie wollen einen schönen, definierten Körper – dann lösen sich ihre Muskeln auf
Schöne, definierte Muskeln – das wünschen sich drei junge Frauen aus Schottland.
(stern.de)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.04.2018 um 06.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38629

Zu http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=63#1020

Die regionale Verteilung von "Einkochglas" und seinen Synonymen hier:

http://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/germanistik/sprachwissenschaft/ada/runde_7/f05a/

Bei der Wortwahl dürfte, wie ich gelegentlich erlebt habe, eine zweite, bei Duden nicht verzeichnete Bedeutung von einmachen (meist reflexiv) eine Rolle spielen: "in die Hose machen".

Die Bedeutung des unspezifischen Verbs ist im ersten Fall technisch, im zweiten euphemistisch eingeschränkt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.04.2018 um 04.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38626

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34485

Eine Aussage wie Das Haus hat eine Klinke, Der Arm hat Finger, Der Wald hat Zweige sei seltsam, weil er gegen das Unmittelbarkeitspostulat verstoße: Die Hand hat fünf Finger usw. (Wikipedia "Merologie", mit Verweis auf Volker Harm, ähnlich schon George A. Miller "Wörter" und andere).

Das kommt auf den Konext an. Innenarchitekten könnten sich dafür interessieren, daß ein Haus Klinken eines bestimmten Typs hat (z. B. die von Wittgenstein entworfenen). Die vergleichende Anatomie könnte sagen, daß der umgebaute Arm der Vögel nur noch drei Finger hat usw.

Mit dem Postulat kann man nicht erklären, warum Der Mensch hat fünf Finger ganz normal ist.

Man könnte sagen: Wenn der Sprecher seinen Gegenstand so weit analysiert hat, daß er auf die Ebene von "Armen" gelangt ist, dann ist nicht einzusehen, warum er die Finger an die Arme und nicht auf derselben Ebene zunächst an die Hände setzt.

Die Münzen sind in der Gesäßtasche, gewiß, aber zunächst im Portemonnaie, sonst würde man denken, daß sie lose in der hinteren Hosentasche herumklimpern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.04.2018 um 05.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38606

Die Leihfrist beträgt einen Monat, es dürfen höchstens zwei Bücher gleichzeitig ausgeliehen werden. Es entfällt keine Leihgebühr. (Bibliothek des Konfuzius-Instituts Nürnberg-Erlangen)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.04.2018 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38564

Auch zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30715

Nachdem der wissenschaftliche Dienst des Bundestages den Raketenangriff auf Syrien als völkerrechtswidrig erkannt hat, wird daran erinnert, daß die Bundesregierung ihn "unterstützt" habe, ohne sich daran zu beteiligen. Unterstützt man etwas, indem man sagt, man unterstütze es? (Performatives Verb?) Das wäre ein weiterer Unterschied zu "helfen", denn "ich helfe dir" wäre bestimmt keine Hilfe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.04.2018 um 10.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38559

Verdacht auf Korruptionsskandal im BAMF (tagesschau.de)

Kann etwas ein Skandal sein, wenn man noch gar nichts davon weiß?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.03.2018 um 08.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38377

Spahn will mehr Pflegekräfte aus dem Ausland abwerben (welt.de)

Laut tagesschau.de will er sie hingegen anwerben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2018 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38362

Ich empfinde es als Mangel, daß Entwicklung sowohl die Ontogenese als auch die Phylogenese bedeuten kann. Vielleicht unter englischem Einfluß (development vs. evolution) unterscheiden Biologen wie Ulrich Kutschera ("Evolutionsbiologie") zwischen Entwicklung und Evolution.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.03.2018 um 04.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38294

wann ist Frageadverb, auch in indirekten Fragesätzen; wenn ist Konjunktion. wann immer ist aber gerade die Verallgemeinerung von wenn und kann nicht in Fragesätzen verwendet werden. Daher der Druck zur Systematisierung: wenn immer. Das Nebeneinander von immer wenn und wann immer ist auf die Dauer nicht zu halten.

(Die Unterscheidung ist bekanntlich neu und in einigen Dialekten nicht durchgeführt.)
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 20.03.2018 um 19.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38253

Dabei hätte hier die Wiederholung just als stilistisches Mittel genutzt werden können. Die Verlängerung von A verlängert auch B wäre doch viel kraftvoller gewesen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2018 um 06.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38245

Die Verlängerung der Herrschaft Wladimir Putins um mindestens sechs Jahre prolongiert auch das Grundproblem (...) (FAZ 20.3.18)

(Wiederholugsvermeidung um jeden Preis)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2018 um 17.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38165

Übrigens: Die amtliche Rechtschreibung und Duden kennen nur Zusammenschreibung: schwertun.
Offensichtlich zu Unrecht, vgl. Besonders schwer tat er sich usw. (unzählige Belege).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2018 um 16.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38163

...weil sich Merkel noch nie so schwer tat wie diesmal, Koalitionspartner zu finden. (ZEIT)

Na ja, weil die SPD sich noch nie so schwer tat, die Koalition fortzusetzen; Merkel selbst wäre ja am Wahlabend dazu bereit gewesen. Sie hatte es dann schwer, aber sie tat sich nicht schwer.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2018 um 07.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38148

Nachtrag: Ich habe natürlich nur einen Aspekt der synonymischen Differenzierung herausgegriffen. Auch das Nörgeln ist partnerbezogen, und man kann fragen, welche Funktion die Bekundung von Unmut oder schlechter Laune in der Gesellschaft hat. Das ist ja nicht naturgegeben, sondern folgt Konventionen. Und das Wortfeld ist sehr umfangreich. Vielleicht gibt es schon eine Dissertation darüber.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2018 um 07.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38147

nörgeln – quengeln

Duden dazu:

"nörgeln:
- mit nichts zufrieden sein und daher (ständig) mürrisch und kleinlich Kritik üben
- an jemandem oder etwas griesgrämig und kleinlich Kritik üben

quengeln:
- (von Kindern) leise und kläglich vor sich hin weinen
- (von Kindern) jemanden [weinerlich] immer wieder mit kleinen Wünschen, Klagen ungeduldig zu etwas drängen
- in griesgrämig-kleinlicher Weise etwas zu bemängeln, einzuwenden haben"

(Diese dritte Bestimmung rückt quengeln in die Nähe von nörgeln. Im Baierischen steht granteln im Sinne von nörgeln.)

Bei nörgeln geht es hauptsächlich um Kritik, bei quengeln kommt das Habenwollen hinzu, daher die Nachbarschaft zu drängeln.

Bei genauerem Hinsehen ist alles viel komplizierter. Alle diese Verben sind hypokoristisch, also Verniedlichungsformen. Das "Kleinliche" wird erwähnt – ein nicht leicht zu definierender Begriff, der auf gesellschaftliche Maßstäbe verweist. Die Unbeträchtlichkeit kann im Gegenstand liegen (Ursache des Nörgelns, Objekt des Habenwollens) oder in der Tätigkeit (nicht die große Revolte; auch Kindlichkeit des Quenglers im Gegensatz zum Nörgler) – oder in deren Einschätzung durch den Sprecher, der sie als Kinderei usw. darzustellen versucht.

Schon Grundschulkinder nörgeln: "Alle anderen haben aber ein Smartphone!" (SZ 11.3.18)
Ist das ein Grund, dem Quengeln der Kids nachzugeben – und ein Kinder-Smartphone anzuschaffen? (Internet)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.03.2018 um 04.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38074

Kims Charmeoffensive für die Blutsbrüder aus Seoul (Welt 7.3.18)

Torsten Krauel scheint nicht zu wissen, was Blutsbrüder bedeutet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.03.2018 um 03.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#38028

Die Wörterbücher könnten schon dadurch gewinnen, daß sie aus der Bedeutungsangabe alles Irrelevante streichen. Muster:

duschen: unter einer Dusche den ganzen Körper einer Berieselung mit kaltem oder heißem Wasser aussetzen

Wenn die Temperatur keine Rolle spielt, braucht man sie auch nicht zu erwähnen. Von dieser Art sind unendlich viele Definitionen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.03.2018 um 05.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37997

In den Kommentaren zu Trumps Handelspolitik ist ständig von "Strafzöllen" die Rede, aber meist fehlt der Hinweis auf den Dumpingvorwurf, der damit begrifflich verbunden ist. In Wirklichkeit geht es wohl um "Schutzzölle", und darin sehen Beobachter auch den Unterschied zwischen den Maßnahmen der EU und der USA. Nach WTO sind Strafzölle erlaubt, Schutzzölle verboten. (Die von Trump bemühte "nationale Sicherheit" ist ein Vorwand, den niemand ernst nimmt. Auch widerspricht es dem Begriff des Strafzolls.)

Viele Leserbriefschreiber auch hierzulande finden Schutzzölle gut; Trump tue etwas für die Menschen in seinem Land usw.; die Globalisierung fülle doch nur den Großunternehmen die Taschen. (Man sieht Trump grinsen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2018 um 11.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37942

Lange weilte die Trauer über den verpassten Triumph bei der deutschen Mannschaft nicht. (t-online.de 25.2.18)

Weder weilen noch das eigentlich gemeinte währen gehören der Alltagssprache an. Auch Langeweile könnte die Verwechslung begünstigt haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.02.2018 um 20.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37744

Duden gibt für arbeiten richtig folgende Bedeutungsvariante an:

"sich dehnen, seine Form verändern, sich verziehen, sich werfen"

Alte Balken, Dielen, Möbel knacken ja oft ohne sichtbaren Anlaß; unser Klavier gibt manchmal geradezu explosionsartige Töne von sich, das gewiß gut ausgetrocknete Holz "arbeitet" eben immer noch.

Bei Wikipedia bin ich zufällig auf nähere Auskunft gestoßen:

Drehwuchs ist eine innere Verdrillung des Stammes. Dieses verdrillte Wachstum kann die Standfestigkeit eines Baumes verbessern. Drehwuchs findet sich daher vor allem bei Bäumen, die besonders intensiven Bewindungsverhältnissen ausgesetzt sind. Dies ist zum Beispiel in Küstenlagen oder in Hochgebirgszonen der Fall. Die meisten Hölzer sind in gewissem Maß natürlich immer leicht drehwüchsig, als Holzfehler gilt nur abnorm starker Drehwuchs. Der Fehler äußert sich in werfendem Flachholz und drehenden Balken, weil die inneren Spannungen im Holz sich beim Trocknen lösen. Diese können enorme Kräfte entwickeln und sogar sauber ausgeführte Holzverbindungen sprengen.
Typisch stark drehwüchsig ist die Lärche, so dass sie sich trotz aller anderen Vorzüge wenig als Konstruktionsholz eignet: Sie hört auch in hohem Alter nicht auf zu arbeiten.


Wenn man es einmal weiß, erinnert man sich, diese Verdrillung an gespaltenen Stämmen im Wald auch schon bemerkt zu haben.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 06.02.2018 um 18.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37743

Duden online schreibt s.v. -ation/-ierung: »oftmals konkurrierende Endungen von Substantiven, die von Verben auf -ieren abgeleitet sind. Oft stehen beide Bildungen ohne Bedeutungsunterschied nebeneinander, z. B. Isolation/Isolierung, Konfrontation/Konfrontierung, doch zeichnen sich insofern Bedeutungsnuancen ab, als die Wörter auf -ation stärker das Ergebnis einer Handlung bezeichnen, während die Parallelbildung auf -ierung mehr das Geschehen oder die Handlung betont, wofür allerdings auch nicht selten die Bildung auf -ation gebraucht wird«.

Nicht grundsätzlich falsch, aber unglücklich gewählte Beispiele.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.02.2018 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37742

Rehabilitation und Rehabilitierung bedeutet theoretisch dasselbe, aber in einer medizinischen Reha-Einrichung werden nur Maßnahmen zur Rehabilitation angeboten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2018 um 04.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37602

Die Realität über das fair produzierte Bio-Ei (welt.de 23.1.18)

Gemeint ist aber nicht die Wirklichkeit, sondern die Wahrheit, daher auch die Konstruktion mit über.

Manche sagen immer in Wahrheit, wo ich zum Beispiel in Wirklichkeit sagen würde. In Wahrheit ist "gehoben", darum meide ich es.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.01.2018 um 16.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37556

Laut FAZ ist Oprah Winfrey eine "selbsternannte Philanthropin". Muß man jetzt auch zum Philanthropen eigens ernannt werden? Falls sie sich selbst so genannt hat, ist sie allenfalls eine "selbsterklärte".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.01.2018 um 04.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37540

Über langfristige Ziele spricht die Tochter eines Maurermeisters aus der Eifel schon länger nicht mehr öffentlich. (FAZ 8.1.18 über Andrea Nahles)

Manche finden es – abgesehen von der Wiederholungsvermeidung – geistreich, enzyklopädische Informationen (heute oft aus Wikipedia) in einen Satz einzuflechten, mit dem sie keinerlei Zusammenhang haben. Der Leser versucht immer, einen solchen Zusammenhang herzustellen, und ist enttäuscht, wenn es ihm nicht gelingt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2018 um 13.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37536

Wo vor hundert Jahren nur ein paar tausend Menschen lebten, wohnen heute fünf, vielleicht sechs Millionen. (FAZ 9.1.18)

Musterbeispiel für beinahe zwanghafte synonymische Variation (Wiederholungsvermeidung). Dabei wäre die Gegenüberstellung rhetorisch wirksamer, wenn es beidesmal leben hieße. Man könnte sich daran gewöhnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2018 um 09.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37448

Erster Revolutionswächter getötet
(...)
Erstmals wurde auch ein Revolutionswächter getötet.
(FAZ 2.1.18)

Die Überschrift suggeriert stärker als der Bericht selbst, daß mit weiteren Toten gerechnet wird. Der Ausdruck klingt deutlicher als das Adverb wie der Beginn des Zählens.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2017 um 19.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37430

Zum letzten Tag des Jahres paßt eine kleine synonymische Überlegung:

Der Jüngste Tag, das Jüngste Gericht werden zwar wie Eigennamen hingenommen, aber eigentlich sind sie falsch benannt, jedenfalls nach heutigem Sprachgebrauch. jüngster ist deiktisch und bedeutet "bisher letzter". Dagegen schließt letzter eine beliebige Reihe ab, ob deiktisch oder nicht. Der jüngste Band einer Werkausgabe ist der zuletzt erschienene, der neueste. Der letzte Band könnte den Abschluß des Unternehmens bedeuten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2017 um 12.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37411

Ich freue mich, daß du die Prüfung bestanden hast – Ich bin froh, daß du die Prüfung bestanden hast

Im zweiten Fall schwingt die Erleichterung mit (entgegen einer Befürchtung), das erste ist in dieser Hinsicht neutral.

Auch dieses Beispiel zeigt, daß die distinktive Synonymik sich nicht auf gleiche Wortart beschränken darf. Man hat ja tatsächlich die Wahl zwischen Formulierungen quer durch die Wortarten hindurch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2017 um 07.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37404

Noch einmal zur Ausdehnung der "Universal-Präposition" für:

Die Situation wirkt für mich schwer nachvollziehbar.

Literatur und Musik wirken für mich inspirierend.


Man erwartet eher auf. Es gibt einen feinen Unterschied, der aber heute aus einer gewissen Nachlässigkeit oft verwischt wird.

für jemanden so und so wirken (frei) entspricht dem Dativus iudicantis; die Präpositionalgruppe bezeichnet denjenigen, der etwas als so und so beurteilt.
auf jemanden wirken (valenzgebunden) bezeichnet ein wirkliches Affiziertwerden. Wenn etwas auf mich inspirierend wirkt, dann inspiriert es mich und wird nicht nur von mir für inspirierend gehalten. Was auf mich schwer nachvollziehbar wirkt, kann ich schwer nachvollziehen; bei für bleibt offen, wer es meiner Ansicht nach schwer nachvollziehen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.12.2017 um 15.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37349

Das könnte man so sehen. Eigentlich wird der heutigen KPCh von der marxistischen Orthodoxie immer eine revisionistische Abweichung vorgeworfen, aber das wäre im Munde Trumps wohl abwegig.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 19.12.2017 um 14.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37348

Die Absicht, Taiwan wiederanzugliedern, ist zweifellos revisionistisch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.12.2017 um 10.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37346

Was könnte Trump meinen, wenn er Rußland und China als "revisionistisch" bezeichnet (und zugleich als große Wirtschafts-Rivalen, was wohl der eigentliche Kern ist)? Putin will vielleicht die alte Sowjet-Herrlichkeit wiederherstellen, aber China? Dessen Aufstieg ist einzigartig und kaum aufzuhalten, aber "revisionistisch"? Welche Entwicklung sollte China rückgängig machen wollen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.12.2017 um 13.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37237

Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
Essen fromme Kinder gern.


In einigen Ausgaben steht bekanntlich fressen, beides scheint von Storm selbst zu stammen, der sich vielleicht dem allgemeineren Sprachgebrauch angepaßt hat. Ich kenne mich aber in der Stormphilologie nicht aus.

spute dich schnell steht um des Reimes willen, aber man nimmt es bei der absichtsvollen Naivität des Ganzen nicht krumm.

eitel muß man Kindern und manchen Erwachsenen heute erklären.

Den "rechten Teil" für die Rute verdeutlichen die meist szenisch auftretenden Vortragenden üblicherweise pantomimisch.

Nieder den Kopf und die Hosen herunter? aus der erweiterten Fassung kommt allerdings nicht in Frage, weil es zu nahe am pädophilen Mißbrauch vorbeischrammt.

Ganz Gescheite feiern die Bescheidenheit jener Kinder, die sich schon über Äpfel, Nuß und Mandelkern freuten. Sie kennen anscheinend die Fortsetzung nicht:

So nehmet denn Christkindleins Gruß,
Kuchen und Äpfel, Äpfel und Nuß;
Probiert einmal von seinen Gaben,
Morgen sollt ihr was Besseres haben.
Dann kommt mit seinem Kerzenschein
Christkindlein selber zu euch herein.


Davon zeugen auch die Weihnachtsbilder aus den bürgerlichen Haushalten des 19. Jahrhunderts.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.12.2017 um 04.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37220

Mädchengymnasien ebenso wie Jungengymnasien starben allerdings nie aus, sondern stehen heute als alternative Wahlmöglichkeit zur Option. (Wikipedia Mädchengymnasium)

Option dient der Wiederholungsvermeidung, aber warum wird überhaupt dreimal dasselbe gesagt? Man kann halt zwischen ihnen wählen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.12.2017 um 04.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37219

Maria Schwartz: Der philosophische bios bei Platon. Zur Einheit von philosophischem und gutem Leben. Freiburg/München 2013.

Die edlen Griechen in ihren weißen Marmorgewändern lebten nicht einfach wie wir dahin, sondern führten einen bios. Den muß man klein schreiben, so edel und so verschieden war er.
In Wirklichkeit geht es darum, die Wiederholung von Leben zu vermeiden. Nicht lesen!
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 07.12.2017 um 18.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37217

Es gibt durchaus Bedingungen, ohne die es auch geht.

In der Mathematik unterscheidet man doch hinreichende und notwendige Bedingungen. Das "sine qua non" bezeichnet eben die notwendige Bedingung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.12.2017 um 16.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37209

Die Bedeutung von bedingen hat sich in der Tat stark verschoben. Heute wird es meistens im Sinne von "verursachen" gebraucht; ich hatte mir gerade notiert:

Italienische Forscher berichteten, dass manche Schmerzmittel eine Herzschwäche bedingen können.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.12.2017 um 14.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37208

Es liegt wohl an der Doppeldeutigkeit des Wortes Bedingung (und das wird im Lateinischen genauso sein). Manchmal steht es wirklich für das Unabdingbare, manchmal wird es eher synonym für Umstand gebraucht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.12.2017 um 14.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37207

Auch wenn es hier nur das Beispiel (noch dazu ein falsches) betrifft:

Komisch, das ist doch das Wesen einer Bedingung, daß es ohne sie nicht geht. Wieso muß man da noch sine qua non ergänzen? Und das wird auch noch sprichwörtlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.12.2017 um 14.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37206

Zur Präposition qua (die ich nie verwende) gibt der Duden zwei Bedeutungen:

1. durch, mittels, auf dem Wege über
2. gemäß, entsprechend

Nach meiner Beobachtung wird es oft auch im Sinne von "im Sinne von" gebraucht.

Wiktionary gibt außerdem an:

Redewendungen:
conditio sine qua non


Das ist aber nicht die Präposition, von der der Eintrag handelt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.12.2017 um 05.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#37167

Die Polizei geht für die Weihnachtsmärkte in der Region von einer abstrakten Gefährdungslage aus.

Der Pressebericht übernimmt die Terminologie der Polizei.

Eine abstrakte Gefahr ist eine nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen mögliche Sachlage, die im Falle ihres Eintritts eine konkrete Gefahr darstellt. (Rechtswörterbuch)

Der Sprachgebrauch ist ungewöhnlich. Wenn eine mögliche Gefahr eintritt, wird sie zu einer wirklichen Gefahr.

Der Erlanger Weihnachtsmarkt wird durch lustig bemalte Betonklötze in der Hauptstraße geschützt, in Forchheim hat man die Klötze noch lustiger wie Weihnachtsgeschenke verpackt. Es gibt allerdings unendlich viele Möglichkeiten, in Menschenmengen zu rasen. Die Klötze sind auch viel zu groß geraten, eher wie Panzersperren.

Jedenfalls ist So rüsten sich Weihnachtsmärkte in der Region (nordbayern.de) diesmal keine Metapher.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.11.2017 um 08.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36965

Im selben Beitrag kritisiert Schmachthagen übrigens den Gebrauch von entstammen mit Präposition statt mit reinem Dativ. Kurioserweise ist schon der älteste Beleg in Grimms Wörterbuch mit Präposition konstruiert. Schmachthagen hat es, wie die übrigen Beispiele, aus dem Artikel "Pleonasmus" in Duden Bd. 9.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2017 um 16.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36900

Schmachthagen:

Eine Bankkauffrau bezweifelte den pleonastischen Gehalt im Ausdruck nochmals überprüfen. Sie habe das Vieraugenprinzip gelernt, nach dem ein Kollege jeden Vorgang "nochmals überprüfen" müsse. Sie irrt. Der Kollege soll den Vorgang entweder nochmals prüfen oder ganz einfach überprüfen. Die Verben "prüfen" und "überprüfen" dürfen nicht verwechselt werden, überprüfen bedeutet bereits "nochmals prüfen".

So ähnlich steht es auch im Duden, woher es Schmachthagen wohl auch hat:

überprüfen

1. nochmals prüfen, ob etwas in Ordnung ist, seine Richtigkeit hat, funktioniert
2. noch einmal überdenken, durchdenken


Die Sprachwirklichkeit sieht anders aus:

Ein Händler hat bei der von ihm angebotenen Elektro-Ware nur zu überprüfen, ob die Produkte über eine CE-Kennzeichnung verfügen. (Internet)

Müller fordert, alle Flüchtlinge rückwirkend zu überprüfen - "Die Bevölkerung hat Anspruch auf eine lückenlose Registrierung und auf eine standardmäßige Überprüfung aller seit zwei Jahren nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge." (Hamburger Abendblatt 6.1.17)

Hier sieht man auch, daß Prüfung andere Vorstellungen wecken würde, etwa die eines Tests. Überprüfen bedeutet; nachsehen, ob etwas in Ordnung ist oder seine Richtigkeit hat.

Viele Belege dieser Art. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Sache vorher schon einmal geprüft worden ist. Wie kommt man überhaupt darauf, daß das über- auf eine Wiederholung hindeutet? „nochmals“ würde man eher in nachprüfen vermuten. Prüfen ist der Oberbegriff und paßt daher immer, wenn auch nicht immer sehr gut.

Schüler und Studenten werden geprüft, manchmal auch nachgeprüft (Nachprüfung). Ihre Zeugnisse werden manchmal überprüft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.10.2017 um 12.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36814

Als Gradpartikel ist nur das Standardwort, bloß liegt laut Duden etwas darunter ("Umgangssprache"). Gehoben ist allein (in dieser Funktion, sonst natürlich nicht). Noch gehobener ist einzig, und dies ist wiederum ein Markenzeichen Adornos, in dessen immer etwas feierlichen Texten sich unzählige Beispiele dieser Art finden:

Die eigene Distanz vom Betrieb ist ein Luxus, den einzig der Betrieb abwirft.

Denn dort, wo einzig der Tauschwert überlebt, erfüllt alles seinen Zweck im Warentausch.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2017 um 05.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36797

Politiker, die ihrer Bevölkerung den Stinkefinger zeigen – so schreibt ein ZEIT-Leser. Man sieht, daß die beflissene Ersetzung nicht funktioniert: Die Deutschen sind mein Volk, nicht meine Bevölkerung. Man könnte sagen: Im ersten Fall ist die Zugehörigkeit wechselseitig, im zweiten nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2017 um 04.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36795

Es ist unbekannt, wie die Wendung nicht bei Trost sein zustande gekommen ist. Vgl. Grimms Wörterbuch, wo auch auf den umgangssprachlichen, burschikos-scherzhaften Gebrauch hingewiesen wird.

Ich möchte eine Vermutung anstellen: Es könnten zwei Gedanken ineinandergeschoben sein: "Du bist nicht bei Sinnen, und zwar so sehr, daß kein Trost möglich ist." So sagt man ja auch pennälerhaft: "Du bist verrückt, da helfen keine Pillen." Und vielleicht findet jemand noch ähnliche Redensarten aus diesem Register.

Außerdem wird mit Recht vermerkt, daß die Wendung nur negativ vorkommt. Zu ergänzen ist aber: und in Fragen – wie stets in solchen Fällen: Bist du noch bei Trost? Dies zeigt wieder, wie berechtigt Wierzbickas Zusammenfassung von Negation und Frage als "Ignorativ" ist.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.10.2017 um 19.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36778

"Vermitteln" ist das Herstellen einer Verbindung – in welcher Form auch immer – zwischen Anrufer und Angerufenem.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2017 um 18.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36777

Altkanzler Schröder vermittelte bei Erdogan

Schließt das Verb vermitteln eigentlich ein, daß es zu einem Interessenausgleich, also auch einer Gegenleistung gekommen ist?

Man denkt auch unwillkürlich an das klassische Was kostet es, wenn es umsonst ist?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2017 um 05.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36769

Stimmungsvoll ist ein sonderbares Wort, weil es ja nichts darüber sagt, in welche Stimmung man versetzt wird. In irgendeiner Stimmung ist man immer. Stimmungsvoll scheint aber eher auf die melancholische Seite zu zielen – sentimental ist dem Wortsinn nach ebenso unbestimmt. Vom Stechlinsee sagt Wikipedia im Eintrag über Fontanes Roman, daß er "stimmungsvoll in die märkische Landschaft eingebettet ist."

An den Stechlin mußte ich denken, weil die Siemensstadt Erlangen ähnlich wie der See immer gleich zu spüren kriegt, wenn in der weiten Welt große Veränderungen stattfinden. Die Flaute bei den großen Turbinen versetzt viele Siemens-Standorte in Angst und Schrecken. Diskussionen über die Energiewende kann man sich hier nicht leisten, sie ist weltweit eine Tatsache.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2017 um 05.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36768

Redekunst ist die deutsche Entsprechung von Rhetorik, hat aber nicht den oft negativen Beigeschmack von "Wortemacherei". Das wird wohl auch am Grundwort Kunst liegen. Typisch für das unsymmetrische Nebeneinander von Fremdwort und Eindeutschung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.10.2017 um 08.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36758

Mystische Krankheit: Junge Frau schwitzt Blut

Gemeint ist "mysteriös", und so heißt es auch in der englischen Vorlage. Ärzte stellten schließlich fest, daß es sich bei diesem Blutschwitzen um "Hämhidrose" handelt, also Blutschwitzen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.10.2017 um 05.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36707

Es fällt auf, daß nicht nur Kopf und Hände, sondern auch die Tätigkeit des Sprechens in vielen Sprachen mit Kraftausdrücken benannt wird, die dann zur Normalsprache werden.

sprechen scheint auf ein Wort mit der Bedeutung "krachen, dröhnen" zurückzugehen. schwatzen, schwätzen ist süddeutsch normal, vgl. schwetz, Ätti in J. P. Hebels allemannischem Gedicht "Die Vergänglichkeit", das ich hier schon erwähnt habe.
Frz. parler hängt auf komplizierte Weise mit gr. Parabel zusammen, und im NT "schwätzt" Jesus bekanntlich (lalein).

Diese ständige Ersetzung erschwert es, ein idg. Grundwort zu ermitteln.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.10.2017 um 09.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36691

s. entscheiden für/s. entschließen zu liegen semantisch so nahe beeinander, daß die Konstruktion sich überaus häufig vermischt. Hinzu kommt, daß bei entscheiden auch ein Infinitiv mit zu stehen kann.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 18.10.2017 um 08.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36664

Nach Artikeln und Präpositionen folgt ein Substantiv, und das schreibt man groß:

"...auch wenn sein Wahlergebnis nicht das Glänzendste ist."

Oder doch nicht?

"Schneller durch konzentrieren"

(FAZ v. 16.10)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2017 um 07.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36662

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30720

Alle Präpositionen lassen sich substantivieren, aber nur das Aus hat sich allgemein verbreitet und könnte ein normales Substantiv werden. Ob es dafür einen semantischen Grund gibt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.10.2017 um 13.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36642

“Most human sentences are in fact aimed at getting rid of the ambiguity which you unfortunately left trailing in the last sentence.” (Jacob Bronowski)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.10.2017 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36511

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27506

"bedeutend oder bedeutsam? Das Adjektiv bedeutend drückt aus, dass jemand oder etwas »besonders beachtenswert«, »wichtig« ist. Im Unterschied zu »bedeutsam« wird in Bezug auf »bedeutend« meist nicht gesagt, in welcher Hinsicht die so bezeichnete Person oder Sache als besonders beachtenswert gilt:

Der Speyrer Dom ist ein bedeutendes Bauwerk der romanischen Kunst.
Die Frage nach Schuld und Unschuld spielt in diesem Roman eine bedeutende Rolle.


Adverbial wird bedeutend in verstärkender Funktion verwendet; es lässt sich meist durch »viel« oder »sehr« ersetzen:

Diesen Hut finde ich schon bedeutend besser.
Er hat sich in der letzten Zeit bedeutend verbessert.


Mit dem Adjektiv bedeutsam werden dagegen Vorgänge oder Ereignisse näher bezeichnet, die für etwas (meist im Kontext Genanntes) von besonderer Bedeutung sind, die auf etwas oder jemanden eine besondere Wirkung haben:

Wie bedeutsam die Liebe zu seiner Schwester für sein literarisches Werk war, zeigen seine Tagebücher."
(http://www.duden.de/rechtschreibung/bedeutsam)

Die eigentliche Bedeutungsangabe ebd. sowie die Verwendungsbeispiele zeigen allerdings, daß der Unterschied oft nicht beachtet wird.

Dazu der folgende nicht-unterscheidende Kontext:

Das Brevier zeigt, dass Mill ein bedeutsamer Freiheitsdenker ist, aber kein ebenso bedeutender Politischer Ökonom. (FAZ 9.10.17)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.10.2017 um 06.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36498

Am Wahlabend soll Steinmeier für seine Gäste "Flammkuchen nach Elsässer Art" "gemacht" oder "zubereitet" haben. Wie aber aus Berichten hervorgeht, hat er nur mit der Plastikumhüllung der tiefgekühlten Zwiebelpizza gekämpft.

Es kann sein, daß die Küchenverben einen Bedeutungswandel durchmachen, veranlaßt durch die Verwendung fertiger und halbfertiger Produkte, die auch in der Gastronomie schon sehr verbreitet ist. Die überlange Speisekarte auch kleiner Restaurants ist anders gar nicht zu bedienen. Die Küche wärmt auf und backt auf, das ist der Normalfall.

Ich erwähne es, weil ja auch die Reden, die dem Politiker zugeschrieben werden, weil er sie vorträgt, von professionellen Redenschreibern stammen. Beim Bundespräsidenten scheinen sich die Journalisten am strengsten daran zu halten, ihre Kenntnis der wahren Verfasser zu verleugnen. Bei Weizsäcker fiel es mir besonders auf. Man will kein Spielverderber sein. Das ist wie bei Predigten, die aus einer Sammlung stammen und nur an die jeweilige Situation angepaßt werden.

In der Antike war Redenschreiber ein einträglicher Beruf. Isokrates war der berühmteste.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 04.10.2017 um 16.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36458

Der erste Satz des Anreißers soll diesen Eindruck wohl noch verstärken: »Die AfD-Bundestagsfraktion schrumpft.« Nicht falsch, aber bei einer Verkleinerung um etwas mehr als 2 Prozent würde ich noch nicht unbedingt von »schrumpfen« sprechen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2017 um 15.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36456

Nächster AfD-Abgeordneter verlässt Bundestagsfraktion (SPIEGEL)

Die Wortwahl deutet an, daß man mit einer Fortsetzung der Austritte rechnet. Das wäre anders bei Weiterer Abgeordneter...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2017 um 18.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36432

hüsteln, s. räuspern

Die Bedeutungsangaben bei Duden geben weniger Aufschluß als die Beispiele: "[mehrmals hintereinander] schwach husten" usw. - da fehlt das Kommunikative. Fast immer werden solche Verben verwendet, wenn es darum geht, daß jemand sich bemerkbar machen oder das Rederecht bekommen will. Dagegen ist Husten ein reflexhaftes Geschehen (das natürlich wie jedes andere auch simuliert werden kann).

Die Wortbildung deutet schon das Diminutive an, die Ritualisierung des vitalen Verhaltens als Kern der Zeichenhaftigkeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2017 um 14.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36430

Frauke Petry sei intelligent, aber nicht klug, denn Klugheit sei mit Moral verbunden, und die spricht Lehrer Heinrich Peuckmann seiner früheren Schülerin gänzlich ab.

Es handelt sich um denselben Peuckmann, der jetzt gewissermaßen als mein Nachfolger für den PEN im Rechtschreibrat sitzt.

Die synonymische Differenzierung ist fragwürdig. Ebenso die öffentliche Äußerung eines Lehrers über eine frühere Schülerin. Ich würde das nicht tun (Berufsethos).

Außerdem: Wenn schon die Mutter gänzlich unmoralisch ist, wie mögen dann erst ihre fünf Kinder sein?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.09.2017 um 22.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36401

Es geht dort wirklich sehr durcheinander:
Drahtstifte haben einen Durchmesser von 28 Millimeter und eine Länge von 65 Millimeter. [···] Anders dagegen der herkömmliche Nagel. Der lässt sich in jeder beliebigen Stärke und Länge herstellen.[

Selbst wenn man beim Durchmesser ein fehlendes Komma annimmt, wieso sollte es nicht möglich sein, Drahtstifte auch in anderen Größen herzustellen? In meinem Baumarkt gibt es jedenfalls "Drahtstifte" in allen möglichen Dicken und Längen.

Aber immerhin versöhnt es mich wieder mit dem Baumarkt, da ich jetzt gelernt habe, daß Drahtstifte auch Nägel sind. Wenn es auch dort im Regal so aussieht, als ob beides strikt getrennt wird.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.09.2017 um 17.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36399

Es gibt viele Arten von eisernen Nägeln:
Drahtstifte verbiegen sich leicht, brechen aber nicht;
Stahlstifte kann man in den Putz hauen, ohne daß sie sich verbiegen, kenntlich an der dunkelblauen Farbe, bei Querkräften können sie brechen;
Einschlagschrauben sind Nägel mit Widerhaken, damit sie sich bei Zugbelastung nicht wieder herausziehen.
Schrauben sind meist die bessere Wahl, weil sie serienmäßig verzinkt oder bei Bedarf rostfrei oder aus Messing sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.09.2017 um 16.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36398

http://www.hilfreich.de/drahtstifte-oder-naegel-vorzuege-und-unterschiede_10354

Aber vielleicht geht es durcheinander. Ich nehme an, ein Hufnagel ist kein Drahtstift.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.09.2017 um 15.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36396

Ich dachte, ich werd nicht wieder, heute im Baumarkt, habe wohl lange keine Nägel gekauft, hatte immer noch genug zu Hause, und da lese ich doch heute überall am Regal auf jeder Beschriftung aller Arten und Größen und auf jedem Preisschild, daß es sich um "Drahtstifte" handelt. Ich dachte, Nagel sei nun wirklich ein uraltes, allgemein bekanntes deutsches Wort. Aber ein Drahtstift ist natürlich was Feineres, darüber ginge nur noch ein englischer Ausdruck.

Machen wir also mal Drahtstifte mit Köpfen und dazu die Drahtstiftprobe, treffen wir den Drahtstift auf den Kopf, hängen wir das Studium an den Drahtstift, diese nervige Person ist ein Drahtstift zu meinem Sarg, wir sollten sie auf ihre Aussage fest verdrahtstiften.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.09.2017 um 05.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36219

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32116

In zahlreichen Internetforen (vor allem für Deutschlernende) wird der Unterschied zwischen sprechen von/sprechen über diskutiert. Man kommt nicht recht weiter, weil nicht-unterscheidende Kontexte als Beispielmaterial herangezogen werden. Dieser methodische Fehler ist sehr lehrreich.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 11.09.2017 um 12.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36184

Bitte mein Gestichel nicht zu ernst nehmen. Imponiersprachler gibt es hier ja wirklich nicht, und so manches Fremdwort regt mich sinnvollerweise an, in den Resten meiner altsprachlichen Erinnerungen zu kramen. Manchmal fällt sogar ganz von selbst ein Groschen; als vor einiger Zeit zum Beispiel das Wort ephemer auftauchte, war mir plötzlich klar, warum (Tages-)Zeitungen in Griechenland Ephimerides heißen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2017 um 12.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36183

Ich dachte eher an die erfahrungsresistenten Züge der Ideologie.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.09.2017 um 12.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36182

Zur Erkenntnis, daß Gauland kultisch verehrt wird? Der letzte deutsche Politiker, dem das zuteil wurde, dürfte Brandt gewesen sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2017 um 11.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36180

Nach langen Diskussionen (Diskussionsversuchen) ist mir eigentlich recht klar, wohin es führt.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.09.2017 um 11.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36178

Die BüSo mag vielleicht sektenhaften Züge haben, aber wohin sollte es führen, der AfD diesen unterschwelligen Vorwurf zu machen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2017 um 05.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36174

Herr Virch stichelt mit Recht gegen meinen Gebrauch von Proselyten, denn nötig war das Fremdwort nicht, auch wenn es nicht gerade neu ist. Man kann die bestehende und die neue Gefolgschaft auch anders ausdrücken. Um der Kürze willen glaube ich in diesem Kreise auch mal zu Fremdwörtern greifen zu dürfen, zumal ich wohl nicht gerade als Imponiersprachler gelte; Puristen sind wir alle nicht.
Proselyten machen trifft es gerade mit seinem religionsgeschichtlichen Anklang manchmal ganz gut.
 
 

Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 10.09.2017 um 16.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36172

Das Wort "Unterschleif" läßt mich lächeln. Ich kenne es eigentlich nur aus meiner Schülerzeit (lang her). Damals jedenfalls wurde damit jede Art des Abschreibens bezeichnet – beim Banknachbarn, von einem Spickzettel usw. Daneben allerdings auch das schon kriminelle Fälschen von Korrekturen (oh ja, auch das hat es gegeben).
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 10.09.2017 um 13.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36169

"Unterschleif" ist ja nicht einmal synonym.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 10.09.2017 um 11.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36167

Gelegentlich kann man aber auch ein neues Wort wie Proselyten lernen, um sodann umso wissender von neuer Gefolgschaft zu reden.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 10.09.2017 um 10.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36166

Solche Übertreibungen kann man amüsant finden oder auch bloß nervtötend. Ein Teil der Leserschaft wird sich abwenden, aber solange der Autor ein festes Gehalt bezieht, kann ihm das ja egal sein.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 10.09.2017 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36165

Natürlich, ohne betrügerisch – und erst recht ohne fraudulent – wäre normalerweise der bessere Stil. Aber ich glaube nicht, daß der Autor überhaupt darauf aus war, bei einem nüchternen Stil zu bleiben. Vom selben Strickmuster ist übrigens auch ein weiterer Satz im selben Artikel:

Das Auto, vermeintlich wieder jung, entpuppt sich dann bald als multimorbides Vehikel auf der Zielgerade seines Daseins.

Vehikel für Fahrzeug; Dasein ist in diesem Kontext ungewöhnlich; multimorbide und Zielgerade werden bildhaft eingesetzt. Normalsprachlich, aber auch reizlos wäre zum Beispiel gewesen:

Das Auto, vermeintlich wieder jung, entpuppt sich dann bald als nahezu schrottreifes Fahrzeug mit zahlreichen Schwachstellen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 10.09.2017 um 09.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36164

»jenes Fahrzeughalters« hätte natürlich völlig ausgereicht. Das Problem, zu dessen Lösung hier im Thesaurus geblättert wurde, ist also gar keins.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 10.09.2017 um 09.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36163

Der SPIEGEL 37/2017 enthält einen Artikel über gefälschte Kilometerstände und Versicherungsbetrug, in dem bei normaler Wortwahl die Wörter betrogen, Betrugsdelikt, Betrug und betrügerisch dicht aneinandergereiht vorkämen. Der Autor Christian Wüst schrieb nun:

Versicherungsbetrug ist strafbar, keine Frage; und doch wäre es nicht übertrieben, diese Form der Kleinkriminalität als Volkssport zu bezeichnen. Mehr als 25 Millionen Anfragen der Versicherer zu zweifelhaften Schadensfällen bearbeitet die Arvato Financial Solutions im Jahr. Der badische Finanzdienstleister ist eine Art Interpol der notorisch beschubsten Branche. Björn Hinrichs, dort mit Betrugsdelikten befasst, könnte einen Almanach des Unterschleifs anlegen mit hübschen Beispielen wie dem jenes fraudulenten Fahrzeughalters, der dieselbe Delle 28-mal in 14 Monaten als Kaskoschaden begleichen ließ.

Nach meinem Eindruck ist wird hier die Synonymenvariation bewußt nicht als gelungener Stil dargeboten. Die Synonyme machen allesamt einen deplazierten Eindruck: beschubst wirkt etwas albern, ähnlich wie vielleicht beschwipst, zusätzlich assoziiert der Leser bildhaft ein Herumschubsen; die sehr entlegenen Wörter Unterschleif und fraudulent sind veraltet bzw. krampfhaft bildungssprachlich. Dann wird auch noch Almanach (statt zum Beispiel Katalog) mit draufgesattelt.

Ich sehe bei dieser Wortwahl ein Augenzwinkern des Autors: absichtlich übertriebene Synonyme als selbstironisches Sprachspiel. Erst diese Selbstironie gibt dem Text wieder eine gewisse Souveränität. Ich glaube, Synoymenvariation dieser Art findet man öfter im SPIEGEL.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2017 um 07.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36114

„Herr Erdogan, geben Sie die unschuldig im Knast sitzenden Leute frei – und zwar jetzt und sofort“, sagte Schulz unter großem Beifall der Zuhörer.

Knast (aus dem Jiddischen) gehört wie Kittchen seinem gaunersprachlichen Ursprung entsprechend zu einem sehr umgangssprachlichen Register und dient zunächst der hemdsärmeligen Anbiederung an das "Volk". Zugleich verharmlost es den Sachverhalt. So – beinahe liebevoll – reden die Knastbrüder selbst von ihren Zwischenstopps.

Der Sache nach verlangt die Bundeskanzlerin von Erdogan dasselbe, aber man kann sich schwer vorstellen, daß sie sich so ausdrücken würde, auch nicht in Wahlkampfreden.

Der Augenblicksbeifall – wer könnte dagegen sein? – beweist noch nicht, daß die gewählte Strategie richtig ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2017 um 05.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#36064

Während Merkel fünf Punkte verlor, legte Schulz vier Zähler zu. (welt.de 26.8.17)

Sogar in diesem Sätzchen die zwanghafte Wiederholungsvermeidung. Die synonymische Variation erschwert das Verständnis. Nicht jeder Leser weiß, daß Punkte und Zähler (hier!) dasselbe sind.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 14.08.2017 um 11.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35991

Ja, aber dieser Gebrauch ist zweifellos nicht (mehr) auf den oberdeutschen Raum beschränkt. So zitiert die Hamburger Morgenpost den Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse mit den Worten: »Es gibt kaum mehr Gründe, in die Filiale zu kommen«. Usw.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 14.08.2017 um 09.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35990

In Österreich und einigen Gegenden Deutschlands, vor allem wohl im Süden, sagt man ja »nur mehr« statt »nur noch«: es hat nur mehr 20 Grad, etwas hat nur mehr symbolischen Wert usw. Ich nehme an, hier liegt ein ähnlicher Fall vor. In »Wie sagt man in Österreich? – Wörterbuch des österreichischen Deutsch« von Jakob Ebner (4. Aufl., 2009) wird so etwas angedeutet. Unter dem Stichwort »mehr« wird auf »nur mehr, kaum mehr« verwiesen; allerdings gibt es nur den Eintrag »nur mehr«.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2017 um 04.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35985

Kaum mehr Dorsche in der westlichen Ostsee. (FAZ 10.1.90)

Gemeint war kaum noch, und so sollte man es ausdrücken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.08.2017 um 05.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35934

Der Unterschied zwischen helfen und unterstützen läßt sich auch so illustrieren:

Wenn ein Selbstmordwilliger auf dem Dach steht, gibt es Unterstützer, die ihm ein aufmunterndes Spring doch! zurufen, während sich im Treppenhaus oder auf der Drehleiter die Helfer von der Feuerwehr nähern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2017 um 05.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35923

Um das Allerweltswort heißen zu vermeiden, greifen die Leute zu geistreicheren Synonymen und strapazieren unsere Vorstellungskraft:

Als Exoplanet darf sich jeder Himmelskörper bezeichnen, der wie die Erde um einen zentralen Stern wie die Sonne kreist. (Zeit 12.12.14)

Mit ihrem Fund können die Forscher ein Phänomen aufklären, das sich der Große Attraktor nennt. (Augsburger Allgemeine 12.2.16)

Neues Ärztehaus in Neheim hört auf den Namen „Medicanum“

Und wenn man es ruft, kommt es gerannt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2017 um 09.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35885

Weidmann betonte, daß die Einführung des Euro für die Bundesbank ein tiefer Einschnitt darstellte. (FAZ 2.8.17)

= Weidmann sagte, daß die Einführung des Euro für die Bundesbank ein tiefer Einschnitt war.

Das dürfte der Satz sein, der dem Verfasser zuerst eingefallen war, bevor er ihn aufblies.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.08.2017 um 04.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35870

Im Duden wird der Gebrauch von mehrfach im Sinne von mehrmals als "umgangssprachlich" gekennzeichnet. Das entspricht aber nicht mehr den Tatsachen, so bedauerlich man es finden mag.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.07.2017 um 04.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35787

Unterhaltungskünstler konkurriert mit Entertainer. Wikipedia wechselt die Ausdrücke (Stichwort ist das erste), läßt aber durchblicken, daß es kleinere Unterschiede geben könnte.
Zunächst könnte die "Extension" etwas verschieden sein, d. h. man könnte den Kandidaten eher das eine als das andere Prädikat zusprechen (s. den erwähnten Eintrag). Zauberer, Entfesselungskünstler und Bauchredner sind vielleicht keine typischen Entertainer. Zweitens könnte es sich um eine etwas verschiedene Wertung handeln. Drittens kommt ein stilistischer Unterschied in Frage. So scheint mir, daß Unterhaltungskünstler leicht verstaubt und nach DDR riecht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.07.2017 um 06.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35748

Deutschland verliert die Geduld mit der Türkei (tagesspiegel.de 20.7.17)

Das könnte man nur sagen, wenn der bisher Geduldige über Sanktionsmacht verfügte. Kinder können nicht die Geduld mit ihren Eltern verlieren, nur umgekehrt. Womit droht Deutschland? Mit einer „Verschärfung der Reisehinweise zum Schutz deutscher Staatsbürger in der Türkei“! Passender wäre etwa: Deutschland verzweifelt an der Türkei.

Nachtrag: Türkei-Krise: Gabriel knallhart (BILD)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.07.2017 um 05.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35681

Vor einigen Jahrzehnten fiel mir auf, daß konservative Zeitungen wie die FAZ das Wort Demonstrant oft mit solchem Widerwillen verwendeten, daß es wie Verbrecher klang. Das habe ich mir damals notiert, um es im Auge zu behalten. Die "Pejorisierung" einer Wortbedeutung ist ja die Folge eines Euphemismus (wie an Weib/Frau/Dame gezeigt). In diesen Zusammenhang gehört jetzt:

Der Begriff [Schwarzer Block] führt zunächst ein wenig in die Irre. Denn es handelt sich dabei nicht um eine Organisation oder ein Bündnis im klassischen Sinne. Vielmehr verbirgt sich hinter dem schwarzen Block eine Demonstrationstaktik. (Spiegel)
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 08.07.2017 um 10.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35632

https://www.greenpeace.de/greenpeace-erfolge

Es prangen wohl nicht alle Federn zu recht am grünen Hütchen, aber einige doch. Auf das Greenpeace-Gutachten zum Beispiel, das Ölbohrungen im Wattenmeer für unrechtmäßig erklärt, mußte der Schleswig-Holsteinische Umweltminister Robert Habeck reagieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2017 um 08.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35630

Bekanntheit wohl, aber Einfluß? Danach frage ich ja.

(Mangels befriedigender Nachweise habe ich schon vor längerer Zeit alle Fördermitgliedschaften und Spenden eingestellt.)
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 08.07.2017 um 08.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35628

"Haben solche mediengerechten Aktionen eigentlich politisch jemals etwas bewirkt?" Vermutlich. Greenpeace hat sich dank ihrer einen gewissen Einfluß verschafft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2017 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35623

Greenpeace-Aktivisten haben mit einer Trump-Plastik auf der Elbe für den Klimaschutz protestiert. (Deutschlandfunk 7.7.17)

Wenn oft genug "für" etwas protestiert wird, ändert sich die Bedeutung des Verbs. Im konkreten Fall ist es natürlich umgekehrt: Der Sprecher muß sich unter protestieren etwas anders als üblich vorgestellt haben, bevor er die ungewöhnliche Präposition setzte.

(Haben solche mediengerechten Aktionen eigentlich politisch jemals etwas bewirkt?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2017 um 09.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35617

Wann geht Protest in Krawall über? Die Medien müssen über die Wortwahl entscheiden, keine leichte Sache, auch wenn Bilder Zusatzinformation liefern.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 27.06.2017 um 22.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35500

Aus der heutigen 20-Uhr-Tagesschau:

»Armin Laschet ist neuer Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Der CDU-Politiker erhielt heute bereits im ersten Wahlgang die notwendige Zahl von 100 Stimmen. Das entspricht exakt der Menge der Abgeordneten von CDU und FDP im Düsseldorfer Landtag.«

Die Summe aus der Zahl der CDU-Abgeordneten und der Zahl der FDP-Abgeordneten würde man im normalen Sprachgebrauch wohl kaum als »Menge« bezeichnen. Es drängt sich der Verdacht auf, daß hier eine Wiederholung des Wortes »Zahl« partout vermieden werden sollte.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.06.2017 um 20.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35482

(nicht nur beim Partizip, auch Imperfekt)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.06.2017 um 20.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35481

"Was soll an er saugte Staub bedenklich sein?"
(http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=795, Kursivierung ergänzt)

Ich habe mich beim Lesen des Tagebucheintrags "Wortbildung" auch gefragt, was die Verfasser von "Wortbildung fürs Examen" damit wohl meinen. Mußte dabei daran denken, daß er sog Staub wohl sehr bedenklich wäre.

Manche Unterschiede zwischen starker und schwacher Partizip-Perfekt-Bildung halten sich recht gut.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.06.2017 um 11.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35450

Seit dem 19. Jahrhundert versuchen Sprachpfleger, den Unterschied zwischen gesinnt und gesonnen wachzuhalten. Duden Band 9 meint, er sei nur bei wohlgesinnt und wohlgesonnen inzwischen weitgehend aufgegeben. Dem folgen die anderen Autoren.

Ich glaube, der Unterschied läßt sich überhaupt nicht halten. Das hält man zunächst für ebenso mißlich wie bei scheinbar/anscheinend, aber die wirklichen Folgen sind längst nicht so verderblich, wie man befürchten könnte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.06.2017 um 05.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35435

Das Gotteshaus hat eine große symbolische Bedeutung, weil IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi sich dort das erste Mal der Öffentlichkeit gezeigt hatte. (spiegel.de 22.6.17)

So drücken sich auch Muslime in Deutschland aus, aber eigentlich ist eine Moschee kein "Gotteshaus".
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 19.06.2017 um 19.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35403

Es fehlt ein »darin«.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.06.2017 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35402

Dass Adorno gut schrieb, mehr noch: von keinem Schriftsteller seiner Generation in Deutschland überboten wurde, wird niemand bestreiten wollen. (Henning Ritter)

Ich empfinde hier ein leichtes Unbehagen. Kann man guten Stil "überbieten"? Wäre "übertreffen" nicht passender, wenn man sagen will, daß niemand besser schrieb als Adorno?
Der Sache nach stimme ich natürlich nicht zu. Und man sollte den Mund überhaupt nicht so voll nehmen: wird niemand bestreiten wollen ist eine unnötige Provokation.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2017 um 05.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35351

Wer immer erwartet hatte, dass Donald Trump an diesem Dienstag endgültig ins Wanken kommen würde: Die Hoffnung erfüllt sich nicht. (FAZ 15.6.17)

Abgesehen vom Anakoluth (der freie Relativsatz wird nicht auf geradem Wege fortgesetzt) interessiert hier die Wiederaufnahme des Verbs durch ein spezielleres Substantiv. Logisch wäre: die Erwartung, aber dagegen steht das Stilgebot der Wiederholungsvermeidung. Hoffnung hat ein zusätzliches Bedeutungsmerkmal.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.06.2017 um 09.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35304

Die Sonn- und Feiertagsruhe dient bekanntlich der "seelischen Erhebung", vgl.

http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1455#18786

http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1512#34016

http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1512#33980

Auch "Erbauung" wird in diesem Sinn gebraucht, klingt aber noch stärker veraltet und oft ironisch-pejorativ.

Wir haben gesehen, daß in neuerer Zeit die religiösen Konnotationen abgeschwächt werden und der Begriff der "Erholung" bevorzugt wird. Allerdings bedeutet dies auch eine Schwächung der biblisch begründeten Argumentation für Sonn- und Feiertage, denn die Erholung ist eine Frage der Gesundheit und kann nicht auf gemeinschaftlich einzuhaltende Ruhezeiten beschränkt werden.

Interessant ist die Synonymik von Erholung und Erfrischung.

Erholung dient der (längerfristigen) Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit, Erfrischung der Wiederherstellung der positiv bewerteten Munterkeit, einer gewissen Stimmung.

In der Werbung spielt "Frische" eine große Rolle. Man gewinnt den Eindruck, daß der moderne Mensch meistens etwas verkatert ist, was vielleicht auch stimmt (Fernsehen und Alkohol am Abend, zu wenig Schlaf).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.05.2017 um 05.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35230

Duden: er fährt ein dickes (umgangssprachlich; großes, teures) Auto

Hinzu kommt wohl noch "protzig, angeberisch". Mafiabosse und die Chefs der osteuropäischen Pflegedienst-Betrüger fahren dicke Autos, wie ich gerade gelesen habe.

Schwer zu beschreiben sind die Gebrauchsbedingungen von dickes Lob; überhaupt ist die Verwendungsbreite von dick erstaunlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.05.2017 um 05.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35229

In Hamburg wissen wir, dass ein Schwarzbrot ein dunkles Roggenbrot ist, das, wenn die Körner im Ganzen belassen worden sind, zu einem Vollkornbrot wird.

Auch ich erinnere mich, daß wir das früher unter Vollkornbrot verstanden haben. Wie ich bei Wikipedia lese, hat sich etwa seit 1970 – wohl aufgrund von Verordnungen – hier ein neuer Sprachgebrauch durchgesetzt, an den ich mich inzwischen gewöhnt habe. Jetzt kommt es nur noch darauf an, daß das ganze Korn verarbeitet ist, ob gemahlen oder nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.05.2017 um 03.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35170

Kleine Mißverständnisse ergeben sich immer wieder mal, wenn Deutsche aus verschiedenen Regionen die Verben gehen, laufen, rennen verschieden gebrauchen.
So sagen viele laufen, wenn sie das Zufußgehen im Gegensatz zum Fahren meinen. Für andere hat es die Bedeutung "rennen", also die Fortbewegung mit einer "Flugphase", wie im Sport definiert.
Zwei Flöhe kommen aus dem Kino, es regnet. Sagt der ein: "Gehen wir zu Fuß, oder nehmen wir uns einen Hund?" – Das ist heute die schriftsprachliche Standardform. Als Kinder hätten wir eher gesagt: Laufen wir...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.05.2017 um 12.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35117

Das kommt wahrscheinlich noch hinzu. Der biodeutsche Mann trägt allenfalls ein Schweizer Taschenmesser bei sich, benutzt es aber nicht als Kommunikationsmittel (Leitkultur!).

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.05.2017 um 10.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35116

Synonyme für Balkanese.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.05.2017 um 05.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35114

In Hagen geraten zwei Männer in Streit. Plötzlich zückt einer ein Messer und sticht mehrfach auf seinen Rivalen ein. (...) Dann stach der 59-Jährige mit einem Messer mehrfach auf seinen Kontrahenten ein. (welt.de 16.5.17)

Rivalen sind Menschen, die sich um denselben Gegenstand bemühen, etymologisch Anlieger desselben Wasserlaufs.

Kontrahenten sind Vertragspartner.

Der Stumpfsinn macht sie allesamt zu Gegnern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.05.2017 um 05.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#35051

"Das Implantat kann man als smartes Gerät bezeichnen, also eines, das Daten sammelt und speichert." (FAS 7.5.17)

Diese Bedeutung von smart steht noch nicht im Duden. Vielleicht wird sie bald alle anderen Verwendungen verdrängen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.04.2017 um 18.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34886

Mit einem Adverb vor dem "wegen" ist es durchaus üblich: extra / nur / besonders / allein / auch wegen mir...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.04.2017 um 12.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34883

Ich meine, daß "wegen mir" in der Hochsprache verpönt ist und bei einem Lektor kaum durchgehen würde. Man sagt also einheitlich:

Er hat es meinetwegen getan.
Meinetwegen kann er schon früher kommen.


Umgangsssprache:
Er hat es wegen mir getan.
Meinetwegen kann er schon früher kommen.


Das Ganze aber nur so als Faustregel; ich weiß, daß es Ausnahmen gibt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.04.2017 um 10.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34882

Ich zerbreche mir den Kopf darüber, was in #34874 mit dem Unterschied gemeint ist. Ist es nicht genau umgekehrt?

Die Feststellung
»"meinetwegen" ist (auch) autoklitisch (Satzadverb), "wegen mir" nicht«
bezieht sich doch auf die Hochsprache, richtig? Dann macht also die Hochsprache sehr wohl einen Unterschied.

Umgangssprachlich werden aber beide Formen sowohl im normalen Sinn, als auch autoklitisch verwendet. Da gibt es also keinen Unterschied.
Beispielsweise ist es im Erzgebirgischen egal, ob man meinetwaagn oder waagn mir sagt, auch beim autoklitischen Gebrauch.

Oder ist mit dem Unterschied genau dieser Unterschied zwischen Hoch- und Umgangssprache gemeint? Das kann aber kaum sein, wegen des Zusatzes
»die Hochsprache nicht«
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2017 um 04.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34880

Die Sprachmeisterer (Schmachthagen u. a.) sind sich einig, daß Jacob und Wilhelm Grimm Brüder und nicht Gebrüder heißen müssen, entweder weil es noch mehr Brüder gab oder weil sie keine Firma bildeten. Duden:

Gebrüder oder Brüder? Während Brüder lediglich die Mehrzahl bezeichnet, bezieht sich Gebrüder auf die Gesamtheit der Brüder einer Familie (dieser Sprachgebrauch ist allerdings veraltet) beziehungsweise auf Brüder, die gemeinsam ein Unternehmen leiten. Es heißt im Übrigen richtig »die Brüder (nicht: Gebrüder) Grimm«, denn Jacob und Wilhelm Grimm waren die beiden ältesten von fünf Brüdern und nannten sich selbst nur Brüder Grimm.

Der Eintrag ist widersprüchlich, weil die Eigenbezeichnung der Grimms ja ausdrücklich zu den „veralteten“ Verwendungsweisen gestellt wird und daher heute nicht verbindlich sein kann. Im übrigen hat er niemals dem wirklichen Gebrauch entsprochen.
(Und schließlich waren die beiden irgendwie auch eine "Firma".)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 13.04.2017 um 23.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34879

Bairisch: wega meina / deina / seina (wegen meiner / deiner / seiner). Laut Ludwig Merkles Bairischer Grammatik seltene Vorkommen des Genitivs im Bairischen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2017 um 16.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34876

Beliebt sind Redewendungen wie Das kommt d(a)rauf an, es darauf ankommen lassen, weniger häufig auch Das hängt davon ab, also mit leerlaufenden Demonstrativa bzw. Korrelativa. Diese kann man als "Dummies", Variable, ansehen oder das Ganze als "vielsagende" Ellipsen, die der Hörer selbst ergänzen mag wie Er ist derjenige, welcher.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2017 um 06.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34875

Doppelbesetzung gibt es nicht nur bei Verbzusätzen (gehört zu X dazu):

Das kommt auf den Preis drauf an.

(Viele Belege für diese Konstruktion!)

Das wirkt "entspannend" auf den Satz, vgl. "syntaktische Ruhelage".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2017 um 04.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34874

Jemand regt sich wieder mal wegen "wegen mir" auf.
"meinetwegen" ist (auch) autoklitisch (Satzadverb), "wegen mir" nicht. Hier macht die Umgangssprache einen Unterschied, die Hochsprache nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.03.2017 um 05.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34708

Ein Versandhändler bietet etwas für Körper & Body (https://www.izs-shop.de/Koerper-Body).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2017 um 19.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34680

Ich hätte Nutzen sagen sollen, das paßt meist besser. Übrigens habe ich selbst noch nie Mehrwert gesagt; auch daran merke ich, daß ich es nicht brauche. In letzter Zeit hatte ich viel mit Texten zu tun, in denen es Schwellwort war, und man findet auch bei Google ganz leicht solche Stellen. "Für mich stellt sich auch die Frage, wer leistet operativ einen Mehrwert für das Bündnis", sagte von der Leyen. (Welt)
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 10.03.2017 um 19.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34679

Ich sehe in Mehrwert auch außerhalb der Wirtschaft kein bloßes Schwellwort. Es bezeichnet doch den zusätzlichen Wert von etwas im Vergleich mit etwas anderem.

In dem Satz "Welchen Mehrwert habe ich davon?" kann man das Wort auch nicht durch Wert ersetzen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 10.03.2017 um 07.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34675

Wert ist ein selbst Schwellwort, sowohl im ökonomischen wie im ethischen Sinne.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.03.2017 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34669

In den Dudenwörterbüchern ist nicht vermerkt, daß Mehrwert in den meisten Fällen gar nicht im wirtschaftswissenschaftlichen Sinn gebraucht wird, sondern nur als Schwellwort für Wert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.03.2017 um 05.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34654

Zu den "inklusiven Oppositionen":

Wenn man liest:

Vater tötet Tochter wegen ihrer Kochkünste (Berliner Kurier 26.11.16)

– denkt man zuerst, die unglückliche Pakistanerin habe zu gut gekocht, aber in Wirklichkeit hat sie das Brot nach Ansicht ihres Vaters nicht gut genug gebacken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.02.2017 um 06.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34601

Man liest oft Möglichkeit zu etwas, Notwendigkeit zu etwas, Akzeptanz für etwas, Präferenz für etwas, Fszination für etwas usw., als stünde eigentlich Fähigkeit zu etwas, Vorliebe für etwas da. – Die Konstruktion folgt also dem Synonym, damit verschiebt sich die Bedeutung dauerhaft in dieselbe Richtung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2017 um 12.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34573

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#25319

Man kann als Drohung aussprechen: Ich helfe dir gleich!
Aber nicht: Ich unterstütze dich gleich!

Das erste ist ungefähr dasselbe wie Ich mach dir Beine!

– was ja auch sehr hilfsbereit klingt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.02.2017 um 18.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34513

Von der Tugend der Langeweile
Das Attribut "langweilig", das man Steinmeier gern verpasst, wird derzeit nicht so negativ an ihm kleben, wie es vor ein paar Jahren an ihm geklebt hätte. Es gibt Zeiten, in denen Langeweile gar eine Tugend ist – dann nämlich, wenn die Politik den Dingen lange Weile gönnen muss, statt eine kurzatmige, kurzentschlossene und polternde Politik des kurzen Prozesses zu betreiben.
(SZ 12.2.17)

Das Substantiv wäre Langweiligkeit, gemeint ist aber eher Besonnenheit oder so etwas, die dann auch langweilig wirken kann, aber deshalb wird Langweiligkeit nicht zur Tugend.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2017 um 15.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34485

Heute schrecken uns sämtliche Medien mit der Meldung, daß eine Kakerlake "im Kopf" einer Frau (natürlich in Indien, s. Herodot) entdeckt worden sei und dort starke Kopfschmerzen ausgelöst habe. Man sieht dann auch, wie ein Arzt sie mit der Pinzette "aus dem Kopf" herauszieht, na ja, also aus der Nasenhöhle. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1024#31383

Die Frau hatte das Insekt sogar noch hineinkriechen gespürt, war aber zu müde gewesen, um etwas dagegen zu tun. Wie fest Inder schlafen können, habe ich oft bei Vorlesungen erlebt.

Freilich ist die Nasenhöhle im Kopf, und was in derselben steckt, ist a forteriori auch im Kopf. In Erlangen haben wir eine große Kopfklinik (berühmt deshalb, weil ich mal drin gelegen habe). Allerdings umfaßt sie nicht die HNO- und die Zahnklinik, obwohl die Ohren auch am und im Kopf sind, die Zähne sogar vollständig. Ein abgebrochener Zahn oder ein geplatztes Trommelfell sind gewissermaßen auch Kopfverletzungen. – Die Psychiatrie wiederum ist drin.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2017 um 09.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34467

Schmachthagen über Latein:

Es war früher immer der Schrecken jeder Klassenarbeit, ein solches Prädikat, von dem eine seitenlange Satzkon­struktion abhängen konnte, zu erkennen und aufzubröseln.

Gemeint ist aufdröseln.

Da viele Formen des Konjunktivs II so klingen, als hätte Luther sie auf der Wartburg erfunden, ist mancher nur zu leicht geneigt, nach einem "würde" zu greifen.

Nicht "nach", sondern "zu", aber er wollte wohl die Wiederholung vermeiden. (Man kann auch "nach" einem Werkzeug greifen, aber das ist leicht verschieden.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.01.2017 um 03.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34403

Ein SPD-Politiker, an den sich bald niemand mehr erinnern wird, heißt in einem dpa/FR-Beitrag gleich dreimal der Goslarer. In den unteren Etagen des Journalismus glaubt man immer noch, die Wiederholung eines Namens sei ein stilistischer Fehltritt. Daran müssen die Schulen schuld sein. Niemand spricht ja so. ("Glaubst du, daß der Goslarer ein guter Außenminister sein wird?")
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.01.2017 um 06.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34284

Blatz (II 42f.) bespricht Noch keinen sah ich fröhlich enden. Er meint, es sei ein Grenzfall zwischen Prädikativum und Adverbial. Fröhlich kann aber im Gegensatz zu lustig nur auf Personen und nicht auf Vorgänge bezogen werden – außer mit einer rhetorischen Verschiebung: eine fröhliche Feier ist eine, bei der die Leute fröhlich sind.

(Übrigens: Woher der Vers stammt, wußte früher jeder, heute googelt man eher danach.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2016 um 05.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34175

Die Uhr repräsentiert einen grundlegenden Parameter des menschlichen Zusammenlebens (...) (Wikipedia „Uhr“)

Statt Parameter könnte man auch Faktor, Element usw. sagen, und repräsentieren ist wieder mal eine Umschreibung der Kopula.

Also: "Uhren sind wichtig."
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 15.12.2016 um 23.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34118

Wenn man eine Einladung nach Lübeck absagen muß, dabei aber bedauernd hervorhebt, eigentlich gerne an die Trave zu eilen bereit gewesen zu sein (oder so), dann kann das wohl auch augenzwinkernder Gebrauch des gehobenen Stils gewesen sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2016 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34117

Besonders wach und argusäugig ist Harry Rowohlt als Stilkritiker. Der arme Uwe Tellkamp, den er auch noch eine Pappnase nennt, wird ihm zum Anlass einer Betrachtung der Synonym-Sucht. Wenn es im ersten Satz "Peru" heißt, muss es im Folgesatz "Andenrepublik" heißen; auf "Japan" folgen "Nippon" und "Land der aufgehenden Sonne" oder, noch besser, "Land des Chrysanthementhrons", bevor es dann wieder mit "Japan" weitergehen darf. Warum also, wenn doch "Lübeck" noch nicht einmal genannt worden war, muss Tellkamp eine Einladung zum Grass-Treffen damit beantworten, dass er gern "an die Trave geeilt" wäre?! Das Kollektiv der Deutschlehrer sollte Harry Rowohlts Briefbände im Klassensatz ordern. (Michael Maar in FAZ 14.12.16 über den dritten Band von Rowohlts Briefen)

Ich habe das so verstanden, daß all die lächerlichen Synonyme bei Tellkamp stehen, und konnte es fast nicht glauben. Aber dann überzeugte ich mich im Original, daß Tellkamp zwar an die Trave geeilt wäre, die übrigen Beispiele aber von Rowohlt eindeutig nur zur Illustration der Synonymensucht erfunden sind. Das hätte Maar deutlicher sagen können.
 
 

Kommentar von SP, verfaßt am 14.12.2016 um 19.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34111

Übergriffe der Wölfe auf Schafe? Tatsächlich, viele Fundstellen. Wäre auch was für "Bilder".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.12.2016 um 14.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34095

In den Berichten über Wölfe in Deutschland ist ständig von deren "Übergriffen" (meistens auf Schafe) die Rede – als ob es Asylbewerber wären.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2016 um 09.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34019

Danke für den Hinweis auf diesen interessanten Fall! Er ist komplizierter und insofern untypisch, als ein Eigenname darin vorkommt. Dieser setzt voraus, daß der Hörer etwas damit anfangen kann. In diesem Fall kann man dieselbe Wirkung ohne das Adjektiv erzielen: Ein Herr Müller hat angerufen. (= "Ich weiß nur, daß er Müller heißt – so hat er sich vorgestellt; kannst du etwas damit anfangen?" Die Hinzufügung für dich verführt natürlich noch zusätzlich zu der Deutung, daß der Anrufer dem Hörer bekannt sein müsse.) Der Name könnte in Anführungszeichen stehen, da seine "gerade" Verwendung dem unbestimmten Artikel widerspricht. (Ein Theodor Ickler = ein Mann namens Theodor Ickler)
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 05.12.2016 um 07.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34018

Zu #34015: »Die Erklärung liegt darin, daß X dem Sprecher bekannt ist, aber nicht dem Hörer.« Ist es nicht umgekehrt? Wenn ich sage: »Ein gewisser Herr Müller hat für dich angerufen«, dann kenne ich Herrn Müller nicht, mein Gesprächspartner aber (vermutlich) schon.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2016 um 06.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34017

Wir haben von Troponymie gesprochen (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1332#27264).

textlog macht es einfach, aus Eberhards Synonymwörterbuch zu zitieren. Man sieht einerseits, welche feinen Beobachtungen es enthält, aber auch, warum eine Anpassung an unsere Zeit nötig scheint:

Essen und speisen wird nur von Menschen und menschenähnlichen Wesen, fressen (aus ver—essen, d. i. ganz aufessen, zusammengezogen) hingegen von Tieren gebraucht. Wenn man von Menschen sagt, daß sie fressen, so will man anzeigen, daß sie die Nahrung mit tierischer Begierde zu sich nehmen. Zwischen essen und speisen besteht der Unterschied, daß speisen (von Speise, s. d. folg. Art.) den Nebenbegriff einer gewissen Feierlichkeit hat. Da diese nur bei Personen von Stande stattfinden kann, die ihre Mahlzeiten verlängern und durch die Bedienung, die ihnen zu Gebote steht, bequem und prächtig machen können: so wird es zunächst nur von dem Essen solcher hochgestellter Personen gebraucht, und zwar von den Mahlzeiten, die an bestimmte Stunden gebunden sind, und endlich auch nur von der ganzen Mahlzeit, nicht von einem einzelnen Gerichte. Man wird daher sagen müssen: Ich habe heute die königliche Familie speisen sehen, und habe bemerkt, daß der König nur von einer Schüssel . Außerdem gilt speisen aber auch als gewählter Ausdruck für essen, wie fressen als Kraftausdruck. Der letztere wird jedoch in guter Sprache vermieden. "Ich hatt' just mein gewöhnlich Essen, | hat sich der Kerl pumpsatt gefressen." Goethe, Rezensent.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2016 um 05.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34015

Zu http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=184#953

ein bestimmter/gewisser X bedeutet ja scheinbar das Gegenteil, nämlich einen unbestimmten, ungewissen. Die Erklärung liegt darin, daß X dem Sprecher bekannt ist, aber nicht dem Hörer.

Gibt man bei Google ein in regelmäßigen, kommen zahllose Belege für in regelmäßigen Abständen, aber diese Kollokation bedeutet sehr oft "in unregelmäßigen Abständen, immer wieder".

Das erinnert an regelrecht, womit Übertreibungen eingeleitet werden, die eigentlich das Gegenteil bedeuten, zum Beispiel wieder und wieder, jemand sei regelrecht hingerichtet worden, wo es sich um besonders blutigen Mord handelt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2016 um 05.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34014

In Bayern ja auch nicht, obwohl es hier eine längere ungebrochene Tradition hat. Das gilt aber für viele schriftsprachliche Ausdrücke.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 05.12.2016 um 01.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34013

In Thüringen oder Sachsen sagt das kein Mensch – wenn er nicht Journalist ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.12.2016 um 21.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34012

Immerhin amtlich und keine Journalisten-Marotte zur Wiederholungsvermeidung...
 
 

Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 04.12.2016 um 18.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34011

Ein weiteres Beispiel hört man fast täglich im Wetterbericht im BR: "Morgen ist es im ganzen Freistaat sonnig..." usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.12.2016 um 06.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#34010

Der Urnengang hat sich allem Spott zum Trotz erhalten. Die Zeitungssprache wird auch am Rebensaft festhalten (Traubensaft ist schon anderweitig besetzt) und am recht unpassenden Gerstensaft. Dabei könnte alles so einfach sein: Bier ist Bier.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.12.2016 um 08.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33992

Der Hauptweg des Friedhofs führte zu einer kleinen Kapelle, auf deren Dach jetzt ein helles Glöcklein ertönte. Ein richtiges Sterbeglöckchen! (Wilhelm Genazino: Wenn wir Tiere wären. München 2011:24)

Es ist anzunehmen, daß der Wechsel zwischen den synonymen Diminutivsuffixen der Wiederholungsvermeidung dient.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2016 um 09.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33984

Der Titel folgt nicht nur in dieser Hinsicht einer gegenwärtigen Mode, sondern auch in jener schon besprochenen: Geschichte des Todes/der Hölle/des Teufels usw., wo es in Wirklichkeit um etwas anderes geht, hier also Geschichte der Porträtkunst.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2016 um 09.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33983

Das wollte ich (ein Spur drastischer) auch schon schreiben, haben es aber sittsam unterdrückt.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 01.12.2016 um 08.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33981

Der 2. Teil ist auch schon angekündigt:
Faeces. Eine Geschichte des Arschlochs
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2016 um 06.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33979

Faces: Eine Geschichte des Gesichts (Buchtitel von Hans Belting)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.11.2016 um 07.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33957

jemandem etwas sagen
etwas zu jemandem sagen


Duden 9 erklärt:

"Die im Dativ genannte Person kann aber auch mit zu angeschlossen werden. Das ist vor allem dort der Fall, wo das Ausgesagte als direkte Rede in Anführungszeichen oder gleichsam in Anführungszeichen steht."

Die Intuition ist richtig, aber trotzdem nicht ganz treffend. Vgl. Wahrlich, ich sage euch: Wer da glaubt, hat ewiges Leben. Hier wäre zu euch nicht möglich.

Bei jemandem etwas sagen geht es um den Inhalt, die Botschaft, bei sagen zu um die bloße Artikulation. Letzteres ist eigentlich nur ein Hinzufügen, wie Salz zur Suppe.

Weiteres in der vielzitierten Arbeit von Irene Ickler: „Kasusrahmen und Perspektive“. Deutsche Sprache 18, 1990:1-37.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2016 um 04.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33942

Niedrige Nitratbelastung: Das kühle Nass ist sauber (Südwest-Presse 13.11.16)

Ich glaube nicht, daß man im Englischen das Wasser so albern umschreibt, wie unsere Journalisten es Tag für Tag tun. Könnte man es beim Wasser in Schwimmbädern noch verstehen, so ist es beim Trinkwasser besonders lächerlich. Ein Übersetzungsdienst schlägt vor: Genießen Sie das kühle Nass – Enjoy the water.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 20.11.2016 um 09.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33891

Vielleicht ist der Begriff für andere Verwendungen freigeworden, seit nicht mehr soviel von der Endlichkeit der Bodenschätze die Rede ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.11.2016 um 06.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33890

Alle Menschen wissen, dass sie sterben müssen, aber verdrängen die eigene Endlichkeit gerne. (Margot Käßmann in HNA 19.11.16)

Die normale Substantivierung wäre Sterblichkeit. Es ist anzunehmen, daß die Wiederholung desselben Stammes vermieden werden soll.

Daneben könnten weitere Motive die Wortwahl bestimmen. Endlichkeit ist gerade unter Theologen ein beliebtes Hüllwort. Es wirkt auch philosophischer als Tod und Sterben, die an den körperlichen Zerfall denken lassen.

Sogar "Spektrum Wissen" titelt: Forschen über die Endlichkeit: Fünf Fragen zum Tod (24.3.16); Artikel und Heft handeln aber keineswegs von der Endlichkeit, sondern eben vom Tod.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2016 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33876

Papst Franziskus stellt der schleichenden Verrohung der politischen Kultur die Verletzlichkeit eines offenen Herzens entgegen. Er kontert das Verächtlichmachen des Guten mit der schamlosen Sehnsucht nach einer menschenwürdigen Welt.

(Horst Köhler zur Bambi-Verleihung an den Papst)

schamlos galt bisher als negativ, allerdings war schamlos schön usw. im Feuilleton schon verbreitet. Es erinnert an den Bedeutungswandel von gnadenlos (gnadenlos schmackhafte Pizza). Furchtbar toll.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2016 um 18.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33854

Nach Monika Schwarz(-Friesel) muß ein Kind lernen "daß bei vielen Wörtern die inhaltlichen und die syntaktischen Strukturen nicht zusammenfallen."

Beispiel:
Marie diniert königlich im Ritz.
*Marie diniert Kaviar und Sekt im Ritz.


Die Verfasserin nimmt also an, daß dinieren ein Synonym von essen ist.

Das Ganze läuft unter "Blockierung von Aktanten/Argumenten", eine Anhäufung absurder Behauptungen (s. "Sternchen"). Pinker hat dasselbe Beispiel: dine/devour. So auch bei Christa Dürscheid und anderen.

(Übrigens braucht ein Kind nicht zu lernen, wie dinieren konstruiert wird...)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2016 um 05.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33801

Bei belehren wird meist nicht angegeben, daß es überwiegend "abwertend" gebraucht wird, etwa in diesem Sinn:

Zuschauer fühlten sich belehrt – Tagesschau will AfD nicht mehr als "rechtspopulistisch" bezeichnen

Die Zuschauer hätten das Attribut als belehrend empfunden, erklärte Gniffke gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur.
(focus.de 9.11.16)

In diesem Fall geht es einerseits darum, daß die AfD nicht immer wieder neu vorgestellt werden muß, andererseits sympathisieren sehr viele Menschen – wie die Leserbriefe zeigen – mit der AfD, die ja auch die Zwangsgebühren abschaffen will. Die vom Staat verhängten und mit dem Strafrecht durchgesetzen Rundfunkgebühren machen es praktisch unmöglich, nicht von Staatsrundfunk zu sprechen. In diesen Zusammenhang gehört das Gebaren der Fernsehleute, das in unangenehmer Weise als "belehrend" und bevormundend empfunden wird. Die künstliche und unglaubwürdige Konstruktion eines vom Staat unabhängigen Staatsrundfunks hat keineswegs die behauptete Stärkung der Demokratie zur Folge. Aber solange das Geld fließt, ist es den Nutznießern egal. Punkte für die AfD.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.11.2016 um 11.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33767

An diese Lebensmittelkarten kann ich mich noch gut erinnern.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 04.11.2016 um 08.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33766

Der Begriff Nährmittel war in der Zeit der Rationierung jedem vertraut, weil er auf die Lebensmittelkarten gedruckt war. Je nach Wunsch und vorhandenem Angebot konnte der Schnipsel für den Kauf unterschiedlicher Nahrungsmittel eingesetzt werden, die unter diese Definition fielen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.11.2016 um 06.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33764

nehmen ist in verschiedene Richtungen ausdifferenziert worden.
etwas zu sich nehmen ist seit dem 18.Jhdt. idiomatischer Oberbegriff für essen und trinken und füllt diese Lücke.
sie nahm ihr Kind zu sich deutet normalerweise nicht auf Kannibalismus, ist aber ebenfalls idiomatisch; ein Ausländer würde aus den Teilen nicht erkennen, was eigentlich gemeint ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2016 um 09.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33647

Eine Zweideutigkeit, der ich schon längst einmal nachgehen wollte:

Die wichtigsten Nährstoffe für Babys sind die Vitamine B12 und D sowie Eisen, Zink und Kalzium, wie die Kinderärztin erklärt. (t-online 26.10.16)

Immer wieder war ich an solchen Stellen etwas befremdet, weil ich bei Vitaminen und Spurenelementen nicht an Nährstoffe denke. Zur Aufklärung Wikipedia:

Als Nährstoffe bezeichnet man verschiedene organische und anorganische Stoffe, die von Lebewesen zu deren Lebenserhaltung aufgenommen und im Stoffwechsel verarbeitet werden. Die Vielfalt und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lebewesen lassen sich dennoch auf wesentliche Nährstoffgruppen zusammenfassen. Dabei dienen vor allem die Art, Herkunft, Verwendung, sowie der mengenmäßige Bedarf der Nährstoffe als Grundlage einer Kategorisierung.
Nach einer anderen Definition werden nur energiereiche Stoffe als Nährstoffe bezeichnet, die im Organismus zu energieärmeren Stoffen abgebaut werden und dabei überwiegend der Energieversorgung des Körpers dienen. Mineralstoffe und Vitamine zählen dann nicht zu den Nährstoffen.


Dazu fallen mir auch die "Nährmittel" ein, von denen, wenn ich mich recht erinnere, in meiner Kindheit nach dem Krieg öfter die Rede war als heute. Wikipedia bestätigt mir, was ich intuitiv darunter verstanden habe: eine Zusammenfassung von Getreide und Hülsenfrüchten, also die stärkehaltigen Trockenprodukte. Ich nehme an, daß die damalige Knappheit eine solche Begriffsbildung gefördert hat. Etwas später dann: "Denke dran, schaff Vorrat an! – Aktion Eichhörnchen." (Das war die Zeit, als wir lernten, wie wir uns bei einem Atomangriff zu verhalten hatten: schnell unter den Tisch, notfalls eine Aktentasche über den Kopf halten...)

In dem Artikel ging es übrigens um vegane Säuglingsernährung. Es ist einigermaßen plausibel, daß erwachsene Säugetiere „eigentlich“ keine Milch mehr trinken, aber wenn jemand ein Recht darauf hat, dann doch wohl ein Säugling.

Nachtrag: Jüngere Menschen, die ich gefragt habe, verbinden mit "Nährmittel" keine bestimmte Vorstellung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.10.2016 um 09.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33629

Nachdem ich in der FAZ einen Artikel über das Muffelwild gelesen hatte, fiel mir der Bericht über die Leibniz-Ausgabe in die Hände (FAS von gestern), darin das schöne Wort Publikationsmuffel.

Aus Wikipedia:

Zudem wurde das Wort in der Umgangssprache zu einem „Suffixoid“, um die Abneigung einer Person gegen eine bestimmte Tätigkeit oder Verhaltensnorm auszudrücken. Es kennzeichnet in Bildungen mit Substantiven eine Person, die einer Sache gleichgültig gegenübersteht, an etwas nicht interessiert ist oder keinen Wert auf etwas legt. Als Beispiele werden im Duden etwa Ehe- oder Modemuffel aufgeführt. Weitere oft verwendete Komposita sind Sportmuffel, Morgenmuffel, Krawattenmuffel oder Sexmuffel.

Diese Bedeutungsverschiebung ist interessant, aber der Morgenmuffel gehört nicht in die Reihe. Der ist am Morgen muffelig, hat aber keine Abneigung gegen den Morgen wie Leibniz gegen das Publizieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.10.2016 um 15.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33612

Noch zum vorigen (irgendwie):

"Was hast du am Wochenende vor?"
"Am Samstag will ich zu viel arbeiten und am Sonntag wollen meine Frau und ich zu viel essen."

Klingt schräg. Obwohl man es den Wörter nicht ansieht, läuft das "zu + Adjektiv + tun" auf ein Nichtwollen hinaus, so daß sich ein logischer Widerspruch ergibt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.10.2016 um 05.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33542

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30280

Jedes Kind weiß, daß man viel zu schnell sagen kann, aber nicht sehr zu schnell.
Die Wörterbücher sagen kaum etwas dazu, im grammatischen Wörterbuch bei GRAMMIS fehlen beide Wörter. Der Unterschied entspricht englisch much/very.

sehr intensiviert, viel gibt einen Grad oder ein Maß an. Letzteres geschieht aber auf andere Weise auch durch zu beim Adjektiv. Dadurch wird das Maß "geschlossen" und kann nicht noch intensiviert werden. Auch wenn das Adjektiv bereits einen Vergleich oder ein Maß in sich enthält: *sehr kugelrund, *sehr fabrikneu, *sehr kochendheiß, nur selten sehr rotbraun, sehr blutrot. Der Komparativ läuft auch auf einen Vergleich hinaus, daher ist nur ein Maß, keine Intensivierung möglich: viel schneller. Da ganz ebenfalls "schließend" wirkt, ist möglich ganz fabrikneu usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.10.2016 um 16.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33473

Das hat Folgen.
Das ist eine Ursache.


Die beiden Sätze sind ungefähr gleichbedeutend, und doch ist der zweite kaum möglich. (Außer im besonderen Sinn einer Aufzählung von Ursachen.)

Der erste Satz dient normalerweise dazu, das Thema der nächsten Sätze einzuführen, man erwartet Näheres über die Folgen. Er ist sozusagen kataphorisch.

Der zweite Satz ist leer, weil schlechterdings alles eine Ursache ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.10.2016 um 04.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33463

In der Ortsgemeinde Altstrimmig bewohnt er ein festungsähnliches Anwesen samt Pferdegestüt. (FAZ 5.10.16 über Werner Mauss)

Als das Pferd noch zum Alltag gehörte, hätte Gestüt genügt, aber heute kommt das Wort etwas überraschend, und man deutet dem Leser vorsorglich an, worum es sich überhaupt handelt. Es gibt zwar auch Kamelgestüte, aber sie kommen hierzulande wohl nicht in Betracht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.09.2016 um 03.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33411

Vor sechs Jahren hat Schweden die Wehrpflicht abgeschafft – nun könnte sie wieder eingeführt werden. Weil Rekruten fehlen und die Angst vor einem Land aus der Nachbarschaft wächst. (FAZ 29.9.16)

aus der Nachbarschaft? in der Nachbarschaft! Und warum nicht gleich Rußland?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2016 um 15.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33358

Sechs Jahre später fand er sich als Redenschreiber im Kanzleramt Willy Brandts wieder. (FAZ 22.9.16 über Klaus Harpprecht)

Das klingt, als habe der Mann sechs Jahre im Koma gelegen. Also: Sechs Jahre später wurde er Redenschreiber im Kanzleramt Willy Brandts.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2016 um 04.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33316

Die indische Hilfsorganisation 'Animal Aid Unlimited' fand einen Vierbeiner völlig verwahrlost unter einem Auto liegend. (focus.de 13.9.16)

Der weitere Bericht zeigt, daß es sich bei dem rätselhaften Quadrupeden um einen Hund handelte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.08.2016 um 06.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33204

Die Modalpartikel wohl hat eine ähnliche Funktion wie die selbständigen ob-Sätze (dubitativen oder deliberativen Fragen). Nach einem guten Einfall Norbert Reiters regt wohl die Bildung einer "Suchgruppe" im Sinne Hofstätters an, zu der auch der Sprecher selbst gehört und deren Urteil er sich unterwerfen will. Man könnte von einer Deliberationsgemeinschaft sprechen. Die ob-Sätze sind auf Entscheidungsfragen (Alternativfragen: ob oder ob nicht) bezogen, wohl ist in dieser Hinsicht offener.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.08.2016 um 14.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33141

die Stiefelökonomie (welt.de 19.8.16) (= die italienische Wirtschaft)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.08.2016 um 18.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33124

Wir wissen zwar, dass die alten Mythen nicht mehr stimmig sind – eine andere Geschichte, die uns und die Welt erklärt, gibt es jedoch nicht.“ (Raoul Schrott) (http://poetenfest-erlangen.de/eventdetail.asp?EventID=399&VonSeite=zeitplan.asp&CSS=1)

Stimmig sind sie schon, nur stimmen tun sie nicht. Häufige Verwechslung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.08.2016 um 05.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33078

Interessant ist auch diese Entwicklung:

Hand anlegen an etwas (ohne Artikel, aber stets mit Verbzusatz)

Hand an sich legen (auch mit Artikel, aber stets ohne Verbzusatz)
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 10.08.2016 um 16.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33061

Zu #33059: Ich gehöre wohl doch nicht mehr zu den "jüngeren Menschen", aber auch für mich bedeutet "Er ist gefallen" mit Satzendeintonation/Satzendesatzzeichen klassischerweise: Er ist tot, und zwar "im Kriege gefallen." Meist. Ich könnte mir nämlich auch "Der [alte] Herr sundso ist gefallen" als schnelle in sich abgeschlossene Information vorstellen , z.B. im Krankenhaus, - wo ich jedoch wohl sagen würde: "Er ist hingefallen."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2016 um 16.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33060

Aber süß und ehrenvoll, nicht etwa im Straßenverkehr.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 10.08.2016 um 15.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33059

Wenn man bei jüngeren Menschen sagt "Er ist gefallen", heißt das klassischerweise: Er ist tot.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 09.08.2016 um 09.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33053

Nochmals zum Thema fallen: In meinem Beispielsatz Der alte Herr soundso ist gefallen und liegt jetzt im Krankenhaus hätte ich das Attribut alte auch weglassen können oder vielleicht sogar sollen, denn das Verb fallen impliziert das hohe Alter und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. Bei jüngeren Menschen würde man von einem Sturz oder einem Knochenbruch reden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.08.2016 um 06.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33052

Saturn steht am 3. Juni im Sternbild Schlangenträger in Opposition zur Sonne. Somit ist der Ringplanet die gesamte Nacht am Sternenhimmel vertreten.
(www.n-tv.de/wissen/Das-bieten-Sonne-Mond-und-Sterne-2016-article16632446.html)

Aber wer vertritt ihn?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2016 um 06.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#33049

Wie schon bemerkt, verfügen wir über eine erstaunlich sichere Intuition, was die relative Häufigkeit der Ausdrucksweisen betrifft. Jeder wird wohl zustimmen, daß die archaische Wendung wider besseres Wissen häufiger gebraucht wird als die neuere gegen besseres Wissen.
Ich lese gerade:
Wer übernimmt beispielsweise die Verantwortung für den von George W. Bush und Tony Blair widerrechtlich und gegen besseres Wissen vom Zaun gebrochenen Irak-Krieg, die Zehntausenden von Toten und das dadurch hervorgerufene Chaos im Nahen Osten, das wesentlich zur Bildung des 'Islamischen Staates' beigetragen hat? (Gebhard Kirchgässner in FAS 7.8.16)
Der Verfasser gebraucht normalerweise wider besseres Wissen, aber im vorliegenden Fall wollte er den Gleichklang mit widerrechtlich vermeiden, daher die Synonymenvariation.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2016 um 11.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32949

Dank für diese Beobachtung! Das Fallen (bei uns eher Stürzen) ist sozusagen ein umschriebenes Krankheitsbild, erinnert an des Fallen der Soldaten.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 30.07.2016 um 07.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32948

Wenn alte Menschen stürzen und sich dabei Knochen brechen, bezeichnet man das, zumindest in meiner Gegend, als "gefallen": "Der alte Herr sundso ist gefallen und liegt jetzt im Krankenhaus."

In diesem Fall drückt die Verwendung des Partizips ohne Verbzusatz gleichsam eine laienmedizinische und geriatrische Bewertung aus.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 29.07.2016 um 19.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32943

Wenn ich ausgerutscht und gestürzt bin, kann ich nicht sagen, ich sei herunter- oder hinuntergefallen. Ich bin gefallen oder hingefallen. Um herunterfallen zu können, müßte ich schon erst irgendwo hinaufsteigen. Ein Buch kann hingegen nicht hinfallen. Es kann nur herunterfallen oder jemandem hinfallen. "Das Buch ist gefallen" oder "Das Buch ist mir gefallen" klingt seltsam.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 29.07.2016 um 18.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32941

Da Gegenstände zumeist nach unten fallen, kommt mir das Wort "herunterfallen" etwas pleonastisch vor.

Wenn mir etwas heruntergefallen ist, kann ich es ja vielleicht noch rechtzeitig auffangen. Anders ist es, wenn es hinuntergefallen ist. Da hier aber das "unter" überflüssig ist, scheint mir "hinfallen" noch am passendsten zu sein.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.07.2016 um 16.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32940

Wir haben hier (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1636#28830) schon mal hinfallen diskutiert.

Für mich klingt es immer noch seltsam oder sogar witzig, wenn ich mir vorstelle, ein Gegenstand sei einfach so hingefallen. Akzeptabel fände ich nur z.B., er sei dorthin gefallen.

Ich würde niemals sagen, das Buch ist [mir] hingefallen, sondern nur das Buch ist [mir] heruntergefallen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2016 um 16.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32938

Noch etwas aus derselben Arbeit von Harald Weydt:

Auf einem Briefkasten in einem Steglitzer Haus, das ich vor kurzem betrat, steht: „Bitte keine Zeitungen in den Briefkasten reinwerfen!“ Das fiel mir auf. Ich habe gleich um festzustellen, wer dort wohnt, auf den Namen des Wohnungsinhabers gesehen und richtig, ich fand einen ausländischen, jugoslawischen Namen. Was erweckt bei uns das Gefühl, dass hier etwas unidiomatisch ist, dass ein Muttersprachler diesen Hinweis so nicht an seinen Briefkasten kleben würde?

Der Ausländer verkennt nicht die Redundanz, sondern die „Textsorte“. Bei Briefkästen ist werfen [mit Richtungsadverbial] oder einwerfen [mit implizitem Verweis auf den „sympraktisch“ anwesenden Kasten] festgeworden.
Es gibt aber Dutzende von umgangssprachlichen Belegen mit reinwerfen:
Hauptsache schnell in den Briefkasten reinwerfen, so lautet scheinbar das Motto des Postboten.
Einfach bei der Polizei abgeben oder bei uns in den Briefkasten reinwerfen.
Usw.
Die Redundanz stört den normalen Sprecher überhaupt nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2016 um 09.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32933

Ich hatte schon mal kurz aus einem Vortrag/Aufsatz von Harald Weydt zitiert und möchte den Absatz, um den es mir geht, noch einmal hierhersetzen:

Man stelle sich folgende Situation vor: ein Kind ist im Garten auf den Kiesweg gefallen; dabei hat es sich im Gesicht, z.B. an der Lippe, wehgetan. Nun steht es da und weint. Die Mutter kommt hinzu und erkundigt sich bei den Umstehenden: „Was ist passiert?“ Der hilfsbereite Franzose tendiert dazu, zu sagen: „Das Kind ist gefallen“, analog zu seiner Muttersprache: „L’enfant est tombé“. Das ist unidiomatisch. Ein deutscher Umstehender würde an dieser Stelle sagen: „Das Kind ist hingefallen.“ Damit gibt er zusätzlich zu der Information, die durch tomber/ fallen gegeben wird, nähere Umstände an: z.B. ‚nach vorne’, ‚auf eine Fläche drauf’. Unser Beispielfranzose ist sehr flexibel und lernbegierig und er lernt: die Deutschen sagen nicht: Das Kind ist gefallen, sondern Das Kind ist hingefallen. Bei einer anderen Gelegenheit würde er das anwenden und sagen: Das Kind ist auf den Boden hingefallen oder Das Kind ist auf sein Gesicht hingefallen. Das ist nun wieder falsch, denn diesmal sagen die Deutschen nicht: Das Kind ist auf den Boden hingefallen, sondern: Das Kind ist auf den Boden gefallen, oder: Das Kind ist aufs Gesicht gefallen. Warum ist das so? Weil schon in der Adverbialbestimmung auf den Boden das noch einmal gesagt wird, was in der Vorsilbe ausgedrückt wird. Die Sprecher verzichten deshalb darauf. Sie können also die Zusatzangaben, die durch das Präfix gemacht werden, weglassen, und sie tun es auch, wenn diese Information anderweitig im Kontext geliefert wird.
Dies kann der allgemeine Kontext des univers du discours, es kann die allgemeine Weltkenntnis, es kann aber, wie in unserem Fall, auch etwas sein, das verbal ausgedrückt wird. Ein weiteres Beispiel: Ich bin zu meinem Freund gezogen, Ich bin umgezogen, aber nicht: Ich bin zu meinem Freund umgezogen.

-

Soweit der Text (ohne Kursivierungen), zu dem ich ein paar Bemerkungen machen möchte.

Bei hinfallen deutet der Verbzusatz nicht nur die Richtung oder das Ziel an (wie etwa bei hingehen). Vielmehr geht es um den Schaden, den eine Person oder ein fühlendes Wesen durch unfreiwilliges Stürzen erleidet. Darum fällt ein Baum um, aber nicht hin. Dagegen kann mir etwas hinfallen, weil ein Schaden damit verbunden ist. Man könnte kalauern: Der ist hin!

Bei umziehen ist, wie anderswo schon vermerkt, durchaus belegt: Sie ist zu ihrem Freund umgezogen. Aber ich gebe zu, daß der Zusatz hier seltener ist als bei Angabe eines Ortes (Stadt, Land). Der Grund liegt darin, daß im Falle zu ihrem Freund feststeht, daß es sich um einen Umzug handelt. Bei Städten und Ländern dagegen kann es einfach um ein Ziehen gehen, eine Fortbewegung, bei Bedarf auch um ein Weiterziehen, etwa wenn der Campingplatz überflutet ist und man weiterzieht. Wir zogen nach Friaul.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.07.2016 um 06.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32887

Unterstöger bespricht die Neuausgabe von Engels "Stilkunst" (s. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1416#32886)

Er schreibt:

"Unter allen schreibenden Kulturvölkern sind die Deutschen das Volk mit der schlechtesten Prosa." In der Ausgabe letzter Hand, der von 1931, stand dieser Satz wieder, nur dass die "Kultur-" zu "Bildungsvölkern" geworden waren. Wie kann das einem Autor unterlaufen, dessen messerscharfem Sprachsinn es doch nicht entgangen sein konnte, dass "Kultur" und "Bildung" keine deckungsgleichen Synonyme sind?
In einer Einzelheit wie dieser spiegeln sich Größe und Tragik Eduard Engels.
Usw.

Die Kritik ist gegenstandslos. Die Ersetzung eines Wortes durch ein anderes in einem bestimmten Kontext
(= Zusammenhang!) bedeutet nicht, daß der Verfasser beide für gleichbedeutend hielte. Was sollten wir denn zum Beispiel von Goethe denken, wenn er in verschiedenen Fassungen (= Versionen) seiner Gedichte immer wieder mit anderen Wörtern experimentierte? Engel ist nichts "unterlaufen", er hielt im Alter Bildungsvolk für passender, ganz einfach. Eine Abneigung gegen das schon damals inflationär gebrauchte Kultur findet sich auch bei anderen Autoren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.07.2016 um 11.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32863

Man gesteht etwas, bekennt sich zu etwas, bezichtigt sich dessen, brüstet sich damit, reklamiert es für sich. Diese Synonymgruppe beherrscht jetzt die Landschaft. Ein Wetteifer ist entbrannt, jede Schandtat irgendwo auf der Welt für sich in Anspruch zu nehmen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2016 um 10.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32851

Die Malerei stellt heute ihren Hauptberuf dar. (Wikipedia über eine berühmte "fränkische Pfarrerstochter")

Darum rechnet man sie zu den "darstellenden Künsten".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.07.2016 um 06.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32816

Anregende Texte benötigen eine verständliche Sprache. (Ivo Hajnal/Franco Item: Schreiben und Redigieren – auf den Punkt gebracht. Frauenfeld 2009:175)

= brauchen. – Ein Stilratgeber sollte doch merken, daß manche Wörter amtsdeutsch gestelzt wirken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2016 um 16.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32806

„Es gibt glaubhafte Hinweise darauf, dass die rechtsextreme Szene den Streit nutzt, um einen verhassten Gegner galant loszuwerden.“ (Welt 10.7.16 über die Berliner Krawalle)

Galant? Vielleicht elegant?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.07.2016 um 06.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32797

Während der Arbeit an ihrem Dante-Roman Das Pfingstwunder erschuf Sibylle Lewitscharoff einige Kunstwerke, die ab dem 7. Juli 2016 im Deutschen Literaturarchiv Marbach ausgestellt werden. (http://www.suhrkamp.de/mediathek/ausstellung_zu_sibylle_lewitscharoffs_dante-kunstwerken_1166.html)

„schuf“ wäre genug, „erschuf“ ist göttlich.

Die FAU untertitelt eine Abbildung daraus „Apolokyntosis“. Das schwere Wort heißt „Apokolokyntosis“.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2016 um 05.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32786

Machthaber Kim Jong-un hat die USA aufgefordert die Strafmaßnahmen gegen ihn zu widerrufen. Ansonsten wolle er Probleme mit den USA nach dem Kriegsrecht behandeln. (Zeit 8.7.16)

Ich kann mich nicht daran gewöhnen, ansonsten im Sinne von "andernfalls" zu gebrauchen (laut Duden vor allem österreichisch, auch schweizerisch); für mich heißt es nur "übrigens", aber ich meide es als veraltetes Amtsdeutsch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2016 um 10.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32726

Solche Fragen, schüttelt er den Kopf, stellten offenbar nur Deutsche. (FAZ 1.6.16)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.05.2016 um 09.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32707

Manche Philosophen bahnen Wege in die Zukunft, andere nicht.

Die Thesen der Vorsokratiker über die Welt und ihre Entstehung sind aus heutiger Sicht abstrus und werden nicht mehr diskutiert. Trotzdem waren sie fortschrittlich, weil sie der mythologischen Erklärung der Welt eine grundsätzlich rationale, materialistische entgegenstellten. Die Folgen dieser Aufklärung sah man ja sofort. Schon damals waren Philosophen leicht der Ketzerei (oder Asebie, nach damaligem Verständnis) verdächtig.

Hippokrates wußte natürlich nicht, wie Epilepsie entsteht, aber seine Abhandlung "Über die heilige Krankheit" ist trotzdem umwerfend, ebenso wie seine Schrift über die Umwelt.

Skinner hat mehr Fragen hinterlassen als beantwortet, aber er hat das menschliche (und tierische) Verhalten einer Analyse zugänglich gemacht, die viel weiter führte und noch führen wird als die gelehrten Verzweigungen der "folk psychology".

Diese wird vielmehr fortgesetzt von Husserl.

„There are no perplexities from which, with or without success, Husserl tries to rescue us. Though descriptively careful, his constatations are philosophically inert. There is no debate now going on between Husserl and anyone else, and not much even between Husserl and Husserl. In a word, phenomenology is not exciting and most often not even interesting. It does not answer questions that had worried us.“ (Gilbert Ryle: Phenomenology and Linguistic Analysis. In: Neue Hefte für Philosophie 1, 1971:4-11, S. 6f.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.05.2016 um 06.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32647

Früher schieden sich die Geister an Gruppe vs. Bande. Heute erkennt man die Tendenz daran, ob jemand das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei als Deal bezeichnet, halb gaunersprachlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.05.2016 um 09.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32638

Eine Religion ist, bevor sie von Theologen systematisiert wird, eine Sammlung von Riten und Mythen. Ihre Funktion besteht u. a. darin, „lokale Probleme“ zu lösen, d. h. kritische Stellen in Leben und Gesellschaft zu markieren und zu deuten: Geburt und Tod, Verheiratung und Fortpflanzung, Vertragsschlüsse (Eide) usw.
Riten und Mythen stammen aus verschiedenen Zeiten und Quellen und bilden keinen widerspruchsfreien Zusammenhang; dieser Mangel an Konsistenz stört aber nicht, solange niemand Rechenschaft verlangt und die Apologetik, die erste Form der Theologie, hervorzwingt.
Ähnlich verhält es sich mit der Psychologie. Es gibt kein folkpsychologisches Gesamtsystem, sondern nur lokale Lösungen. Darum gibt es keine „homerische Psychologie“, und darum scheitern auch Unternehmungen wie Jost Triers Versuch, das System der altdeutschen intellektuellen Begriffe zu ermitteln („Der deutsche Wortschattz im Sinnbezirk des Verstandes“). Warum sollte die Synonymik dieser Bereiche früher konsistenter gewesen sein als heute, wo sie es nachweislich nicht ist? Dornseiff hat das klar erkannt. Aber diese Kritik hat wenig bewirkt, die empiriefernen Theoriegebäude wachsen immer wieder nach.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.05.2016 um 10.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32583

Widengrens Arbeiten erfreuten sich großer philologischer Genauigkeit (...) (Wikipedia über Geo Widengren)

Ziemlich schräg formuliert. Widengrens Arbeiten waren philologisch genau.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2016 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32481

Ein sehr bekannter Bedeutungswandel besteht darin, daß eine Nebenbedeutung zur Hauptbedeutung wird. Ein Legostein ist nicht aus Stein usw.

Domino ist ein Legespiel mit zumeist 28 rechteckigen Spielsteinen, meist aus Holz oder Kunststoff. (Wikipedia)

Und beim Dominoeffekt wird wiederum eine gewisse Zweckentfremdung zur Bildquelle einer Metapher.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2016 um 06.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32460

18-Jährige eskaliert: Zwei Polizisten leicht verletzt
Die junge Frau setzte sich mit Kratzen und Beißen zur Wehr.
(nordbayern.de 29.4.16)

Personen können nicht eskalieren, aber es scheint kein einfaches standardsprachliches Wort für das Gemeinte zu geben: ausrasten, durchdrehen, die Nerven verlieren...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2016 um 09.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32338

Wie autoklitisches Sprachverhalten funktioniert, kann man am Adverb nun zeigen. Ich kann hier auf eine vorzügliche Vorarbeit des leider verstorbenen Kollegen Marcel Pérennec zurückgreifen, der freilich mit anderen Begriffen arbeitet:

„Von Zeitdeiktika zu Text- und Diskurskonnektoren: Überlegungen zur sprachlichen Temporalität“ (in René Métrich/Marcel Vuillaume, Hg.: Rand und Band. Abgrenzung und Verknüpfung als Grundtendenzen des Deutschen. Festschrift für Eugène Faucher zum 60. Geburtstag. Tübingen 1995:299-314)
(Dort werden auch noch andere Wörter besprochen.)

nun ist primär natürlich ein Zeitadverb: Kleiner Mann, was nun? (= zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zum Zeitpunkt des Sprechaktes, deiktisch)

Von dort geht die Verschiebung auf den Verlauf des Sprechaktes selbst aus:

Warum nun ist die Flüchtlingsfrage heute so brisant geworden? (Auch: Warum ist nun...)

nun weist darauf hin, daß der eben vorangegangene Text bilanziert worden ist, schließt rückwirkend die vorangestellte Textsequenz zu einer Einheit ab; es entsteht gleichsam eine Pause im zügigen Voranschreiten der Erzählung bzw. des Dialogs. Dadurch markiert nun, daß eine neue Sprechsituation entstanden ist, in die es die Textfortsetzung einbettet. Es eröffnet also eine neue Textsequenz, die als ´logische´ Fortsetzung der vorangehenden dargestellt wird.“ (301)

Im Syllogismus:

Alle Menschen sind sterblich.
Nun ist Sokrates ein Mensch.
Also ist Sokrates sterblich.


Paraphrase: „Da du (= der Hörer) die erste Äußerung angenommen und deren Inhalt für wahr befunden hast, kann ich jetzt zur zweiten Etappe der Beweisführung übergehen und sage: Sokrates ist ein Mensch.“ (303)

Es handelt sich also immer um dasselbe nun, nicht um homonyme Dubletten.

Autoklitisches Sprachverhalten hebt ein Zeichen auf die Kommentarebene, ohne jedoch metasprachlich zu werden; das Zeichen ist syntaktisch integriert und sieht daher so aus, als gehöre es noch zur Proposition. Dasselbe wie bei den Modalpartikeln also.

In beschränktem Umfang ist nun gegen jetzt austauschbar, die beiden wären aber noch synonymisch zu differenzieren.

Die Einleitung einer Antwort mit nun entspricht bekanntlich oft dem englischen well, das signalisiert, daß die vorangehende Frage nicht direkt beantwortet wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2016 um 06.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32170

sanft und zart überlappen sich, beide haben die Konnotation des Angenehmen (sind also letztlich auf "wollen" bezogen), aber sanft geht eher auf die Bewegung/Berührung als auf deren Objekt.

Übrigens ist sanft eins von den Wörtern, die in der Umgangssprache assimiliert werden: samft. Ich finde es richtig unangenehm, den alveolaren Nasal vor dem Labial zu sprechen. Als Kinder haben wir nur Semf oder Sempf gesagt, wie es sich im Deutschen gehört.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.03.2016 um 09.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32119

Solche Überlappungen gibt es, wie fast immer in der Synonymik, in großer Zahl. Beim genannten Beispiel wäre zu erwägen, ob es etwas ausmacht, daß die "erwähnten" Themen ihrerseits Abstrakta sind. Das "Ausmaß" ist die Substantivierung der Aussage, wie groß etwas ist. "Vom" Ausmaß sprechen wäre dann soviel wie "darüber" sprechen, wie groß etwas ist. Oder: Man "erwähnt" das Ausmaß und sagt unter diesem Titel, wie groß es ist. Das kann man sicher noch besser ausdrücken, und ich möchte keineswegs mit Gewalt scharfe Grenzen ziehen, wo keine sind. Daher mein Ausgehen von klaren Fällen von Nichtaustauschbarkeit.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 31.03.2016 um 08.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32118

»Er sprach ausführlich von dem Umfang und den Grenzen seiner Mission.« (Zobeltitz) Hier ist nicht davon die Rede, daß das Thema bloß gestreift wurde. Aber diesen Gebrauch müßte man wohl als gehoben bzw. veraltend bezeichnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2016 um 16.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32116

Die Verben des Redens werden teils mit von, teils mit über konstruiert. Um festzustellen, ob es einen Unterschied gibt und worin er bestehen könnte, muß man nach Fällen von Austauschbarkeit und Nichtaustauschbarkeit suchen.

Weitgehend austauschbar sind die beiden Konstruktionen bei einem weiteren Objekt oder Objektsatz: Von ihm/Über ihn sagt man, daß er ein Feinschmecker war. Daher auch: Das sagt man von ihm/über ihn.

Nur von steht in folgendem Fall: Die Polizei spricht von Brandstiftung. Das ist fast gleichbedeutend mit: Die Polizei nennt den Vorfall Brandstiftung.

Nur über steht bei: Ich habe einen Vortrag über die Planeten gehört.

Man kann vorläufig sagen, daß mit von das Thema oder der Gegenstand der Rede eingeführt wird, mit über hingegen das, was über diesen Gegenstand gesagt wird. Von etwas reden bedeutet ungefähr „etwas erwähnen“. In Schuberts Lied heißt es Die Tochter sprach von Liebe, die Mutter gar von Eh'. Beide haben etwas ins Gespräch gebracht, die Tochter Liebe, die Mutter die Ehe. Sie haben darüber aber keine näheren Ausführungen gemacht.

Wenn jemand zur Tür hereinkommt oder anruft, so kann man sagen: Wir haben gerade von dir gesprochen oder Wir haben gerade über dich gesprochen. Das zweite ist weniger angenehm zu hören, weil es unhöflich ist, über jemanden in dessen Abwesenheit zu sprechen, während es nicht unhöflich ist, gemeinsam an ihn zu denken und ihn zu erwähnen.

Naturalistisch rekonstruiert sieht der Unterschied so aus: Wer von etwas spricht, dessen Sprachverhalten wird durch eine Bezeichnung gesteuert; er erwähnt sie, z. B. das Wort Planeten oder dessen Synonyme. Beim Sprechen über etwas steuern die Merkmale des Gegenstandes das Redeverhalten, also z. B. die Eigenschaften der Planeten, unabhängig davon, wie sie dem Sprechenden gegeben sind (durch Beobachtung, intraverbales Verhalten usw.).

(Die einzelnen Sprachen haben verschiedene Ausdrücke, meist ebenfalls lokale Präpositionen, in dieser Weise grammatikalisiert: engl. about/of, griech. perí, lat. de usw.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.03.2016 um 14.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32115

Die Zahl der Flüchtlinge, die von der Türkei über die Ägäis nach Griechenland kommen, nimmt wieder zu.

Wie heute früh in Athen mitgeteilt wurde, registrierten die Behörden in den vergangenen 24 Stunden 766 Migranten. Am Sonntag waren es 73 gewesen.

(DLF, Nachrichten am 30.3.2016)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 30.03.2016 um 13.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32114

Das war sie ja schon vorher.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2016 um 10.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32113

Einen Tag später: Erdogan hat sich vor aller Welt lächerlich gemacht, und gerade darum wäre es falsch, das diplomatische Protokoll zu dehnen und daraus eine Staatsaffäre zu machen. Laßt ihn doch im eigenen Saft schmoren!
Wahrscheinlich denken die Regierungkritiker ebenso und können bloß der Versuchung nicht widerstehen, auch daraus noch einen kleinen rhetorischen Gewinn zu schlagen. Aber wenn sich der deutsche Botschafter auf Einbestellung ins türkische Außenministerium begibt, ist die Bundesregierung noch keineswegs zu Kreuze (bzw. Halbmond) gekrochen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2016 um 08.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32110

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#20499

Wir haben in Deutschland verbindlichen Regeln, die das Handeln aller hier lebenden Menschen leiten sollen – egal welchen Glaubens und welcher Herkunft sie sind. Zuwanderer müssen sie akzeptieren und annehmen. (Sozialministerin Emilia Müller 24.3.16, ähnlich andere Sprecher in vielen Medien)

Ich vermute, daß die Unterscheidung auf "hinnehmen und verinnerlichen" hinausläuft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.03.2016 um 17.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32105

Das Schweigen aus dem Kanzleramt und dem Außenministerium ist nicht nur fatal, es ist verheerend. (FAZ 29.3.16 über die neueste Erdogan-Affäre)

Demnach wäre verheerend eine Steigerung gegenüber fatal? Probe: mal die beiden Wörter vertauschen. Das ginge wohl auch.

(Übrigens scheint mir das Schweigen aus dem Kanzleramt nicht dieser Erregung wert. Der deutsche Botschafter dürfte, so nehme ich mal an, der türkischen Regierung klargemacht haben, daß das deutsche Fernsehen nicht weisungsgebunden ist, und damit kann die Angelegenheit, mit der sich Erdogan aufs neue zu erkennen gegeben hat, ihr Bewenden haben. So ist es auch bei Vorstößen anderer Potentaten gehalten worden, wenn ich mich recht erinnere.)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 28.03.2016 um 11.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32073

Wer sich einen Geldbeutel zulegen möchte, muß sich nach ledernen Tabakbeuteln umsehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.03.2016 um 08.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32070

Wie vorsichtig man beim Auswerten von Zusammensetzungen sein muß, zeigen die vielen Berichte über Straßenräuberei. Da ist oft von Geldbeuteln die Rede, obwohl fast niemand sein Geld in Beuteln mit sich herumträgt. Auch Verkaufsanzeigen zu Geldbeuteln führen stets auf die üblichen flachen Geldbörsen (!), nicht Beutel.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.03.2016 um 11.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32055

Nun, "Definition" ist etwas zu hoch gegriffen, ich wollte nur auf ein unterscheidendes Merkmal hinweisen.
Holunder-Arten sind meist verholzende Pflanzen und wachsen als Halbsträucher, Sträucher oder kleine Bäume. (Wikipedia) Ich kenne richtige Holunderbäume, und es scheint auch eine Frage der absoluten Größe zu sein. Ein zehn Meter hoher "Strauch" ist wohl untypisch, da empfindet man die einzelnen Verzweigungen schon fast als Baumstämme.
Außerdem das Problem mit den Komposita: In Hollerbusch usw. kann eine ältere Gebrauchsweise überleben, und außerdem ist Holler < Holunder ja, wie anderswo schon vermerkt, schon eine verdunkelte Zusammensetzung mit dem idg. Wort für "Baum" (gr. dory usw.), so daß der -busch zur nachträglichen Verdeutlichung angehängt werden konnte, ohnne daß man den Widerspruch noch bemerkte.
 
 

Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 26.03.2016 um 09.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32054

Es gibt da wohl auch regionalsprachliche Unterschiede. Im Bairischen beispielsweise gibt es keine Entsprechung des Wortes Strauch. Der Sammelname für beides, Strauch und Busch, lautet Staude (bair. Stauan), was natürlich nicht der fachsprachlichen Definition einer Staude entspricht. Unter Buschen (mask., Sg. und Pl. gleichlautend) versteht das Bairische junge Bäumchen, egal welcher Art, aber meist Fichten, die zur Pflanzung vorgesehen sind.
Und wie ist das mit dem "Hollerbusch" im Kinderreim? Der Holunder ist doch seiner Gestalt nach eigentlich immer ein Strauch, wenn man Ihrer Definition folgt, Herr Professor Ickler. Nach außen gebogene, oft weit ausladende Äste.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 26.03.2016 um 09.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32053

Busch ist eben niederdeutsch für Wald (im Holländischen bosch, rechtschreibreformiert bos). Aber die Ausgangsfrage betraf ja die Verhältnisse im hochdeutschen Gebrauch.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 26.03.2016 um 08.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32052

Als kleiner Junge spielte ich oft im Timmerlaher Busch, einem Wald bei Braunschweig, der für mich als Flüchtlingsjungen aus Oberschlesien aber nie ein Busch sein konnte, sondern eben ein Wald war, in dem ich mich doch verlaufen könnte, wie meine Mutter befürchtete. In jenem Holze habe ich mich aber nie verlaufen. - Das "Timmer" in dem Ortsnamen da haben wir auch im engl. timber und hd. Zimmer, welch letzteres beim Hausbau natürlich der Zimmermann zurecht macht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.03.2016 um 04.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32050

Fachsprachliche Definitionen hatte ich natürlich auch nachgeschlagen, aber bewußt beiseite gelassen, weil sie für synonymische Untersuchungen nicht in Betracht kommen.

Als ich meiner Frau die Sache vorlegte, meinte sie (unbiblisch, aber im Sinne der Volksfrömmigkeit): Na klar, Adam und Eva versteckten sich hinter einem Busch, nachdem sie den Apfel gegessen hatten. Hinter einem Strauch kann man sich nicht gut verstecken.

Der Sache nach ist es so gut wie dasselbe, nur der hervorgehobene Aspekt, das Benennungsmotiv, ist jeweils anders. Der Strauch strahlt aus, der Busch bauscht sich.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 25.03.2016 um 23.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32049

Schon beim Lesen der Frage "Was ist der Unterschied zwischen Busch und Strauch?“ hatte ich einerseits Geäst und andererseits die füllige Gestalt der Krone vor Augen. Vor die Wahl gestellt, entweder ins Gesträuch oder ins Gebüsch zu laufen, fällt die Entscheidung nicht schwer. Büsche brauchen im übrigen nicht einmal Zweige – Federn gehen auch. Und Füchse haben buschige Schwänze.
 
 

Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 25.03.2016 um 20.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32048

"Was ist der Unterschied zwischen Busch und Strauch?"

Ich meine, die Frage läßt sich nicht durch klare, abgrenzende Definitionen beantworten. Der Strauch ist als Pflanzengestalt botanisch genau definiert: ein Holzgewächs, das sich, im Gegensatz zu einem Baum, bereits an der Erdoberfläche oder sogar bereits knapp darunter zu verzweigen beginnt. Den Busch als Pflanzengestalt kennt die Botanik dagegen nicht, sondern nur als Bezeichnung der Vegetationsform bestimmter Landschaften (man denke z. B. an den australischen Busch). Im allgemeinen Sprachgebrauch kann der Busch sowohl eine Pflanze meinen, die aus botanischer Sicht ein Strauch ist, als auch ein nicht verholztes Gewächs, das eben eine "buschige" Gestalt hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2016 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32045

Was ist der Unterschied zwischen Busch und Strauch?

Zweifellos ist die Überlappung sehr groß. Es mag regionale Bevorzugungen geben, auch im Zusammenhang mit gewissen gärtnerischen Ordnungen (Beeren, Kirschlorbeer).

Intuitiv scheint mir der Strauch stärker durch die vom Boden ausgehenden, "strahlenförmigen" Verästelungen definiert (kein Zufall, sondern das Phonästhem str-), der Busch durch die geschlossene, kompaktere Gestalt der Laubkrone.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.03.2016 um 07.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32032

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) verfügt über ein eklatantes Problem bei der Einhaltung von Gesetzen und Regeln. (FAZ 23.3.16)

Eben nicht, er leidet drunter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.03.2016 um 20.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32030

(Bei amazon gibt es den Sammelband "Wortfeldforschung", hg. von Lothar Schmidt, für 7 Cent. Der Band ist zwar stark auf Weisgerber und seine Anhänger ausgerichtet, enthält aber auch andere Beiträge, von denen ich besonders Porzig und Kandler erwähnen möchte. Eine kräftige Gegenposition wie Dornseiff kann man aus dem Internet herunterladen (Einleitung zum "Deutschen Wortschatz nach Sachgruppen").
Aus derselben Reihe "Wege der Forschung" wird ganz billig angeboten: "Strukturelle Bedeutungslehre", hg. von Horst Geckeler. Das wäre eine gute Ergänzung. So hätte man fast geschenkt eine Lektüre für lange Sommerabende. Alle Autoren schreiben gut lesbar.)
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 21.03.2016 um 18.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32019

Auf deutsch:

Das "verfügen über" ist gegenwärtig ein vollständiges(?) Modewort.
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 21.03.2016 um 14.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32015

Das "verfügen über" ist aktuell ein komplettes Modewort.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.03.2016 um 14.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#32014

Rund 45 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime mit Migrationshintergrund aus den berücksichtigten Herkunftsländern sind deutsche Staatsangehörige, rund 55 Prozent verfügen über eine ausländische Nationalität.

BAMF
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.03.2016 um 08.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31978

Das geplante Flüchtlingsabkommen mit der Türkei besitzt einige Risiken. (FR 17.3.16)

Solche wüsten Beispiele sollte man aneinanderreihen, bis den Leuten die Lust an der synonymischen Variation vergeht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.03.2016 um 07.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31822

Die beiden Männer im Alter von 14 und 34 Jahren ... (focus.de 29.2.16)

Für männliche Personen fehlt ein Ausdruck, der die Kinder, die halb fachsprachlichen "Jugendlichen" und die Männer gleichermaßen umfaßt. Journalisten dürften diese Lücke täglich spüren, aber füllen kann man sie trotzdem nicht. (Bei den Frauen kommt noch hinzu, daß Mädchen manchmal der politischen Korrektheit geopfert wird.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2016 um 05.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31756

Uwe Förster hat einmal gezeigt, daß sich Ludwig Reiners mit seinen Forderungen nach Wiederholungsvermeidung und nach Fremdwortvermeidung in ein Dilemma begibt. So schreibt er selbst:
Sammeln Sie den Stoff in Form von Stichworten und gliedern Sie ihn in einer Disposition. Um die Wiederholung zu vermeiden, ersetzt er also Gliederung durch Disposition, wie es so oft die Aufgabe der Fremdwörter ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2016 um 04.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31666

Werde gerade auf den sozialdemokratischen Alpenkanzler hingewiesen, den die WELT sich leistet. Erfunden hat ihn anscheinend der SPIEGEL, witzig wie immer, 1980 (auf Kreisky bezogen).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.02.2016 um 14.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31599

Das Bundesfamilienministerium lenkt die SPD-Politikerin Manuela Schwesig. (faz.net 8.2.16)

Kann sein, daß es sie lenkt, aber man sagt eher, daß die Ministerin das Ministerium leitet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2016 um 09.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31591

Noch eine kleine Stilübung:

Man kann in Deutschland mit relativ wenig Arbeit vergleichsweise viel verdienen. (FAS 5.4.15)

Der Verfasser wollte relativ nicht wiederholen, aber eigentlich wäre der Satz dadurch einfacher und eindrucksvoller geworden. Noch kerniger wäre er natürlich ganz ohne die pedantischen Einschränkungen: Man kann in Deutschland mit wenig Arbeit viel Geld verdienen. Es versteht sich doch von selbst, daß "wenig Arbeit" und "viel Geld" relativ sind. Ich habe Geld hinzugefügt, weil die Symmetrie den Gegensatz sinnfälliger macht.

Solche Banalitäten fallen einem nicht beim ersten Formulieren ein, erst beim Drübergehen, und dann muß man gegen die größte aller Schwierigkeiten kämpfen: sich von den vorliegenden Formulierungen wieder lösen. Der innere Schweinehund sagt mir, daß es sich nicht lohnt, aber durch Übung fällt es einem leichter.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 30.01.2016 um 22.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31481

Da in den letzten Jahren die Einschaltquoten bei den Karnevalssendungen der öffentlich-rechtlichen Sendern (sic!) einbrachen, wird es 2016 weit weniger Faschingsshows zu sehen geben.

(http://www.shortnews.de/id/1182305/ard-und-zdf-zeigen-2016-deutlich-weniger-karnevalssendungen)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.01.2016 um 07.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31463

Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.

Wird Rechtsstaat betont, erzeugt der synonymische Kontext einen Gegensatz; wird bekamen betont, versteht man den Rechtsstaat als Erfüllung der Forderung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.01.2016 um 17.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31281

Es könnte sich aber auch um ein bewusst initiierter Fake handeln. (FAZ 11.1.16 über Entdeckung von Gravitationswellen)

Der falsche Nominativ erklärt sich, wie so oft, daraus, das immer noch die einfache Kopula vorschwebt, die der Verfasser nur aufwendiger ersetzen wollte. Wenn wir den fetten Ausdruck auch noch abspecken, bleibt übrig: Es könnte sich aber auch um eine Fälschung handeln.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.01.2016 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31196

Diese Methode, daß eine Gruppe von Männern um einzelne Frauen ein Gedränge veranstaltet, um ihr die Handtasche zu entreißen, wurde vor einigen Jahren vom Einsteigen in Straßenbahnen am Prager Hauptbahnhof berichtet.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 07.01.2016 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31195

Es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen man nie etwas gesehen oder gehört hat.

Die Feigheit der im/am Kölner Hauptbahnhof begangenen Straftaten besteht u. a. darin, daß die Angriffe auf Frauen offenbar jeweils mit großer männlicher Übermacht erfolgt sind. Es handelt sich daher um gemeinschaftlich, vielleicht auch bandenmäßig begangene Straftaten.

Das StGB setzt für gemeinschaftlich begangene sexuelle Nötigung/Vergewaltigung sowie für bandenmäßigen Diebstahl und Raub jeweils einen verschärften Strafrahmen fest.

Wer einem arglosen Menschen von hinten in den Rücken schießt, handelt (juristisch wie allerweltswörtlich) heimtückisch. Eine solches Handeln bezeichnet man im allgemeinen auch als feige.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 06.01.2016 um 17.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31182

Das ist es ja nicht allein. Heimtücke ist ein Begriff, der Generationen von deutschen Juristen beschäftigt hat, Feigheit hingegen bloß ein Allerweltswort.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 06.01.2016 um 16.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31180

Verschiedene Wörter sind fast nie deckungsgleich. Das ist doch eine Binsenweisheit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2016 um 16.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31178

Das denke ich auch. Noch nie habe ich gehört, daß Feigheit das Strafmaß beeinflußt.
Ich finde das emotionale Gerede der Minister unpassend. Sie sollten sich auf ihre eigentlichen Aufgaben beschränken, da wäre genug zu tun.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 06.01.2016 um 16.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31177

Feigheit und Heimtücke sind aber natürlich nicht dasselbe.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 06.01.2016 um 15.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31175

"Es sind Straftaten; dabei kommt es nicht darauf an, ob sie feige sind."

Um welche Straftat es sich handelt, kann aber durchaus davon abhängen:

Wenn ich jemanden umbringe, begehe ich vielleicht einen Totschlag; wenn ich jemanden heimtückisch umbringe, begehe ich einen Mord.

Auch das Strafmaß könnte davon beeinflußt werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2016 um 04.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#31165

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30599

Bundesjustizminister Maas hat die Übergriffe in Köln als "feige und abscheulich" verurteilt. ..."Das ist offenbar eine völlig neue Dimension organisierter Kriminalität."

Es sind Straftaten; dabei kommt es nicht darauf an, ob sie feige sind. Auch auf "organisierte Kriminalität" gibt es bisher keine Hinweise, und die "völlig neue Dimension" ist eine so abgedroschene Phrase, daß sie sich eigentlich von selbst verbietet. Der Minister reagiert so hilflos wie die anscheinend untätige Polizei.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.01.2016 um 08.14 Uhr  
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Saturn steht am 3. Juni im Sternbild Schlangenträger in Opposition zur Sonne. Somit ist der Ringplanet die gesamte Nacht am Sternenhimmel vertreten. (http://www.n-tv.de/wissen/Das-bieten-Sonne-Mond-und-Sterne-2016-article16632446.html)

Schade, daß man den Saturn selbst nicht sehen kann, nur seinen Vertreter...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.12.2015 um 09.43 Uhr  
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Es ist immer wieder erheiternd, wenn man die Zahnrädchen im Kopf seiner Mitmenschen so deutlich bei der Arbeit sehen kann:

Ein Experiment auf dem Reißbrett, wenn so man so will. (n-tv 12.12.15)

Wetten, daß die Journalistin zuerst geschrieben hatte: so man so sagen will? Dann fiel ihr der Gleichklang auf, und weil sie das zweite so nicht ändern konnte, hat sie das ohnehin lächerliche, von Journalisten leider sehr geliebte erste so durch die allgemein übliche Konjunktion ersetzt. Das so ist dann stehen geblieben, wie so oft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2015 um 17.38 Uhr  
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Das Aus scheint mir in letzter Zeit immer öfter anstelle von Ende verwendet zu werden, beliebter Kürze wegen: das Ehe-Aus usw.

Duden online bezeichnet es als Lehnübersetzung aus dem Englischen, was mir allerdings für nichtsportliche Zusammenhänge fraglich scheint.

Kurios ist aber, daß dort vermerkt ist, das Wort habe in keiner seiner Bedeutungen einen Plural, zuvor aber munter durchdekliniert wird: die Aus, der Aus, den Aus, die Aus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2015 um 05.44 Uhr  
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Der Einsatz der Bundeswehr in Syrien (auch in Mali) wird teils als Hilfe für Frankreich, teils als Unterstützung für Frankreich bezeichnet. Während Unterstützung nur ein Mitmachen bedeutet, suggeriert das "Erfolgswort" (David Stove) Hilfe, daß die Aktionen Frankreich tatsächlich zugute kommen.

(Als Kriegsziel wird ja formuliert: Frankreich jetzt nicht allein lassen, diesmal nicht abseits stehen usw.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2015 um 11.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30655

"Partnerzwang" (von Els Oksaar) ist vielleicht zu stark, aber die Erscheinung gibt es wirklich. In Gesprächen verwendet der eine Partner überzufällig oft dieselben Ausdrücke, die der andere gerade gebraucht hat, auf Kosten einer erreichbaren größeren Genauigkeit. Das ist natürlich leicht zu erklären. Auch Psychologen kennen es:
"It is a common observation that, in conversation, the use of a distinctive term or construction by one party will be picked up by the other party." (David C. Palmer)
Dieses Perseverieren ist das Gegenteil der synonymischen Variation. Sehr gute Philologen haben sogar in klassischen Texten bemerkt, daß der Verfasser länger als nötig und sogar als zweckmäßig bei einem Ausdruck bleibt, den er zuvor gefunden hat. Das alles ist natürlich schwer nachzuweisen, aber ich habe es empirisch bewiesen. Als ich noch in München lebte, habe ich die Hypothese aufgestellt, daß es beim Grußverhalten zwei Typen von Menschen gibt: Die große Mehrheit anwortet auf einen Gruß mit derselben Ausdrucksweise, also echohaft oder spiegelbildlich. Grüß Gott, hallo werden ebeno beantwortet. Hebt man beim Radfahren die Hand vom Lenker, grüßt der andere ebenso. (Heute morgen wieder ausprobiert.) Der kleinere Teil vermeidet genau dies und wählt eine synonyme Äußerungsform. In München also habe ich über längere Zeit das Personal eines Backwarengeschäfts (Hofpfisterei) getestet, und es hat sich glänzend bestätigt. Es gab den Echotyp und den Synonymtyp. Die Frauen haben natürlich nie erfahren, daß sie Opfer eines Menschenversuchs waren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.11.2015 um 07.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30631

Während Lehre meist neutral gebraucht wird, hat Doktrin fast durchweg einen negativen Beiklang, jedenfalls außerhalb der Fachsprache. Ich habe ein paar Dutzend Belege bei Google News durchgesehen.
In den Wörterbüchern und bei Wikipedia fehlt dieser Hinweis fast immer, stattdessen wird der Anspruch auf Allgemeingültigkeit hervorgehoben, meiner Ansicht nach zu Unrecht. Eher geht es um die Sturheit oder Starrköpfigkeit der Vertreter einer "Doktrin".
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 18.11.2015 um 11.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30609

Laut meinem etymologischen Wörterbuch (Kluge) hatte „feig“ durchaus einmal die Bedeutung von moribund. Die Floskel „feiger Mord“ ist ja auch keine neue Erfindung. Heute ist der Gebrauch oft widersinnig, macht aber den Täter verächtlich, und darum geht es wohl.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2015 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30599

Warum bestehen nun so viele wieder darauf, die Pariser Attentäter und ihr Verbrechen "feige" zu nennen? Es gibt doch zahllose treffende Bezeichnungen, nur ausgerechnet feige sind Selbstmordattentäter nicht. So wenig, wie der Mönch oder Pfarrer, der sich aus Protest selbst verbrennt. Er reißt keine anderen mit in den Tod, aber das ist nicht das, was man im Deutschen "feige" nennt. Feige ist, wer andere tötet und sich selbst in Sicherheit bringt. Das Ermorden von Menschen durch Drohnen, deren "Pilot" auf der anderen Seite des Globus sitzt und eine Cola schlürft, wäre eher als feige zu bezeichnen, wenn er nicht einfach jenseits moralischer Kategorien seine Arbeit verrichtete.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 06.11.2015 um 09.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30481

"So virtuos möchte ich auch den Kopf schütteln können", schüttelt Theodor Ickler den Kopf.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2015 um 04.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30474

„Solche Zahlen allein aber sagen noch gar nichts“, schüttelt Prof. Dr. Hermann Handwerker vom FAU-Institut für Physiologie und Pathophysiologie den Kopf. (Friedrich – Forschungsmagazin der Friedrich-Alexander-Universität 115:8)

So virtuos möchte ich auch den Kopf schütteln können.
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 02.11.2015 um 14.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30406

Zum Unterschied zwischen Mensch und Tier: Meine Kinder müssen sich ja auch ihre Schnauze schnäuzen, während ich gar keine Schnauze habe.

Zu Synonymen: Laut penetrant-gläubig zitiertem Sankt Duden (http://www.duden.de/rechtschreibung/aufgrund_Adverb) sind "wegen", "augrund", "dank" usw. synonym. Ich habe mal in der Schule gelernt, daß das bedeutet, daß diese Wörter austauschbar sind. Sind sie aber nicht bzw. nur manchmal. Wieder Unfug von den Duden-Machenden?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.10.2015 um 11.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30384

Als das Tabakrauchen aufkam, hat man es hierzulande teilweise als Tabaktrinken bezeichnet (wie im Türkischen, aber ohne dessen Einfluß). Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit, die sich aber verlor, als man nur noch das Wort rauchen benutzte.

Wir essen etwas, wenn es zur Ernährung dient, aber wenn es sich um Tabletten oder Tropfen gegen Krankheiten handelt, schlucken wir. "Eigentlich" ist es ja dasselbe, und es wird Sprachen geben, die keinen solchen Unterschied machen.

Wie anderswo besprochen, hat man den Unterschied zwischen Mensch und Tier künstlich vergrößert, indem man "dieselben" Vorgänge und Zustände verschieden benannte: essen/fressen, Mund/Maul, schwanger/trächtig usw. – Da unser Verhältnis zu den Tieren sich wandelt, verschwindet auch diese Unterscheidung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2015 um 16.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30372

Es ist ja nicht simpel so, dass einfach ein Mönch aus Wittenberg die Kirche gespalten hätte. (SZ 14.5.10)

Der Verfasser wollte nicht zweimal einfach schreiben und ersetzte das erste durch simpel, ohne zu bedenken, daß nur einfach oder schlicht als Abtönungswörter verwendet werden können.

Abtönung ist autoklitisch. Äußerlich ähnelt das Abtönungswort einem Adverb innerhalb des Satzes, aber es operiert auf einer "höheren Ebene":

Er hatte es einfach/schlicht vergessen = Ich sage einfach/schlicht: Er hatte es vergessen.

Statt die metasprachliche Ebene zu beschreiten (was der Allgemeinsprache nicht behagt), integriert der Sprecher das Abtönungsmittel äußerlich in den Satz, aber das hebt die logischen Verhältnisse natürlich nicht auf.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.10.2015 um 12.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30349

Es gibt auch im Deutschen ein Zustandspassiv und ein Vorgangspassiv.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2015 um 11.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30348

Der Unterschied scheint mir darin zu liegen, daß geboren sein mehr auf den Geburtstag und die Herkunft zielt, wie gebürtig, geboren werden mehr auf das Ereignis.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 26.10.2015 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30347

Ich habe keine rechten Belege dafür, aber mir scheint neuerdings häufig ein „worden“ eingefügt zu werden, wo es früher nicht üblich war, etwa: „Kann ein Jugendlicher, der in Deutschland geboren worden ist, aber ausländische Eltern hat, abgeschoben werden?“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2015 um 04.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30340

Mit seiner neuen Partnerin hat der begeisterte Radfahrer einen Sohn, der im August zur Welt kam. (FAZ 26.10.15 über Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen)

Kriegt man vom Radfahren Kinder? Außerdem "kam" der Sohn nicht zur Welt, sondern ist zur Welt gekommen oder einfach geboren worden.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.10.2015 um 18.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30283

"ganz gut" hat zwei verschiedene Bedeutungen, je nachdem, ob "ganz" oder "gut" betont wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.10.2015 um 17.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#30280

Zur Unterscheidung von ganz und sehr:

Wie anderswo schon gesagt, ist sehr auf eine offene Skala bezogen, während ganz buchstäblich eine Grenze andeutet, bis zu der etwas erfüllt ist. Darum kann ganz gut dann auch abschwächend wirken, weil es eben bedeutet: "gut, aber mehr auch nicht".
Aber ich wollte auf etwas anderes hinweisen, den hyperbolischen Gebrauch, den ich auch schon erwähnt habe, er ist auch im Grimm unter "Übertreibung" berücksichtigt: Du bist ja ganz schwarz - wenn der kleine Junge ein paar Flecken hat. Das geht aber so weit, daß jemand, der aus dem Wasser steigt, kaum mit den Worten begrüßt werden kann Du bist ja ganz naß, obwohl und gerade weil er das ja nun wirklich ist.

Ähnlich liegt etwas mitten auf dem Tisch, wenn es irgendwo auf dem Tisch liegt, aber eher nicht, wenn es genau in der Mitte liegt. (Ich will es nicht ausschließen, aber ich würde mich nicht so ausdrücken.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.09.2015 um 07.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29890

Tragischer Unfall am Mittwochnachmittag ins Ismaning: Gegen 15 Uhr spaziert ein 53-jähriger Münchner die Max-Joseph-Straße entlang, als er in einem Hauseingang plötzlich einen Rentner entdeckt. Blutend liegt der 79-Jährige auf dem Boden, zeigt keinerlei Lebenszeichen. Sofort versucht der Passant, den Rentner wiederzubeleben. Doch vergeblich. (Abendzeitung 10.9.15)

Man kann einen alten Mann entdecken, aber keinen Rentner.

(Beigegeben ist ein Symbolfoto von einem Rettungswagen und einer Sense.)
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 27.08.2015 um 14.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29792

In der Tat, diverse Bahngesellschaften kassieren gerne für verschiedene Arten von Zusätzen. So bekam der Haltepunkt Alfter der Köln-Bonner Eisenbahnen vor einigen Jahren den Zusatz "Alanus Hochschule" als Untertitel verpaßt. (Das hat also nicht die Gemeinde Alfter bezahlt, sondern die private Hochschule.) Das Geldverdienen ist allerdings manchmal relativ. Nach den großen Eingemeindungen 1969 ließ die Bahn sich von der Stadt Bonn bezahlen, die Bahnhöfe Beuel, Oberkassel, Bad Godesberg, Mehlem und Duisdorf mit dem Zusatz "Bonn-" zu versehen, weil es ihr zu teuer war, die Schilder auszuwechseln. Im Gegensatz dazu trägt der Bahnhof Porz (die Stadt wurde 1974 von Köln verschluckt) bis heute den Zusatz "(Rhein)", kommt aber ohne einen Verweis auf Köln aus, was bei Porz-Wahn allerdings auch kompliziert würde. Godesberg dagegen muß sich seither mit der etwas skurrilen Bezeichnung "Bonn-Bad Godesberg" herumschlagen.
Übrigens was ganz Unkapitalistisches: Wenn ich es richtig mitbekommen habe, ging die Bezeichnung "Lutherstadt Wittenberg" in den allgemeinen Sprachgebrauch ein. Das ist allerdings auch die einzige brauchbare Möglichkeit zur Unterscheidung von Wittenberge, weil beide Städte ja an der Elbe liegen.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 26.08.2015 um 21.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29783

Der provinzielle Versuch, der Provinzialität zu entfliehen, spielt auch eine Rolle.
Meine Heimatstadt ist mit guten Gründen nicht so provinziell wie ihr Image, aber ein guter Grund für ihre Provinzialität ist die Beschriftung wahrhaftig jeden Ortsschildes: "Osnabrück Die Friedensstadt".
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 26.08.2015 um 17.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29782

Die Bahn verdient vermutlich Geld mit dieser Masche. Das Sponsoring könnte noch weiter getrieben werden: »Volkswagenstadt Wolfsburg« böte sich an, usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2015 um 15.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29781

Peter Schmachthagen macht sich mit Recht über die Synonymitis lustig, besonders die Antonomasien wie den Leimener und die Brühlerin. Die Ersetzung von Augsburg durch die Fuggerstadt geht weit über die Sportsprache hinaus, auch der Wikipedia-Artikel macht üppigen Gebrauch davon. Es gibt aber auch Ortsschilder, auf denen sich Augsburg selbst so nennt, auch wenn es noch nicht zu einer amtlichen Erweiterung des Namens geführt hat wie in so vielen anderen Fällen. Bahnreisende erfahren es an den Schildern auf den Bahnsteigen. Kongressstadt X, Universitätsstadt Y usw. werden immer häufiger. Eine Zeitlang gab es Schwierigkeiten mit der Suche nach dem Alphabet, man fand einen bekannten Ort nicht mehr, solange man nicht Nordseeheilbad o. ä. davorsetzte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2015 um 15.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29602

Die Verfasser eines Buches über Valenz sehen keinen Grund, warum erpicht auf und gierig nach verschiedene Präpositionen regieren. Das setzt voraus, daß zwischen den beiden Wörtern kein nennenswerter Unterschied besteht. Nun beobachten wir ganz vorläufig:

gierig kann auch allein gebraucht werden: er ist gierig, er ißt gierig, mit gierigen Händen/Blicken, was bei erpicht nicht möglich ist.

Noch wichtiger: Wer gierig nach etwas ist, will es haben; dagegen bedeutet erpicht nur, daß man Wert auf etwas legt.

DUW bringt daher als Beispiele: Sie ist schrecklich auf Ordnung erpicht / darauf erpicht, dass wir pünktlich sind

Es gibt sicher noch mehr davon, so daß man umgekehrt fragen möchte: Warum sollten derart verschiedene Wörter gleich konstruiert werden? Jedes gehört in ein Feld von tatsächlich bedeutungsähnlichen Wörtern, die dann auch jeweils die gleiche Konstruktion haben.

Man muß also gerade umgekehrt vorgehen, von der Konstruktion her eine Bedeutungshypothese aufstellen, nicht mit vorgefaßten Bedeutungshypothesen anfangen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2015 um 16.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29583

Beim Rechtschreibwörterbuch haben wir schon mal diskutiert, ob alle nicht ausdrücklich angegebenen Schreibweisen falsch sind. Das geht wohl nicht anders. Man kann die naturgemäß unendlich vielen Möglichkeiten des Falschen nicht alle ausschließen. (Im Strafrecht ist alles erlaubt, was das Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich verbietet: nulla poena sine lege.)

Wie ist es aber mit den Verwendungsweisen der Wörter? Einem Hinweis Dwight Bolingers entnehme ich, daß ein Mann zwar children haben kann, aber keine babies, das kann nur die Frau. Aber diese Einschränkung könne man den Wörterbüchern meist nicht entnehmen (ich glaube, er nannte Webster's Third).

Soweit das stimmt: Wer sollte überhaupt auf den Gedanken kommen, einem Mann babies zuzuschreiben? Doch am ehesten ein Ausländer oder jemand, der die Standardsprache nicht beherrscht. Es gibt aber die unmöglichsten Ausländer, z. B. Deutsche und Chinesen. Deren Einfälle kann kein Wörterbuch antizipieren. Das Wörterbuch muß also seine Benutzer von vornherein einschränken. Ein weiterer Grund, warum es "die" Bedeutungsbeschreibung nicht gibt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.07.2015 um 04.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29480

Der Atomdeal ist nur wenige Tage alt, da ist Vizekanzler Gabriel schon mit einer Wirtschaftsdelegation im Iran. (Spiegel 20.7.15)

nur in einer seiner vielen Bedeutungen konkurriert mit erst und gewinnt unter englischem Einfluß an Boden gegenüber diesem. Die synonymische Differenzierung ist schwer. Ich zum Beispiel würde im zitierten Satz unbedingt erst sagen, wie etwa in Es ist erst fünf Uhr morgens, und ich sitze schon am Rechtschreibtagebuch. (Auch hier gehört korrespondierendes schon dazu, zwar nicht notwendig, aber es macht die Sache glatter. Vgl. meine Bemerkungen zu logisch überflüssigem auch, ebenfalls: #22830)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.07.2015 um 06.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29468

Daniel Deckers kommentiert die Kirchenaustritte, von denen die evangelische Kirche – auch ohne die bekannten Ereignisse wie in der katholischen – eher noch stärker geplagt wird:

Verschiedene Kirchenfieber, dieselbe Glaubens-, ja Gotteskrise?

Das ist eine seltsame Steigerung. Im Fall Deckers kann man ja schon länger beobachten, daß er auf ziemlich unsicherem Boden über kirchliche Angelegenheiten berichtet. In den USA haben umfangreiche Untersuchungen (u. a. angeregt von Daniel Dennett) ergeben, daß ein hoher Prozentsatz von Pfarrern in Wirklichkeit zwar gern glauben möchte, aber nicht glaubt und nur noch aus Gründen der beruflichen Existenz den Schein wahrt. Deckers hat auch Kritiker, die schon lange ahnen, was mit ihm los ist. Also: Was ist eine "Gotteskrise"?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2015 um 10.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29460

Als ich der Synonymik von engl. nude/naked nachging (im Deutschen ja so nicht vorhanden), stieß ich auf folgendes hübsche Gedicht, das manche vielleicht noch nicht kennen:


The Naked and the Nude

von Robert Graves

For me, the naked and the nude
(By lexicographers construed
As synonyms that should express
The same deficiency of dress
Or shelter) stand as wide apart
As love from lies, or truth from art.

Lovers without reproach will gaze
On bodies naked and ablaze;
The Hippocratic eye will see
In nakedness, anatomy;
And naked shines the Goddess when
She mounts her lion among men.

The nude are bold, the nude are sly
To hold each treasonable eye.
While draping by a showman's trick
Their dishabille in rhetoric,
They grin a mock-religious grin
Of scorn at those of naked skin.

The naked, therefore, who compete
Against the nude may know defeat;
Yet when they both together tread
The briary pastures of the dead,
By Gorgons with long whips pursued,
How naked go the sometime nude!

Unter Google Bilder führen beide Stichwörter zu endlosen Reihen nackter Frauen, ganz selten mal ein Mann. Eine weitere Asymmetrie finden Sie, wenn Sie boy oder girl hinzufügen. (Ich nehme mal an, daß das Betrachten dieser Bilder nicht strafbar ist; jedes Kind kann sie ohne Barriere anklicken.)

Das Ganze müßte bei der Genderei berücksichtigt werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.07.2015 um 08.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29347

Wie ausschlaggebend ist der Vortrag? (nämlich beim Klagenfurter Wettbewerb – FAZ 6.7.15)
Das Schwellwort ausschlaggebend übernimmt die Steigerbarkeit des vermiedenen Synonyms wichtig, obwohl es nicht paßt, solange das Bild der Waage noch lebendig ist.

Die stilistische Pracht hängt sicher auch mit dem Gegenstand zusammen. Manche rühmen, daß die Geschichten, die man sich ausgedacht hat, "aus verschiedenen Perspektiven" erzählt werden. Den Preis gewann schließlich ein Stück "Meta-Literatur", wie die Zeitung berichtet.


Aus derselben Zeitung:

Warum steigt die Produktivität in Deutschland nicht mehr wie vor der Finanzkrise? Das stellt ein Rätsel dar.

= Das ist ein Rätsel.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2015 um 06.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29287

In einem auch sonst schlecht geschriebenen Beitrag von Clemens Knobloch und Burkhard Schaeder liest man:

In synthetischer Hinsicht fügen sich Wörter zu Sätzen und Texten zusammen. Aus analytischer Perspektive lassen sich Texte in Sätze und Sätze in Wörter zerlegen. (Ludger Hoffmann, Hg.: Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin 2007:22)

Die synonymische Variation wirkt verkrampft. Ich übersetze:

Wörter lassen sich zu Sätzen und Texten verbinden, Texte lassen sich in Sätze und Wörter zerlegen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.06.2015 um 08.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29263

Kaum ein Denker, der das Phänomen 'Sprache' philosophisch thematisiert hat, war dabei so innovativ, ja revolutionär wie Humboldt. (Klaus Kahnert in Ders./Burkhard Mojsisch, hg: Umbrüche. Amsterdam, Philadelphia 2001:245)

Schönes Beispiel für die Steigerungsfigur. Na, und das Ganze ohne stilistische Pracht:

Humboldt hatte neue Gedanken zur Sprachphilosophie.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.06.2015 um 11.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29246

Frankreich verurteilt Spionage seiner Präsidenten (zeit.de 24.6.15)

Nanu?

Das Ausspähen der französischen Staatschefs durch den US-Geheimdienst sei "inakzeptabel", sagt Präsident Hollande.

Ach so!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2015 um 12.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29162

Ein Deutscher isst bis zu seinem 80. Geburtstag im Schnitt 748 Tiere. Sehr viele Hühnchen sind darunter, viele Schweine auch. Während den Deutschen anno 1950 nur neun Millionen Schweine mundeten, sind es aktuell 58 Millionen Tiere pro Jahr. (Focus 16.6.15)

Zuerst führt die Wiederholungsvermeidung zu dem lächerlichen munden, dann werden die Schweine durch den Oberbegriff Tiere wiederaufgenommen, was aber leicht irreführend ist, weil zuvor schon von Tieren in einem anderen Sinn die Rede war. Einige Leser haben schon kritisiert, daß Schweine und Hühner einfach addiert werden; das erinnert an unseren Kinderscherz: halb Pferd, halb Gans = ein halbes Pferd auf eine halbe Gans. Man könnte auch die Sardinen, Muscheln und Krabben noch dazuzählen, das sind doch auch Tiere. Und dann die leckeren Käsemilben!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.06.2015 um 09.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29122

Aus der Zeit, als unsere Töchter noch zur Schule gingen: Damals ließ das Kultusministerium Vergleichstests schreiben, die zum Teil falsch und oft irreführend formuliert waren. Hier ein Beispiel (6. Klasse):

"Finde ein Wort, das im jeweiligen Satz das passende Gegenteil des unterstrichenen Wortes ausdrückt!"

Jedes Kind weiß, was Gegenwörter sind, aber unsere Tochter trägt Synonyme statt Antonyme ein; sie meint offenbar, daß die Wörter sonst nicht „passen“, da sie den Sinn ins Gegenteil verkehren.

Wir wissen inzwischen, daß Synonyme auch Gegenwörter sind, wenn man das Wortfeld eng genug begrenzt. Das käme also noch hinzu.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.06.2015 um 11.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29113

Zur Synonymik von sterben/versterben:

„Dieses Verb (versterben) kann aber nicht mit der Angabe der Todesursache gebraucht werden: Sie starb (nicht: verstarb) an Blinddarmentzündung.“ (863)

Es gibt sehr viele Belege, die das Gegenteil beweisen.

Was dagegen weder hier noch in den Synonymwörterbüchern verzeichnet ist: versterben gebraucht man, wenn der Tod die Überlebenden noch berührt. Also in Todesanzeigen und ähnlichen Mitteilungen, daher auch in lebhaften Erzählungen (Biographien), nicht aber in historischen oder tabellarischen Zusammenstellungen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.05.2015 um 05.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#29010

Im Zentrum der sieben Bitten steht die vierte: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ (FAZ 27.5.15)

Die Wendungen im Zentrum und in der Mitte sind der Sache nach gleichbedeutend, aber bei Zentrum denkt man mehr an "Bedeutung" (zentral), bei Mitte eher an die Position.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.04.2015 um 09.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28718

Selbst in den Fällen, wo die Wiederholung eines Wortes sinnvoll wäre, weil der rhetorische Effekt gerade gewünscht wird, greift heute die Scheu davor, etwa in den vielen Fällen wie Talent hin, Talent her, wo es nun überwiegend heißt Talent hin oder her.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.04.2015 um 08.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28705

Aus dem Ergebnis des Experiments, dass Schimpansen als die nächsten Verwandten des Menschen nicht dazu in der Lage sind, ein normativ strukturiertes Verhalten untereinander zu imitieren, kann bis auf weiteres die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ihnen nicht die Fähigkeiten zur Verfügung stehen, die zur Imitation des Verhaltens notwendig vorausgesetzt werden müssen, und Menschen folglich die einzigen Lebewesen auf der Erde sind, die diese Fähigkeit besitzen.
(http://www.philosophie.uni-muenchen.de/lehreinheiten/philosophie_4/promotionen/florian_franken/files_franken/franken_prakt.pdf)

Ohne die synonymische Variation hätte der Verfasser vielleicht die Tautologie bemerkt: Sie können es nicht, weil sie es nicht können.
 
 

Kommentar von Roger Herter, verfaßt am 20.04.2015 um 19.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28670

Dazu ganz ähnlich schon Eberhard (Synonymisches Handwörterbuch, 1910):

"Ort ... bezeichnet überhaupt einen Teil des Raumes, ohne weiteren Nebenbegriff."

Und zu "Stelle: ... ist von stellen abgeleitet und bezeichnet eigentlich den Standort eines Dinges" (der bestimmt werde durch das, was neben dem Ding oder diesem übergeordnet sei).

Der Synonymduden taugt nach meiner Erfahrung zu gar nichts, weder zum Nachschlagen noch als Hilfsmittel beim Schreiben und Übersetzen. Das unnützeste Wörterbuch in meinem Stall.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 20.04.2015 um 12.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28669

Daß in dem zitierten Satz zunächst Stelle und dann zur Wiederholungsvermeidung Orten gewählt wurde, ist ja auch kein Zufall.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.04.2015 um 08.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28668

Ort und Stelle werden oft ohne Bedeutungsunterschied gebraucht, z. B. in einem Satz, den ich anderswo zu anderen Zwecken zitiert habe:

Sprachen, die von Anfang an zusammen gelernt werden, lokalisiert das Gehirn an derselben Stelle; Sprachen, die wir nacheinander lernen, an getrennten Orten. (Judith Macheiner: Englische Grüße. München 2004:13)

Wenn unterschieden werden soll, würde ich in erster Annäherung sagen, daß Ort absolut (genauer: auf die allgemeinen Koordinaten unseres Daseins bezogen) gebraucht wird, Stelle aber relational, z. B. als Stelle in einem Buch, Stelle am Körper usw. – Damit hängt zusammen, daß Ort auch eine Ortschaft bezeichnet. Innerhalb der Ortschaft gibt es dann Stellen, an denen etwas passiert ist usw.

Die Beschreibung im Synonymduden ist so umständlich und schwerverständlich, daß man diesen Punkt nicht erkennen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2015 um 06.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28611

Bedeutend kann jeder sagen, bedeutsam klingt tiefsinniger, man scheint sich etwas dabei zu denken, auch wenn das Wort im Zusammenhang sinnlos ist:

„Im Alter von 87 Jahren starb heute der frühere Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass. Für die politische Linke war der bedeutsame Schriftsteller eine Ikone, hatte aber auch eine Vergangenheit.“ (freiewelt.de 13.4.15)

Ähnlich anderswo: einer der bedeutsamsten Schriftsteller usw.
(Und wieso "frühere"? Ist ihm der Nobelpreis denn aberkannt worden?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2015 um 17.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28561

Was der Rechtschreibreform zu ihrer weiten Verbreitung verholfen hat, kann man am ehesten als "Beflissenheit" bezeichnen (vgl. z. B. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138).
Der Unterschied zu "Unterwürfigkeit" oder "Dienstfertigkeit" besteht darin, daß der Beflissene keiner bestimmten Autorität gehorchen muß, sondern sich nur bemüht "alles richtig zu machen", einfach weil er glaubt, das müsse jetzt so sein. So setzt sich auch die Political Correctness durch. Niemand zwingt z. B. Wikipedia zur Befolgung feministischer Vorgaben. Trotzdem macht sie "Studierendenschaft" zum Haupteintrag und fügt nur noch ein "auch Studentenschaft".
Der Beflissene geht auf Nummer Sicher. Auch wenn nur eine Minderheit eine bestimmte Meinung vertritt, setzt sie sich durch, weil die Beflissenen immer in der Mehrheit sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.04.2015 um 09.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28521

Im Dienstbereich 3 wurde die Feuerwehr Baiersdorf (...) gerufen – zu einem über der Fahrbahn liegenden Baum auf der Kreisstraße zwischen der Meerrettichstadt und Röttenbach. (nordbayern.de 2.4.15)

In Wirklichkeit war der Sturm schuld und nicht der Meerettich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.04.2015 um 07.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28519

Philipp von Zesen hat Horizont als Gesichtskreis eingedeutscht, was damals komisch gewirkt haben muß. Ganz ist die Ersetzung nicht gelungen, Horizont hat sich in der alten Bedeutung gehalten, nur übertragen gibt es beides nebeneinander, mit der üblichen Differenzierung. Ich würde sagen, daß sich ein beschränkter Horizont auf einen Mangel an Intelligenz bezieht, ein beschränkter Gesichtskreis auf eine thematische Begrenztheit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.03.2015 um 16.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28497

Im Englischen gibt es aus den bekannten Gründen eine Menge germanisch-romanischer synonymischer Dubletten, die sich ausdifferenziert haben (wie ripe/mature), und der Engländer kann sich vielleicht nicht recht vorstellen, wie man ohne solche Unterscheidungen auskommen kann. Wir sagen, daß die Vereindeutigung dem Kontext überlassen wird, aber eigentlich geht es darum, daß der Hörer auch mit einer rohen Skizze in der Hand weiß, „wo es lang geht“. Er kennt eben die Gegend. Das ist anders, wenn man Texte aus fremden Kulturkreisen zu verstehen hat. Da merkt man erst, wie defizitär jede Rede ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.03.2015 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28496

Bei Homer hat man zuerst den Eindruck, daß die Antonomasien ebenso wie die Epitheta ornantia gedankenlos oder um des Verses willen gesetzt sind. Es gibt aber Untersuchungen, wonach sie in vielen Fällen durchaus mit der jeweiligen Episode zusammenhängen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 13.03.2015 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28308

Hat nicht Homer schon damit angefangen?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.03.2015 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28307

Ja, natürlich, lieber Prof. Ickler, genau auf diese Differenzierung wollte ich ja auch hinaus. Ich meinte, Ihr Satz war doch ein sehr gutes Beispiel dafür, daß man dieses Muster nicht von vornherein allgemein verurteilen kann. Aber gerade so hatte ich die bisherigen Beispiele verstanden. Ich denke, sogar eine Herkunftsangabe, z. B. die Geburtsstadt, kann u. U. eine sinnvolle Bezugnahme sein, wenn sie nicht schon völlig abgegriffen ist. Alle hier genannten Negativbeispiele bezogen sich doch auf die verschiedenen Arten von Wiederholung, die ich genannt habe. Wobei natürlich auch eine einzelne, nicht abgegriffene Antonomasie dann nicht gut ist, wenn sie nicht in den Zusammenhang paßt und offenbar nur der Wiederholungsvermeidung gilt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2015 um 03.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28306

Lieber Herr Riemer, Sie spielen auf meinen "frühverstorbenen" Wolfgang Borchert an, aber da möchte ich doch unterscheiden. Das Motiv ist hier nicht die Wiederholungsvermeidung, sondern ich habe damit nur einen Nebensatz eingespart, der durchaus eine relevante Information enthält. In meinen Beobachtungen zur Beliebtheit Borcherts in der Nachkriegszeit spielte das Schicksal des jungen Dichters (schon wieder!) eine große Rolle. Kein Artikel über Borchert läßt sich den Hinweis entgehen, daß er einen Tag vor der Erstaufführung verstorben ist. Kahlschlagpathos, Frühvollendung und der Tod mit Mitte zwanzig - das gehört zur Rezeption, nicht wahr?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.03.2015 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28304

Und genauso lästig und geschmacklos wirkt natürlich die wiederholte Anwendung auch unterschiedlicher Antonomasien auf immer die gleiche Person oder den gleichen Gegenstand in ein und demselben Text.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.03.2015 um 17.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28303

Ich würde weder die Verwendung des Musters im allgemeinen noch des Herkunftsortes im besonderen in jedem Fall beanstanden. Diese – wie ich jetzt gelernt habe – Antonomasien sind doch ein ganz gutes Stilmittel, das man sehr gut und effektvoll einsetzen kann, wie z. B. beim "Frühverstorbenen".
Lästig und geschmacklos werden sie erst durch ständige Wiederholung, wie es z. B. bei dem Leimener, Oggersheimer und der Brühlerin der Fall war, so daß man schon wußte, wer gemeint war, ohne daß der Name überhaupt genannt werden mußte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2015 um 17.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28302

Der Hinweis auf den Sport ist sehr berechtigt, das ist tatsächlich das Gebiet, auf dem diese Antonomasien am schönsten blühen und sich wohl auch halten werden. Der seriöse Journalismus zeigt meiner optimistischen Einschätzung nach Wirkung, nachdem die doch recht einflußreichen Stillehrer (Wolf Schneider vor allem) ihm die Marotte auszutreiben versuchten. Das gilt auch für die verkrampften "Lurchenbeine" (Froschschenkel) usw.
Daß jemand aus Leimen, Kerpen oder Oggersheim stammt, wäre ja ohne diese Marotte längst vergessen oder überhaupt nie ins Bewußtsein getreten. An sich sind es keine eindrucksvollen Tatsachen, aber wenn der Journalist sich in den Kopf gesetzt hat, den Namen "nicht zu wiederholen", sucht er eben nach passenden Daten, und wenn er eigens nachschlagen müßte... Der stilistische Ehrgeiz mancher Journalisten hat lange Zeit immer wieder zu Blümchentapete und abgespreizten kleinen Fingern zurückgeführt. Vielleicht gibt es da nun wirklich eine gewisse Modernisierung: eine Eiche ist eine Eiche und kein "germanisches Siegesgewächs".
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 12.03.2015 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28301

Das eine schließt das andere ja keineswegs aus. Nachdem der der Oggersheimer, der Leimener, der Kerpener und auch die Brühlerin aus dem Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden sind, gibt es vielleicht derzeit weniger geeignete Kandidaten für eine derartige Kennzeichnung.

Voraussetzung für derartige Ausdrucksweisen ist offenbar ein hinreichend enger Zusammenhang der zu kennzeichnenden Person mit einer obskuren Kleinstadt oder sonstigen Örtlichkeit. Großstädte kommen nicht in Frage, denn von dort kommen einfach zuviel bekannte Persönlichkeiten. Helmut Schmidt ist jedenfalls nicht ständig als der Hamburger bezeichnet worden. Bei Angela Merkel drängt sich noch weniger eine vergleichbare Bezeichnung auf.

Heppenheim ist zwar durch SAP und den Fußballverein inzwischen landesweit bekannt, aber klein genug. Dementsprechend findet man zahlreiche Fundstellen für die Bezeichnung Sebastian Vettels als der Heppenheimer. Ansonsten gibt es wohl im Augenblick keine vergleichbar erfolgreiche deutsche Sportler.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2015 um 05.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28296

Danke, das hatte ich ja auch ausdrücklich gesagt. Gestern stand allerdings in der FAZ "das Alpenland" statt Österreich, das fiel mir sofort auf, weil es so provinzjournalistisch aussieht.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 11.03.2015 um 20.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28295

Wenn ich Herrn Ickler richtig verstanden habe, meinte er gerade nicht Helmut Kohl und Boris Becker persönlich, sondern wollte nur sagen, daß die Nennung des Herkunftsortes zur Vermeidung der Namenswiederholung seiner Beobachtung nach heute seltener anzutreffen ist als noch vor Jahren. Es geht um dieses Muster, nicht um konkrete Personen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 11.03.2015 um 18.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28294

Wenn jetzt weniger vom Oggersheimer, vom Kempener oder vom Leimener die Rede ist, so ist dafür doch die einfachste Erklärung, daß über diese Herren nur noch wenig berichtet wird.

Diese Ausdrücke wurden doch hauptsächlich in längeren Berichten benutzt, um die Namenswiederholung zu vermeiden.

Außerdem gibt es inzwischen ja wohl viele, die gar nicht (mehr) wissen, wer etwa der Oggersheimer ist.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.03.2015 um 08.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28291

Kerpener, Pardon.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.03.2015 um 02.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28290

Schon Michael Schumacher war kaum jemals »der Dürener«. Diese Herkunftsbezeichnungen bleiben wohl nicht an jedem kleben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2015 um 15.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28288

Jahrelang wurden wir vom Oggersheimer und vom Leimener verfolgt, das scheint mir etwas seltener geworden zu sein (ich meine nicht diese beiden Herren, sondern den Typ von Antonomasie). Früher glänzten die Gebildeten mit dem Stagiriten, obwohl es nur sehr wenige Aussagen über Aristoteles geben kann, die mit seiner Herkunft aus Stag(e)ira zusammenhängen. Das wirkt heute stark veraltet und geradezu geschmacklos. Insgesamt ist es ein kleines Hoffnungszeichen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 06.03.2015 um 21.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28269

Zu #28266: Ich weiß nicht, ob hier englischer Sprachgebrauch mitredet. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn bei der Ratesendung *Wheel of Fortune* etwas als "thing" angezeigt wird, was dann m.E. gar kein "thing" ist, also nichts Konkretes, sondern vielmehr eine Idee oder ähnliches Unanfaßbares. Aber dann bekomme ich eingedenk des germanischen *thing* Bedenken, das ja im isländischen *(al)thing* als etwas ganz anderes weiterlebt als woran ich denke; und selbst im Deutschen ist's manchmal schon ein Ding für sich, wenn "man sich einem Druck, einem Willen, einem Diktat usw. beugt, fügt, unterwirft." Und es wäre dann wohl auch eine Sache für sich. Auch wenn es dabei nicht immer gleich eine Rechtssache sein muß.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.03.2015 um 17.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28267

Vielleicht ist "einer Sache" eine Art Verlegenheitslösung, weil man bei "etwas", das auch zu Abstrakta passen würde, den Dativ nicht erkennt.
Eigentich ist es aber klar genug, wenn "etwas" direkt neben "jmdm." steht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.03.2015 um 16.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28266

Im Synonymduden steht bei nachgeben, sich fügen, sich beugen, sich unterwerfen – jeweils „jmdm./einer Sache“. Aber sind das wirklich Sachen oder nicht vielmehr Abstrakta? Dieser Unterschied wird allgemein vernachlässigt. Es gibt nicht nur Personen und Sachen.

Meistens heißt es in den Texten, daß man sich einem Druck, einem Willen, einem Diktat usw. beugt, fügt, unterwirft. Das sind aber keine Sachen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2015 um 06.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28256

Es gibt unzählige Internetseiten, die einem raten, wie man die Abgeltungssteuer oder die Erbschaftssteuer "vermeiden" oder "umgehen" kann, mit unterschiedslosem Gebrauch der beiden Verben. Es gibt aber auch Unterschiede.

Duden erklärt in der üblichen verschwommenen Weise:

vermeiden: (...) absichtlich von vornherein etwas unterlassen, weil man sich über die wahrscheinlich unangenehmen Folgen oder schädlichen Auswirkungen der betreffenden Sache im klaren ist. (...) umgehen: etwas, was die Umstände eigentlich fordern oder was irgendwie geschehen müßte, nicht tun oder zustande kommen lassen, weil es für einen selbst oder für andere unangenehm wäre; im Unterschied zu 'vermeiden' muß man dabei Überlegung und Geschick aufwenden, um der betreffenden Sache ausweichen zu können. (...) (Die richtige Wortwahl)

Meiner Ansicht nach bedeutet "vermeiden" in den genannten Fällen: sein Geld so anlegen, daß die Steuerpflicht gar nicht erst entsteht; "umgehen" hingegen, die bereits entstandene Steuerpflicht durch irgendwelche Tricks unwirksam machen.

Einen Fehler vermeidet man, indem man es richtig macht; man umgeht ihn, indem man etwas anderes tut, weil man ihn nicht vermeiden könnte.

Die Sprachratgeber wie "Speak you English?" raten, wie man Fehler vermeidet; sie lehren die richtige Ausdrucksweise. Das Umgehen ist nicht ihre Sache.

Außerdem gibt es noch den Unterschied zwischen "vermeiden" und "meiden". Gemieden werden Personen und Orte, also Konkreta, während das Vermeiden eher Handlungen gilt, die dann auch als Verbalabstrakta wiedergegeben werden (wozu auch Fehler gehören). Man könnte auch sagen: Für "vermeiden" ist ein (möglicher) Daß-Satz kennzeichnend.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.02.2015 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28192

Natürlicher Sand kann viele verschiedene Farben haben, z.B. weiß, gelb, rot, braun, schwarz, jeweils nach dem Gestein, von dem er stammt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.02.2015 um 15.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28191

In der DDR gab es die Farbe "irakbeige". So hieß der Lack bzw. die Tarnfarbe der "sandfarbenen" Lastwagen W50 und L60 aus Ludwigsfelde, die in den 80er Jahren sowohl in den Irak als auch in den Iran exportiert wurden. Damit hat die DDR gut an beiden kriegführenden Seiten verdient.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 24.02.2015 um 14.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28186

Das ist nicht überraschend, denn die Farbe des Sandes ist "sandfarben". Es wäre daher absurd, dem (reinen) Sand überhaupt ausdrücklich eine Farbe zuordnen zu wollen.

Erwähnenswert ist eher, daß sich die Farbbezeichnung "beige" überhaupt im Deutschen durchgesetzt hat, wo es doch "sandfarben" oder auch kurz "sand" gibt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2015 um 09.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28184

Nachtrag zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#25587

Duden definiert "beige" als "von der Farbe des Dünensandes". Aber gerade dieser kann nicht beige genannt werden. (Ausnahmen werden sich finden lassen, wie fast immer.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.02.2015 um 17.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28116

Ich wollte ja auch die "betenden Hände" nicht kritisieren, sondern nur sagen, daß eine ähnliche Übertragung doch auch für die "verschränkten Hände" in Anspruch genommen werden kann.

Aber nun zur Sache: Das ursprünglich starke (reduplizierende) Verb falten bedeutet anscheinend, daß zwei Flächen aufeinandergelegt oder eng parallel gebracht werden, andeutungsweise sogar noch die Haut auf der Stirn. Wir sind gewohnt, daß die beiden Flächen wie bei Tüchern oder Papier zum selben Gegenstand gehören, und das ist ja auch bei den Händen letzten Endes der Fall. Meine Rechte und deine Linke kann man kaum falten. Aber metaphorisch ist das Falten der Hände wohl auch nicht, denn gerade diese Verbindung ist schon mittelhochdeutsch und wird bei Paul eher als Relikt denn als Neuerung dargestellt. Sie haben bestimmt recht mit der Ausdehnung auf die, nun ja, verschränkten Hände. Woher die kommen, weiß ich nicht; die Geste wirkt sonst eher barmend als demütig, besonders wenn die erhobenen Hände gerungen werden (worauf Sie schon hingewiesen haben). Vielleicht eine "Übersprunghandlung" bei Hilflosigkeit? Das indische "Namaste" mit zusammengelegten Händen und leicht geneigtem Kopf wirkt anmutig, vielleicht weil es ein Stück von Unterwerfungsgestik entfernt bleibt.

Falten, Biegen usw. gehören heute zu den ungemein zahlreichen technischen Fertigungsverfahren, und hier möchte ich nebenbei Wikipedia loben. Mit der anschaulichen Darstellung und Animation etwa unter "Biegen" kann kein Buch konkurrieren.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 17.02.2015 um 16.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28115

"Betende Hände" ist der Name für eine bestimmte Darstellung gefalteter Hände und braucht als solcher nicht plausibel zu sein. Der Betrachter weiß, daß nicht die Hände, sondern der dargestellte Mensch betet. Ob diese Übertragung einer geistigen "Handlung" auf Körperteile sinnvoll ist sei dahingestellt. (Hier wird die Aktion von Händen "Handlung" auf geistige Aktionen übertragen.)

Der Begriff "falten" bzw. "gefaltet" impliziert zwei Enden oder Teile eines flachen Gegenstands, die parallel zueinander liegen, typischerweise Papier oder Stoff. Hände zu "falten" ist schon eine ziemlich metaphorische Verwendung des Begriffs. Da diese jedoch im Zusammenhang mit (christlicher) Religion häufig vorkommt und es noch eine weitere Gebetshaltung für die Hände gibt (die mit verschränkten Fingern), kann darunter auch letztere verstanden werden. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß es offenbar keine Vorschriften gibt, wann man welche Variante anzuwenden hat. Auch das kann dazu beitragen, unter "die Hände falten" die Variante mit den verschränkten Fingern zu verstehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.02.2015 um 16.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28114

„Ich denke, es ist recht häufig so, daß wir ganz alltägliche Wörter beherrschen, ohne zu wissen (oder auch nur eine feste Meinung darüber zu haben), ob sie synonym sind oder nicht. Ich persönlich würde beispielsweise manche Leute lieber als dürr und manche lieber als hager bezeichnen, obwohl ich es für gut möglich halte, daß die beiden Wörter synonym sind. Der mir selbst nur schwer greifbare Unterschied, den ich da mache, mag eine meiner persönlichen Marotten sein; manchmal kommt mir halt das eine Wort irgendwie treffender vor als das andere. - Wenn 'hager' und 'dürr' tatsächlich synonym sind, dann sind sie das auch in meinem Munde. Denn ich kopple mich nicht vom allgemeinen Sprachgebrauch ab; ich verfüge nicht für 'meinen Idiolekt' besondere semantische Verhältnisse. Ganz im Gegenteil, sollte sich herausstellen, daß kaum jemand außer mir einen solchen Unterschied macht, werde ich einräumen, daß er in der Bedeutung dieser Wörter nicht anzutreffen ist. Er liegt dann bloß in dem, was ich mit diesen Wörtern assoziativ verbinde. - Unser Sprachgefühl - und mehr haben wir, jeder auf sich allein gestellt, in diesen Dingen nicht - markiert keine deutliche Grenze zwischen bloß subjektiv verbundener Assoziation und allgemein verbindlicher Bedeutung. Und auch für eine Sprachgemeinschaft als Ganzes läßt sich nicht immer eindeutig ein Unterschied zwischen Bedeutung und Hinzuassoziiertem machen." (Andreas Kemmerling in: Forum für Philosophie Bad Homburg (Hg.): Intentionalität und Verstehen. Frankfurt 1990:192)

Diese Darstellung könnte man sprachwissenschaftlich ein wenig kritisieren, aber ich will sie nur als Anlaß einer kleinen Überlegung nutzen. Wenn man sich in den Restbeständen der distinktiven Synonymik (Duden) umsieht, stellt man fest, daß das Wortfeld ganz unzulänglich und ungeordnet behandelt ist. Grundlegend sollte doch wohl sein, daß dürr auf Austrocknung, Mangel an Wasser hinweist, daher dürres Holz, dürre Wurst, mager hingegen auf einen Mangel an Fett, daher mageres Fleisch, Magermilch. hager wird praktisch nur auf Menschen angewandt, und da wieder hauptsächlich auf das Gesicht, erst sekundär auf den dazu passenden Körper, die hagere Gestalt und vielleicht die Hände und Finger. Wir müßten also die weitläufiger verwendeten Wörter dürr und mager erst einmal entsprechend einschränken und hätten dann vorläufig drei Möglichkeiten, einen dünnen Menschen zu beschreiben. (Dieser Oberbegriff ist in den Wörterbüchern nicht entsprechend plaziert.) Es handelt sich dann darum, ob der Mensch, salopp gesagt, unterernährt, verhutzelt oder abgezehrt ist, letzteres vielleicht durch Kummer oder eine asketische Lebensweise. Es fehlt noch schlank, der Rest ist zu selten und könnte auf einer weiteren Stufe untersucht werden. Dazu dann noch die Antonyme.

Soweit meine Hypothese, nun sollte die empirische Nachprüfung an den Texten folgen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.02.2015 um 16.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28113

Danke für die interessante Stellungnahme! Bei Google gibt es übrigens Zigtausende von "verschränkten Händen", das ist auch immer noch plausibler als "betende Hände", denn die Hände beten ja nicht.

Ich hatte natürlich vorher bei Google Bilder nachgesehen und gefunden, daß gefaltete Hände meistens die verschränkten sind.

Ich erinnere mich mit Bestimmtheit, daß Priester ihre Hände vor der Brust verschränken. Gerade weil ich mehr Beobachter als Teilnehmer bin, fällt es mir auf, daß sie nicht wie die Heiligen auf den Altartafeln aussehen, eher wie Kinder, wenn sie vor der Mahlzeit beten. Das nennt man doch wohl "die Hände falten". Aber ich sammele gern weitere Erfahrungen.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 17.02.2015 um 15.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28111

Gefaltete Hände sind für mich nur die zusammengelegten Hände. Die Hände mit verschränkten Fingern sind nicht gefaltet, habe bisher auch nie etwas von "verschränkten Fingern" als eine Form des "Händefaltens" gehört, obwohl natürlich die Hände mit verschränkten Fingern auch eine Gebetshaltung sind. Spontan würde ich sagen, daß man Hände nicht verschränken kann, allenfalls Finger. Kann mich nicht daran erinnern, daß früher ein Pfarrer während der Messe mit verschränkten Fingern gebetet hat, allenfalls vielleicht so dagesessen hat, vielleicht während er auf das Ende eines Liedes gewartet hat. Gefaltete Hände symbolisieren eher Demut, Hände mit verschränkten Fingern, zum Himmel emporgehoben, machen eher den Eindruck eines verzweifelten Flehens (im Gebet?).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.02.2015 um 14.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28109

Frage in die Runde: Was verstehen Sie unter "die Hände falten, gefaltete Hände? Sind damit nur die Hände mit verschränkten Fingern gemeint oder auch die Dürerschen betenden Hände (auch indisches "Namaste"), also bloß zusammengelegt?
Gibt es hier einen Kulturwandel? Spontan würde ich sagen, daß auf älteren Bildern à la Dürer gebetet wird, aber heute sieht man während der Messe den Priester eher mit verschränkten Händen beten - oder?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 07.02.2015 um 13.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28029

Die Spiegel-Schreibe wurde ja erfunden, um möglichst viele Informationen in eine Spalte zu pressen, zu einer Zeit, da das Papier knapp war. Heute werden die Zeitungen immer dünner, und was bald nur noch Jargon war, erfüllt wieder seinen ursprünglichen Zweck.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2015 um 08.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#28027

John Grisham wird 60, die FAZ gratuliert: „Um die dreihundert Millionen Bücher hat der Baseball-Fan bislang verkauft, das sichert dem engagierten Baptisten mit Privatflugzeug ein angenehmes Dasein.“ (7.2.15) - Schönere Stopfsätze kann man nicht einmal erfinden. Die Antonomasien packen Wikipedia-Informationen in einen Satz, für den sie irrelevant sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2015 um 09.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27966

Ein pazifistisches Land schwört auf Rache (FAZ 2.2.15)

Die Überschrift bezieht sich auf Japans Reaktion auf die IS-Morde.

Inzwischen korrigiert:

Ein pazifistisches Land schwört Rache (Website)

Manche Leute schwören auf Globuli, andere auf Kamillentee.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2015 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27915

Ich habe sicher übertrieben, und jeder liest in erster Linie, wofür er besonders empfindlich ist. Ich war jedenfalls überrascht von den vielen einschlägigen Äußerungen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 28.01.2015 um 15.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27914

Mir war es bisher nicht aufgefallen, daß „die Medien“ nun unbedingt die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken wollten und dazu obendrein noch „aus allen Rohren feuern“. Es mag ja sein, daß ein Teil der Presse nichts gegen weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit (etwa bei Pegida-Anhängern) hätte, solange die Pressefreiheit unangetastet bleibt. Ich hatte allerdings den Eindruck, daß ein Großteil der Presse die Pressefreiheit gerne zum höchsten und absolut unantastbaren Menschenrecht erheben möchte - nach dem Motto „die Satire darf alles“ (was ja offenkundig falsch ist).

Ich halte es daher für durchaus verdienstvoll, wenn wenigstens ein Teil der Presse auch anderen Meinungen Raum gibt (etwa die FAZ, wo man im Feuilleton ganz anderes lesen kann). Es geht in diesen Meinungsäußerungen nach meinem Eindruck auch nicht um nennenswerte weitere Einschränkungen, sondern um den Hinweis, daß es Einschränkungen seit jeher gibt (Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Leugnung des Holocaust usw.) und solche im GG auch ausdrücklich vorgesehen sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2015 um 06.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27907

Aus gegebenem Anlaß (Meinungsfreiheit):

schrankenlos und hemmungslos werden oft austauschbar verwendet, aber schrankenlos ist negativer besetzt. Allerdings hat auch grenzenlos oft einen Beiklang von Zuchtlosigkeit, als wenn es dem Menschen nicht anstünde, alles zu tun, wozu er Lust hat. (Die Medien feuern ja aus allen Rohren, um die Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken, bieten auch einschlägig bekannte Juristen auf.)
Auf der subjektiven Seite gibt es zügellos, hemmungslos.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2015 um 05.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27889

Zu ausbüxen gibt Duden folgende Beispielsätze:

die Kinder waren [auf dem Weg zum Spielplatz] ausgebüxt, sie ist ihrem Freund ausgebüxt (hat ihn verlassen)

Insbesondere das zweite Beispiel halte ich für ziemlich unüblich. Vor allem aber ist übersehen, daß das Verb heute ganz überwiegend auf Tiere bezogen wird, gelegentlich auf kleine Kinder. Es ist ein gaunersprachlicher Ausdruck, den man nur augenzwinkernd gebrauchen kann. Verwandt sind entwischen, entgehen, entkommen, die aber auch alle unterschieden werden müssen. Es gibt viel zu tun!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.01.2015 um 06.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27809

Während die letzten Vorbereitungen zu Udo Jürgens' Beisetzung getroffen werden, bleibt eine Frage offen: Wem hat die Musik-Legende sein (!) Vermögen vermacht? (Abendzeitung online 15.1.15)

Um nicht zweimal den Namen zu nennen, hat der Journalist die freilich klischeehafte Umschreibung (Antonomasie) gewählt und dann vergessen, das Pronomen anzupassen. Das kann man sehr oft beobachten.

Neulich legte eine alte Frau drei Billigzeitschriften vor mir aufs Band der Supermarktkasse, alle mit Udo Jürgens auf der Titelseite. Sie tat mir ein bißchen leid.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2014 um 05.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27506

Im Zusammenhang mit der GZS hatten wir schon an die vielen Partizipien zu denken, die zu Adjektiven geworden sind, gesteigert werden können und kein Objekt mehr regieren (reizend usw.). Sie sind aber zugleich (natürlich) auch semantisch vom Verb weggedriftet. Nehmen wir bedeutend. Das wird fast nur noch im Sinne von "wichtig" verwendet. bedeutsam bezeichnet eher etwas Zeichenhaftes, auf anderes Verweisendes, wird daher auch gern zur Tiefsinn-Simulation benutzt. Aber man findet es auch schon anstelle von bedeutend.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.11.2014 um 08.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27392

Es geht doch nicht um physische Anwesenheit, sondern um intellektuelle Präsenz. (nämlich von Studenten an der Universität) (FAZ 20.11.14)
Hier haben wir zunächst die Wiederholungsvermeidung durch das Ausweichen auf ein Fremdwort (diese Richtung ist weitaus die häufigste). Dann wäre aber zu fragen, warum der Sachverhalt nicht einfacher ausgedrückt wird: Es geht doch nicht um körperliche Anwesenheit, sondern um geistige.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.11.2014 um 07.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27364

Die Wörterbücher geben sich oft nicht viel Mühe, die Bedeutungen oder Gebrauchsbedingungen der Wörter genauer herauszufinden. Besonders knifflig sind Merkmale, die nicht immer und strikt definierend, sondern nur mit einer gewissen Häufigkeit zu beobachten sind, also Tendenzen zu Kollokationen und Konnotationen.
Nehmen wir das Wort genüßlich. Besonders wenn es auf Argumente und nicht aufs Essen angewendet wird, schwingt sehr oft eine leichte Kritik an billigen Triumphen mit.
Oder säuberlich. Es kommt wohl in mehr als der Hälfte aller Fälle zusammen mit fein vorm und außerdem dient diese Verbindung oft dem Ausdruck eines leichten Spottes über Pedanterie.
Aber das sind auch nur ganz vorläufige Eindrücke, die überprüft und verfeinert werden müßten.
("Kritik an billigen Triumphen" – welche komplizierten gesellschaftlichen Voraussetzungen hat das nun wieder?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.11.2014 um 09.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27316

Wimmer war es vorbehalten, das 17:30 zu erzielen. (Thüringer Allgemeine 12.11.14)

= Wimmer erzielte das 17:30.

Die aufgebauschte Wendung ist allenfalls in einem von hundert Fällen berechtigt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 10.11.2014 um 10.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27300

In der Schule hatte ich vor dem roten W für Wiederholung am meisten Angst. Deshalb die krampfhafte Suche nach Varianten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2014 um 09.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27299

Hier noch mal ein besonders klarer Fall von "nichtunterscheidendem Kontext":

Mit dem A-400M haben die Europäer ein Flugzeug, über das die Amerikaner nicht verfügen. (FAZ 10.11.14)

Nur zwecks Wiederholungsvermeidung, ohne semantische Abschattung, wird das nächstliegende Verb durch ein aufwendigeres mit einer anderen Konstruktion ersetzt. Der Satzakzent liegt auf der Negation, der Rest muß inhaltlich gleich bleiben, damit die Kontrastierung funktioniert. In gesprochener Sprache würde man wohl sagen:

Mit dem A-400M haben die Europäer ein Flugzeug, das die Amerikaner nicht haben.

Das wäre auch schriftlich nicht zu beanstanden; nur einige Lehrer würden vielleicht ihr "Wh" an den Rand schreiben.

Wir beobachten hier auf der untersten Ebene, wie ein überkommenes Stilideal die Texte unnötig kompliziert.

Nach meiner Erfahrung wird das den Lehrern nicht einmal beigebracht, sondern es erbt sich einfach so fort, durch die Korrekturpraxis dann auch auf die nächste Generation. Deshalb wird es auch nicht diskutiert.
 
 

Kommentar von Andreas Blombach, verfaßt am 03.11.2014 um 15.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27229

Aus einem SZ-Artikel (www.sueddeutsche.de/politik/syrien-was-an-koban-deutsch-ist-1.2200860):
Der heutige Anführer der syrischen Kurdenpartei PYD, Salih Muslim Muhammad, der selbst aus Kobanê stammt, erzählt diese Historie gern.
Erwarten würde man wohl Geschichte, aber vielleicht klang dem Autor das zu subjektiv, zu sehr danach, als bestünde noch die Möglichkeit der Unwahrheit ... Wiederholungsvermeidung ist es nicht, das Wort Geschichte kommt im ganzen Text nicht vor.

Ansonsten übrigens ein durchaus lesenswerter Artikel, die Verballhornung von Kompanie gefällt mir fast so gut wie Erdoğans Begründung dafür, dass Kobanê eigentlich Ain al-Arab heiße. Wie wohl das Wetter in Byzantion gerade ist?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.11.2014 um 12.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27226

Auch sonst weit verbreitet, besonders süddeutsch, wohl nach frz. il y a, dieses wie auch spanisch hay nach spätlat. habet.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.11.2014 um 11.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27225

Vielleicht sagen die Schweizer deswegen "es hat".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.11.2014 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27218

Oft steht ja bei dem seltsamen "es gibt" der Nominativ, als habe man das Synonym "existiert" gebraucht. Aber es gibt auch andere Entgleisungen:

Religionen haben und gibt es in allen menschlichen Gesellschaften. (Rüdiger Vaas/Michael Blume: Gott, Gene und Gehirn. Stuttgart 2009:12)

Wie kann man einen so einfachen Sachverhalt so umständlich und so verkehrt ausdrücken?

(Blume glaubt übrigens, der Religion etwas Gutes zu tun, wenn er verkündet, religiöse Gesellschaften hätten im Durchschnitt mehr Kinder als nicht-religiöse. Er behauptet auch: "Wenn wir als Menschen nicht nur vor uns hinleben, sondern uns wirklich einer Sache verschreiben wollen, brauchen wir tiefe religiöse Überzeugungen." So hätten sie es gern.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.10.2014 um 12.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#27070

Dabei war er weder, wie Heidegger oder Carl Schmitt, in die Partei eingetreten, noch hatte er sich antisemitischer Überzeugungen schuldig gemacht. (Joachim Dyck in der Welt 2.9.03 über Benn)

Können Überzeugungen schuldhaft sein? Menschen sind wegen eines falschen Glaubens umgebracht worden, das finden wir aber heute nicht mehr richtig.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.07.2014 um 13.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#26254

Interessant, wie diese Darstellung in der heutigen FAS (S. 1) leicht abgewandelt wurde:

Zum fünften Mal in Serie steht die Mannschaft im Halbfinale bei einem großen Turnier, zum vierten Mal nacheinander vor dem Sprung ins WM-Endspiel.

Das nacheinander ist wohl erforderlich geworden, weil kurz danach ein deutscher Spieler zitiert wird:
"Das vierte WM-Halbfinale in Folge ist ..."
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.07.2014 um 13.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#26243

Fremdwörter sind oft ungenauer als deutsche Wörter. Meiner Meinung nach drücken "in Folge" und "nacheinander" die zeitlichen Unterschiede besser aus als "in Serie".
Vielleicht bin ich vorbelastet, weil in der Technik bei der Serien- oder Reihenschaltung von Widerständen nur bei hohen Frequenzen oder Dirac-Impulsen die Laufzeit eine Rolle spielt. Sonst ist eine Serie von Widerständen nur ein Widerstands-Summe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2014 um 06.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#26240

Nachdem das deutsche Nationalteam zum vierten Mal in Folge ein WM-Finale und zum fünften Mal in Serie unter Beteiligung von Bundestrainer Joachim Löw die Vorschlussrunde eines großen Turniers erreicht hat, macht sich im Hinblick auf das große Traumziel eines Titelgewinns doch gewisse Hoffnung breit. (FAZ online 5.7.14)

Man sieht richtig, wie der Verfasser sich bemüht, zwischen den beiden neumodischen Synonymen für "nacheinander" auch noch einmal abzuwechseln, obwohl die schlichte Wiederholung sogar den Vorteil einer ikonischen Darstellung geboten hätte...
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 10.06.2014 um 17.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#26015

Das hatten wir hier schon mal, und mIr fällt die galoppierende Kompletteritis schon seit Jahren auf, etwa:

"kompletter Idiot" statt "Vollidiot" (für "complete idiot")
"komplett kostenlos" für "kostenlos"
"die Familie komplett gerettet" statt "die gesamte Familie gerettet"
"komplett kaputt" statt "völlig kaputt"
"komplett allein" statt "allein"
"komplett überarbeitet" statt "umfassend überarbeitet"
"komplett neu"
"komplett aus Holz" statt "nur/ausschließlich aus Holz"
"die kompletten Unterlagen" statt "alle Unterlagen" (halbe Unterlagen gibt's auch...)
"Transfer komplett" statt "Transfer abgeschlossen" (für "transfer complete")

und so weiter und so fort. Das Modewort "komplett" verdrängt komplett Wörter wie "ganz", "völlig", "vollständig", "gesamt", "total" ("Wollt Ihr den kompletten Krieg?") und oft sogar Leerzeichen, nämlich wenn es komplett überflüssig ist. Gerade der Unterschied zwischen "die komplette/gesamte Familie gerettet" und "die Familie komplett gerettet" (oder wird "komplett arbeitslos") wird komplett ignoriert, Hauptsache ist, man hat das Modwort irgendwie reingewürgt, egal ob schriftlich oder mündlich, egal ob von Legasthenikern geschriebene Computer-Fachzeitschrift oder Tageszeitung, das macht alles kompletten Sinn.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2014 um 11.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#25974

Und es gibt Tetris, das die komplette Geschichte der Videospiele beeinflusst hat und jedem Spieler ein Begriff ist. (http://www.wiiux.de/neuigkeiten/4442-tetris-wird-heute-30-jahre-alt 7.6.14)

Warum klingt das schräg? komplett deckt sich nicht mit ganz, die beiden überlappen einander bloß. komplett bedeutet "vollständig", was hier offensichtlich nicht paßt. Ebenso:

Stirbt die AEG, werden komplette Familien arbeitslos. (Nürnberger Nachrichten 9.12.05)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.05.2014 um 05.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#25913

„Der besondere Ausdruck ist besser als der allgemeine“, lehren die Stilbücher, und wir haben schon gesehen, wie es sich auswirkt (z. B. hier).

Heute liest man bei welt.de:

Als sich Detlef Cordes um fünf Uhr in der Früh auf seinem Bauernhof im niedersächsischen Stade aus dem Bett schälte, beschlich ihn schnell ein eigentümliches Gefühl. Der 55-jährige Landwirt schlüpfte in seine Arbeitsklamotten und ging zu den Ställen hinüber...

= Als Detlef Cordes um fünf Uhr in der Früh auf seinem Bauernhof im niedersächsischen Stade aufstand, hatte er ein eigentümliches Gefühl. Der 55-jährige Landwirt zog sich an und ging zu den Ställen hinüber ...

Wer schält sich denn heutzutage noch aus dem Bett? In Oberhessen wurde der Bauer für den Winter in eine Art Strampler eingenäht und im Frühjahr wieder herausgeschält. Das erzählte mir während des Studiums ein Marburger Mediziner, der mit den hygienischen Folgen der Sitte beschäftigt war.

Der Artikel steht unter der Überschrift Auf Deutschlands Bauernhöfen verschwinden die Kühe – man erfährt dann aber, daß Viehdiebstahl sehr selten vorkommt. So schlimm sind die Polen nun auch wieder nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.04.2014 um 04.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#25639

Unsere Journalisten können einfach nicht vom Urnengang lassen. Kein normaler Mensch nennt eine Wahl Urnengang, ("Und nach dem Urnengang gehen wir essen!") Mich schüttelt's richtig, wenn ich dieses Wort lese.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2014 um 04.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#25587

Man hat beobachtet, daß z. B. beige nur von Artefakten und handelbaren Gegenständen gesagt werden kann. Das ist ähnlich „irrational“ wie bei blond. Sand kann weder blond noch beige sein. Das sind also keine reinen Farbwörter. Die Substrate lassen sich aber auch nicht erschöpfend aufzählen.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 06.03.2014 um 16.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#25325

Mir fällt da ein altes Zitat ein, auf Anhieb weiß ich allerdings nicht, auf wen es sich bezieht (ein Philosoph oder Schriftsteller): "Er beobachtete eine Frau, die sich umbrachte, und er hat ihr nicht geholfen."

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.03.2014 um 06.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#25319

Zudem soll Geld für die Unterstützung rauschgiftabhängiger Jugendlicher gesammelt werden. (nämlich durch das neue Magazin „Il mio Papa“ laut FAZ 6.3.14)

An einer früheren Stelle hatte ich geschrieben:

"helfen und unterstützen werden für gleichbedeutend erklärt, und die Verfasser wundern sich dann über die unterschiedliche Rektion – ein fast schon klassischer Irrtum, vgl.: Damals bildete er sich ein, Napoleon zu sein. Sein Psychiater hat ihn unterstützt vs. Sein Psychiater hat ihm geholfen. (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=914)

So kommt mir auch der Beleg aus der FAZ leicht schief vor. Man denkt unwillkürlich, die Jugendlichen sollten mehr Geld bekommen, damit sie sich den Stoff besorgen können. Vielleicht wollte der Verfasser aber auch nur zweimaliges für (für Hilfe für) vermeiden.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.01.2014 um 14.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#24963

Bei "pontifex" muß ich immer zuerst an Bauingenieure denken. Im Brückenbauen waren die Römer weltweit Spitze.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.01.2014 um 07.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#24962

Zur Zeit wird der "Pontifex" wieder erwähnt, allerdings aus einem bedenklichen Anlaß:

„In Italien wurde in der Nacht eine Blutreliquie des polnischen Papstes Johannes Paul II. gestohlen. Die Polizei spekuliert, dass es sich dabei um einen Auftragsdiebstahl handelt. Bei der Ampulle handelt es sich um eine von insgesamt drei Blutreliquien des verstorbenen Pontifex.“ (focus.de 28.1.14)

Früher hieß es aber doch, es gebe fünf Blutreliquien. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1103#22787
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2013 um 07.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#24416

Sogar Wolf Schneider, der mehr als jeder andere gegen die Imponiersprache gekämpft hat, kann sich dem Druck der "gehobenen" Synonyme nicht ganz entziehen:

Die Redakteure haben also mit der Arbeit dort aufgehört, wo sie hätten beginnen müssen, wenn sie den Wunsch besessen hätten, sich auf die Bedürfnisse ihrer teuer zahlenden Benutzer einzustellen.

Einen Wunsch "besitzt" man nicht, eher ist man von ihm besessen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.03.2013 um 23.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#22846

Karl Valentin: Der Mensch ist gut, aber die Leut' san a Gschwerl.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.03.2013 um 13.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#22835

So ungefähr hatte ich es ja auch gemeint, mit der Auserwähltheit. Das sieht man auch an der Rührung oder Erschütterung, wenn jemand, den man gerade eben über alle anderen hinaus erhöht hat, sich wieder herabläßt und mit "den Menschen" redet, als wäre er einer wie du und ich.

Vor ein paar Tagen kreidete ein Journalist es dem neuen Papst als "Arroganz" an, so bescheiden aufzutreten. Damit versündige er sich gegen das hohe Amt, dem man schließlich Verehrung angedeihen lassen wolle und mit dem sich der Amtsträger gefälligst nicht verwechseln dürfe.

Das ist ganz folgerichtig gedacht; man darf nur nicht ans NT denken (wenn ich mir diesen protestantischen Schlenker erlauben darf, dem der neue Papst aber womöglich zustimmen würde, seinen ersten franziskanischen Äußerungen zufolge).
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 21.03.2013 um 12.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#22834

Noch ein Nachtrag: Im Politikerjargon hat »die Menschen« in den letzten Jahren das früher übliche »die Leute« weitgehend verdrängt, vielleicht weil es die Politiker menschlicher erscheinen läßt, wenn sie sich um die Belange von Menschen kümmern und nicht von Leuten.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 21.03.2013 um 12.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#22833

Wenn Politiker, Könige oder der Papst auf »die Menschen« zugehen, dann sind damit ja nicht die Vertreter der Gattung Mensch gemeint, sondern – so verstehe ich es zumindest – die gewöhnlichen Menschen, die Normalbürger. Die Formulierung soll gerade den (vermeintlichen) Unterschied zwischen dem hochgestellten Würdenträger und den Normalsterblichen verdeutlichen. Auf andere Menschen zugehen kann jeder, auf die Menschen zugehen können nur Auserwählte, nämlich diejenigen, die der Autor für etwas Besseres hält.

Man könnte das Ganze sogar noch etwas weiterspinnen: »die Menschen« sind hier im Grunde eine anonyme Masse, auch wenn sich der Auf-sie-Zugehende einzelne Exemplare mehr oder weniger willkürlich herausgreift, um fünf Sekunden lang mit ihnen zu sprechen oder ihnen auf die Schulter zu klopfen. Nicht umsonst heißt es von denen, die auf »die Menschen« zugehen, sie nähmen ein »Bad in der Menge«.

Die Formulierung mag sprachlich etwas krumm sein, ich finde sie aber nicht merkwürdiger als mit den Wählern reden usw., denn auch ein Politiker ist ja ein Wähler.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.03.2013 um 07.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#22830

Wie von anderen Politikern sagt man nun auch vom Papst gern, er gehe auf die Menschen zu. Das mag sachlich zutreffen, aber sprachlich ist es eine Merkwürdigkeit. (Das haben natürlich auch andere schon bemerkt.)
Mir ist bei meinen Studien zur Synonymik und Wiederholungsvermeidung vor Jahren aufgefallen, daß in manchen Fällen die reine Wiederholung fast zwingend durch ein auch oder ebenfalls gemildert werden muß, aus dem der Hörer entnehmen kann, daß der Sprecher die Wiederholung bemerkt hat und aus sachlichen Gründen nicht vermeiden konnte:

Aus der Nähe besehen, sind sie (die Elstern) allerdings recht bunt: der Kopf schillert grün, die Flügel glänzen – besonders im Sonnenlicht – blau, violett und ebenfalls grün.

Etwas ähnliches liegt nun vor, obwohl es nicht um Wortwiederholung geht: Wer selbst ein Mensch ist, geht auf andere Menschen zu, nicht einfach auf die Menschen (als sei er selbst keiner).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2013 um 08.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#22800

In der Papst-Berichterstattung muß das Wort Papst naturgemäß oft wiederholt werden. Um das zu vermeiden, schreiben Journalisten gern Pontifex. Das scheint mir aber – im Gegensatz zum innerkirchlichen Gebrauch – einen spöttischen Klang zu haben, der oft gar nicht beabsichtigt ist. Das antiquierte Gebot der Wiederholungsvermeidung führt dazu, daß man etwas anderes sagt, als man sagen will.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 31.12.2012 um 16.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#22231

Es ist berechtigt, wenn die Bayern mit Franz Beckenbauers Worten sagen: "Schaun wir mal, dann sehn wir schon."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2012 um 12.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#22229

Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß (an-)sehen, schauen, blicken bloß regionale und stilistische Varianten seien, aber dem ist nicht so.

Laß dich mal ansehen!
Laß dich mal anschauen!
? Laß dich mal anblicken!

Sieh mich an!
Schau mich an!
? Blick mich an!

Sieh nicht hin!
Schau nicht hin!
? Blick nicht hin!

Blicken und seine Komposita scheinen nicht so intentional zu sein wie die anderen Verben. (Die fraglichen Ausdrücke sind nicht unmöglich und sicher belegbar, aber doch viel seltener.) In den Wörterbüchern steht davon nichts.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 12.09.2012 um 19.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#21451

Den Segen der Dudenredaktion hat der Autor:

»a) tadelnswerte Unwissenheit, Kenntnislosigkeit in Bezug auf jemanden, etwas:
politische Ignoranz; seine Antwort zeugt von ziemlicher Ignoranz; Sie wurde ein armes, verzweifeltes Tier, das an der Ignoranz der Umwelt eingeht (Welt 14. 7. 65, 5);

b) (selten) das Ignorieren:
eine Entschuldigung zu finden für die Ignoranz, mit der sie … den … Informationen über den Massenmord begegnet sind (Hochhuth, Stellvertreter 248, Nachwort).«

(Quelle: DUDEN – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Auflage, Mannheim 2012)

Mir ist Bedeutung b nicht vertraut. Das Beispiel scheint mir jedenfalls unglücklich gewählt. Würde man das Wort nicht zunächst unwillkürlich im Sinne von Bedeutung a verstehen, wenn man liest: »eine Entschuldigung […] für die Ignoranz, mit der […]«?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.09.2012 um 17.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#21449

Auf Steinmeier geht sie so gut wie gar nicht ein. Ignoranz ist die höchste Form der Strafe in der politischen Auseinandersetzung. (SZ online12.9.12 über Merkel im Bundestag)

Gemeint ist Ignorieren. Knapp vorbei ist auch daneben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.06.2012 um 15.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#20915

Zypern erwägt Hilfsantrag (SZ 21.6.12)

Nach meiner Beobachtung bedeutet Hilferuf usw. einen Ruf nach Hilfe, während Hilfsarbeiter einen zusätzlichen, unterstützenden Arbeiter bezeichnet. Es wäre also Hilfeantrag zu erwarten. Ich weiß aber, daß das nicht regelmäßig gilt und wohl auch euphonische Gründe eine Rolle spielen.

Die Einführung des dauerhaften Euro-Rettungsschirms... (Pressemeldungen 21.6.12)

Na ja, das ist wohl eher Wunschdenken. Realistischer wäre vorläufig unbefristet.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.04.2012 um 19.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#20505

Nun ja, "laut" muß ja nicht immer "extrem laut" sein, sondern ist auch "einfach hörbar" (der Satz lautet; "Denn er sagte laut: 'Die etwas fragen, die verdienen Antwort.'" [Brecht, "Legende ...]). Deshalb kann wohl das Gegenteil "leise" (wie in "Sei leis") ohne weiteres auch "unhörbar" sein (er ging leise weg). Ob sich bei unserer Mobilität heutzutage noch bei sowas "regionale" Unterschiede feststellen lassen, — ich weiß nicht. (Und bei all dem kann man jemanden auch noch leise berühren.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.04.2012 um 15.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#20503

Danke für den Hinweis! Das kommt mir jetzt auch plausibel vor. Man müßte mal Belege aus verschiedenen Regionen sammeln.
 
 

Kommentar von Andreas Blombach, verfaßt am 21.04.2012 um 15.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#20501

Sind Sie sich sicher, dass das auf Interferenz zurückzuführen ist? Gerade hier im süddeutschen Sprachraum habe ich oft "Ach, sei leis'!" u.ä. gehört, Google bringt auch massenhaft Ergebnisse in diesem Sinne (ähnlich viele wie für "sei ruhig", weniger als für "sei still").
Natürlich können die Wörter verschieden verwendet werden - ruhig und still, um sich auf (weitgehende) Bewegungslosigkeit zu beziehen, leise, um sich auf geringe Lautstärke zu beziehen, aber da Bewegungslosigkeit und Geräuschproduktion oft zusammenfallen, ergibt sich ein Bereich, in dem es relativ egal ist, welches Wort man verwendet, um etwas zu erreichen. Kategorisch kann man die Wörter deshalb wohl nicht trennen.
(Eine kontextunabhängige, absolute "Bedeutung" von Wörtern gibt es m.E. sowieso nicht, aber das führt zu weit.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.04.2012 um 11.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#20500

Eine Person, die als Kind meist Englisch gesprochen hat, sagt immer noch sei leise, wenn sie meint sei still. Der Unterschied scheint in einigen Sprachen kaum vorhanden zu sein. Im Duden-Universalwörterbuch ist er auch nicht richtig erfaßt: "(... still (...) b) ruhig (2 b), leise: sie ist eine -e Mieterin; er verhielt sich s.; sei doch [endlich] s.! (...)"

Es geht aber um folgendes:
leise sein = keinen Lärm machen
still sein = nichts sagen
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.04.2012 um 11.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#20499

annehmen sieht zwar wie die genaue Übersetzung von akzeptieren aus, die beiden Verben sind aber nicht gleichbedeutend.
Der 48-Jährige hatte bereits erklärt, er werden die Berufung als Nachfolger des Italieners Romano Prodi akzeptieren. (Nürnberger Nachrichten 30.6.04)
Das ist wohl schlecht übersetzt. Er wollte die Wahl annehmen. akzeptieren bedeutet eher "hinnehmen, sich damit abfinden", und zwar u. U. auf die Wahl eines anderen bezogen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.04.2012 um 11.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#20498

Glück wünschen - beglückwünschen - gratulieren

Diese drei Ausdrücke bedeuten keineswegs dasselbe, auch wenn es in manchen germanistischen Texten so dargestellt wird.

Glück wünscht man jemandem für die Zukunft, dagegen beglückwünscht man ihn zu einem schon vorliegenden erfreulichen Ereignis oder einem Erfolg (bestandene Prüfung, Geburt eines Kindes). Das ist gewissermaßen überraschend, wenn man nur an die Wortbildung denkt. gratulieren liegt näher an beglückwünschen, es gibt aber Unterschiede. Wenn man jemanden zum 70. Geburtstag beglückwünschte, könnte es allenfalls den Sinn haben: daß du es so weit geschafft hast! Zum neuen Jahr wünscht man Glück, aber man gratuliert nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.05.2010 um 17.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#16185

Nach Pressemeldungen feiert Altbundeskanzler Kohl seinen Geburtstag in Dankbarkeit für ein "angefülltes Leben". Das kommt mir ungewöhnlich vor, und tatsächlich fragt Google zurück: "Meinen Sie ausgefülltes Leben?" Auch "erfüllt" ist üblich. Anders bei weiteren Bestimmungen: "mit Arbeit angefülltes Leben". Aber schön ist das auch nicht.
füllen und seine Zusätze sind überhaupt interessant. Löcher in Zähnen werden gefüllt, ebenso Krapfen usw., Flaschen werden befüllt (in Befüllungsanlagen), Schlaglöcher und Bombenkrater werden verfüllt, weil man nämlich hinterher keine gefüllten Löcher, sondern überhaupt keine Löcher mehr haben will, und das drückt man mit ver- aus ("durch Füllen beseitigen").
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.10.2008 um 11.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#13221

Mein dickes altgriechisches Wörterbuch von 1884 sagt (oo für Omega):
onoma Name, Benennung; onomazoo benennen;
homoonymeoo denselben Namen haben; homoonymia Gleichnamigkeit; homoonymios und homoonymos gleichnamig, einerlei Benennung habend, gleichlautende Wörter, die verschiedene Begriffe ausdrücken, zweideutig;
synoonymeoo gleiche Bedeutung haben; synoonymia Gleichheit des Namens oder der Bedeutung; synoonymos von gleichem Namen, von gleicher Bedeutung.
Wie von anderen altgriechischen Wörtern haben unterschiedliche Wissenschaften unterschiedliche Auslegungen gemacht, wobei jede die ihre für die allein richtige hält. (Siehe Soziologen und Naturwissenschaftler, die sich trotz gleicher Wörter nicht verstehen.)
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 04.10.2008 um 22.23 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1058#13215

Wenn "Fachleute" wie Andreas Gardt trotz Studium der Germanistik etwas von sich geben wie:

"Der Ausdruck Synonym entstammt dem Griechischen und enthält die Bestandteile syn (= zusammen) und ónoma (= Name). In einem landläufigen Sinne handelt es sich bei Synonymen demnach um Gleichnamige, um Wörter, die dieselbe Bedeutung tragen",

dann fragt man sich, ob solche Fachleute jemals gelernt haben, Bezeichnung (Name) und Bedeutung (Bezug) auseinanderzuhalten. Schön ist auch "in einem landläufigen Sinne", denn es wirft die Frage auf, wie viele solcher es denn wohl geben mag bzw. welcher gerade gemeint ist. Daß der Duden-Verlag für sein Synonymwörterbuch nicht Kompetentere gewinnen konnte, stimmt bedenklich.

Letztens mußte ich in einem Promotionsverfahren hören, daß Chomsky die Nachfolge von Saussure angetreten habe, und meinte, das dürfe ja wohl nicht wahr sein. Aber siehe da, im Duden-Synonymwörterbuch kann jemand nicht die fundamentale Differenz zwischen Platons und Saussures (später Weigerbers) Sprachverständnis unterscheiden. Kann es noch schlimmer werden?
 
 

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