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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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20.09.2007
 

Pädagogik vom Tage
Anmerkungen zur Zeitung von heute

Das Büchergeld in Bayern soll wieder abgeschafft werden. Allerdings aus den falschen Gründen, denn die richtigen sind tabu.
Keine Zeitung hat sich für das Treiben der Schulbuchlobby interessiert, meine Versuche, dies zu thematisieren, sind erfolglos geblieben. Ich habe schon oft auf die Tricks hingewiesen, mit denen die Verlage ihre Schulbücher zwar größer, bunter, schwerer, teurer und vergänglicher, aber nicht besser gemacht haben. Wenn die Kinder, wie es normal ist, sechs verschiedene Fächer an einem Tag haben, müssen sie nicht nur die schweren Bücher hin- und herschleppen, sondern auch noch die Aktenordner, auf die manche Lehrer Wert legen, und weiteres Material, wegen der acht Stunden auch was zu essen und zu trinken. Immer mehr Unterstufenschüler ziehen die Last auf kleinen Wägelchen hinter sich her, andere klagen über Rückenschmerzen.

Ähnlich beschränkt der Tunnelblick auf das Fernsehen. Die Zeitung stellt heute eine völlig entartete Familie vor, die aufs Fernsehen verzichtet. ("Name geändert" – natürlich! Wer wird schon gern derart bloßgestellt? Das sind doch Verbrecher!)

Anschließend kommt die obligatorische Medienwissenschaftlerin zu Wort. Sie warnt eindringlich vor der genannten Verfehlung und erzählt die furchtbare Geschichte von einem Fünfjährigen, der ohne TV aufgewachsen war und nach dem zufälligen Anschauen von James-Bond-Szenen drei Monate lang Albträume hatte. Woraus folgt: Mit fünf Jahren muß ein Kind so abgebrüht sein, daß es nach Fernsehbrutalitäten keine Albträume mehr erlebt. Dafür sorgt die Medienpädagogik. Sie lebt ja vom Fernsehen und von Auftragsforschung.

Gestern berichtete die SZ übrigens von "schiesswütigen" Privatsoldaten im Irak, heute weiß sie, "das" Tizian einen Papst porträtiert hat.



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Kommentare zu »Pädagogik vom Tage«
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Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 20.09.2007 um 09.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10231

...nach dem zufälligen Anschauen von James-Bond-Szenen drei Monate lang Albträume hatte.

Er träumte von der Alb? Oder träumte er auf der Alb? Ich stamme von dort; mir war aber nicht bewußt, daß es für diese Gegend spezifische Träume gibt...
 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 20.09.2007 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10234

Neulich "schwörte" jemand in einem Text der SZ. (Vielleicht gibt es auch bald die verschwörte Gemeinschaft und die Geschwörten.) Aber das ist alles egal, die Hauptsache ist, daß nach Heyse geschrieben wird.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 20.09.2007 um 13.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10237

Das Wort Albtraum/Alptraum geht auf mhd. alp zurück. Am Plural elbe erkennt man, daß das p auf Auslautverhärtung beruht. (Noch heute bezeichnen Religionswissenschaftler die germanischen Geister als Alben oder Elben.) Da die Auslautverhärtung heute wegen des Stammprinzips in der Schrift nicht beachtet wird, ist Albtraum die sprachgeschichtlich berechtigte Schreibweise; aus Unkenntnis der Herkunft des Wortes resultiert die Variante Alptraum. Die FAZ hat schon vor der "Reform" unter Hinweis auf die Etymologie stets Albtraum geschrieben, gegen den alten Duden. Im "Ickler" sind zu Recht beide Schreibungen verzeichnet.
 
 

Kommentar von Amtsrat Knüsel, verfaßt am 20.09.2007 um 14.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10238

Einer weitverbreiteten Volksetymologie und pflichtgemäßer Dreikonsonantenregel zufolge müßte "zerreißen" eigentlich mit 3 r geschrieben werden: zerrreißen.

Wir müssen das dringend in die Schulen drücken.
 
 

Kommentar von Luigi aus Kalabrien, verfaßt am 20.09.2007 um 14.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10239

Wir sollten vielmehr den Amtsrat Knüsel mit den Füßen in einen Eimer Zement drücken.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.09.2007 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10241

Um Verwechslungen auszuschließen: Das Wort "Alpen" wird aus baskisch "alphi" Berghang erklärt, das Wort "Elbe" aus indogermanisch "*alhbi" mit der idg. "Wasserwurzel" "*albh", altnordisch "elfr" Fluß. Die "Elfen" sind aus dem Englischen entlehnt, wohin sie aus dem Skandinavischen gekommen waren. (Tschechisch "Labe" für dt. "Elbe" ist durch die slavische Liquidametathese entstanden.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2007 um 18.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10242

Noch eine Beobachtung vom Tage: Der Zuckerverkäufer Ferrero unterliegt dem Zuckerverkäufer Haribo in einem Rechtsstreit um die Verwendung des Wortes "Kinder" in Produktnamen. Ich erwähne das hier, weil wir uns schon einmal Gedanken über die Kommerzialisierung der gemeinsamen deutschen Sprache gemacht haben. Noch gibt es Richter in Deutschland, allerdings hier erst in der letzten Instanz. Daß solche Verfahren aber möglich und keineswegs aussichtslos sind, zeigt doch, wie weit die Privatisierung der Sprache schon vorangekommen ist. Zum Beispiel dürfte ich keineswegs mit dem Spruch "Ickler – find ich gut" für mein Wörterbuch werben, aber auch schon die bloße Ähnlichkeit mit den geschützten Wendungen ist gefährlich. Mir kommt das ebenso verhängnisvoll vor wie die "Patentierung" von entdeckten (statt erfundenen) Teilen der Natur, z. B. DNS-Abschnitten.

Wenn ich mich recht erinnere, gab es vor vielen Jahren schon einmal einen Streit um den Namen "Kinder-Schokolade", den der Hersteller wohl gewonnen hat. Es ging darum, daß durch eine solche Bezeichnung den Eltern ein besonderer gesundheitlicher Wert dieses Erzeugnisses für die Ernährung der Kinder, besonders ihre Versorgung mit Kalzium, suggeriert werde, der bei einem Zuckergehalt von 38,1 Gramm pro 100 Gramm nicht über jeden Zweifel erhaben zu sein scheint.

Vielleicht irre mich aber auch, dann nehme ich selbstverständlich alles zurück, bevor die Abmahnung des Zuckerverkäufers mich ereilt.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 20.09.2007 um 19.40 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10243

Aus all dem folgt, daß man für eine Neuauflage des "Trabant" (eine Art Pkw) nicht mit "quadratisch – praktisch – gut" werben sollte, weil sonst ein rittersporniger Schokobäcker abmahnend dazwischen fahren könnte. Es werden offenbar bereits nicht nur Kinderschuhe und andere Wörter privatisiert, sondern Produkte des Sprachgebrauchs von Syntagmen bis hin zu Sätzen. Vielleicht war Mauthner zu blauäugig.

In Dummschreibungen sollte aber obligatorisch (z.B. in Bern) ein Copyright eingebrannt werden. Das wohlbekannte "R" im Kreis würde dann zeigen, woran man ist.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.09.2007 um 23.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10245

Gerade wollte ich den Reformanhängern den Werbespruch empfehlen: "Neue Rechtschreibung, nichts ist unmöglich!"
 
 

Kommentar von Karl Hainbuch, verfaßt am 21.09.2007 um 08.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10248

"Mit fünf Jahren muß ein Kind so abgebrüht sein, daß es nach Fernsehbrutalitäten keine Albträume mehr erlebt."

Täglich werden nicht nur die großen, nein, auch die kleinen und sogar die angeblichen Untaten der Nationalsozialisten zur monströsen Barbarei aufgeblasen.
Gleichzeitig findet vor unser aller Augen eine wahrhaft epochale Barbarei statt: Fernsehen für Dreijährige, natürlich von der obligatorischen Medienwissenschaftlerin begleitet, die wohl erforscht hat, daß nur ständige und rasendschnelle Bildwechsel aus einem medieninkompetenten Säugling einen James-Bond-tauglichen Fünfjährigen machen. (Die Sendung mit dem Elefanten, vgl. TV-Spielfilm 18/07, Seite 115)

Wer sich für die Auswirkungen auf den "young child's fragile eggshell mind" (Jim Morrison) interessiert:
www.ritalin-kritik.de

Vor unser aller Augen werden Kinder in einstelligen Jahren mit Drogen "behandelt". Sie haben dann ein kleines Säckchen bei sich und in diesem Säckchen ist ein Wecker und Ritalin. Und wenn der Wecker klingelt, dann ist es Zeit für die Kinderdroge.
(Auf US-Schulhöfen werden Ritalin-Tabletten von den älteren Kindern zerbröselt und in die Nase gezogen; diejenigen, die sie auf Rezept kriegen, verdealen sie an die Mitschüler.)
 
 

Kommentar von Claudia Schiffer, verfaßt am 21.09.2007 um 09.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10249

"Warum klassische Rechtschreibung? – Weil ich es mir wert bin!"

Aber mal im Ernst: Wenn wir einfach die komplette alte Rechtschreibung für uns patentieren lassen, dann muß jeder, der sie in Hinkunft noch benutzt, irre Lizenzgebühren bezahlen. Und mit diesem Geld könnten wir dann die bessere Schreibwirklichkeit wiederherstellen.

(Oder das IDS auf den Mars schießen.)
 
 

Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 21.09.2007 um 10.00 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10250

... und erzählt die furchtbare Geschichte von einem Fünfjährigen, der ohne TV aufgewachsen war...

Tja, damit so Furchtbares zukünftigen Generationen erspart bleibt, kommt demnächst das Baby TV auch nach Deutschland:

Unter dem Namen Baby TV startet im nächsten Jahr deutschlandweit ein neuer Fernsehsender. Zielgruppe: Kinder im Alter von null bis drei Jahren. [...]

Die als Bezahlfernsehen ausgelegte Station [...]


Als Bezahlfernsehen! Man faßt es nicht!
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 21.09.2007 um 11.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10251

Es ist mir doch immer ein Vergnügen, dem, den ich tatsächlich als den besten Deutschlehrer unserer Zeit akzeptiere, zu widersprechen. Nennt es ein Hobby.

Ich bevorzuge »Portrait«, weil nämlich auch im Deutschen das finale t nicht mitgesprochen wird. Allzu viele vom Duden vorgeschlagenen und aus dem Französischen herrührenden Eindeutschungen scheinen mir doch etwas zweifelhaft. Warum sollte ich nicht »Portrait« und »Plaidoyer« schreiben dürfen? Ich erbitte begründeten Widerspruch.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.09.2007 um 12.38 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10252

Sprüche, die noch nicht patentgeschützt sind:
Lieber die bessere Rechtschreibung, man gönnt sich ja sonst nichts.
Soll's was Gutes sein, oder darf's auch was von Duden sein?
 
 

Kommentar von Resi Berghammer, verfaßt am 21.09.2007 um 12.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10253

Alte Rechtschreibung. Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 21.09.2007 um 14.37 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10254

Philip Köster (897#10251) meint: "Ich bevorzuge »Portrait«, weil nämlich auch im Deutschen das finale t nicht mitgesprochen wird".
Seiner Bitte um begründeten Widerspruch kann wahrscheinlich nicht entsprochen werden. Die Gleichschreibung der letzten beiden Laute in Universität und Porträt ist eine Hypergeneralisierung gegen die Herkunftsschreibung und gegen die Aussprachedifferenz im Deutschen. Nach der nächsten Deform der deutschen Graphie wäre vielleicht Porträ(h) obligatorisch.
Konsequenterweise müßte schon heute "Plädoajeh" geschrieben werden (oder normal = französisch).

Die von Germanist (897#10252) in feiner Courtoisie gestellte Frage
"Soll's was Gutes sein, oder darf's auch was von Duden sein?"
ruft uns die Entscheidungsfreiheit ins Bewußtsein.
 
 

Kommentar von GL, verfaßt am 21.09.2007 um 15.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10255

Eine entartete Familie, die aufs Fernsehen verzichtet.

Entartung wegen Verzicht auf das Fernsehen?

Ein Verzicht auf das Fernsehen? Ich habe keine Probleme, diesem Schwachsinn zu entgehen. Zu kurz ist das Leben, als sich durch einen solchen Alptraum verblöden zu lassen und den TV-Machern auch noch Geld nachzuwerfen. Keinen einzigen Rappen!

Der Umgang mit Kunst und Kultur samt den Bücherverbrennungen 1933 war ein dunkles Kapitel und gehört zur deutschen Geschichte, sollte meines Erachtens auch heutigen Schülern nicht vorenthalten werden. Dieses Thema gehört zur Allgemeinbildung und kann nicht negiert werden. Von den Säuberungen und Enteignungen deutscher Kunstschätze haben die Nationalsozialisten mehr als nur profitieren können. Auf Berufsverbote, die gegen moderne Künstler, moderne Kunst oder auch Hochschullehrer verhängt wurden, will ich noch nicht einmal eingehen. Und bevor die Aufregung und Heuchelei rund um den Begriff „entartet“ ausartet: Wo sind sie denn nur geblieben, diese Schätze?

Am Ende hatte Immanuel Kant doch recht behalten, der 1798 zu wissen glaubte: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch ist, kann nichts Gerades gezimmert werden.“
 
 

Kommentar von Claudia Schiffer, verfaßt am 21.09.2007 um 17.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10256

Man möge bitte beachten, daß "entartete Familie" keineswegs die Diktion dieser Zeitung war, sondern eine Übertreibung Prof. Icklers, die ihren Zweck ja auch nicht verfehlt hat.
 
 

Kommentar von Materialschürfer, verfaßt am 21.09.2007 um 17.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10257

So ist es. Siehe den Originalartikel aus dem Kölner Stadt-Anzeiger vom 14. September.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.09.2007 um 17.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10258

Sieht so aus, als würde der Tagebucheintrag dies alles ein wenig verkürzt wiedergeben.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 21.09.2007 um 19.45 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10259

Wie anders?
 
 

Kommentar von oe1.orf.at, verfaßt am 21.09.2007 um 20.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10260

Rudi Radiohund: Albträume

Rudi: Rosi, Tonmeister - Ich habe seit einer Woche fast jede Nacht Alpenträume.

Rosi: Alpenträume? Besteigst du im Traum Berge? Oder sitzt du auf einer Alm und hütest die Kühe?

Rudi: Nein! So grausliche Horror-Träume habe ich, eben Alpenträume.

Tonmeister: Du meinst Albträume.

Rudi: Okay, also Albträume! Ist doch fast das gleiche.

Rosi: Nein, die Alpen haben mit den Alben nichts zu tun. Alben sind so gespenstische Wesen, die sich des Nachts auf die Brust von Schlafenden [setzen] und die bekommen dann Angstträume.

Rudi: Auf mir sitzt aber keiner, weder auf der Brust noch sonst wo, hinter mir ist einer her und will mich fangen und abmurksen! Und ob der so ein Alb ist, weiß ich nicht, weil ich mich in den Träumen nicht umdrehen kann, wahrscheinlich vor lauter Angst!

Tonmeister: Rudi, solche Alben gibt es doch nicht wirklich. Das haben die Menschen vor langer, langer Zeit einmal geglaubt. Und jetzt nennt man eben so einen fürchterlichen Traum, in dem man schreckliche Angst, einen Albtraum.

Rudi: Und warum, bittschön, nennt man das Albtraum wenn es gar keinen Alb gibt? Und wer ist dann schuld an meinen Horror-Träumen?

Text: Christine Nöstlinger

Anmerkung: Seit der Rechtschreibreform 2006 schreibt der ORF Albtraum mit p, also Alptraum. Für die bessere Verständlichkeit der Wort- und Sinnspiele im Text haben wir hier die alte Rechtschreibung beibehalten.

http://oe1.orf.at/highlights/108845.html
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 21.09.2007 um 22.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10261

(Noch heute bezeichnen Religionswissenschaftler die germanischen Geister als Alben oder Elben.)

Ich habe mal gelernt, ein solcher Geist (der "Absender" des bösen Traums) sei ein Alp. Bei Albtraum muß ich wirklich immer an die Schwäbische Alb denken.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 21.09.2007 um 22.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10262

Den "Albtraum" mit "b" zu schreiben, war einer der ganz wenigen vernünftigen Einfälle der Reformer, neben der Legalisierung des (längst üblichen, aber dudenwidrigen) "zuhause" (und dazu noch des zwar weniger üblichen, aber naheliegenden "nachhause"). Daß jetzt die Anstalt ORF "Alptraum" für einzig vorschriftsgemäß hält, mag noch ein aus der allgemeinen Verwirrung erklärbarer Zufall sein. Jedoch ist es, zumindest in der Presseorthographie, allgemeiner Konsens, es müsse jetzt "zu Hause" heißen, wo früher "zuhause" (in der Bedeutung von daheim) stand. Dieser paradoxe Effekt scheint mir durch den Hinweis auf Übergeneralisierung ("man schreibt jetzt getrennt") nicht hinreichend erklärt zu sein. Schließlich texten dieselben Leute auch brav "umso" oder "mithilfe".
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 22.09.2007 um 07.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10263

Den "Albtraum" mit "b" zu schreiben, war einer der ganz wenigen vernünftigen Einfälle der Reformer, neben der Legalisierung des (längst üblichen, aber dudenwidrigen) "zuhause" (und dazu noch des zwar weniger üblichen, aber naheliegenden "nachhause").

Wo bitteschön war "zuhause" üblich? Ich habe das vor der Reform niemals irgendwo gesehen. Von der Betonung her dürfte es allenfalls in der Schweiz Anhänger finden.

Abgesehen davon: Man schreibt ja auch nicht "zutisch" oder "zubett".
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.09.2007 um 09.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10264

Ich halte "zuhause" für eine Ableitung von "das Zuhause": "Hier ist mein Zuhause, hier bin ich zuhause." Beide meinen gar nicht unbedingt das Haus, es kann auch das Dorf oder der Stadtteil sein; Soziologen haben sicher einen Ausdruck dafür.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2007 um 09.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10265

"zuhause" und "nachhause" waren vor der Reform in Österreich eingebürgert und normgerecht, ersteres war auch in Deutschland so häufig anzutreffen, daß ich es kommentarlos als Variante ins Wörterbuch aufgenommen habe. Das Argumentieren mit Analogien ("zubett") ist gefährlich, es führt in Sicksche Untiefen. Ich halte mich lieber an den Gebrauch. Wenn denn aber schon Analogien herangezogen werden sollen, sollte man beachten, daß es längst "das Zuhause" gibt, aber nicht "das Zubett" ... Die Univerbierung solcher Fügungen, die nach heutiger Grammatik nicht mehr syntaktisch konstruierbar sind, liegt übrigens in der normalen Entwicklungsrichtung und ist systematisch nicht zu beanstanden. Aber wie gesagt: Usus tyrannus, quem penes usw.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 22.09.2007 um 10.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10266

Tobias Bluhme über zuhause (897#10263): "Von der Betonung her dürfte es allenfalls in der Schweiz Anhänger finden."

Wahrscheinlich glaubt Herr Bluhme, Zusammenschreibung lege Betonung der ersten Silbe nahe. Mit diesem Argument haben manche Reformgegner die Schreibungen zurzeit und mithilfe verworfen. Gegenbeispiele sind beiseite, inmitten, aufgrund, anhand, imstande, infolge, zufolge usw.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 22.09.2007 um 10.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10267

Mir gefällt die Schreibweise zuhause sehr. Dies deshalb, weil mir noch in schmerzlicher Erinnerung ist, wie mir das in der fünften Klasse als Fehler angekreidet wurde. Mir stiegen fast Tränen zu Augen, weil ich es doch besser wußte als meine Deutschlehrerin, aber sie kannte kein Pardon. Hat mich eine Eins gekostet, dieser Schabernack. An die konsequente Fortführung nachhause muß ich mich erst noch gewöhnen, aber auch sie gefällt mir gut und scheint mir angemessen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.09.2007 um 11.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10268

Eine Analogie möchte ich zulassen: daheim, das Daheim. Im übrigen sprechen die Österreicher [zhaus]. Möglicherweise liegt in Österreich tschechischer Einfluß vor: tsch. doma zuhause, domu nachhause (Bétonung auf der ersten Silbe). Aber viele Österreicher gehen nicht "nachhause", sondern "hoam", wörtlich ins Preußische übersetzt "heim". ("I möcht wieda hoam aus der großen Wöld, i möcht hoam nach Fürstenföld.")
 
 

Kommentar von P. L., verfaßt am 22.09.2007 um 13.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10271

Ich führe (als Schweizer) seit bald vier Jahrzehnten ein Tagebuch. Darin steht z.B. zu lesen: „Mit allen [Kindern] auf dem Schulhausplatz Korbball gespielt. Kurz vor dem Gewitter nachhause.“ Oder: „Mueti blieb zuhause, um D* zu pflegen.“
 
 

Kommentar von Walter Moslechner, verfaßt am 22.09.2007 um 19.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10273

Liebe Resi,

die »alte« Rechtschreibung ist nicht alt. Sie lebt, wie Sie sehen. Bereits Ihre Begriffswahl »alt« outet Sie als tendenziöse Gegnerin guten Deutsches. Davon haben wir in Deutschland leider zu viele, und ich kann dieses Geseier unterdessen nicht mehr hören.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.09.2007 um 07.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10275

Gefunden bei ORF.at:

"Drück mich!

Ja, wer ist Schuld an Rudis Albträumen? Wenn Du mehr darüber wissen willst, dann drück weiter oben auf "Audio".

Text: Christine Nöstlinger

Anmerkung: Seit der Rechtschreibreform 2006 schreibt der ORF Albtraum mit p, also Alptraum. Für die bessere Verständlichkeit der Wort- und Sinnspiele im Text haben wir hier die alte Rechtschreibung beibehalten."


(Dies ergänzt den bereits hier eingetragenen Text. – Red.)
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 23.09.2007 um 15.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10277

Anders als Germanist (897#10264) meint, scheint zuhause zwar keine Ableitung von das Zuhause im morphologischen Sinne zu sein. Angedeutet aber ist damit, daß Präpositionalgefüge graphemisch zu Adverbien univerbiert werden, wenn sie auf begrifflich Gewordenes verweisen (bei gleichzeitiger Lexikalisierung). Das die Dinge endgültig deutlich machende Nomen das Zuhause ist zwar morphologisch sekundär, sein Gegenstand aber die Voraussetzung für das Adverb zuhause als Transitionsbasis.
Germanist (897#10268) weist auch darauf hin, daß die so indzuierten Univerbierungen nicht nur dem ohnehin zu solchen neigenden Deutschen eigen sind. Verweise nach draußen bzw. Blicke von dort könnten der durch das Reformdesaster ausgelösten Diskussion über die Schreibung des Deutschen dienlich sein

Man möchte sich in "Analogie" vielleicht auch für nachhause entscheiden. Damit hat es aber eine andere Bewandtnis, denn die Richtung "nach Hause" ist nur schwer hypostasierbar bzw. als Gegenstand zu unterstellen. Daher warnt Theodor Ickler (897#10265) wachsam mit "Das Argumentieren mit Analogien ("zubett") ist gefährlich", weil es, wie er zeigt, das Zubett nicht gibt. Dieses und noch weniger das Nachhause haben die Chance, "in die Existenz zu treten", sondern lediglich ins spielerische Erwägen.

Man kann im Augenblick nicht zugegen, sondern zu Tisch oder gar schon zu Bett sein, also weder zu Gange noch zu Diensten. Aber an Orten mit analogen Namen ist man dennoch nie.

Mit der (zu früh vollzogenen?) Schreibung zuhause hatten sicher viele ähnliche Efahrungen wie Philip Köster (897#10267), aber vielleicht – wie ich – tolerantere Lehrer, die das "Unwort" zwar anstrichen, aber gelten ließen, weil ihnen das Zuhause im eigenen Lexikon samt seiner Morphobasis bewußt war.

Allein weil Österreich ein Alpenland ist, folgt man dort der Deform mit der Schreibung Alptraum, im Schwabenlande steht mit Albtraum geleisteter Widerstand zu erwarten. Wie aber schreibt man den anderen Namen für Nachtmahr in Albion?
 
 

Kommentar von Resi an Walter Moslechner, verfaßt am 24.09.2007 um 08.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10281

"...outet Sie als tendenziöse Gegnerin guten Deutsches."

Fürwahr ein Musterstück höchster deutscher Sprachkultur! Erhaben und klangvoll! Sowas sollten Sie mal der Herzog-August-Bibliothek mit dem Preßlufthammer ins Gesims stemmen!
 
 

Kommentar von Ingrid, verfaßt am 24.09.2007 um 08.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10282

...guten Deutsches

Müßte es nicht an dieser Stelle "...gutes Deutsches" heißen? Es heißt doch auch "Im September nächstes Jahres".
 
 

Kommentar von T. P., verfaßt am 24.09.2007 um 09.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10283

Nein, Ingrid, das ist völlig verkehrt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.09.2007 um 17.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10290

Damit das endlich mal klar wird:
Für Adjektive gilt: Im März letzten Jahres; am Anfang vergangener Woche, am Beginn nächsten Monats; ein Glas echten Honigs, süßer Marmelade, hellen Mehls, saurer Gurken.
Für Artikel und Pronomen gilt: Im März dieses Jahres; am Ende dieser Woche, am Beginn dieses Monats; ein Glas dieses Honigs, dieser Marmelade, dieses Mehls, dieser Gurken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.09.2007 um 19.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10292

Aber auch "diesen Jahres" ...
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 25.09.2007 um 08.06 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10293

Liegt hier vielleicht eine Bedeutungsnuance vor?
"Diesen Jahres" bezeichnet das laufende Jahr, "dieses Jahres" kann jedes Jahr bedeuten, von dem gerade die Rede ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.09.2007 um 08.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10295

Herr Achenbach macht mit Recht auf den Unterschied zwischen deiktischem und anaphorischem Gebrauch aufmerksam. Nur bei ersterem liegt die Analogie zu "nächsten" usw. nahe. Das schließt nicht aus, daß es auch abweichende Beispiele gibt, aber die Tendenz ist eindeutig.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.09.2007 um 21.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10296

Steht in den neueren Dudengrammatiken nicht mehr wie in meiner von 1988 der audrückliche Hinweis:
"Die männliche und sächliche Genitivform heißt 'dieses', nicht 'diesen'; also:
'im April dieses Jahres (nicht: diesen Jahres); am 13. dieses Monats (nicht: diesen Monats); ein Gerät dieses Typs (nicht: diesen Typs)"?
Wenn die Mehrheit es jetzt entgegen dieser Regel schreibt, ist es dann richtig, weil sprachliche Weiterentwicklung? Sind jetzt beide Formen fehlerfrei?
Welche Dudengrammatik-Ausgabe entspricht der bisherigen Rechtschreibung, für die wir uns einsetzen, oder braucht es dieser entsprechend auch eine "Ickler"-Grammatik?
 
 

Kommentar von Nikolaus Lohse, verfaßt am 26.09.2007 um 14.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10298

Die Frage kann ich nur unterstreichen. Auch der Zweifelsfall-Duden von 2001 bringt noch dieselben Beispiele für die einzig korrekte starke Flexion: dieses Jahres, Monats, Typs.

Die Unterscheidung zwischen "deiktischem" und "anaphorischem" (?) Gebrauch erscheint mir zweifelhaft. Vielleicht erfaßt sie eine gewisse intuitive Verteilung der Formen bei den Sprechern; von der Grammatik ist solches aber bisher noch nicht sanktioniert.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 26.09.2007 um 15.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10300

Bei deiktischem Gebrauch (gemeint ist das gegenwärtige Jahr aus der Sicht des Sprechers oder Schreibers) wird diesen Jahres durch letzten Jahres, vorigen Jahres, nächsten Jahres gestützt, bei anaphorischem Gebrauch (gemeint ist ein Jahr, das im Text vorher erwähnt wurde) jedoch nicht.

Übrigens hieß es früher frohes Mutes statt frohen Mutes; diese beim Adjektiv so gut wie abgeschlossene Ersetzung der Genitivendung greift auf die Pronomina über.
 
 

Kommentar von H. Jochems, verfaßt am 26.09.2007 um 17.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10301

Vielleicht macht er sich nur einen Scherz?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.09.2007 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10302

Frage an Herrn Lohse: Welche Grammatik meinen Sie, die einen bestimmten Gebrauch "sanktionieren" könnte?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.09.2007 um 18.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10304

Laut meiner Duden-Grammatik von 1988 steht beim Indefinitpronomen "jeder":
"'jeder' hat die gleichen Formen wie 'dieser'. Als Genitiv der männlichen und sächlichen Form ist neben 'jedes' auch 'jeden' möglich, wenn ein Substantiv mit der Genitivendung '-(e)s' folgt: am Ende jedes/jeden Tages; am 1. jedes/jeden Monats; Name und Adresse jedes/jeden Mitglieds (aber nur der Traum 'jedes' Menschen)."

Mir scheint, daß sich "dieser" und "jener" in der Deklination an "jeder" angleichen oder in manchen Zusammenhängen als Adjektive angesehen werden.
Wichtig scheint mir aber die Bedingung, daß ein Substantiv mit der Genitivendung '-(e)s' folgen muß: nur "der Name dieses Menschen".
 
 

Kommentar von Nikolaus Lohse, verfaßt am 27.09.2007 um 09.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10305

(Zu Herrn Icklers skeptischer Rückfrage:)

Na ja, jede Grammatik, die eine Form als gebräuchlich und (damit) etabliert bucht, "sanktioniert" sie ja in gewisser Weise. Ich will auf dem Begriff aber nicht bestehen, sonst geraten wir noch ins Grundsätzliche...
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.09.2007 um 10.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10306

Einer der Unterschiede zwischen deiktischem und anaphorischem Gebrauch ist, daß der Artikel (des, eines) bei deiktischem Gebrauch weggelassen werden kann, bei anaphorischem Gebrauch jedoch nicht:

"Ich habe gerade mein Abitur gemacht und werde im Sommer des nächsten Jahres zu studieren beginnen." Das ist deiktischer Gebrauch, des kann man weglassen. Aber:
"1980 machte er sein Abitur, begann aber erst im Sommer des nächsten Jahres zu studieren." Man kann hier des nicht weglassen!

Es gibt im Gegensatz zu "des nächsten", "eines jeden", "des letzten", "des vorigen" ... keine Möglichkeit zu sagen, "des/eines diesen" oder "des/eines jenen". Darum kann es keinen anaphorischen Gebrauch von "diesen/jenen Jahres" geben. Nur der deiktische Gebrauch läßt wegen der Möglichkeit, den Artikel wegzulassen, die Formulierung "diesen/jenen Jahres" überhaupt zu.

Trotzdem halte ich letzteres für falsch. Ich bin der Meinung, daß auch der weggelassene Artikel hier noch mitklingt. Es gibt nun mal kein "des diesen Jahres", deshalb kann ich auch eine Stützung wegen Analogie mit dem vorigen, nächsten usw. nicht anerkennen.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 27.09.2007 um 13.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10307

Daß des diesen Jahres nicht möglich ist, hat nichts mit deiktischem Gebrauch zu tun, sondern liegt daran, daß dieser selbst ein Artikelwort ist und ein Substantiv nicht zwei Artikel gleichzeitig bei sich haben kann.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.09.2007 um 16.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10308

Vielleicht ist die Erklärung einfacher: Zwei Genitiv-(e)s-Endungen hintereinander werden als unnötig empfunden, und die gesprochene Sprache bevorzugt Formen, die in der Endsilbe ein "e" und damit eine Sprechsilbe einsparen und für die Zunge einfacher auszusprechen sind: Bei [diesn] ist das möglich, bei [dieses] nicht, weil die beiden "s" getrennt gesprochen werden müssen. Die Schreibweise folgt dann der gesprochenen Sprache. Das Substantiv muß dann aber das Genitiv-(e)s haben. Nur bei "des" geht das alles nicht, das bleibt, es hat ja auch nur ein "s".
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.09.2007 um 03.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10309

"Daß des diesen Jahres nicht möglich ist, hat nichts mit deiktischem Gebrauch zu tun, ..."

Das habe ich auch gar nicht behauptet. Ich habe gesagt,
weil es nicht möglich ist, kann diesen Jahres (wegen des fehlenden Artikels) auf keinen Fall anaphorisch gebraucht sein, sondern höchstens deiktisch. (Trotzdem halte ich auch den deiktischen Gebrauch zumindest hochsprachlich für falsch.)

Die Frage, ob mit oder ohne Artikel (des/eines) vor Wörtern wie nächsten, vorigen, ..., hat also schon etwas mit deiktischem/anaphorischem Gebrauch zu tun, oder sehe ich das wirklich ganz verkehrt?

Zu dem anderen u.g. Beispiel "frohen Mutes":
Ich glaube nicht, daß man dies als Analogie zu den Pronomina wie im umgangssprachlichen "diesen Jahres" sehen kann.
"(des) frohen Mutes" ist ein ganz normaler Genitiv, schwache Deklination des Adjektivs. Es wurde keine Genitivendung ersetzt. Der Artikel "des" wurde hier nur verkürzend weggelassen.
Bei "diesen Jahres" wurde aber kein Artikel weggelassen, denn "dieses" ist, wie Herr Konietzko schon schreibt, selbst ein Artikelwort.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 28.09.2007 um 03.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10310

Vielleicht ist die Erklärung noch einfacher. Und sie baut nicht auf Ausspracheschwierigkeit auf. Denn "weil die beiden 's' getrennt gesprochen werden müssen" stimmt vielleicht beim Genitiv; bei "Dies (Aussprache einfach stimmloses [s]; nichts von einem stimmhaften [z] ist übrig!) Jahr kommt er nicht" stimmt's schon nicht. Die Einsparungstheorie packt's mir also nicht so recht. Wir haben jedoch in der Sprachgeschichte schon einen Parallelfall, worauf David Konietzko hinweist. Auch bei der pronominalen Deklination der Adjektive vor Substantiven (ohne Artikelwort also) ist eine vom System her zu erwartende starke "-es"-Endung durch die schwache "-en"-Endung ersetzt worden, und da, meine ich, weil eben die Funktion, den G. sg. m. und n. anzuzeigen, vom Substantiv selbst hinreichend deutlich übernommen wird: "der Geschmack guten Weines/Bieres". Wo das nicht gegeben ist (sg. f. und pl., "kalter Milch", "besserer Weine") haben die attributiven Adjektive die starke Endung. Auch bei "diesen Jahres" wissen wir genau, welchen Fall wir vor uns haben. Daher erscheint auch mir die "Unterscheidung zwischen 'deiktischem' und 'anaphorischem' ... Gebrauch ... zweifelhaft." Die Sprache hat sich jedoch oft entstandene Dubletten zur Unterscheidung nutzbar gemacht (engl. "shirt" und "skirt" [dt. "Schürze"]), und "eine gewisse intuitive Verteilung der Formen bei den Sprechern" könnte sich durchaus herausschälen oder sogar schon herausgeschält haben (Achenbach). Ich meine aber rein von der Form her: die Artikelwörter haben zwar ihr "starkes" System, aber hier ist eine Form zu schwach, um der Umformung durch ein anderes System, das eben auch seine Macht ausübt, zu widerstehen. Und die Macht der schwachen Adjektivendungen besteht ja gerade darin, daß sie frei von jeder Unterscheidungsfunktion sind. — Diesen Sinnes bin ich jedenfalls, — wenn ich auch normalerweise "diesen Sinnes" weder sage noch schreibe.

 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 28.09.2007 um 08.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10311

P.S.: Solcher Gedanken wegen hier zu nachtschlafender Zeit jeden Schlafs beraubt, möchte ich noch hinzufügen: Solchen Sinnes bin ich jedoch schon, und das sage und schreibe ich auch. (Auch "jeder, -e, es" und "solcher, -e, -es" haben ja sonst pronominale [Artikelwörter-]Endungen.) Und so wünsche ich Ihnen also guten Morgen - so wie ich's ältestem Sprachgebrauch entsprechend mit starker Adjektivform sage; auch hier ist nicht "einen" oder "den" vor "guten" weggefallen.

 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.09.2007 um 09.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10312

Ich denke, mein Erklärungsversuch über den Wegfall des Artikels bei "frohen Mutes" war ein Irrtum. Wenn der Artikel wegfällt, bleibt ja die schwache Beugung normalerweise nicht erhalten.

Ich kann mich halt schlecht damit abfinden, daß die Bildung "diesen Jahres" ähnlich wie "frohen Mutes" sein soll.

Tut mir leid für die Ruhestörung, Herr Ludwig, aber ich befinde mich gerade vorübergehend in einer Zeitzone, wo es erst jetzt allmählich Zeit zum Schlafengehen wird.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 28.11.2007 um 09.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#10777

Albträume bei der *Welt*, weil man ja Schülern und Schülerinnen helfen will (zu #10262): "Den 'Albtraum' mit 'b' zu schreiben, war einer der ganz wenigen vernünftigen Einfälle der Reformer"):
"Gleich zwei Fälle verhandelte Kerner gestern in seiner Sendung, in denen Alpträume von Eltern wahr geworden sind." (Welt Online, 28.11.07, 08:40) — Was ist denn in "der allgemeinen Verwirrung" jetzt noch "einzig vorschriftsgemäß"? Mit der etymologischen Schreibung (#10237) ist's hier im *Welt*-Schreibgebrauch jedenfalls nicht weit her.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.07.2009 um 05.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#14791

Auf der Suche nach weiteren Möglichkeiten, Geld für irgendwelche Studien auszugeben, ist die EU darauf verfallen, das Alter der Lehrer in der Gemeinschaft zu vergleichen. Die deutschen Lehrer sind besonders alt, daher auch schlecht, denn die jungen Lehrer wenden moderne Unterrichtsmethoden an, nicht wahr?
Ich werde jetzt das Geheimnis der Überalterung lüften – als erster, soviel ich sehe: Sie kommt daher, daß vor längerer Zeit sehr viele junge Lehrer eingestellt wurden. Sollte man diesen Fehler heute wiederholen, wie die EU-Studie empfiehlt, dann haben wir in 30 Jahren wieder ganz viele alte Lehrer.
Eine Möglichkeit wäre, keine jungen Lehrer einzustellen, dann können sie auch nicht alt werden. Oder man stellt sie befristet ein und entläßt sie, wenn sie vierzig sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.12.2009 um 12.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#15441

Um die von Bertelsmann unterstützten "Laptopklassen" ist es etwas still geworden. Schon vor sechs Jahren hatten Vertreter des Projekts Bedenken, ob der "Neuigkeits- und Neugierigkeitseffekt" das Interesse der Schüler lange genug wachhalten würde. Die Kinder sitzen ja zu Hause sowieso dauernd am PC. Außerdem fehlte ein pädagogisches Konzept, das Medium ging wieder mal voran. Dann kamen auch noch deprimierende Meldungen aus den USA, so daß ein gewisser Begründungsnotstand aufkam.

Aus neuerer Zeit stammt diese Beteuerung der "Medienberatung Laptopklassen":

"Zahlreiche Untersuchungen und Erfahrungsberichte zeigen, dass das Lernen in Laptopklassen nicht nur die Medienkompetenz deutlich steigert, sondern auch die Leistungen in den übrigen Fächern signifikant verbessert.
Mobiles Lernen bedeutet nicht, dass der Computerraum nun Beine bekommen hat. Es bedeutet, dass das Lernen und Lehren eine vollkommen neue Dimension erreicht.“

"Vollkommen neue Dimension"? Das klingt geradezu kosmisch und weckt wieder mal Erwartungen, die niemand erfüllen kann. Mit schwerem Kater ist zu rechnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2010 um 16.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#16492

Die Lehrerin kommt von einer Fortbildung zurück und berichtet, in der Schülerbeurteilung werde künftig nicht mehr stehen "stört den Unterricht durch Schwätzen", sondern "ist dialogorientiert".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2011 um 17.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#19779

Eine Professorin für pädagogische Psychologie rät Eltern im FOCUS, ihre lernunwilligen schulpflichtigen Kinder durch die Aussicht auf Belohnung zu motivieren. Kommt mir irgendwie bekannt vor.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2012 um 09.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#20878

Meine alte Schule in Kassel (wir feiern demnächst das 50jährige Abiturjubiläum, die Klasse hält immer noch zusammen) habe ich insgesamt in angenehmer Erinnerung. Wie ich heute auf der Homepage sehe, ist die Anstalt von der pädagogischen Pest befallen wie alle anderen:

Selbstwirksamkeit
 
Wir setzen uns als Schulgemeinschaft dafür ein, auf eine Stärkung des Selbstvertrauens der Schülerinnen und Schüler hinzuwirken.

Wir verstehen „Selbstwirksamkeit“ als Grundlage der Schülerinnen und Schüler dafür, „auf Grund bisheriger Erfahrungen auf ihre Fähigkeiten und verfügbare Mittel vertrauen zu können und davon ausgehen zu können, ein bestimmtes Ziel auch durch Überwindung von Hindernissen am Ende tatsächlich erreichen zu können.“  Selbstwirksamkeit ist demnach die „Überzeugung, dass man in einer bestimmten Situation die angemessene Leistung erbringen kann. Dieses Gefühl einer Person bezüglich ihrer Fähigkeit beeinflusst ihre Wahrnehmung, ihre Motivation und ihre Leistungen auf vielerlei Weise.“
(http://lehrerfortbildung-bw.de/akaprojekte/archiv2005/symposium/ws6/index.html; entnommen am 27.10.2010)

(http://ass-kassel.webnode.com/selbstwirksamkeit/)

Für so einfache Dinge genügt früher ein Wort, und es war so überflüssig, daß man davon überhaupt nicht redete. Der Lehrplan für ein Fach und Schuljahr umfaßte eine DIN-A4-Seite und nicht ein ganzes Handbuch wie heute. Man beachte auch das linkische Deutsch! Der Link führt zu einer schulpsychologischen Beratungsstelle:

Selbstwirksam zu sein heisst, auf Grund bisheriger Erfahrungen auf seine Fähigkeiten und verfügbare Mittel vertrauen zu können und davon ausgehen zu können, ein bestimmtes Ziel auch durch Überwindung von Hindernissen am Ende tatsächlich erreichen zu können. Kurz: man muss an die grundsätzliche Machbarkeit einer Sache glauben und daran, dass man sie selbst ins Werk setzen und vollenden kann. Selbstwirksamkeitserwartungen gründen sich auf die internale Zuschreibung bisheriger Erfolge und Mißerfolge.

(Auch orthographisch bemerkenswert.)

Leider gibt es niemanden, der diesen Quark bloßstellt, im Gegenteil, die Schulen schlabbern das Zeug auch noch gierig auf.
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 14.06.2012 um 10.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#20879

Passend zur Selbstwirksamkeit ist auch das, was vor einiger Zeit in SWR2 von einem Erziehungswissenschaftler geäußert wurde:

...müssen wir den Kindern auch Selbstgenügsamkeitskompetenzen vermitteln.

Die gute alte Bescheidenheit tut es offenbar nicht mehr, sie war wohl zu lange verpönt oder sie ist zu banal oder auch beides. Beruhigend wenigstens, daß die Bescheidenheit offenbar eine Rehabilitierung als Erziehungsziel erfährt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.07.2012 um 12.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#21055

Aus einem Gespräch John Brockmans ("Edge") mit dem Mathematiker Reuben Hersh:

Here's an anecdote. I teach a class, which I invented myself, called Problem Solving for High School and Junior High School Teachers and Future Teachers. The idea is to get them into problem solving, having fun at it, feeling confident at it, in the hope that when they become teachers they will impart some of that to their class. The students had assignments; they were supposed to work on something and then come talk about it in class. One day I called for volunteers. No volunteers. I waited. Waited. Then, feeling very brave, I went to the back of the room and sat down and said nothing. For a while. And another while. Then a student went to the blackboard, and then another one.
It turned out to be a very good class. The key was that I was willing to shut up. The easy thing, which I had done hundreds of times, would have been to say, "Okay, I'll show it to you." That's perhaps the biggest difficulty for most, nearly all, teachers-not to talk so much. Be quiet. Don't think the world's coming to an end if there's silence for two or three minutes.

Ein deutscher Studienreferendar mit einer solchen Lehrprobe wäre schon durchgefallen. Eine Lehrprobe muß heute wie ein gut einstudiertes Theaterstück ablaufen, ohne die kleinste Irritation oder Abweichung vom Entwurf, der mindestens 18 Seiten umfaßt (gegenüber einer Seite vor 60 Jahren). Ich habe Dutzende von Lehrproben samt anschließender mehr oder weniger schwachsinniger Besprechung beobachtet. Die Ausbilder glauben zu wissen oder tun jedenfalls so, als glaubten sie zu wissen, wie man erfolgreich unterrichtet. Das Gegenteil ist empirisch bewiesen, aber der Betrieb kümmert sich nicht darum.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.09.2012 um 08.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#21598

Stimmt es, dass Sie Nutella nach Afghanistan geschickt haben?
Ja, zwei Tonnen nach Masar-e-Scharif. Nutella hat es gesponsort. Der General hat mir einen langen Brief geschrieben, darin steht, dass die Soldaten sich wahnsinnig gefreut haben. Für die ist Nutella ein Stück Heimat.

(Til Schweiger im Interview mit dem „Stern“: Til Schweiger bringt Nutella nach Afghanistan)

Also hat Ferrero Nutella nach Afghanistan geschickt und sich zur Unterstützung dieses Werbe-Gags in gewohnter Weise eines Prominenten bedient (für den, wenn er schon kein Geld dafür bekommen hat, sicher einige Packungen Kinderschokolade abfallen dürften).
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 28.09.2012 um 11.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#21600

Schon interessant, daß Nutella im Bewußtsein vieler Konsumenten etwas typisch Deutsches ist, obwohl das Produkt ursprünglich aus Italien kommt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.11.2012 um 16.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#21996

Für den Unterricht werden ja "Lesestrategien" empfohlen. Ich glaube nicht, daß einer der Lesestrategen selbst nach solchen Strategien liest. Lehrer unterrichten ja vieles, was sie selbst nicht können und sinnvollerweise auch nie tun würden.
Einer dieser Lesemeister schreibt:
Der vorliegende Text ist gestalterisch nicht besonders Verständnis fördernd gehalten.
(www.bildung-mv.de, PDF-Datei)
Ganz allerliebst.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.12.2012 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#22126

„Ob auf dem Schulweg, beim Arztbesuch oder mal eben zwischendurch zuhause – mit dem SchreibHero können Schüler jederzeit und überall Diktate üben und so ihre Rechtschreibung effektiv verbessern.“

(Quelle)

Ja, so sind sie, unsere Kids! Bei jeder Gelegenheit üben sie Diktate. Achten nicht auf den Verkehr, sondern starren gebannt aufs Display.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.06.2013 um 17.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#23406

Hans Blumenberg schrieb mal:

"Man kann die Entscheidung solcher Fragen wie dieser, ob der Mensch von Natur gut oder schlecht, durch seine Anlagen oder durch seine Umwelt bestimmt, der Faktor oder das Faktum der Geschichte sei, zwar wissenschaftlich, aber nicht praktisch aufschieben oder für sinnlos erklären. So steht jede Art von Pädagogik schon im praktischen Prozeß und kann auf die Zulieferung ihrer theoretischen Voraussetzungen nicht warten; sie wird daher gezwungen, aus dem Angebot theoretischer Verallgemeinerungen der Biologie, Psychologie, Soziologie und anderer Disziplinen Quasiresultate zu akzeptieren."

Das ist natürlich Unsinn. Man kann seine Kinder erziehen und Jugendliche bilden und ausbilden, ohne auf solche theoretischen Voraussetzungen angewiesen zu sein. In Wirklichkeit stimmt es allerdings, daß sogenannte Pädagogen (Universitätspädagogen) nach jeder wissenschaftlichen Entdeckung oder auch nur Mode schnappen und das dann unverdaut und unkritisch in ihre luftigen Theorien einbauen. Kaum hatten Neurologen sogenannte Spiegelneuronen entdeckt (um die es wieder etwas stiller geworden ist), entstand eine ganze Spiegelneuronenpädagogik usw.

Neulich wurde aus der Tatsache, daß sich im Hippocampus neue Nervenzellen bilden, die Folgerung gezogen, daß man auch in vorgerückten Jahren noch etwas lernen kann. Als ob das jemals unbekannt gewesen wäre!

Über die "Bedeutung der Hirnforschung für Deutsch als Fremdsprache" ist auch schon geschrieben worden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2013 um 12.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#23425

UNICEF und Kinderhilfswerk rufen die Schüler dazu auf, ihre Schule zu bewerten. Das Ergebnis soll im September zum Weltkindertag bekanntgegeben werden.

Die oberste Kategorie ist "Spaß". Auch die Qualität des Essens und die "Hygiene" sollen bewertet werden.

Nähme die Schule ihre Erziehungsaufgabe ernst, würden die Schüler sowohl ihr Essen selbst kochen (es gibt einige Schulküchen, immerhin) als auch die Toiletten sauberhalten. Alle Untersuchungen haben ergeben, daß an privaten Schulen das Inventar sehr viel schonender behandelt wird und die Toiletten sauberer sind als an öffentlichen.

Das "Schulzeugnis" bewertet den Service, auf den Kinder also einen Anspruch haben, wie ihnen suggeriert wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2013 um 04.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#23512

Was die Bundesbildungsministerin Wanka zum notwendigen Umbau von Lehrplänen sagt (s. Diskussionsforum), zeugt von umwerfender Unkenntnis. Die Abwertung des Faktenwissens zugunsten der "Zusammenhänge" hat ihrerseits schon einen unendlich langen Bart. Stehen wir etwa vor der Reformpädagogik von vor 100 Jahren?

Vielleicht erinnert sich mancher besonders an das Lernen der Jahreszahlen (Schlacht im Teutoburger Wald) und hat alles andere, das der Lehrer damals sagte, vergessen. Eine verständliche und verzeihliche Gedächtnisstörung.

Was soll der Quatsch mit den Klassikern von Goethe? In meiner Jugend war es schick, Goethe und Schiller aus dem Unterricht zu verbannen. Und arrogant war es auch: WIR kennen die Klassiker, aber unsere Kinder brauchen sie nicht zu kennen, den Höfling und den Moraltrompeter usw. Und heute? Werden unsere Deutschlehrpläne etwa von den Klassikern beherrscht?

Was den Geschichtsunterricht betrifft, so ist die Chronologie tatsächlich das Grundgerüst, und wir sind sehr froh, daß z. B. die Griechen und Römer wenig Zweifel lassen, wann etwas stattgefunden hat, im Gegensatz zu den Indern zum Beispiel.

Da ich von meinen Töchtern oft nach geschichtlichen Themen gefragt worden bin, mußte ich mir immer wieder klar machen, was ich selbst eigentlich vom Unterricht behalten habe (der mich leider nicht allzu sehr interessierte). Nicht so sehr Jahreszahlen, mehr einen allgemeinen Überblick und eine nicht ganz falsche Chronologie. Die Kriege und sogenannten "Schlachten" spielten eine zu große Rolle, und gestört hat mich schon als Schüler die schematische und auch ständig abgefragte Einteilung in "Ursache und Anlaß" der militärischen Ereignisse. Dadurch wurde der Eindruck erzeugt, daß Kriege eigentlich unausweichlich waren und nur auf den Funken warteten, die jemand ins Pulverfaß schmiß. Na ja, das ist auch eine Geschichtsphilosophie, und vielleicht ist sie ja richtig, wer kann das schon wissen? Früher sagte man: Staat A wurde zu mächtig, deshalb mußten Staat B und Staat C etwas tun usw., heute putzt man das Ganze wirtschaftsgeschichtlich, systemtheoretisch und strukturalistisch auf, es ist aber dasselbe, Schicksalsglaube eben.

Die Schüler sollen "Ereignisse der Weltgeschichte einordnen und bewerten können". Jürgen Kaube hat sich mit Recht lustig gemacht über das, was laut Lehrplan die Schüler alles können sollen (während die Lehrer und deren Professoren es nicht können, obwohl sie es sich einbilden). Dazu habe ich Junge Kanoniere verfaßt. Sollte es am Ende so sein, daß die Schüler heute zu wenig Faktenwissen mitbekommen? Fakten machen bescheiden, das Einordnen und Bewerten (!) erzeugt Dünkel.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.09.2013 um 05.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#24010

Weil gerade wieder von Ziffernnoten und vom Schwimmunterricht für Musliminnen die Rede ist ("Integration ist wichtiger als Religionsfreiheit"), sei mir unter den gelockerten Sitten auf meiner Ferieninsel etwas Anekdotisches nachgesehen: Als Gymnasiast war ich wohl etwas wunderlich. Zum Abitur gehörte auch ein "Schwimmabitur". Ich bin als fanatischer Nichtschwimmer gar nicht erst hingegangen. Wie ich später erfuhr, mußte eine Lehrerkonferenz darüber entscheiden, ob ich das Abiturzeugnis bekommen solle. Wegen der Einsen in anderen Fächern bekam ich es dann doch. (Mein Klassenlehrer nannte mich einen schlechten Schüler in Primusgestalt, das war wohl ein Zitat.)

Worauf ich aber hinauswill: Wir hatten in 13 Schuljahren kein einziges Mal Schwimmunterricht. Ebenso wurden wir bei den "Bundesjugendspielen" alljährlich in Disziplinen wie Kugelstoßen geprüft, obwohl wir im Sportunterricht niemals eine Kugel zur Hand genommen hatten. Ob die Schule überhaupt einen Satz Kugeln besaß? Wenn ich zurückdenke, ist es eigentlich kaum zu fassen. Schon damals fand ich es lächerlich, einen ganzen Tag mit Stoppuhr und Maßband hinter uns herzulaufen und skurrile Leistungen zu messen, auf die wir nicht vorbereitet worden waren. Die längste Zeit standen wir allerdings bloß rum.

(Übrigens: Rein körperlich hätte ich schon über eine Latte springen können, aber ich war ein philosophischer Kopf, und Philosophen springen nicht über Latten.)
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 12.09.2013 um 14.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#24012

Hoffen wir, daß aus all den Schulkindern, die heute nicht mehr auf der Stelle hüpfen können, ohne auf den Kopf zu fallen, lauter Philosophen werden.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 12.09.2013 um 18.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#24013

Bloß nicht!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2014 um 04.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#25970

Im Radio berichtet eine Reporterin über eine Schule, die – wie alle Schulen – besonders "innovativ" ist. Die Lehrer sind dort "Lernbegleiter", die Schülerinnen und Schüler arbeiten "eigenverantwortlich", bekommen "Feedback" von den Lernbegleitern usw.
Es ist also alles wie überall und schon immer, aber die Rhetorik läßt es als revolutionär neu erscheinen. Was nicht erwähnt wird: Es gibt gute und schlechte Lehrer, und so ist dann auch der Unterricht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2014 um 14.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26070

In den Wochenendausgaben der Zeitungen und in den großen Sonntagszeitungen waren zum Teil mehrseitige Berichte über den sinkenden Leistungsstand der Abiturienten bei gleichzeitigem inflationärem Vergeben von Bestnoten zu lesen. Beklagt wurde auch die nachlassende Lesefähigkeit nebst Schreibschwächen.
Anwärter aufs Ingenieursstudium können keine Gleichungen aus der 8. Klasse mehr lösen usw.
Wenn außer in Bayern und Sachsen die Eltern über den Besuch des Gymnasiums bestimmen, ist die Quote von 10 Prozent Abbrechern eigentlich noch niedrig.
Absolventen berichten, daß sie Aufgaben mit passablem Ergebnis lösen konnten, ohne die geringste Sachkenntnis anzuwenden, einfach aus dem Text der Aufgabe und dem Testdesign heraus. Von meinen Töchter weiß ich, daß die Kunst des Sichdurchmogelns oder zumindest -wurschtelns schon die halbe Miete ist. Sogar und erst recht in Mathe und Naturwissenschaften. Da wäre viel zu kommentieren, aber das ist nicht der richtige Ort. Ich glaube, die Fiktion der allgemeinen Hochschulreife wird sich selbst auflösen.

Bei der Mathe-Olympiade waren Bayerns Schüler wieder besonders erfolgreich. Unsere Medien drücken das so aus: Bayerische Schüler "sahnten ab" oder "räumten ab" - was einigen Leser mit Recht nicht gefällt. Schließlich geht es hier nicht um den Eurovision-Song-Contest. Als besondere Skurrilität wird eine Mittelstufen-Aufgabe zitiert. Zu wünschen wäre, daß die Zeitungen solche Aufgaben, die ja eigentlich jeder ihrer Leser irgendwann mal gekonnt haben sollte, zusammen mit den Lesern liebreich durchrechneten. Auch das Fernsehen könnte mit solchen Übungen regelmäßig zeigen, daß Mathematik keine Zauberei ist (um nichts Krasseres zu sagen). (Freilich - welches Redaktionsmitglied könnte es denn? Vielleicht der externe Fachidiot, der die Astronomische Vorschau betreut?)

Die Hauptmeldung vom Tage ist, daß der Rennfahrer Schumacher nicht mehr im Koma liegt; es folgt ein bißchen Irakkrieg, dann kommt die Fußball-WM.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 16.06.2014 um 15.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26071

Forscherin verzweifelt: Was Kinder heute alles NICHT mehr können, ist wirklich zum Heulen

www.huffingtonpost.de/2014/06/14/kinder-forschung_n_5494282.html
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 16.06.2014 um 18.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26073

Zu #26070: "Salvador da Bahia (dpa [16.6.]) - [...] Vor der Fahrt zur Arena Fonte Nova müssen die Spieler jedoch zunächst ihre Energiespeicher für die ungewohnte Anstoßzeit um 13.00 Uhr auffüllen. «Nicht jeder kann um neun Uhr morgens Nudeln essen», schilderte Abwehrchef Per Mertesacker den veränderten Tagesablauf." - Ja, ist es denn auch bei all den Sorgen "über den sinkenden Leistungsstand der Abiturienten bei gleichzeitigem inflationärem Vergeben von Bestnoten" nicht doch wichtiger zu wissen, daß sich das "Nationalteam [...] mit Nudeln für Portugal" stärkt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.06.2014 um 08.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26155

Das Spiel (der Kinder) ist ein Lieblingsthema für Pädagogen und Entwicklungspsychologen. Jeder zweite Lehramtskandidat läßt sich in Pädagogik zu diesem Thema prüfen. Es gibt kaum noch Lehrpläne und Didaktiken, die nicht immer wieder bekundeten, die Schüler sollten diese oder jene "Kompetenz" spielerisch erwerben. Damit scheint die Widrigkeit der Schule entschärft zu sein.

Die Kinder merken sehr bald, schon im Kindergarten, daß ihnen die Amtspersonen das Spiel wegnehmen wollen, um es ihnen dann in pädagogisch nutzbarer Form zurückzugeben. Diese dauerhafte Mißhandlung bleibt straflos. In der weiterführenden Schule spielt sie keine große Rolle mehr, weil das "Spielerische" nur noch auf dem Papier steht. Sie sollen zwar alles mögliche "spielerisch erkunden", aber natürlich kriegen sie dafür dann Noten oder Punkte.

Man sollte die akademische Pädagogik streichen, rein spielerisch natürlich.
 
 

Kommentar von B.Troffen, verfaßt am 26.06.2014 um 10.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26157

Die Fingerfertigkeit leidet? Aber der Daumen wird nun viel mehr gebraucht. Ich sah jetzt eine Jugendliche, die hatte einen auffällig langen Daumen (soweit ist das schon gekommen!) und bediente damit irre schnell und sicher die "Tastatur" auf dem Smartphone. Lebewesen passen sich stets den Anforderungen an, die das Leben nun mal stellt. Der Daumen war zwar schon lange wichtig, nun aber wird er noch wichtiger, die andern Finger etwas weniger. Allerdings wird jetzt die Spracherkennung immer beliebter, dadurch könnte der Effekt wieder konterkariert werden. Dann wird nuancierte, klare Sprache wieder wichtig! Und Text ist eh nur eine Krücke zum Übermitteln und Aufbewahren sprachlicher Äußerungen. In der Tendenz wird seine Notwendigkeit wegfallen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2014 um 10.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26709

Wenn ich es recht bedenke, wollen alle Bildungsessayisten, daß junge Menschen so werden wie sie selbst. Da überwiegend humanistisch Gebildete über solche Fragen schreiben, ist die Forderung nach humanistischer Bildung seit Jahrhunderten vorherrschend. Der ganze Bildungsbegriff ist also sprachlich-philologisch-historisch geprägt, früher und in gewissen Kreisen immer noch auch theologisch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.09.2014 um 11.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26861

Für die Schulen in Erlangen wird gerade ein "Kurswechsel" angekündigt. Da fährt einem der Schreck in die Glieder. Dann denkt man "welcher Kurs?" und beruhigt sich wieder. Je mehr es wechselt, desto mehr bleibt es dasselbe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.09.2014 um 10.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26879

Nach einem Bericht der WamS läßt sich aus den Strichmännchen von Vorschulkindern nicht nur die Entwicklungsstufe erkennen, sondern auch der künftige IQ voraussagen. Dabei wäre zu bedenken, ob nicht beide Male dasselbe gemessen wird. Was zu einem ordentlichen Kopffüßler gehört, ist ja nicht unabhängig von den späteren Intelligenztests.
Kinderzeichnungen sind auf jeden Fall interessant, schon weil die Kinder, wie leider wir Erwachsenen auch meistens, nicht das malen, was sie sehen, sondern das, was sie wissen. Oder vielmehr: sie sehen, was sie wissen, und das malen sie dann. Auch sprachlich interessant.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2014 um 08.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#27174

Auf jener Internetseite meiner alten Schule, die sich mit der "Selbstwirksamkeit" als Leitziel beschäftigt, erklären die manipulierten Schüler in Sprechblasen, was damit gemeint ist. Beispiel: "Ich bin Bedeutsam!" (Originalschreibweise) Das Ganze ist auch eine Art der Verwahrlosung, der Sprache, des Geschmacks, des Anstands.
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 28.10.2014 um 11.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#27175

Beispiel: "Ich bin Bedeutsam!" (Originalschreibweise)

Gemeint war sicher: "Ich. Bin. Bedeutsam. Tschaka!"
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2014 um 11.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#27176

Kein Schüler würde von sich aus so etwas von sich geben. Das haben Lehrerkonferenzen beschlossen, und zwar auch dann, wenn fast alle durchaus wußten, daß es Stuß ist; so läuft das eben, wenn vom Ministerium eine entsprechende Aufforderung ergangen ist.
Die Universitäten sollten ja auch einmal, wie berichtet, an ihrem Leitbild arbeiten. Das schlief ein, als die Nähe zu Scientology allzu deutlich wurde, aber inzwischen haben sie wohl alle ihr Leitbild.

"Ich bin bedeutsam" stammt aus – teilweise kirchlichen – Seelenmassage-Zirkeln, wie sie heute überall gedeihen. Letzten Endes dürfte es eine Anleihe aus den USA sein, denn "I am significant" ist dort schon längst ein Mantra. Säkularisiertes "Jesus liebt dich."

Dazu gehört auch "Du bist du, das ist der Clou" usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.01.2015 um 14.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#27805

Die Pädagogik hat gerade entdeckt, daß die Schüler sich nicht alle Kompetenzen selbst erarbeiten können. Deshalb sollte der Lehrer ihnen gelegentlich etwas beibringen. Das scheint aus Amerika zu stammen, denn es wird "Direct Teaching" genannt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.02.2015 um 09.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28017

Ganz nett ist dies hier:

http://www.focus.de/familie/videos/knobelaufgabe-aus-china-bringt-deutsche-ins-schwitzen-grundschule-in-china-schockt-schueler-mit-schweren-zulassungstests_id_3934843.html

Eigentlich mehr eine Scherzaufgabe. Kinder sind anders als Erwachsene nicht darauf vorbereitet, das Bildungsgesetz einer Zahlenfolge zu entdecken; ihr unbefangenes Herangehen macht ihnen die Lösung leicht. Natürlich müßte der Erwachsene auch mehr auf die Aufgabenstellung achten: Warum sollten Parklätze so geheimnisvoll numeriert werden? Es kommt also hinzu, daß wir aus langer Erfahrung wissen, daß es bei Textaufgaben auf die Einkleidung nicht ankommt. Darum machen wir uns gleich über die Zahlen her.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.02.2015 um 11.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28018

Sehr schön, ich hätte das niemals rausgekriegt, jedenfalls nicht so, ich hätte vielleicht eine Zahl gefunden, die nach irgendeiner mehr oder weniger komplizierten Regel in diese Zahlenfolge paßt.

Ähnlich nett und genauso "leicht" ist auch diese Aufgabe aus irgendeiner alten Zeitung, das Bildungsgesetz für diese spezielle Folge der Zahlen 1 bis 99 zu finden:
8, 88, 38, 58, 98, 68, 78, 48, 28, 18, 80,
3, 30, 83, 33, 53, 93, 63, 73, 43, 23, 13,
1, 81, 31, 51, 91, 61, 71, 41, 21, 11,
5, 85, 35, 55, 95, 65, 75, 45, 25, 15, 50,
9, 89, 39, 59, 99, 69, 79, 49, 29, 19, 90,
6, 86, 36, 56, 96, 66, 76, 46, 26, 16, 60,
7, 87, 37, 57, 97, 67, 77, 47, 27, 17, 70,
4, 84, 34, 54, 94, 64, 74, 44, 24, 14, 40,
10,
20, 2, 82, 32, 52, 92, 62, 72, 42, 22, 12.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2015 um 11.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28028

Man sollte meinen, daß die Buchstabenschrift sehr viel leichter zu erlernen ist als beispielsweise die chinesische Morphem/Wortschrift. Um so erstaunter ist man, wenn man erfährt, daß die Schulkinder in der Antike – und noch viele Jahrhunderte später – mehrere Jahre brauchten, bis sie einigermaßen flüssig lesen und schreiben konnten. Das lag einerseits an der ungeschickten Darbietung des Alphabets und der ersten Übungen (mit dem Schwersten anfangend, seltenste griechische Wörter, deren Bedeutung wir manchmal bis heute nicht kennen usw.), dann an der unbegreiflich lange herrschenden Scriptio continua ohne Spatien und Satzzeichen (die Kinder verbrachten viel Zeit damit, die Wortgrenzen zu erkennen und zu markieren, wie wir aus Übungspapyri wissen), schließlich an der brutalen Prügelpädagogik der stets unausgebildeten Elementarschullehrer. „Paideia“ war nicht nur die rosig überglänzte Bildung unserer Neuhumanisten, sondern auch ein Synonym für „Strafe“.
Wie ist es heute? Die Pädagogik hat seit Comenius usw. doch Fortschritte gemacht. Was das Lesen betrifft: ich habe keine Vergleichszahlen zu Hand, aber ich kann mir vorstellen, daß die chinesischen Kinder in zartem Alter die scheinbar komplizierten Schriftzeichen doch recht schnell lernen und insgesamt nicht später flüssig lesen können als unsere.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.02.2015 um 14.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28054

Ich möchte noch die Auflösung des kleinen Sortierrätsels bringen, denn da ich geschrieben hatte, daß es "leicht" sei, traut sich sicher sowieso niemand zu fragen. Ich gebe auch zu, daß ich es selbst nicht rausgekriegt habe. Die Zahlen sind alphabetisch nach ihrem deutschen Namen geordnet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2015 um 05.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28087

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#28061 und
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#21598:

Angesichts der Nachrufe und Hymnen auf den verstorbenen Ferrero-Chef sei noch einmal daran erinnert, daß das Verfahren, Zuckerüberschüsse durch Kindermägen zu schleusen, immer wieder auch Sprachkritik und Prozesse hervorgerufen hat. Den Eltern wurde suggeriert, daß Nutella wertvolle Nährstoffe zuführe, Kinder-Schokolade (Milchpulver, Zucker, Fett) gar wichtiges Kalzium usw. Ein bekannter deutscher Sprachwissenschaftler hat dazu einmal ein Gutachten verfaßt.
In der Cafeteria der hiesigen Universitätsbibliothek wurden eine Zeitlang auch Überraschungseier verkauft, und man konnte täglich erwachsene Angestellte beobachten, die ein solches zum Frühstück erwarben, nicht ohne vorher durch Schütteln in der Nähe des Ohres zu erkunden, welches Plastikspielzeug darin enthalten sein könnte. So hat die Firma mit ihrer genialen Idee zur Schärfung der Sinne beigetragen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2015 um 16.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28134

Wieder einmal wird angeregt (von Herrn Spork natürlich), die Kinder morgens später in die Schule zu schicken, weil die biologische Uhr usw., Sie wissen schon...
Es gibt Früh- und Spätaufsteher und viel dazwischen. Weil die Frühaufsteher in der Schule einen unverdienten Vorteil genießen, sollten Klausuren, so einer der Schlafforscher, um der Gerechtigkeit willen grundsätzlich am frühen Nachmittag geschrieben werden, weil sich bis dahin der Vorteil der Lerchen ausgeglichen habe. Nach dem Essen, am frühen Nachmittag, sind fast alle Menschen am Tiefpunkt ihrer Leistungsfähigkeit, so daß weltweit – auch nach japanischem Vorbild – sogar für Arbeiter und Angestellte ein kurzer Schlaf empfohlen wird. Genau dann sollen also die Klausuren geschrieben werden. Sie werden folglich schlecht ausfallen, aber eben alle gleich schlecht, und damit ist dem höchsten Ziel der Bildungspolitik Genüge getan.
Gestern stand in derselben FAZ, daß die Teenager heute erheblich weniger schlafen als vor einigen Jahren, besonders Kinder aus "Familien mit niedrigem soziökonomischen Niveau" (ein unverschämter Euphemismus für ärmere Leute). Biologische Uhr hin oder her – es scheint noch andere Ursachen für die Müdigkeit vieler Kinder am Vormittag zu geben.
Der empfohlene Schlafzeitraum ab Mitternacht wäre unseren Eltern und Großeltern absurd vorgekommen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2015 um 18.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28178

Auf einigen muslimischen Websites wird mit Quellennachweisen dargelegt, daß auch Kinder keine Zeichnungen von Lebewesen anfertigen dürfen. Darauf sollen die Erzieher hinwirken. Es gibt auch Diskussionen darüber, ob das Zeichnen von beinahe augen- und mundlosen mangaähnlichen Bildern verboten ist. Manche meinen, schon die Absicht, etwas Lebendiges zu zeichnen, mag es noch so unvollständig geraten, sei verwerflich. Diese Lehrmeinung wird sich wohl durchsetzen, weil man dann auf jeden Fall nichts falsch machen kann.
 
 

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 23.02.2015 um 20.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28179

Wie verhält es sich eigentlich mit "muslimischen" Zoologiebüchern ?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2015 um 04.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28180

Wie ich sehe – und mir hätte denken können –, gibt es zu diesen Fragen eine Menge Literatur, auch Diskussion in Zeitungen und auf Websites.
An einigen islamischen Schulen in England und den Niederlanden wird weder Instrumentalmusik noch figürliches Zeichen unterrichtet. Evolution wird pflichtgemäß vorgestellt, aber als unrichtig aus islamischer Sicht. Das entnehme ich Dietrich Reetz (Hg.) Islam in Europa: Religiöses Leben heute.

Erfahrungsgemäß setzt sich die jeweils radikalste Position durch, schon aus Vorsicht, deshalb dürfte es auch bei uns zu einer Freistellung muslimischer Schüler von Kunst-, Musik- und Biologieunterricht kommen, wie teilweise schon vom Schulsport. Damit kann sich die Willkommenskultur aber kaum begnügen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2015 um 10.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28201

Während Frau Nahles dafür kämpft, daß auch Pausenräume (!) Tageslicht haben, stehen noch Tausende von Universitäts- und Schulgebäuden mit fensterlosen Unterrichtsräumen herum. Das galt einmal als sehr fortschrittlich, weil die Lernenden nicht durch Blicke nach draußen abgelenkt würden.
Ich erinnere mich noch an das neue Hörsaalgebäude in Marburg. Außer nur Glas und sonnenerhitzte Gänge, innen der fensterlose Block der Hörsäle: nackter Sichtbeton, Neonlampen, kalter Dunst aus der Klimaanlage. Drumrum ein sündhaftes teures und potzhäßliches Relief von Fritz Wotruba. Auch sonst ein preisgekrönter Bau. (Ob er noch steht? Ich werde ihn abreißen lassen, sobald ich Diktator von Deutschland bin.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.04.2015 um 05.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28518

Das Thema Rechtschreibreform wird geradezu auffällig vermieden, jetzt ist die Handschrift dran. Man spekuliert munter über deren wohltätige Wirkung, verglichen mit der Druckschrift oder gar dem teuflischen Tippen und Klicken. Die Aussagen über den Zusammenhang mit intellektuellen Leistungen spotten jeder testtheoretischen Grundbildung.
Wenn gejammert wird, die Schüler könnten nicht länger als 30 Minuten am Stück schreiben, ohne daß die Finger sich verkrampfen usw., dann muß man fragen, wann im Leben solche Leistungen nötig sind. Thomas Mann schrieb jeden Vormittag eineinhalb Seiten mit der Hand, und dazu brauchte er mehrere Stunden. Wenn jemand stundenlang am Stück mit der Hand schreibt, sollte man den Schulpsychologen konsultieren, wegen unbeherrschbarer Logorrhöe.

Übrigens: Fachleute vermuten, dass durch das Verwerfen der gerade gelernten Druckschrift und dem Erlernen der Schreibschrift die ausreichende Übung auf der Strecke bleibt. (FAZ 2.4.15)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.04.2015 um 04.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28617

Noch einmal zu den Kopffüßlern (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26879)

Das gestrige Google-Doodle zum Pony-Expreß zeigte ein dickes Pferd mit Streichholzbeinchen. Das erinnerte mich an die Strichmännchen der Kinder. Kleine Kinder interessieren sich nicht für Beine, und bei den ebenso gleichgültigen Armen kommen zuerst die Finger als Untergliederung in Betracht, Es ist kaum zu fassen, wie lange das so bleibt. Sind die Sprößlinge etwa blind oder doof? Natürlich nicht.
Unsere Mickymaus-Ästhetik hat die kindliche Bedeutungsperspektive verallgemeinert. Überall glotzen riesige Augen aus überdimensionalen Köpfen. Ergänzend kommt allerdings die Hervorhebung der sekundären Geschlechtsmerkmale hinzu.

Das Gegenteil sind die Griechen auf ihren Vasenbildern, wahrscheinlich von der Gymnastikkultur auf die mächtigen Schenkel aufmerksam gemacht. Nichts mehr von Kindchenschema.

Hypothese: Diese Verhältnisse könnten einen Niederschlag in der Sprache gefunden haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2015 um 06.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28652

Zum Verschwinden der Schreibschrift nun auch ein ziemlich oberflächlicher Artikel von Christian Füller in der FAS (19.4.15), dessen Titel schon alles sagt:

"Die Schreibschrift weicht dem großen Geld"
 
 

Kommentar von Theodor ickler, verfaßt am 19.04.2015 um 09.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28657

Ich führe kein Tagebuch, notiere aber meine Gedanken, früher handschriftlich, heute manchmal gleich in den PC, wenn er gerade läuft; andernfalls übertrage ich die Notizen später in entsprechende Dateien. Einer der Vorteile des Eintippens, die von den (wie sie selbst behaupten) Verehrern der Handschrift nie erwähnt werden, besteht darin, daß man in seinen Dateien automatisch suchen kann. Gewiß, da stehen noch die alten Zettelkästen, die ich nach und nach übertrage und dann wegwerfe (schon um Platz zu gewinnen), aber die elektronischen Dateien brauchen nicht einmal sorgfältig geordnet zu werden, und trotzdem finde ich Lesefrüchte und eigene Gedanken blitzschnell.
Ich habe wohl schon mal berichtet, daß ich manchmal etwas notiere und dann entdecke, daß ich es vor 40 oder gar 50 Jahren schon einmal notiert habe, und zwar fast mit denselben Worten. Natürlich habe ich mir den damaligen Wortlaut nicht gemerkt, sondern es ist so: Man legt sich ja unaufhörlich die Welt zurecht, indem man innerlich formuliert, was man denkt. Dadurch entstehen zahlreiche Ströme von Gedankenketten, die durch ständiges „Rehearsel“ auch sprachlich feste Formen annehmen, wie flüchtig auch immer.
Nicht daß man dieselben Gedanken für immer beibehielte. Schopenhauer mag im wesentlichen recht gehabt haben, daß man seine wichtigsten Gedanken als junger Mensch faßt und dann nur noch ausbaut und durch entsprechend gefilterte Belege stützt. Das könnte auch was Deprimierendes haben. Aber zum Beispiel habe ich, wie berichtet, als 18jähriger und noch etwas später, die Phänomenologie hochgehalten, trotz der exorbitanten Langweiligkeit der damals gelesenen Autoren (Nicolai Hartmann, Edmund Husserl u. a.). Heute halte ich das alles für den größten anzunehmenden Unsinn. Fortschritt ist also machbar. Tja, meine Ausarbeitungen aus der Jugendzeit, peinlich zu lesen. Hätte gar nicht gedacht, daß ich mal so naiv sein konnte. Man muß aber auch lernen, mit sich selbst nachsichtig zu sein, sich seiner Fehler nicht zu schämen, gerade wenn sie moralisch nicht vorwerfbar sind (aber auch da ist einiges zu tun). Wir sehen ja auch den Kindern in ihrer kleinen Welt mit Rührung zu und schämen uns nicht fremd ob ihrer Naivität. Warum nicht auch unserem früheren Ich, das „durch nichts gehemmt, herüberglitt aus einem kleinen Kind“?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.04.2015 um 07.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28679

Es ist sicher nicht sinnvoll, um den Computer herum, weil es ihn nun mal gibt, eine Didaktik aller möglichen Fächer aufzubauen oder wieder mal an der Ersetzung der Lehrer durch den Automaten zu arbeiten. Dagegen ist die Beschäftigung mit Hard- und Software selbst unbedingt nützlich. Man braucht den Kindern nicht beizubringen, was sie heutzutage sowieso alle schon wissen und können. Auf absehbare Zeit nötig scheint mir das Maschinenschreiben (uns seinerzeit leider vorenthalten). Dann die Nutzung von Textverarbeitungsprogrammen (die meisten Menschen nutzen nur einen kleinen Teil). Aber das sind ja bloß die Niederungen.
Nachdem ich gerade einen Webdesign-Kurs absolviert habe, bin ich wieder mal entzückt von der strengen Logik. Na, ich muß noch dran arbeiten, das ist mir klar, aber schon der Einstieg in HTML und CSS hat mich überzeugt, daß man hier zur Analyse und Lösung von Problemen erzogen werden kann.
Die meisten hier werden nachsichtig lächeln, oder? Ich weiß nicht einmal, wie verbreitet das alles ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2015 um 07.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28728

Arme Leute geben ihren Säuglingen und Kleinkindern Smartphones und Tablets, um sie ruhigzustellen, Bessergestellte können sich erlauben, mit ihnen auf den Spielplatz zu gehen. „Doch auch dieses Modell wurde auf dem amerikanischen Pädiater-Kongress hinterfragt. Während 75 Prozent der gemeinsamen Zeit auf dem Spielplatz seien die Eltern abgelenkt gewesen – durch Gespräche, aber in demselben Ausmaß auch durch Blicke aufs Smartphone. Genau in diesen Momenten gingen die Kinder besondere Risiken ein, liefen die Rutsche hinauf oder sprangen von der Schaukel.“ (FAZ 29.4.15)
Ich habe auch gesündigt, nämlich in den vielen tausend Stunden auf dem Spielplatz Bücher gelesen. Währenddessen liefen meine Töchter die Rutsche hinauf oder sprangen von der Schaukel. Ich hatte nie die Absicht, auf dem Spielplatz mit meinen Kindern zu spielen (das habe ich zu Hause getan), sondern wollte ihnen das Spielen mit anderen Kindern ermöglichen, dazu auch harmlose Erfahrungen mit der Schwerkraft. Spielplätze sind eigens so angelegt, daß die Eltern „abgelenkt“ sein können und sogar sollten. Die Amerikaner waren schon immer besonders fortschrittlich, was Produktsicherheit betrifft. Andererseits, aber eigentlich aus demselben Sicherheitsbedürfnis, statten sie ihre Säuglinge mit Schußwaffen aus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2015 um 08.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29150

„Solche Apps können Dinge, Eindrücke, Klänge bieten, die es sonst nicht gibt, und bieten ein Wissen, das in seiner Breite auch den Horizont gebildeter Eltern übersteigt.“ (Leseforscher Sven Nickel über neue Technik und Software für Kinder, FAZ 15.6.15)

Hier scheiden sich die Geister. Ich selbst bin der Meinung, daß die gewöhnliche Welt innerhalb und außerhalb der Wohnung jedem Kind mehr als genug Stoff zum Lernen bietet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.06.2015 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29211

Unsere Erlanger Stadtpolitiker sind beunruhigt, weil eine Befragung ergeben hat, daß sich Jugendliche lieber bei sich zu Hause treffen als in einem der organisierten und betreuten Jugendtreffs.

"Ins Stutzen gerieten die Stadträte und beratenden Ausschussmitglieder bei den Antworten zu den Fragen, womit sich die Jugendlichen in ihrer Freizeit am liebsten beschäftigen beziehungsweise wo sie sich im Freundeskreis am liebsten treffen. Denn hier schnitten die betreuten, offenen Treffs am schlechtesten ab. 85 Prozent der Jugendlichen gaben sogar an, dass sie derartige Einrichtungen nie besuchen."

Daraus wird naturgemäß gefolgert, daß mehr solche Jugendtreffs gebaut werden müssen. Dafür wird schon Platz freigeräumt.

Wo kämen wir hin, wenn die jungen Menschen ihre Freizeit unbetreut verbrächten?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2015 um 11.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29340

Erst dachte ich, "Kompetenzgeschwurbel" sei ein origineller Ausdruck für den Wortschwall, der sich über das öffentliche Schulwesen ergießt, dann sah ich, daß er längst allgemein verbreitet ist. Gut so! So wird sich hoffentlich auch das Gendern erledigen, an der eigenen Lächerlichkeit erstickt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2015 um 09.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29612

Die Kindergartenpflicht für Drei- bis Sechsjährige, "um auch bildungsferne Schichten zu erreichen", ist nur noch eine Frage der Zeit bzw. der Finanzierung. Daß es auch Schichten gibt, für die der Kindergarten eine bildungsferne Institution ist, kann man übergehen. Ein Jurist wird sich finden, der darlegt, daß der Staat auch hier typisieren dürfe.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.08.2015 um 11.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29613

Es gibt sicher auch gute Gründe gegen eine Kindergartenpflicht. Aber nachdem ich Buschkowsky (Die andere Gesellschaft) gelesen habe, halte ich die allgemeine Kindergartenpflicht auch für den einzigen Weg, Parallelgesellschaften zu verhindern und der sich anbahnenden Katastrophe einigermaßen Herr zu werden.
Man sollte m. E. das Kindergeld völlig abschaffen, statt dessen ausschließlich Sachleistungen anbieten (z. B. kostenlose Bildung vom Kindergarten bis zur Uni, kostenlose Mahlzeiten wenigstens in Kindergärten und Schulen), dazu steuerliche Erleichterungen für die Eltern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2015 um 12.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29614

Immerhin ist es ein schwerer Eingriff in Grundrechte, den Eltern ihre Kinder zu entziehen, und sogar die allgemeine Schulpflicht ist umstritten ("home-schooling"). Der abstrakte Zweck, Parallelgesellschaften zu verhindern (wird er durch diese Maßnahme überhaupt erreicht?), geht mir doch sehr gegen den Strich, weil meine Kinder und ich als bloße Mittel gebraucht werden. Ich sehe das Problem und teile Ihre Besorgnis, aber da sollte man sich was anderes überlegen. Auch kann man den Familienlastenausgleich nicht nur deshalb umstellen, weil man glaubt, daß die Ärmeren (und die Ausländer) das Geld doch nur versaufen.
Viele Familien von Ausländern sind nicht durchweg auf "unsere Werte" gegründet, aber in ihrer Art groß und intakt und insofern auch stabilisierend, während ich eine ganze Reihe deutsche Kleinfamilien im Zustand starker Desintegration kenne, um es einmal vorsichtig auszudrücken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2015 um 03.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29632

Allmählich setzt sich durch Abschreiben und wechselseitiges Zitieren die Meinung fest, heutige Schüler schrieben zwar weniger, aber dafür origineller, und insofern bestehe kein Anlaß zur Sorge usw. – Das geht ja bloß auf jene Studie von Wolfgang Steinig zurück, die aber in keiner Weise als repräsentativ und zuverlässig gelten kann. Auch verbreitet ist die Beteuerung Rudolf Hobergs, Schüleraufsätze seien heute länger und wortreicher als früher. Wie schön! (Und wie blöd!)
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 06.08.2015 um 20.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29638

Wer heute etwas zu einem Thema schreiben soll, dem steht eine Unzahl von Vorlagen aus dem Internet zur Verfügung. Diese Möglichkeit dürfte einen starken Anteil an der angeblich höheren Kreativität und Originalität "zeitgemäßer Schreiber" haben.

Der Nachteil: wer's übertreibt, den kann's seinen Doktortitel kosten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2015 um 11.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29716

Wenn in Zukunft alle Kindergärtnerinnen einen Hochschulabschluß haben müssen, kann man die Kinder wirklich nicht mehr den eigenen Eltern überlassen, die ja meistens keinen haben oder nicht den richtigen. Man erlaubt den Eltern ja auch nicht, ihre Kinder selbst zu impfen oder an den Mandeln zu operieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2015 um 11.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#29718

„In Sachsen-Anhalt werden 58 Prozent aller unter Dreijährigen betreut.“ (spiegel.de 14.8.15)

Der traurige Rest kümmert zu Hause dahin.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.11.2015 um 06.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#30421

In der Lehrerausbildung lernt man vom ersten Tage an, daß es auf wechselnde Unterrichtsformen ankomme. Die Aufmerksamkeitsspanne der Schüler wird als gering angesetzt, mit abnehmender Tendenz. Der Lehrer als Animationskünstler muß sich ständig etwas Neues einfallen lassen (es gibt Handbücher dazu).

Mag sein. Aber es ist doch ein merkwürdiger Gegensatz zur Fähigkeit der Kinder, sich außerhalb der Schule stundenlang mit ein und derselben Sache zu beschäftigen. Im Berufsleben braucht man diese Fähigkeit auch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2015 um 05.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#30478

Der brave Deutsche sitzt nicht einfach mit einem Buch auf der Couch, sondern mit einem "guten Buch". Eine verblüffend häufige Kollokation. Der pädagogische Zeigefinger, die Kampagne gegen Schmutz und Schund, ist verinnerlicht.

Erst die elektronischen Medien werden dem ein Ende bereiten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2016 um 04.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#31434

Eine Untersuchung, die sich vergeblich bemüht, den herausragenden Schulerfolg (sogar in Deutsch) von vietnamesischen Zuwanderern zu erklären, wird in der FAS (24.1.16) referiert. Sie räumen selbst ein, daß der Begriff „distanziert-autoritärer Erziehungsstil“ irgendwie nicht zu passen scheint. Er ist in der Tat ganz aus westlicher Sicht konzipiert. Nach meinem Eindruck von vietnamesischen Kindern und Eltern (z. B. vom Klavierunterricht her) kümmern sich die Eltern einfach mehr um die Kinder und überhaupt jeder um jeden. Die Kinder wirken nicht gegängelt oder eingeschüchtert; Leistung scheint selbstverständlich zu sein (aber „Leistung“ ist vielleicht auch schon zu kulturspezifisch). Die Familien bleiben verhältnismäßig stark unter sich, aber das trifft auf andere Subkulturen auch zu, die weniger erfolgreich sind. (Subkultur, Nichtintegration kann also auch Vorteile haben.) Das sind bloß meine Eindrücke.
Ob etwas anstrengend und „stressig“ ist, hängt meiner Ansicht nach nicht von der Sache selbst ab, sondern von lauter Umgebungsfaktoren, die den Maßstab setzen. Das ist auch mein Kommentar zum Lamento über die Überfüllung der Lehrpläne usw.; es ist objektiv nicht zu begründen, nur sind manche Dinge heute nicht mehr selbstverständlich. Man bedenke auch, wie leicht das bloße Überleben seit Krieg und Nachkriegszeit geworden ist.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.02.2016 um 18.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#31534

Es ist das große Verdienst des Aufklärungszeitalters, daß die bis dahin nur mit Worten beschriebenen Gesetze der Arabischen Algebra in kurze mathematische Formeln gebracht wurden, die sprachunabhängig sind. Seitdem können sich Mathematiker, Physiker usw. bei ihren Berechnungen sprachunabhängig in Formelzeichen austauschen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.02.2016 um 09.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#31566

Vielleicht sollte man sagen, daß die Formalisierung ein Stückchen weitergetrieben wurde. Ob es die größte Leistung der Aufklärung war, ist Ansichtssache.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2016 um 11.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#31711

Der alte Grundsatz, das Falsche gar nicht erst zu präsentieren, auch nicht im Kontrast zum Richtigen, ist wohlbegründet, aber nur im Bereich des Konventionellen und Willkürlichen (oder dessen, was dem Lernenden so erscheint) und das ganzen unverbundenen Quiz-Wissens. Dazu gehört das meiste von Sprache und Orthographie. Was man dagegen wirklich verstanden hat, zum Beispiel aufgrund von Naturgesetzen, kann durch ein Spiel mit dem Falschen nur noch mehr gefestigt werden.
Wenn ich zum Beispiel weiß (und man kann es ja mit eigenen Augen erleben), daß die Venus der nächste innere Planet ist, braucht man sich ihre jeweilige Stellung am Abend- und Morgenhimmel nicht zu merken, erst recht nicht mit einer Eselsbrücke wie bei den Mondphasen. Oder nehmen wir die Auslenkung von Luft- und Meeresströmungen durch die Coriolis-Kraft. (Ähnlich argumentiert Martin Wagenschein.)
In sprachlichen Dingen hilft die Sprachgeschichte, z. B. die Lautgesetze.
Natürlich möchte man den Bereich des Begreiflichen möglichst ausdehnen. Richard Dawkins ist ein genialer Vermittler von solchen Erweiterungen. Aber wir brauchen uns nicht wie Esel vorzukommen, wenn wir Eselsbrücken benutzen, denn es gibt immer noch genug, was "auch anders sein könnte", wie Aristoteles es schlicht ausdrückte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.03.2016 um 16.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#32028

Vor vielen Jahren habe ich mir bei Martin Wagenschein einen Satz notiert, der auch auf Computer paßt, obwohl er noch nicht darauf gemünzt war:

„Belehrungsgeräte strahlen nicht Wahrheiten aus, sondern Absichten.“ (Martin Wagenschein: Naturphänomene sehen und verstehen. Stuttgart 1980:45)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.05.2016 um 09.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#32614

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28087

Die "(Kinder)-Milchschnitte" ist als "Zwischenmahlzeit" immer noch sehr beliebt. Nach einer versteckten Preiserhöhung (28 statt 35 g bei gleichem Preis) versorgt jedes Täfelchen ein durchschnittliches Kind immer noch mit einem guten Zehntel des Tagesbedarfs an Kalorien, und zwar in der ungesündesten Form. Interessant ist der Hinweis auf die "frische Vollmilch", die 40 % ausmachen soll. Jede Milch ist, wenn sie aus dem Euter kommt, frische Vollmilch. Insofern ist die Angabe auf den hochverarbeiteten Süßigkeiten wertlos. (Der Zusammenhang mit der "ehemaligen DDR" und dem "verstorbenen Foucault" braucht nicht hervorgehoben zu werden.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.08.2016 um 08.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#33205

Wolfgang Klafki ist gestorben. Die Todesanzeige der Universität Marburg sagt, er habe „mit seiner Kategorialen Bildung Bleibendes geschaffen“. (30.8.16)
Seine „didaktische Analyse“, mit der wir als Referendare noch gequält wurden, obwohl sie für den Unterricht keinerlei Nutzen hatte, war die riesenhafte Paraphrase eines naturalistischen Fehlschlusses. In der Geschichte der Pädagogik werden Klafkis Schlagworte noch erwähnt, aber sonst?
Der ziemlich kritiklose Eintrag bei Wikipedia gibt einen guten Überblick, wonach sich jeder selbst eine Meinung über Klafkis Leistung bilden kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2016 um 05.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#33326

Bekanntlich ist Rechtschreiben zur akademischen Schlüsselqualifikation aufgewertet worden. Früher verstand sie sich von selbst, oder man tat jedenfalls so.

Wir schreiben zwar immer weniger mit der Hand, aber es fällt doch auf, wie viele Schüler und auch Studenten den Schreibstift so verkehrt und verkrampft halten, als hätten sie nie gelernt, wie man es richtig macht. Vielleicht trägt der Kugelschreiber dazu bei, denn mit der Feder sind solche Verrenkungen weniger leicht möglich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2016 um 09.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#33660

Heike Schmoll beklagt mit Recht das unbedachte Gerede von "Digitalisierung" und warnt davor, Informatik in die Schulen zu drücken, wo doch schon die Vermittlung von Lesen und Schreiben immer schwieriger werde. Auch Frühunterricht im Englischen sieht sie kritisch. (FAZ 27.10.16)

Man muß eines nicht gegen das andere ausspielen. Um die eigene Welt zu verstehen, war es immer wichtig, Hebelgesetze und andere grundlegende physikalisch-mechanische Zusammenhänge zu kennen. Dann kam die Chemie hinzu. Früher wußte man nichts von Zellen, geschweige denn von den elektrischen und chemischen Vorgängen in den Nerven. Das sollte heute Alltagswissen sein. Aber auch unsere Werkzeuge und Geräte lassen sich nicht mehr mechanisch verstehen, die digitale Technik ist allgegenwärtig. Kleinkinder fingern auf Handys herum, aber die wenigsten gelangen je dazu, auch nur annähernd zu verstehen, was da eigentlich vor sich geht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.11.2016 um 07.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#33972

Die FAZ macht sich über die strenge Schulordnung der Main/Taunus International School lustig. Das ist wohlfeil, ich will auch die Einzelheiten nicht diskutieren. Aber wenn man bedenkt, daß die Schüler auf ein "internationales" Auftreten vorbereitet werden, scheinen die Benimmregeln, die aus dieser Sicht geradezu minimalistisch anmuten, nicht abwegig und keineswegs "wilhelminisch". Was wir als "zwangloses Verhalten" (ebd.) ansehen, ist in vielen Ländern der Welt einfach flegelhaft und absolut disqualifizierend. Es wird ja auch niemand gezwungen, ausgerechnet diese an Montessori und Dewey ausgerichtete Schule zu besuchen.
Ich habe Schulen in anderen Ländern gesehen, wo die Schüler aus deutscher Sicht geradezu überirdisch diszipliniert und dabei durchaus heiter und zufrieden wirkten (vielleicht gerade deshalb?). Meiner Ansicht nach sind Privatschulen, die sich nicht an die staatlich geförderte "Zwanglosigkeit" halten müssen, die Schulen der Zukunft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.12.2016 um 19.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34099

Zum Streit um die Berliner Abiturnoten: Josef Kraus hat recht. Vor vielen Jahren bestand eine mir sehr gut bekannte Person das externe Abitur in Bayern nicht, legte es daraufhin im damals roten Hessen mit Glanz und Gloria ab und nahm ein Studium an der Münchner LMU auf. Ein solcher Tourismus war nicht unüblich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2016 um 07.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34148

Zur Weihnachtszeit möchte ich fragen, ob die Tannenbaum-Illusion schon irgendwo behandelt ist. Ich meine: Es müßte doch auffallen, daß schematische Zeichnungen (wie man sie auch bei Youtube lernen kann) fast immer den Tannenbaum als ein Gewächs zeigen, bei dem die Äste schräg nach unten hängen. In Wirkichkeit stehen sie ja schräg nach oben. Unter "Google Bilder" kann man beides nebeneinander sehen. Die Kinder sehen von klein auf die Weihnachtsbäume und die obligatorische Blautanne auf dem Rasen vorm Haus (wenn sie schon nie in den Wald gehen), und doch nehmen sie nicht wahr, sondern zeichnen wie der Maler Klecksel, was sie zu wissen glauben.
Ich weiß, daß die Äste unter der Last des Schnees manchmal nach unten gebogen werden ("Papa, was ist Schnee?"), und kann mir auch vorstellen, wie die Illusion zustande gekommen ist, aber der Vergleich ist doch immer wieder zum Staunen.

Vergleichbar sind die Zacken der Sterne, ein wenig auch die Strahlen der Sonne, die man auf einen Abbildungsfehler des Auges zurückführen kann. Sterne kann man eigentlich gar nicht malen, weil sie zwar vergleichsweise hell sind, dabei aber doch nur Punkte (je schärfer, desto punktförmiger); also muß man ihnen eine gewisse Fläche einräumen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.12.2016 um 20.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34152

Auf Tannenbaumzeichnungen, die einzelne Äste zeigen, sind diese immer von der Mitte ausgehend schräg nach oben dargestellt.
Das andere sind abstrakte Zeichnungen, die nicht einzelne Äste, sondern den Baumumriß zeigen.

Das abstrakteste Bild eines Tannenbaumes ist ein auf der Grundlinie stehendes, gleichschenkliges Dreieck. Die beiden Schenkel verlaufen von der Spitze in der Mitte aus schräg nach unten. Das bedeutet aber keine nach unten hängenden Äste, sondern daß der gesamte Baum von oben nach unten breiter wird.

Will man ein kleines bißchen realistischer, aber immer noch sehr abstrakt zeichnen, dann setzt man den Baum aus mehreren ähnlichen Dreiecken zusammen, die von oben nach unten größer werden. Die Außenlinien werden dabei manchmal noch abgerundet. Wieder bedeuten die schräg nach außen und unten verlaufenden Linien nicht einzelne Äste, sondern sind ein sehr abstraktes Bild des Baumumrisses. Anders läßt sich solch ein sehr vereinfachtes Bild gar nicht zeichnen.

Es handelt sich also nicht um fälschlich schräg nach unten wachsend gezeichnete oder von der Schneelast nach unten gedrückte Äste (obwohl man die Illusion natürlich für so einen Effekt ausnutzen kann), sondern es geht vorrangig darum, einen Tannenbaum mit wenigen Strichen ganz abstrakt im Umriß darzustellen. Die Astrichtung ist auf solchen Bildern gar nicht eingezeichnet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.12.2016 um 04.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34154

Sie erklären sehr schön die Entstehung der Illusion aus dem pyramiden- oder besser pagodenhaften Aufbau der Nadelbäume, aber es bleibt trotzdem ein großer Unterschied, auch wenn man nicht die einzelnen Äste, sondern nur die "Stockwerke" vergleicht. Ich verweise noch einmal auf die Bilder; natürlich zählen hier nicht die realistischen Zeichnungen nach der Natur. Sehen Sie sich auch Kinderzeichnungen an (https://de.pinterest.com/pin/75787206208905154/).
Wir haben gerade ein frisches Bäumchen auf der Terrasse: keine Spur von "Dreiecken"!
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.12.2016 um 11.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34160

Wirklich keine Spur? Wenn Sie eine dünne Decke über das Bäumchen werfen, kommt sicher annähernd ein Kegel heraus, von der Seite gesehen also schon mal das erste Dreieck.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 23.12.2016 um 14.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34161

Es ist nicht nur eine Illusion, sondern auch ein Schönheitsideal im Spiel.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.12.2016 um 15.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34162

Ich habe mir heute im Vorbeiradeln verschiedene Nadelbäume angesehen. Ältere Bäume sehen so aus. In der Plantage meines Weihnachtsbaum-Lieferanten sieht es so aus.
Machen wir uns nichts vor: es ist ein weiter Weg zu übereinandergestapelten Dreiecken. Daß die Bäume sich nach oben verjüngen, ist nicht zu bestreiten.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.12.2016 um 17.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34163

Wenn ich die Karikatur eines bekannten Politikers in der Zeitung sehe, denke ich manchmal, wenn der wirklich genau so aussähe, könnte er sich eigentlich nur noch erschießen. Selbstverständlich sieht er nicht so aus! Aber wie auch immer, seltsame Massenpsychose, jeder, der das Bild sieht, erkennt sofort, wer gemeint ist. Es gibt bestimmte charakteristische Züge, die ein Gesicht ausmachen, die einer, der nicht den Blick dafür hat, niemals herausfinden würde, die aber selbst bei irrer Übertreibung, wenn es gekonnt gemacht wird, die Wiedererkennbarkeit gewährleisten.

Genauso reichen manchmal einfache geometrische Formen, um komplizierte Gegenstände anzudeuten.
Wie kommt es denn, daß ich nur ein grünes Dreieck oder auch drei übereinander malen muß, darunter vielleicht noch ein kleines, braunes Rechteck als Stamm, und jedes Kind sagt sofort, das ist ein Tannenbaum? Da muß doch über einen zugegebenermaßen sehr weiten Weg, aber eben noch gut erkennbar, eine ganz charakteristische Ähnlichkeit bestehen.

Man versuche einmal, das gleiche abstrakte Bild mit anderen, ebenso einfachen geometrischen Figuren (vielleicht Dreiecken mit der Spitze nach unten bzw. mehreren nach oben hin kleiner werdenden Trapezen, deren Seiten schräg nach außen, oben zeigen?) zu zeichnen. Das sieht aber nach alles anderem als nach einem Tannenbaum aus. Es geht halt so abstrakt, wenn man nur die Umrisse zeichnet, gar nicht anders.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.12.2016 um 17.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34164

Dies ist auch recht interessant. Man sieht deutlich, daß die gezeichneten Bäume viel "dreieckiger" sind als die fotografierten.

Vielleicht sehen die Kinder jahrelang nur Bilder und lernen erst spät oder nie, wirkliche Bäume genau zu betrachten. (Man sieht ja oft die Bäume vor lauter Wald nicht.) Eine gewisse Rolle könnte auch die Micky-Maus-Ästhetik spielen, meiner Ansicht nach ziemlich schädlich (wahrnehmungsverzerrend, abstumpfend).

Ich war auf der Suche nach Baumbildern von anderen Völkern, Indianern usw.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 23.12.2016 um 20.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34165

Der Weg vom Tannenbaum zum Dreieck bzw. Dreieckstapel ist eigentlich nicht weit. Die Form bietet sich bei der geometrischen Vereinfachung nachdrücklich an. Die Frage, warum die „Äste“ nach unten hängend und nicht nach oben weisend dargestellt werden, ist natürlich berechtigt, sie ist aber leicht zu beantworten; stapelt man die Dreiecke nämlich mit der Spitze nach unten, ergibt sich auch keine Baumspitze. Zur Micky-Maus-Ästhetik: Wenn Carl Barks' großartige Enten schon wahrnehmungsverzerrend, abstumpfend und somit schädlich sind – was ist dann erst von Picasso zu halten?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.12.2016 um 04.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34166

Picasso ist zwar sehr bekannt, aber doch esoterisch im Vergleich mit der Massenkultur der Comics. Es gibt Kinder "mit Zeichentalent", die sich früh die Micky-Maus-Technik angeeignet haben und dafür bestaunt werden. Aber ich will nicht darauf herumreiten, und das mit der Schädlichkeit entspringt meinem persönlichen Verdruß über das Grelle und sollte kein allgemeingültiges Urteil sein. Der "Schaden" ist ja auch nicht größer als bei jener Sonne mit Strahlen und Gesicht, zu der die Kinder angehalten werden.
Der Weg vom Tannenbaum zum Dreieckstapel muß erklärt werden, und gewiß ging es dabei mit natürlichen Dingen zu. Wie man Dreiecke stapeln muß, um das Schema herauszubekommen, ist nicht das Problem. Mir geht es um das Eigenleben der Dreiecke; sie haben sich verselbständigt und werden durch Hinsehen nicht korrigiert (weil man nicht hinsieht oder nur noch das Schema in die Natur hineinsieht). Das Tannenbaumschema ist ein senkrechter Strich mit fischgrätenartig nach unten weisenden Seitensprossen. Sowohl die Gräten als auch die gestapelten Dreiecke sind "abgezeichnet" – von anderen Bildern, nicht von den Bäumen selbst. Bei den Kopffüßlern malender Kleinkinder ist es anders. Auch dabei folgt der Stift nicht dem Blick, sondern es mischt sich eine "Bedeutungsperspektive" ein, also wie beim jungen Maler Klecksel, spontan und universell.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.12.2016 um 11.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34170

Die fischgrätenartig nach unten weisenden Seitensprossen sind aber nicht die Äste, sondern die oberen Umrißlinien der Dreiecke, die die "Etagen" andeuten. Innerhalb dieser Dreiecksetagen können die Äste durchaus nach oben zeigen, wenn man sie einzeichnen würde.

Oft werden auch diese fischgrätenartigen Umrißlinien, zunächst nur Hilfslinien, tatsächlich benutzt, um daraus unter Verwendung weiterer Details herabhängende, z. B. schneebelastete Äste zu machen, was ja auch nicht unrealistisch ist, sondern ein Spezialfall. Dies hat aber nichts damit zu tun, daß das Grundmuster von gestapelten Dreiecken bzw. Fischgräten zunächst nur Umrisse und keine Äste, insbesondere keine herabhängenden, zeigt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2017 um 07.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34226

Im Schulwesen ist der Föderalismus zu begrüßen und wäre noch besser, wenn im Wettbewerb nicht das Prinzip der Selektion willkürlich ausgeschaltet wäre, vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34099

Im Polizeiwesen sehe ich keinen Vorteil durch Föderalismus, im Gegenteil.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.01.2017 um 12.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34273

Ein Vorschulkind kann in der logopädischen Praxis keine Anlaute identifizieren; man könnte es für zurückgeblieben halten. Durch die Logopädin aufmerksam gemacht, entdeckt es die Anlaute und produziert mit großer Freude eine Menge von Wörtern mit gleichem Anlaut usw.; Sprachspiele lassen es aufblühen. Ein anderes Kind scheut sich, Unsinnswörter zu erfinden, weil es von zuhause sehr auf sprachliche Richtigkeit hin erzogen wurde. Es muß Spiel und Spaß erst lernen; aber dann geht es richtig los. Natürlich gleichen sich solche Unterschiede später aus (Schule), aber ob nicht doch etwas bleibt?

Entdeckungen als Folge einer Umlenkung der Aufmerksamkeit hat es auch in der Menschheitsgeschichte gegeben (auch vermeintliche wie nach der phänomenologischen Umkehr der „Blickrichtung“, wo es dann doch nichts zu entdecken gab). Die Sprache liegt jedermann vollständig vor Augen und Ohren, man braucht bis auf gewisse Spezialzweige keine Instrumente und keine weißen Kittel. Aber manche Völkerschaften haben ihre Aufmerksamkeit entweder überhaupt nicht auf die Sprache gerichtet oder nur auf magische oder musikalische Wirkungen oder sonst etwas. Die Inder sind von ihren Sonderinteressen am Veda zu einer ganz bestimmten Sprachwissenschaft geleitet worden, aufbauend auf der Phonetik. Ganz anders die Griechen, denen ihre logische Gymnastik („Dialektik“) die Syllogistik und Sprechaktklassifikation nahelegte, so daß sie vom Aufbau des Satzes aus Subjekt und Prädikat ausgingen, die eigentliche Grammatik aber, wie der Name sagt, durch den Schreibunterricht hinzukam.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.01.2017 um 06.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34336

Die Erstklässler beugen sich eifrig über die Tablets vor ihnen. Emmanuel zieht mit dem Finger ein paar Augen an die richtige Stelle in einem leeren Gesicht.
"Wir lernen die Körperteile. Den Kopf, die Schultern, die Knie und Zehen."
Der Siebenjährige ist mit Feuereifer bei der Sache. In Sekundenschnelle ist der digitale Körper auf dem Bildschirm komplett. Lehrer Asairas Kagacha lässt den Rest der Klasse für die Schnellsten applaudieren.
(Deutschlandfunk 8.9.16 über Computer an Schulen in Kenia)

Allerdings haben die Kinder auch selber Körperteile, an denen man etwas lernen könnte, aber das wäre zu billig. Kritiker meinen, etwas zu essen wäre auch nicht schlecht.

Das Kindische der Übung erinnert mich an manche PowerPoint-Darbietung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.01.2017 um 04.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34363

Leerformeln aus Lehrplänen
von Jürgen Kaube

Viertausend Kompetenzen, hat man gezählt, sollen Schüler an Schweizer Schulen erwerben, wenn es nach den dortigen Lehrplänen geht. Hierzulande sind es nicht weniger. Etwa 300 fanden wir allein schon bei einer ersten Stichprobe in einem Lehrplan für Grundschüler der Klasse vier. Nach Heimat- und Sachkundestunden etwa „zeigen sie Achtsamkeit für andere und Ich-Stärke, indem sie sich mit Schönheitsidealen auseinandersetzen und auf ihr eigenes Wohlbefinden sowie gesunde Ernährung achten. Sie beschreiben die Entwicklung des Menschen und erklären Veränderungen, die in der Pubertät auf sie zukommen.“ Respekt, Neunjährige erklären, was selbst ihren Eltern und überhaupt unerklärlich ist: Pubertät.
Außerdem setzen sie sich „mit der Pflege der Kulturlandschaft“ auseinander und „bewerten die Folgen der Technisierung der Warenherstellung, indem sie die handwerkliche Fertigung mit der Massenproduktion vergleichen“. In Deutsch machen sie sich „die Wirkungen von Medien und ihrer eigenen Mediennutzung bewusst“, in Werken zeigen sie „Wertschätzung gegenüber anderen Kulturen“, in Religion „entdecken sie die befreiende Botschaft der Bibel“, und in Ethik „verstehen sie sich als eigenständige Individuen“.
Eltern wird spätestens jetzt verständlich, warum die Kleinen nachmittags mitunter so erschöpft sind. Die Schule, ließ Bildungsministerin Wanka (CDU) gerade wissen, müsse „die Kompetenz vermitteln, kritisch mit Informationen aus dem Internet umzugehen“.
Noch besser wäre es aber, wenn den Schülern vermittelt würde, kritisch mit Leerformeln, Angeberei und Redensarten aus Bildungsministerien und den ihnen angeschlossenen pädagogischen Bürokratien umzugehen. Eine Schule, die zur Einsicht befähigte, dass sie nicht wegen, sondern trotz ihrer Lehrpläne funktioniert, hätte den Beweis, dass sie funktioniert, schon geliefert.
(FAZ 19.1.17)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.02.2017 um 08.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34604

Peter Härtling hat einen Roman für Kinder geschrieben:

"Djadi, Flüchtlingsjunge"

Dazu erscheint fast gleichzeitig im selben Verlag:

"Djadi, Flüchtlingsjunge" im Unterricht: Lehrerhandreichung zum Kinderroman von Peter Härtling (Klassenstufe 3–5, mit Kopiervorlagen)

Dasselbe bei anderen Büchern. Das erleichtert dem Lehrer die Arbeit und sorgt dafür, daß alle Schüler das gleiche lernen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2017 um 12.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34664

Beim Ausmisten fiel mir Christine Nöstlingers Kinderroman "Das Austauschkind" in die Hände, laut Impressum eine auf die Rechtschreibreform umgestellte Neuauflage von 1995 (?) bei Beltz. Also ss, ganz Recht haben und sehr Leid tun. Dazu möglichst viele neue Worttrennungen.

Das Buch war Pflichtlektüre einer Tochter und so offenbar in sehr vielen Schulen. Während bei Amazon die Rezensionen der Erwachsenen fast durchweg positiv klingen, fallen die der leidtragenden Schüler ganz anders aus. Die meisten halten es für zu einfältig ("kindisch"), weil sie mit Recht annehmen, es etwa im Alter des Protagonisten lesen zu müssen, und wohl auch wirklich mußten. Auch die Konstruiertheit der arg schematischen Geschichte fällt den Kindern eher auf als den Eltern.

Fragt sich wieder, warum man Schülern keine guten Bücher gibt, sondern immer wieder gutgemeinte Massenware.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.03.2017 um 07.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34732

Ob die Klagen der Mathematiker über den "kompetenzorientierten" Unterricht (http://www.tagesspiegel.de/downloads/19549926/1/offener-brief.pdf) berechtigt sind, kann ich als Fachfremder nicht beurteilen.

Schüler müssen den mathematischen Kern aus Textaufgaben erst herauspräparieren? Das war schon immer so und hat auch seinen Sinn, auch wenn es den reinen Mathematiker nicht befriedigt.

Abiturienten haben den Mittelstufenstoff vergessen? Wenn sie ihn jahrelang nicht anwenden, ist das unvermeidlich. Die Mathematik sollte eigentlich unser tägliches Brot sein, dann wird sie auch nicht vergessen. Von keinem berufstätigen Erwachsenen wird erwartet, daß er Feinheiten von zehn anderen Berufen im Kopf hat. Die mathematischen Künste junger Leute stehen meist isoliert neben allem anderen, was sie auch noch abfragbar beherrschen sollen. Diese Perspektive ist den Verfassern des Offenen Briefes anscheinend fremd.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.05.2017 um 04.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35024

Nachdem ich anderswo beiläufig Stifters "Abdias" erwähnt hatte, wollte ich doch einmal wissen, wie es sich damit im heutigen Deutschunterricht verhält, und fand dies:

Hallo an alle!

ich muss eine Analyse von Adalbert Stifters Werk Abdias schreiben und herausfinden, ob nun Abdias dem literarischen Antisemitismus zuzuordnen ist oder nicht. Wie könnte ich meine Arbeit aufbauen? Irgendwelche Ideen?

Danke


Das Internet wimmelt von solchen Hilferufen. Sie sind Teil eines "hidden curriculum", einer pädagogischen Unterwelt, von der die Lehrer nichts zu wissen vorgeben (obwohl sie selbst mitspielen, wenn sie sich auf einer etwas anderen Ebene mit Unterrichtshilfen versorgen und selbst welche produzieren).

Es hat etwas Trostloses. Warum liest man überhaupt den ollen Stifter? "Fragen an die Geschichte" hieß ein weitverbreitetes Unterrichtswerk. Man zieht die Vergangenheit vor den Richtstuhl der über alles erhabenen Gegenwart. So wird sich doch eine Möglichkeit finden, Stifter ans Bein zu pinkeln?

Wird der Lehrer auch ein Wort darüber verlieren, was Stifter mit der deutschen Sprache gemacht hat? Bemerkt er selbst es überhaupt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2017 um 03.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35143

Auf der Suche nach Wahlkampfthemen ist Martin Schulz nun auf die Bildungspolitik gestoßen, will Deutschland zum Bildungsweltmeister machen usw.
Er jongliert mit Zahlen (Prozent vom BIP), aber erstens ist deren Erhebung mit großen Unsicherheiten behaftet, und zweitens kann man sehr viel Geld für Bildung (Reformen, Laptopklassen, Inklusion) ausgeben, ohne die Bildung selbst zu verbessern. Auf anderen Gebieten würden man von "Tonnenideologie" sprechen. Das liegt natürlich daran, daß man auf fachfremden Gebieten nicht viel Gehaltvolles vorbringen kann. Und wenn doch, dann ist es Ländersache oder wird auch von der Gegenseite vertreten. Auch damit ist also kein Blumentopf zu gewinnen, wie man so schön sagt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2017 um 19.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35300

Hessen will jetzt auch einen Grundwortschatz für den Rechtschreibunterricht der ersten vier Jahre einführen. Gleich protestiert jemand gegen die "Bevormundung" der Lehrer – als wenn nicht jeder Lehrplan die Lehrer bevormundete.
Bald werden sich auch die schlauen Leute melden, die höhnisch verkünden, hessische Schüler sollten mit 850 Wörtern durchs Leben kommen.

Bezeichnend ist, wie der hessische Rundfunk berichtet:

Dass sich der Entwurf (am) bayerischen Vorbild orientiert, ist kein Zufall. Bayern war im bundesweiten Ländervergleich des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen im Jahr 2011 der Streber im Fach Deutsch. Hessen landete damals nur im Mittelfeld. (hessenschau.de 7.6.17)

Wenn jemand am besten abgeschnitten hat, muß er ein "Streber" sein. Das ist die natürliche Ansicht aller Hinterbänkler. So wird das nichts.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2017 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35301

Der Entwurf enthält übrigens den Infinitiv möchten, wahrscheinlich ein Versehen.
Entbehrlich scheinen mir quaken, Teddy; aber man braucht über Einzelheiten nicht zu streiten.

Vgl. übrigens schon
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=701#9755
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=701#9758
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2017 um 04.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35880

Gespräch zwischen Wolfgang Steinig und Hans Brügelmann, nicht besonders interessant:

http://www.deutschlandfunk.de/lernmethode-schreiben-nach-gehoer-schreibenlernen-kann.680.de.html?dram:article_id=392585
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2017 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35912

Die FAS widmet ihren Titel dem verdammenswerten "Schreiben nach Gehör", eine Nachzüglerdiskussion ohne Interesse, wie alle pädagogischen "Methoden"-Streitigkeiten: Anlauttabellen, Grundwortschatz ...

Ich habe drei Kindern das Lesen und Schreiben beigebracht, bevor sie in die Schule kamen. Nach welcher "Methode"? Keine Ahnung. Es gibt ja eine alte Weisheit: Wer von der Sache nichts versteht, redet über die Methode.

Man sollte erfolgreiche Grundschullehrerinnen berichten lassen, wie sie es gemacht haben und welche Schwierigkeiten sie mit heutigen Kindern, Eltern und Schulbehörden hatten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2017 um 04.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35984

Die "Kompetenzorientierung" ist eine weitere Maske der rhetorischen oder "formalen" Bildung. Auch die Kritik daran bleibt dieselbe. Im 18. Jahrhundert prägte Ernesti den Begriff der "Schuldummheit" (stupor paedagogicus), der für Herder schon "beinahe zum Sprichworte" geworden war. Paulsen berichtet davon in seiner Geschichte des gelehrten Unterrichts.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2017 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35986

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35143

Für die Rüstungsausgaben sollen x Prozent des BIP ausdrücklich nicht gelten, nur bei den Bildungsausgaben wird damit operiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2017 um 05.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#35987

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34336

(und zu "Geschäftliches"):

Die Virtualisierung (Entstofflichung) des Unterrichts zugunsten von Abbildungen statt der Dinge selbst widerspricht sämtlichen Erkenntnissen der Lernpsychologie, aber die wirtschaftlichen Interessen sind stärker. Milliarden werden in eine pädagogische Sackgasse geleitet. Wenn die Computer als Unterrichtsmedium nichts bringen, dann braucht man eben mehr davon und modernere ... Willfährige Mediendidaktiker sind stets zur Stelle.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2017 um 04.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36063

Wenn es Phonem-Graphem-Korrespondenzen gibt, dann muß auch Schreiben nach Gehör bis zu einem gewissen Grade möglich und sogar die Grundlage der Orthographie sein. Allerdings nicht als phonetische Transkription; dazu ist das Alphabet nicht gedacht und nicht geeignet. Die amtliche Regelung beruht auf diesem Zusammenhang. Wer die "Methode Reichen" grundsätzlich verdammt, müßte sich entsprechend zur amtlichen Regelung (und allen früheren) äußern.
Wir bringen den Kindern bei, die Auslautverhärtung, die sie hören, nicht zu schreiben, sondern auf den Konsonanten in "verlängerten" Wortformen zu achten (also hinzuhören). Den Studenten bringen wir in phonetischen Übungen bei, die Auslautverhärtung, die sich nicht mehr schreiben und daher auch nicht mehr hören, wieder zu hören; gar nicht so einfach.
Die Großschreibung der Substantive hört man nicht, aber man hört das Artikelwort davor, es ist das Signal für Großschreibung: das Essen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.08.2017 um 07.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36096

Wenn ich diese Statistik (https://www.welt.de/wirtschaft/article168081217/Deutschland-verspielt-das-Potenzial-seiner-Kinder.html) richtig lese, haben Berlin, Bremen und NRW das beste Bildungssystem, Sachsen, Thüringen und Bayern das schlechteste (weniger Abschlüsse, weniger Doktoren-Ausstoß...).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.09.2017 um 05.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36284

Die deutsche Orthographie ist besonders einfach, wie auch Eisenberg meint.
Läßt man nach Gehör schreiben, erscheint ein Wort in Dutzenden von verschiedenen Schreibungen. Phonetische Schrift ist nicht am leichtesten, sondern besonders schwer, auch weil wir nicht phonetisch hören, sondern phonologisch und morphologisch.
Ähnlich ist es beim Zeichnen: Niemand zeichnet auf Anhieb, was sich auf der Netzhaut abbildet. Das muß der angehende Maler mit viel Mühe lernen. Perspektive ist überall spät aufgekommen, wenn überhaupt.
Wenn Wörter nicht einheitlich geschrieben werden, verstößt man gegen das erste und wichtigste Interesse des Lesers. Der Leser hat freilich die Reformer (wie auch den Großvater der Reform, Leo Weisgerber) nie interessiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.09.2017 um 05.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36383

"Legen Grundschullehrer, die sich von Schülern duzen lassen, weniger Wert auf Rechtschreibung (und aufs Lernen überhaupt)?"

Man muß hier unterscheiden. In der ersten Klasse läßt die Lehrerin oft noch zu, daß die Schüler sie duzen, weil sie das Siezen noch nicht gelernt haben.

Im übrigen: Ja, das ist sehr wahrscheinlich. In den 70er Jahren tauchten Universitätsdozenten auf, die im Schlabberpullover auf dem Tisch saßen und sich mit den Studenten duzten, die ihrerseits rauchten, strickten und futterten. Von solchen Leuten konnte man nichts lernen, es waren durchweg Nieten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.10.2017 um 06.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36404

Gestern war übrigens der "Tag der Legasthenie und Dyskalkulie".

Julius verzichtet auf diesen Nachteilsausgleich, obwohl er ihn in Anspruch nehmen könnte. Auf seinem Abiturzeugnis würde dies vermerkt, und den Makel möchte er sich gerne ersparen. (Neue Westfälische)

Das ist das Dilemma der Inklusion.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.10.2017 um 07.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36406

Wandertag. Die jüngsten Schüler trotten in Zweierreihen Hand in Hand durch die Anlagen, während die älteren zwar durch den Wald ziehen, aber nicht ohne ihre riesigen Kofferradios, aus denen die Popmusik dröhnt. Wanderschuhe und Rucksäcke sind out, man geht ja auch nicht sehr weit. Da waren wir doch andere Kerle, unsere Tagesausflüge wirken im Rückblick geradezu paramilitärisch. "Blasen an den Füßen" muß man den heutigen Jugendlichen erst erklären. (Besonders anstrengend war eine Nachtwanderung, nach der ich erst um 7 Uhr morgens wieder nach Hause kam. Das gibt es heute nur noch bei Jugendfreizeiten, z. B. von der Kirche.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2017 um 06.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36660

Die Rechtschreibleistungen (und andere Leistungen) der Grundschüler sind in Bayern und in Sachsen besonders gut. Bayern hat nur wenige Ganztagsschüler, Sachsen die meisten. Daran liegt es also nicht, wohl überhaupt weniger an der Schulorganisation.

(Das angeblich undurchlässige selektierende bayerische Schulwesen kann auch nicht verantwortlich sein, denn in die Grundschule gehen alle, und Ausländerkinder gibt es auch genug.)

NRW will auch einen Rechtschreib-Grundwortschatz einführen. Das allein wird nichts verbessern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2017 um 05.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36732

Zur Einübung der Modalverben kann man jenen Satz einführen, der vor 50 Jahren aus antiautoritären Kindergärten überliefert wurde:

Frau Meier, müssen wir heute wieder spielen, was wir wollen?

Fällt mir immer noch ein, wenn ich die Selbstdarstellung mancher Kitas studiere.

Beim Googeln bin ich überrascht, wie verbreitet der Satz – mit einigen Varianten – immer noch ist; man könnte ihn als Leitfossil einer ganzen Epoche der Pädagogik nutzen. Sogar das Verbot der Anwesenheitspflicht an den Universitäten, das jetzt vorsichtig zurückgenommen wird, gehört noch hierher. Als fortschrittlich deklarierte Arbeitsverweigerung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2017 um 07.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36736

Einige Parteien versuchen Punkte zu sammeln, indem sie ein staatliches Verbot der "Methode Reichen" fordern oder schon durchsetzen.
Abgesehen davon, daß der Rechtschreibunterricht in Wirklichkeit kaum so eindeutig einer bestimmten "Methode" folgen dürfte, halte ich solche Eingriffe für bedenklich. Warum schreibt man nicht wie gewohnt die Unterrichtsziele vor und überläßt den Weg den Pädagogen? In diesem Fall erkennt man zusätzlich, daß die Fordernden nicht genau genug wissen, wovon sie reden. Sonst müßten sie das erste Kapitel der amtlichen Neuregelung gleich mitverbieten, denn es handelt von Graphem-Phonem-Korrespondenzen, auf deutsch "Schreiben nach Gehör".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2017 um 11.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36798

– Nehmen wir ein Beispiel: Ein Kind macht sehr viele Fehler beim Schreiben. Wie macht man die Rechtschreibung interessant für dieses Kind?

Konzentrationsschwache Kinder machen oft viele Rechtschreibfehler. Für sie ist es einerlei, ob man Lied mit ie oder nur mit i schreibt – schliesslich versteht es jeder. Man kann dem Kind erklären, dass es Worte gibt, die den Leser verwirren, wenn sie nicht richtig geschrieben sind. Dass ein Text irgendwann nicht mehr verständlich ist.(...)

– Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass es für Kinder mit Konzentrationsschwierigkeiten wichtig sei, sich mit der universellen Lebenskraft zu verbinden. Das klingt ziemlich esoterisch.

Meiner Erfahrung nach brauchen Kinder mit Konzentrationsproblemen Kraft. Es gibt verschiedene mögliche Kraftspender: Sinn, Freude, ein strukturierter Alltag, Konsequenz – und die universelle Lebenskraft. Wenn man sich mit der Natur verbindet, etwa indem man einen Baum umarmt, oder wenn man an Gutes und Schönes denkt, dann kann man Kraft tanken.
(Schulpsychologe Frank Ruthenbeck. Der Landbote 27.10.17)

Eine „universelle Lebenskraft“ wird von vielen esoterischen Schulen angenommen. In der bekanntesten heißt sie „Reiki“. (Wenn es ein Wort dafür gibt, muß es doch auch die Sache geben...) Viele leben davon. Schule und Medien tun nichts dagegen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2017 um 16.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#36932

Gegen einen zu starken (und bequemen) Rückzug des Lehrers aus dem Unterrichtsgeschehen spricht eine Erfahrung, die Hermann Weimer so ausdrückt:

"Kinder flicken andern gern am Zeug, besonders wenn sie dadurch zeigen können, daß sie die Sache besser wissen. Die Klassenkritik birgt also die Gefahr in sich, daß die Schüler durch sie lernen, nur auf die Fehler anderer zu achten. Der zur Leistung berufene Kamerad aber sieht sich von einer lauernden Meute umgeben, die nur darauf wartet, das Erzeugnis seines Geistes unbarmherzig zerpflücken und zerzausen zu können." (Fehlerbehandlung und Fehlerbewertung. Leipzig 1926:18)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.11.2017 um 06.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37000

Die Westdeutsche Zeitung berichtet über Steinigs Untersuchungen zum Verfall von Rechtschreibleistung und Grundschulkultur: http://www.wz.de/home/politik/inland/grundschule-rechtschreibung-ist-schlechtschreibung-mit-system-1.2555104

Die Rechtschreibreform wird nicht erwähnt. Sie hat aber zumindest indirekt dazu beigetragen, den Verdruß der Lehrer und damit die Unlust zu verstärken, sich mit dem Gegenstand zu beschäftigen. Wenn Rechtschreibung als die jeweils "aktuelle" verstanden wird, scheint es wenig sinnvoll, sich genauer darauf einzulassen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.11.2017 um 07.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37026

Für viele Ausländerkinder wären Lehrer mit einer sonderpädagogischen Ausbildung sinnvoller als solche mit „Deutsch als Fremdsprache“ (das höchstens Zusatzfach sein sollte).

Gestern lief im Bayerischen Rundfunk eine Diskussion über Rechtschreibung in der Schule, mit Hans Brügelmann. Ich habe nur drei Minuten reingehört.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.12.2017 um 09.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37177

Beim Freddie, das Glühwürmchen getauften Produkt handelt es sich um ein Lernspielzeug in Gestalt eines Spielzeugtieres aus dem Hause Tomy. Überzeugt hat es die bisherigen Käufer vor allem durch sein anregungsreiches Spiel-, Greif- und Beißangebot. (https://www.testberichte.de/p/tomy-tests/lamaze-play-grow-freddie-das-gluehwuermchen-testbericht.html)

Jeder weiß im Grunde, daß Kinder kein "Lernspielzeug" brauchen. Pädagogisches Geraune kann darüber nicht hinwegtäuschen. Im Haushalt finden sich genügend Gegenstände, mit denen Kinder sich beschäftigen können. Die Enkelin (8 Monate) liebt unvorhergesehenerweise eine Plastikschüssel, mit der sie alles mögliche anstellt. Töpfe, Löffel, Holzrollen usw. warten darauf, erkundet zu werden. Später werden Bauklötze hinzukommen, das ist beinahe das einzige notwendige, ausdrücklich zum Spielen geschaffene Objekt, außer der Lieblingspuppe (Teddybär). Was sind dagegen Kunststoffgebilde, aus denen unverstandene Quietschtöne kommen usw.? Man braucht also eigentlich kein Geld auszugeben, aber das geht natürlich gar nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.12.2017 um 09.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37178

Nachschlag:

Wer ist überhaupt auf die Idee gekommen, daß die allgegenwärtigen Quietschtöne (Gummi-Entchen usw.) das Richtige für Kinder sind? Wahrscheinlich war in den Frühzeiten der Spielzeugherstellung technisch nichts anderes möglich. Ich erinnere mich noch, wie wir als Kinder den damals noch metallenen Tonerzeuger aus den Gummitieren herausoperierten.
Noch unangenehmer sind die quäkigen Menschenstimmen, mit denen man heute die Puppen usw. ausstattet. Das erfreut manchen minderbegabten erwachsenen Kunden, aber nicht das Kind über die ersten Minuten hinaus, und auch die Eltern werden es bald nicht mehr aushalten. (Und wohin mit der Knopfbatterie?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.12.2017 um 08.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37225

Wenn Kleinkinder mit weniger Spielzeugen in der Umgebung ausgestattet sind, können sie mit einem einzigen Spielzeug längere Zeit spielen. Dadurch können sie auch besser ihre Kreativität erforschen und spielen. Alleine in Großbritannien geben die Menschen jedes Jahr mehr als 3 Milliarden Pfund für Spielzeug aus. Umfragen haben außerdem ergeben, dass ein typisches Kind insgesamt 238 Spielzeuge besitzt. Eltern gehen meist davon aus, dass Kinder nur mit ihren 12 Lieblingsspielzeugen spielen.

Daß Kinder "ihre Kreativität erforschen", ist natürlich nur neumodischer Quark. Aber in der Sache stimmt es. Vor vielen Jahren wurde ich einmal in das Kinderzimmer einer Akademikerfamilie geführt. Auf Regalen ringsum saßen Hunderte von Teddybären und anderen Puppen sehr ordentlich aufgereiht wie in einem spezialisierten Spielwarenlager. Die kleine Bewohnerin spielte gar nicht, sondern saß depressiv herum.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2017 um 05.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37291

Noch ne Methode:
https://www.svz.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/lesen-lernen-mit-der-dicken-mitte-id18564276.html?print=1

Warum nicht? Die Schrift folgt vielen Gesichtspunkten gleichzeitig, man kann einen nach dem andern zum Ausgangspunkt einer "Methode" machen; jede ist erfolgreich. Verbieten, wie jetzt geschehen, sollten die Schulbehörden keine, solange die Ergebnisse stimmen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2017 um 14.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37301

Über die Misere des Politikunterrichts an Schulen:

Rein rechnerisch hat jeder Schüler pro Woche 20 Sekunden Zeit, um seine politische Position vorzutragen oder darüber zu diskutieren. (SPON 14.12.17)

Schon das ist zuviel. Die politischen Positionen der Schüler interessieren nicht, sie sollen was lernen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2017 um 05.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37304

Nach einer Wanderanekdote, die manchmal nach Frankreich, manchmal nach England (Eton) verlegt wird, soll ein Lehrer gesagt haben: "Es ist völlig egal, was die Schüler lernen – Hauptsache, sie hassen es."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2017 um 05.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37361

Gegen das Handyverbot an bayerischen Schulen wird natürlich auch polemisiert: "Steinzeitpädagogik" usw. Hauptargument der Eltern: Sie müßten für ihre Kinder jederzeit erreichbar sein und umgekehrt.

Wie jeder weiß, ist Unterricht unmöglich, wenn die Schüler Handys dabeihaben. Das gilt sogar für erwachsene Migranten in Deutschkursen. Es ist heute schon schwer genug, überhaupt ein Minimum an Ruhe und Disziplin im Unterricht herzustellen; die Hälfte der Lehrer zerbricht daran. Der Zeitgeist arbeitet gegen sie, und so wird es wohl nicht wie in Frankreich zu einem allgemeinen Verbot kommen. Dazu sind die Deutschen zu lasch, die Medienpädagogen zu einflußreich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2017 um 05.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37389

Die WELT feiert einen finnischen Lehrer, in dessen Unterricht "Bücher verpönt" sind; es wird nur noch "digital" gelernt.
Damit das auch in Deutschland möglich wird, will die SPD die Konkurrenz zwischen den Bundesländern beseitigen ("Aufhebung des Kooperationsverbots" zwischen Bund und Ländern ist das Schlagwort, das angeblich die Öffentlichkeit interessiert). Als wenn "WLAN in allen Schulen" nicht auch jetzt schon möglich wäre. Aber alles gleich zu machen (vgl. "Bürgerversicherung") ist nun mal die sozialdemokratische Interpretation von Gerechtigkeit, wird auch als Vorbedingung für Koalitionsverhandlungen öffentlich verkündet, was ja taktisch nicht gerade klug scheint. Schulzens Drohung mit den "Vereinigten Staaten von Europa" gehört auch hierher.

Ich kenne Lehrer, die einen interessanten naturwissenschaftlichen Unterricht z. B. mit Hilfe solcher Bücher machen:

Hervé This-Benckhard: Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst. Naturwissenschaftlich erklärt. München: Piper 2016 (2001)

Nicht-reformierte Rechtschreibung (im Gegensatz zu Werner Grubers Buch „Die Genussformel“, das aber auch gut sein soll).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.01.2018 um 06.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37579

„Gehören Computer schon in den Kindergarten?“ Lisa Becker (wer sonst?) begründet im Wirtschaftsteil der FAZ (wo sonst?), daß digitale Medien im Kindergarten „mit Anleitung sinnvoll genutzt werden“ können, z. B. wenn „mit einem W-Lan-Mikroskop eine Pfütze untersucht wird“. (Das erinnert an die afrikanischen Kinder, denen auf dem Bildschirm so schwer erreichbare Objekte wie Augen, Mund und Nase präsentiert werden, damit sie endlich deren Namen lernen.) „Noch bevor Kinder lesen und schreiben können, sind sie in der Lage, für sie spannende Internetseiten zu finden.“ Das darf man sich doch nicht entgehen lassen. Medienpädagogische Unterstützung wird natürlich auch zitiert, man ist ja nicht unkritisch. Typisches Zitat: „Bis vor kurzem galt für die Mediennutzung die 3-6-9-12-Faustregel: kein Bildschirm unter drei Jahren, keine eigene Spielkonsole unter sechs, kein Internet vor neun und kein unbeaufsichtigtes Internet vor zwölf. Sie ist von der Entwicklung überholt worden.“ Jetzt sollen auch Kinder unter drei die „Bildschirmnutzung“ lernen. Die Entwicklung will es so, z. B. in Gestalt des Experten Philippe Wampfler.
Im Feuilleton mögen noch so gedankenreiche Artikel erscheinen, die Wirtschaft walzt alles nieder.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.01.2018 um 06.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37592

„Die Kinder nutzen die Schrift von Beginn an zur Kommunikation, zum Festhalten von Informationen und zum gedanklichen Austausch.“ (KMK)

Schön, wenn sie es tun, aber daraus folgt so wenig wie anderswo, daß Unterricht in der Anwendung aufgehen muß oder auch nur kann. Das Üben als eigenständige Phase ist der "kommunikativen" Sprachdidaktik ein Dorn im Auge, auch beim Fremdsprachenlernen.

Das Gegenteil hier: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1082#37591

Es gibt Klavierlehrwerke, die keine besonderen Fingerübungen vorsehen, sondern jede technische Einzelheit gleich an Stellen aus Originalkompositionen üben lassen ("Der gerade Weg"). Aber welchen Sinn hat es, die Werke zu Tode zu üben?

Gerade jenseits der frühen Kindheit sind z. B. phonetische Übungen nicht zu verachten, und für die Schrift gilt dasselbe. Den abgekürzten Königsweg gibt es nicht.

Die "Kognitivierung" der Linguistik durch Chomsky hat, wie schon erwähnt, dem Üben überhaupt keinen Platz mehr gelassen, weil sie Sprachbeherrschung als Regelwissen auffaßt und man Wissen entweder haben oder nicht haben, aber nicht üben kann. Dieser Irrtum hat sich mit der "pragmatischen" Wende getroffen und dem Üben den Garaus gemacht. An den Folgen laboriert die Schule immer noch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2018 um 04.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37839

Kinder sind niedlich, aber das heißt nicht, daß man sie mit lauter niedlichen Sachen versorgen muß; die Niedlichkeit liegt ja in unserem Auge, nicht dem des Kindes.

Zum Spielzeug noch eine Beobachtung: Früher war der Vater sprichwörtlich, der seinem Sohn eine elektrische Eisenbahn zu Weihnachten kaufte – um dann selbst damit zu spielen. Heute sieht man Väter mit Drohnen spielen, die sie angeblich ihren Söhnen geschenkt haben.

Jene Eisenbahnen wurden schnell langweilig, wogegen man sich durch Zukauf immer weiterer Teile wehren zu können meinte, natürlich vergeblich. Die funkgesteuerten Autos und nun Drohnen halten auch nicht lange vor.

Übrigens reine Männersache. Unsere Töchter haben nie den Wunsch nach technischem Spielzeug bekundet, und auf den Wiesen sieht man niemals Mädchen Drohnen steuern. Entsprechend auf dem schon lange bestehenden Modellfluggelände: Die Frauen gucken gelangweilt zu oder bleiben gleich ganz zu Hause und kochen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2018 um 15.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37946

Die Kieler Nachrichten schrieben kürzlich über eine Lehramtsstudentin, die an Legasthenie leidet, und sogleich äußerten Leser sich auffällig barsch über das dreiste Unterfangen, mit einer solchen Behinderung Kinder unterrichten zu wollen. ("Nix gegen die junge Dame persönlich, aber irgendwie macht mir das Angst, wenn ich mir vorstelle, dass Legastheniker die Schüler unterrichten.") Sie könne sich ja dann auch nur durchs Studium gemogelt haben usw.

Man könnte vieles zur Verteidigung sagen, würde aber wohl auf taube Ohren stoßen, weil die Leute lieber verurteilen, als sich kundig zu machen.

Über das Fachliche hinaus finde ich es pädagogisch wertvoll, einen Lehrer mit Handicap zu haben. Es gibt ja auch blinde Lehrer und solche im Rollstuhl. Sogar ein Mohr kann Lehrer werden, obwohl er so weiß nicht ist wie wir.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 26.02.2018 um 16.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37947

Nun wird der Blinde nicht ausgerechnet Kunst unterrichten, der Rollstuhlfahrer nicht ausgerechnet Sport. Vorbehalte gegen legasthenische Englischlehrer sind nicht unbedingt unberechtigt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.02.2018 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37949

Dazu fällt mir Bio-Müller ein, unser einarmiger Biologielehrer, Herr Müller. Unnachahmlich, wie er mit wehendem weißen Kittel ins Klassenzimmer kam und die Tür hinter ihm zuflog. Bio war nicht gerade mein Lieblingsfach, aber er verstand es, den Unterricht interessant zu machen. Alle hatten Respekt vor ihm. Ein sehr guter Lehrer. Er war mehrfach Sieger bei DDR-Meisterschaften im Behindertensport, und zwar im Schwimmen. Tragischerweise ertrank er 2002 beim Hochwasser in einem vollgelaufenen Keller. Der Wasserdruck war so groß, daß weder er von innen noch Helfer von außen die zugeschlagene Tür öffnen konnten.
Ja, in seinem Fall war das überhaupt kein Problem, er hätte außer Biologie sogar Sport unterrichten können. Auch ein Legastheniker könnte ein guter Sport- oder Musiklehrer sein, aber für Deutsch wäre er m. E. absolut ungeeignet.

Es ist so ähnlich wie mit der "Inklusion" von Schülern. Wenn man damit meint, körperlich behinderte Kinder zusammen mit nichtbehinderten zu unterrichten, ist das selbstverständlich grundsätzlich möglich. Aber man kann doch nicht stark geistig Behinderte zusammen mit nichtbehinderten unterrichten. Damit hindert man beide am effektiven Lernen. Ich verstehe nicht, wie man überhaupt auf so verquere Ideen kommen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2018 um 18.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37950

Ich hatte absichtlich den Begriff "Legasthenie" undifferenziert aus der Quelle übernommen, aber man muß natürlich hier unterscheiden, wie auch bei (anderen) Sprechstörungen. Ich kenne z. B. einen Mann, der als Schüler so etwas wie eine Dyskalkulie hatte, später aber die Ingenieurmathematik, die er im Beruf braucht, gut bewältigte. So gibt es ja auch viele, die es mit viel Übung zu normaler Lesefertigkeit bringen, aber leicht ermüden und nach 10 Seiten nichts mehr klar erkennen. Stottern geht meist mit hohem Leidensdruck einher und quält die Hörer vielleicht noch mehr. Aber es gibt Lehrer und Professoren mit diesem Defekt. Ich habe zu wenig Erfahrung, um mitreden zu können (auch zur Inklusion halte ich mich zurück), aber ein Lehrer, der eingestandenermaßen mit der Rechtschreibung Schwierigkeiten hat, sonst aber sehr anregend unterrichten kann, ist vielleicht ein Gewinn für Schüler. (Seht her, ich habe ein Problem, wie mancher von euch, aber ich komme zurecht.) So wichtig ist Rechtschreibung schließlich auch wieder nicht, und die Schüler sind dafür nicht auf diesen einen Lehrer angewiesen, der ab und zu was Falsches anschreibt.

(Der Tod im überfluteten Keller hat hier vor einigen Jahren nach einem säkularen Wolkenbruch auch jemanden ereilt, und beinahe wären mir nahestehende Personen umgekommen, wenn der Wasserdruck nicht die stählerne Kellertür herausgebrochen hätte.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.03.2018 um 04.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#37981

Zu diversen Einträgen hier über Spielzeug und zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=783#37979

Obwohl es kein weltbewegendes Thema ist: Seit meiner Kindheit beobachte ich das Aneinandervorbeileben von Kindern und Erwachsenen, was das Spielzeug betrifft. Wir erleben es mit jedem Kind neu: Kinder brauchen kein Spielzeug. Und doch verfallen wir immer wieder in denselben Fehler und kaufen was. Ein Spielwarengeschäft rühmt sich, 30.000 Artikel vorrätig zu haben.

Das ist ein gutes Beispiel von Unbelehrbarkeit, Erfahrungsresistenz, Erinnerungslosigkeit.

Der Suchtmechanismus kommt hinzu: Wenn eins nicht befriedigt, müssen es vielleicht zwei sein, dann zehn, fünfzig (Barbies z. B.). Das Ganze ist zu dumm, aber abstellen kann man es fast nicht.

Man könnte jungen Eltern raten: Kindersicherung in die Steckdosen, gegebenenfalls ein Gitter vor die Kellertreppe und um die Herdplatten - fertig! Das Kind wohnt hier, genau wie ihr!

Kinder brauchen auch keinen Kurs in "Zwergensprache", sondern jemanden, der mit ihnen spricht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.04.2018 um 06.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#38378

In der FAZ warnt Jürgen Kaube aufs neue eindringlich vor dem Milliardengrab "Digitalisierung der Schule" – aber wohl vergeblich. Das Geld ist da, die Industrie will es abgreifen, also wird es geschehen.
Natürlich sollen Schüler auch den Umgang mit Computern und Programmen lernen. Aber die Allgemeinbildung ist ohne digitale Medien besser zu vermitteln.

Hinzu kommt, daß schon Studenten leicht ablenkbar sind, Schüler erst recht. Manche wollen Smartphones im Unterricht zulassen, fabulieren von deren Nutzen.
Das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es kein pädagogisches Konzept gibt, aus dem sich die Notwendigkeit oder auch nur der Nutzen der Verwendung solcher Geräte im Unterricht ableiten ließe. Es sind ausschließlich sachfremde Interessen, die dahinterstehen.

Allerdings öffnet sich ein neuer Zweig lukrativer Beschäftigung: Mittel und Methoden, die es ermöglichen, trotz elektronischer Medien etwas zu lehren und zu lernen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.04.2018 um 17.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#38586

Zur Willkürlichkeit des Bildungskanons: Die Abituraufgaben machen uns jedes Jahr bewußt, wie seltsam der Schulbetrieb doch eigentlich ist. Beim Deutsch-Abitur steht immer auch "Gedichtanalyse" zur Wahl. Warum sollte ein allgemeingebildeter Mensch Gedichte "analysieren" können? Warum überhaupt werden Gedichte immer noch so ernst genommen? Je weiter die Schule zurückliegt, desto verrückter kommt sie einem vor.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 29.04.2018 um 14.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#38621

Ein schönes Beispiel für mögliche Gedichtsanalysen ist aktuell das Gedicht "Avenidas" von Eugen Gomringer.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.05.2018 um 04.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#38742

In zwei Leserbriefen an die FAS wird gezeigt, warum die Deutschkurse für Zuwanderer so viele Fehlzeiten verbuchen. Es liegt unter anderem an unkoordinierten Terminen der Teilnehmer und sonstigen Lücken in der Koordination der vielen zuständigen Stellen (bei gleichzeitig wuchernder Bürokratie). Das kann ich bestätigen. Außerdem ist das Material für die sehr heterogenen Gruppen oft ungeeignet. Wer sich im Alltag verständigen will, braucht keinen Kurs für Unternehmensgründer usw. Da bleiben die Leute wieder weg.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2018 um 14.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#38857

Noch einmal zur Kindergartenpflicht ab 3 Jahren. Laut Allensbach (FAS) sind 60 Prozent dafür.
Ich weiß nicht, wer befragt worden ist, wahrscheinlich die übliche Stichprobe ohne Rücksicht darauf, ob die Befragten überhaupt betroffen sind (was hier sehr viel ausmacht).
Viele denken zweifellos an die Barbarenkinder ("Werte"!).
Am wichtigsten: Ist die französische Begründung mitgeliefert worden, "dass eventuelle Sprachprobleme der Kinder schon vor der Schule beseitigt werden"?

Dabei wäre zu klären, ob der Kindergarten dieses edle Ziel überhaupt erreicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.06.2018 um 05.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#38930

Überall sprießen die Waldkindergärten wie Pilze aus dem Waldboden. Meistens werden die Grundstücke vom Forstamt gepachtet und mit ausrangierten Bauwagen ausgestattet, dazu ein Tipi usw. – Im benachbarten Wäldchen gibt es gleich zwei davon, die den kirchlichen und kommunalen Kindergärten der beiden Dörfer Konkurrenz machen. Ich weiß nicht, wie weit Sprachförderung angestrebt und betrieben wird, wohl eher wenig und indirekt. Wir gehen manchmal abends "nach Dienstschluß" über das Gelände und haben immer mehr einen günstigen Eindruck. Kinder wollen und sollen spielen, nicht mit drei schon beschult werden. Von anderer Seite hören wir auch, daß die viele frische Luft, auch im Winter, sich gut auf die Gesundheit auswirken soll. Die urwaldartige Umgebung, besonders nach dem letzten Windbruch, erzeugt eine kleine abenteuerliche Welt für sich, fast möchte man noch mal ein Kind sein. Es ist eine Gegenwelt gegen die Bertelsmann- und OECD-Pädagogik mit ihrem IT-Wahn.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2018 um 04.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39118

Als Skinners utopischer Roman erschien oder gar sein Buch „Jenseits von Freiheit und Würde“,war die Empörung groß. Ohne Grund. Wir werden natürlich immer gesteuert, weshalb man sich auch über Skinners Sozialtechnologie nicht zu ereifern braucht. Familie, Staat, Kirche, Gesellschaft arrangieren auch jetzt schon Umgebungen, die unser Verhalten lenken. Was denn sonst? Skinner fragt, ob es immer und überall auf die bestmögliche Art geschieht. Daran arbeiten aber die Pädagogik und die Politik sowieso unablässig: Erziehen wir die Kinder richtig, stellen die Sozialsysteme die richtigen Anreize bereit? usw. – Es ist nicht abwegig, hier einen eigenen Entwurf zur Diskussion zu stellen Darüber kann man dann streiten, aber der Versuch selbst ist nicht verwerflich. Übrigens ist Skinners Menschenbild viel weniger deterministisch als das, was heute manche Hirnforscher präsentieren (Gerhard Roth, Hans Markowitsch...).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2018 um 03.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39237

Für Deutschland lehnt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) ein Handyverbot wie in Frankreich ab: "Ein generelles, gesetzliches Verbot hilft uns nicht weiter." Die Schulen bräuchten "vor allem Regelungen, mit denen Grenzen gezogen werden können, aber gleichzeitig das Erlernen von Medienkompetenz ermöglicht werden kann".
Ein viel größeres Problem sei dagegen die "steinzeitliche Ausstattung", bemängelt der Verband. "Solange die Schulen also nicht entsprechend ausgestattet sind, um mit staatlich finanzierten Geräten Medienkompetenz zu vermitteln, sind wir gezwungen, auf die Medien zurückzugreifen, die die Kinder mitbringen", erklärt der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann. Das Erlernen von Medienkompetenz sei für die "Arbeitswelt von morgen" zentral.


Der VBE gehörte auch stets zu den verläßlichen Hilfstruppen bei der Durchsetzung der Rechtschreibreform; er arbeitet im Interesse der Schulbuchverleger und der Medienindustrie. Das Gerede von der "Medienkompetenz" gehört zu deren Arsenal.

Übrigens finde ich es seltsam, daß in Frankreich das Parlament über eine genuin pädagogische Frage abstimmt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2018 um 17.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39557

Grundschüler lernen Rechtschreibung am besten nach der klassischen sogenannten Fibelmethode. Zu diesem Ergebnis kommt eine Bonner Studie, bei der die Lernerfolge von gut 3.000 Grundschulkindern in Nordrhein-Westfalen analysiert wurden.

Andere Ansätze wie "Lesen durch Schreiben" und "Rechtschreibwerkstatt" schnitten weitaus schlechter ab. Bei der Fibelmethode werden Buchstaben und Wörter schrittweise und nach festen Vorgaben eingeführt.

(16.9.18)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.09.2018 um 03.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39561

Der Bildungsverband VBE zeigte sich hinsichtlich der neuen Ergebnisse skeptisch. Grundsätzlich sei es "nicht zielführend", die Rechtschreibfähigkeit als einzelnen Aspekt losgelöst von allen anderen Lernprozessen zu untersuchen. Der Vorsitzende Udo Beckmann meint: "Eine einseitig festgelegte Rückkehr zum Unterricht mit der Fibel ist keine Lösung."

Typische Reaktion. Selber weiß man nichts Genaueres, aber es kann nicht schaden, vor "Einseitigkeit" zu warnen und beiläufig das suggestive Wort Rückkehr einfließen zu lassen, das nach Rückschritt klingt und die fabelhafte Fortschrittlichkeit samt lukrativen Bildungsmedien in Frage stellt.

Natürlich ist es schwer, den Wert von sogenannten Methoden zu vergleichen. Beim Unterricht kommt es sehr auf die Person des Lehrenden an, hier insbesondere darauf, wie überzeugt er von seiner "Methode" ist. Zum Beispiel könnte es sein, daß die meisten Grundschullehrer eigentlich wissen, daß die Fibelmethode im Grunde die beste und die neueren Methoden Humbug sind usw. Am besten wäre ein Doppelblindversuch, bei dem nicht einmal die Lehrerinnen wissen, welche Methode sie anwenden, aber das ist natürlich undenkbar. Der Streit wird also weitergehen.

Wie wir alle wissen, war es früher nicht besonders schwer, praktisch allen Kindern Lesen und Schreiben beizubringen. Das auszusprechen ist aber erzreaktionär. Das ist auf vielen Gebieten so. Jeder weiß, daß Handys nichts im Klassenzimmer zu suchen haben usw.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.09.2018 um 12.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39564

Nach meiner persönlichen Erfahrung in der Grundschule und beim Erlernen von Sprachen mit anderen Alphabeten halte ich das Lesenlernen mit ganzen bekannten Wörtern für am besten. Bei anderen Alphabeten am besten mit internationalen Fremdwörtern, die z.B. im Russischen und Serbischen sehr zahlreich sind. Ich mußte in der Grundschule zuerst die Buchstaben lernen, und manche Kinder hatten dann Probleme, beim Lesen daraus Wörter zu erkennen. Umgekehrt wäre es besser gewesen. Bei der kyrillischen Schrift wiederholte sich diese Erfahrung.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.09.2018 um 15.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39565

"Fibelmethode", womöglich auch noch im "Frontalunterricht" und mit einer nicht "vereinfachten" Schreibschrift und in exklusiven Klassen, ja Gott bewahre, wollen wir etwa zurück zur Bildungsgesellschaft?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2018 um 06.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39569

Es ist bekannt, daß das Zusammenfügen der einzelnen Buchstaben zu Wörtern ein schwieriger Schritt ist, und diverse Hilfen zu ersinnen war immer ein Hauptgeschäft der Grundschuldidaktik. Hierher gehört auch der neuere Begriff der "phonologischen Bewußtheit".

Aber die Ganzwortmethode, bei der manchmal schnelle Anfangserfolge erzielt werden, ist doch wohl gescheitert, weil sie eben dem Grundprinzip der Buchstabenschrift widerspricht. Sobald unbekannte Wörter zu entziffern sind, und das sind ja die meisten, wird es schwierig, und dann taucht die Frage auf, why Johnny can’t read, nicht wahr?

Das Lesenlernen in Fremdsprachen ist etwas ganz anderes. Langenscheidts Russischbüchlein, mit dem ich vor 50 Jahren gelernt habe, bringt anfangs Leseübungen mit Wörtern wie tomat, wofür man ganz dankbar ist. Aber man weiß ja schon, wie eine Alphabetschrift funktioniert. Kyrillisch werden bloß ein paar "Typen" ausgetauscht, das ist ein Klacks.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2018 um 12.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39575

Menschen mit Lese-Rechtschreibschwäche bemerken das Fehlen von Buchstaben nicht. Oft haben sie Schwierigkeiten, die Reihenfolge der gehörten und von ihnen selbst gesprochenen Laute zu erkennen und in eine Folge auf dem Papier umzusetzen (links/rechts anstelle von vorher/nachher).
Die Lautketten marschieren Kopf voran in die Zukunft. So dehnen sich auch die Schallwellen aus. Oder sie sinken Kopf voran in die Vergangenheit. Ich kann mich nicht zwischen den beiden Modellen entscheiden.

Manche Menschen (einen kannte ich sehr gut) können bei aufeinander folgenden Tönen nicht sagen, ob es aufwärts oder abwärts geht; ihnen fehlt dieses räumliche Modell, und es läßt sich wahrscheinlich auch nicht nachträglich einbauen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.09.2018 um 18.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39582

Der Begriff "Weckstaben verbuchseln" ist mir aus der ZDF-Kindersendung "die Rappelkiste" in Erinnerung geblieben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2018 um 07.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39604

Typischerweise wehrt der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann (ehemaliger Lehrer für Physik Biologie und Mathematik) die neuen Untersuchungsergebnisse mit dem Argument ab, damit würde die Arbeit Tausender von Grundschullehrern diskreditiert. So kann man jede Diskussion ersticken.

Als die Rechtschreibreform durchgesetzt wurde, war nicht zu hören, damit diskreditiere man die bisherige Arbeit der Lehrer. Erst danach erklärte man die Revision des Irrtums für unzumutbar.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2018 um 10.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39605

Erst die Formalisierung des Unterrichts wirft die Frage nach der "Methode" auf. Ich kann beim besten Willen nicht sagen, nach welcher Methode unsere Kinder lesen und schreiben gelernt haben. Sie haben es nach und nach und durcheinander wie alle anderen Fertigkeiten des Alltags gelernt, und zwar mit Freude. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1525
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.09.2018 um 08.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39689

Als Studienreferendare wurden wir mit folgendem Irrsinn traktiert:

In der Pädagogik ist die Taxonomie der Lernziele nach Bloom weit verbreitet. Dabei nimmt das Fakten-Wissen nur den ersten, vorbereitenden Rang ein:
1. Wissen, Kenntnisse (Knowledge)
2. Verstehen (Comprehension)
3. Anwenden (Application)
4. Analyse (Analysis)
5. Synthese (Synthesis)
6. Bewertung (Evaluation)


Wie schon anderswo erwähnt, galt also das Primitivste, nämlich zu allem eine Meinung zu haben, als höchstes Ziel. Die Folgen sind unübersehbar, weit über die Schule hinaus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2018 um 11.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39938

Dazu paßt das folgende:

Früher lernten Schüler vor allem Fakten - heute sind Kompetenzen wie Teamgeist und unternehmerisches Denken gefragt. (...)
"Wir wissen nicht, welche Berufe es in zehn oder 20 Jahren geben wird", sagt er. "Vorhersagen heute hätten eine Haltbarkeit wie Eis in der Sahara."
Deshalb müssten Schülerinnen und Schüler nicht vorrangig Fakten lernen, die seien ohnehin digital abrufbar. "Es braucht vielmehr Schlüsselkompetenzen, unternehmerisches Denken etwa, die auf den Umgang mit dem Ungewissen vorbereiten und den Menschen die Angst vor der Zukunft nehmen", sagt Spiegel.

(tagesschau.de)

Aber gerade die besonders erfolgreichen Länder fördern doch das Faktenwissen? Auch ein Leserbriefschreiber aus dem Handwerk widerspricht. Ich habe selbst die Ausbildung zum Elektriker und Techniker aus nächster Nähe verfolgen können und eine enorme Arbeit am Faktenwissen beobachtet, während die soft skills sich gewissermaßen von selbst und auf dem Rücken der eigentlichen Lehre einstellten. Wenn es darum geht, einen großen Gebäudekomplex mit der Technik für Strom, Heizung, Wasser auszustatten, hilft es wenig, daß die Fakten „digital abrufbar“ sind. Ein Schulfach „Verantwortung“, wie im Artikel gerühmt, macht sich gut, aber was bringt es wirklich?
Es ist schwer zu begreifen, daß die Geringschätzung des Faktenwissens nach jahrzehntelanger Erfahrung immer noch Anhänger findet.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 27.10.2018 um 16.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39939

Es kommt einem vor, als suchten die Experten immer noch den Nürnberger Trichter zu erfinden – nur ohne Trichter, weil das Wissen ja nicht mehr in den Kopf muß.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.10.2018 um 21.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39940

»Wie schon anderswo erwähnt, galt also das Primitivste, nämlich zu allem eine Meinung zu haben, als höchstes Ziel.«

Genauer gesagt, zu allem eine Meinung zu haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2018 um 05.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#39942

Das gibt es auch, aber nach meiner Erinnerung hat es in jener schulpädagogischen Diskussion um "Revision des Curriculums" und "Lernzieltaxonomie" keine Rolle gespielt. Ich habe als Referendar an einer Berliner Schule noch die volle Ladung abbekommen. Die Schundliteratur gehörte zum ersten, was ich dann wegwarf.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2018 um 06.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#40299

Wie im Wirtschaftsteil der Zeitung dargelegt wird, läuft das Geschäft mit Spielwaren schlecht, weil es der Industrie an „Innovationen“ fehle. Niemand wagt die schlichte Wahrheit auszusprechen: Kinder brauchen kein Spielzeug – oder sehr wenig, eine Puppe vielleicht, sonst nur Holz, Sand, Wasser, einfaches Material, wie es überall herumliegt, die üblichen Haushaltsgegenstände, und Bücher natürlich. Die Enkelin läßt all die hübschen Sachen liegen und beschäftigt sich eingehend mit den Selbstklebe-Etiketten der Verpackung. Die Erwachsenen verstehen das nicht mehr.
Unter den Puppen sind die selbstgemachten besonders geliebt, keineswegs lebensecht und natürlich ohne eingebaute Quäkstimme. Viele Kinder hängen an ihrem „Schnüffeltuch“ mehr als an jedem anderen Gegenstand auf der Welt. Mit Schnüffeltüchern läßt sich kein Weihnachtgeschäft bestreiten. Kein gutes Argument für „Innovationen“. Das Kind selbst ist die Innovation.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2018 um 07.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#40442

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#34273

Interessant ist, wie chinesische (buddhistische) Pilger im 7. Jahrhundert das Sanskrit beschrieben haben. Natürlich waren sie befremdet vom Kasussystem. Fa Tsang erwähnt acht Kasus, beschreibt aber dann nur sieben; ich habe aber das Original nicht zur Hand; vielleicht spiegelt sich darin die schon erwähnte Unsicherheit beim Vokativ, der nach Panini kein Karaka ist.

Aber vor allem sind die Chinesen so schriftbestimmt, daß sie (Hsüan Tsang, I Tsing) den Erwerb der Nagari-Schrift schon mit dem Erlernen des Sanskrit gleichsetzen, obwohl sie doch offenbar die Sprache ebenso wie wir erlernt haben müssen. Aber es wäre nicht das erstemal, daß Menschen etwas anderes zu tun glauben, als sie wirklich tun.

(Ältere Transkription der Namen, wie in F. J. Staals "Reader on the Sanskrit Grammarians".)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.01.2019 um 07.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#40555

Über die immer beliebteren Privatschulen:

"Bildung ist Aufgabe des Staates. Die darf er nicht aus der Hand geben." (Florentine Fritzen, FAS 13.1.19)

Wirklich?

"Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates." (GG Art. 7)

Von Bildung ist nicht die Rede.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 13.01.2019 um 12.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#40556

FAZ = taz. Es lebe die Einheitsmeinung!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.01.2019 um 03.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#40558

Wie immer wieder mal berichtet wird, hat eine Lehrerin erklärt, sie gebe nur noch gute Noten. Damit verletzt sie ihre Dienstpflicht und muß bestraft werden.

In Wirklichkeit sind fast alle Noten willkürlich. Das weiß jeder, man darf es nur nicht sagen. Einigermaßen objektiv sind nur Multiple-choice-Tests, aber die sind auch pädagogisch unergiebig – aus vielerlei Gründen, die ich hier nicht erörtern muß.

Ich habe Tausende von willkürlichen Noten vergeben. Jetzt darf ich es ja sagen, und jeder Lehrer und Professor weiß sowieso Bescheid. Trotzdem ist dieses ganze Beurteilen nicht so ungerecht, wie es demnach scheint. Sonst würden wir uns nicht ein Leben lang an wirkliche Ungerechtigkeiten erinnern.

Ein bekannter schwuler Pädagoge hat einmal erzählt, er habe besonders hübschen Schülern absichtlich schlechtere Noten gegeben, um nicht den Verdacht zu wecken, er bevorzuge sie.

Mir hält eine besonders hübsche Studentin heute noch vor, daß ich ihr für eine Hausarbeit eine Zwei statt einer Eins gegeben habe. Das ist auch nach fast 40 Jahren Ehe nicht verheilt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2019 um 09.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#40661

Hannah Bethke (FAZ) sagt in einem Nebensatz, die Methode "Schreiben nach Gehör" sei schuld am Nachlassen der Rechtschreibfähigkeiten. Wie gesagt, das ist nicht bewiesen und sogar fraglich. Erstens, weil diese Methode wohl kaum je streng durchgehalten wurde; zweitens, weil jeder Rechtschreibunterricht im Deutschen u. a. auch das Hören einbezieht; drittens (usw.), weil es noch viele andere Veränderungen im Schulleben und in der Gesellschaft gegeben hat, die zu einer Vernachlässigung des Rechtschreibens beigetragen haben dürften, einige davon im Gefolge der Rechtschreibreform, die weniger durch ihren Inhalt als durch unspezifische Nebenfolgen verwirrend und demotivierend auf die Lehrer gewirkt hat (dies ist nachweisbar).
Man muß das immer wieder sagen, weil sonst die Illusion, man habe die Ursache gefunden, zu falschen Maßnahmen verleiten könnte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2019 um 09.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#40689

Die Lehrer sollen politischer werden, auch die Fachlehrer. "Fach" klingt ja auch schon mal schlecht, man denkt gleich an Fachidiot. Unpolitisch sein ist auch ganz schlecht, hat schon den Hitlerfaschismus an die Macht kommen lassen, wie jeder weiß. Aber parteipolitisch solle es auch nicht werden, das wäre bäh.
Wie politisch Schüler sind, sieht man an ihrer Streikbereitschaft. Andererseits soll der Unterricht nicht zu oft ausfallen. Ein Vorschlag lautet, wie gerade gehört: Das Kultusministerium bestimmt fünf Streiktage im Jahr, und die Schüler beschließen zusammen mit dem Schulleiter, wofür oder wogegen gestreikt wird. Das erinnert zwar ein wenig an Lenins Bahnsteigkarte, aber Ordnung muß sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.02.2019 um 08.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#40945

„Vielen Eltern ist fester Glaube wichtiger als Erfolg in der Schule“ (welt.de)

Diese Klage einer Lehrerin über Muslime ist sicherlich berechtigt, aber sie würde auch auf Christen zutreffen, wenn sie ihre Religion noch ernst nähmen. Die Überlieferung ist voller Zeugnisse dieser Rangfolge der Werte, und auch mir selbst leuchtet ein, daß Gott und das Seelenheil, wenn es so etwas gäbe, unvergleichlich wichtiger wären als ephemere irdische Erfolgserlebnisse. Hierher gehört auch die Verehrung von Asketen und Märtyrern, die man nach dem Maßstab des weltlichen Erfolgs als Loser ansehen müßte.
Das Ernstnehmen der Religion fanden ja auch Päpste schon vorbildlich, auch wenn es leider nicht ganz dem richtigen Glauben galt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2019 um 08.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#41912

Zum "Business English" gehören auch Redensarten, aber die FAZ (3.8.19) hat zusammen mit den Carl Duisberg Centren einen Multiple-choice-Test entwickelt, der wieder mal gegen eine uralte Einsicht verstößt: Neben die richtige Antwort stellt er je zwei Distraktoren. Die prägen sich dem unsicheren Leser natürlich ebenfalls ein, so daß er nach ein paar Tagen unsicherer als zuvor sein dürfte. Besser wäre es, die mehr oder weniger abwegigen Antworten gar nicht erst in Erscheinung treten zu lassen ("keine falschen Beispiele an die Tafel!"). Das ist der Fluch der allzu bequemen und nun erst recht computergerechten Multiple-choice-Tests.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.08.2019 um 05.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#41982

Zur Verteidigung der zweckfreien Bildung schrieb Josef Kraus einmal:

Die großen deutschen Naturwissenschaftler waren Zöglinge (und Verteidiger) des Humboldtschen Gymnasiums. Man denke etwa an Werner Heisenberg, der von sich und seinen Studenten sagte, die humanistische Bildung befähige in besonderem Maße zum logischen und zum schöpferischen Denken.
Das sollte uns Mut machen, den übernützlichen Wert von Bildung wieder hochzuhalten.


Dieser übernütziche Wert ist also auch wieder ein Nutzwert. Den Widerspruch bemerken die wenigsten, abgesehen von dem empirisch zweifelhaften Zusammenhang, den sie konstruieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.08.2019 um 07.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#41985

In der dritten Klasse hatte unsere Jüngste in einem Aufsatz mal die Pünktchen über einem ü vergessen. Als Korrektur lieferte sie nur diese beiden Pünktchen nach, womit sie aber beim Lehrer schlecht ankam.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2019 um 16.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42069

Zu den zahlreichen Bemerkungen über Kinderspielzeug (in diesem Strang) noch folgendes:

Otto Ernst beschreibt, wie seine kleinen Töchter ihre Puppen „füttern“; dann fährt er fort:

Dieses Puppenessen ist so recht ein Beleg dafür, daß ein gutes Spielzeug unvollkommen sein muß und daß jene raffinierten Spielzeuge nichts taugen, die dem Kinde nichts zu tun übriglassen.
(Appelschnut)

Ernst hat seine Kinder genau beobachtet. Vor der zitierten Stelle heißt es:

Und nirgends bewundere ich die Illusionskraft der Kinder mehr als beim Füttern der Puppen. Obwohl die Rosinen und Mandeln vor dem strengen Munde der Puppen regelmäßig kehrt machen und wärmere, williger sich öffnende Lippen aufsuchen, sind doch die Kinder tief davon durchdrungen, daß ihre Puppen ausreichend ernährt werden.

(Erinnert das nicht an religiöse Opfer, bei denen die Zelebrierenden die geopferten Speisen am Ende selbst verzehren - ebenfalls ohne etwas Befremdliches dabei zu finden?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2019 um 03.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42113

Zeitungen machen sich ein besonderes Vergnügen daraus, ihren Lesern nachzuweisen, daß sie das Schulwissen der 5. Klasse nicht mehr beherrschen. Das ist in gewisser Weise albern, aber ein ernster Kern steckt auch drin, der die Frage nach der „Allgemeinbildung“ aufwerfen könnte. "Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man alles vergessen hat, was man gelernt hat." (Werner Heisenberg) Hübsches Bonmot, aber ist es auch wahr?

Von Mathe bleibt die Gewißheit, daß man vieles berechnen könnte, auch wenn man es nicht mehr kann. (Ich muß kurz nachdenken, wie man schriftlich dividiert.)

Dreh- und Angelpunkte der römischen Geschichte sind die Verschwörung des Catilina und der Gallische Krieg, einfach weil man Cicero bzw. Sallust und Caesar so intensiv gelesen hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2019 um 05.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42426

Durch die "Curriculumrevision" kamen Leute wie Klafki zum Zuge, die zu wissen glaubten, was der Mensch in Zukunft braucht: Ziel war der neue Mensch, „Mündigkeit“ als ideologischer Leitbegriff, hinter dem man seine Wunschvorstellung verstecken konnte. In diese Zeit fiel die absurdeste Phase meines Lebens, die Referendarsausbildung.

Damals bahnte sich die Pädagogisierung aller Lebensverhältnisse und sogar der Weltpolitik an: Friedenserziehung usw. Wohl als Teilgebiet der Psychologisierung. Das Weltreich der Psychologie.

Familientherapeuten werden gefragt, wie die Völker Europas besser zusammenleben können. Ein Ende ist nicht abzusehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.11.2019 um 14.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42462

Bayern steigt aus dem "Nationalen Bildungsrat" aus.

Eigentlich kann ich ja Söder nicht leiden (wg. RSR), aber er gefällt mir immer besser.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2019 um 09.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42542

Noch immer glauben die Schulpolitiker in der "Methode Schreiben nach Gehör" den Schuldigen entdeckt zu haben (Bericht von Heike Schmoll in der FAZ vom 7.12.19). Wenn diese "Methode" erst überall verboten ist, werden die Rechtschreibleistungen wieder besser werden. Heilige Einfalt!

Wo wird denn nach dieser Methode unterrichtet, und wo könnte man auf das Schreiben nach Gehör ganz verzichten? Was wird aus dem ersten Kapitel der Neuregelung ("Laut-Buchstaben-Beziehungen")?

Mit Interesse lesen wir auch, daß in Hessen eine "Kompetenzstelle Orthographie" geschaffen worden ist. Hoffentlich ist sie auch kompetent. (Wer dieses Schlagwort nicht unterbringt, bekommt kein Geld.)

Der Rechtschreibrat ist anscheinend nicht beteiligt, wohl aber die Stiftung Polytechnische Gesellschaft, die bisher durch Veranstaltung der Duden-Werbung-Diktatwettbewerbe bekannt geworden ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.12.2019 um 07.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42548

Zur "Kompetenzstelle Orthografie" findet man hier das gesamte Konzept der KMK, in gewohnt blumiger Sprache:

https://kultusministerium.hessen.de/presse/pressemitteilung/zehn-grundsaetze-fuer-mehr-bildungsgerechtigkeit
=
https://www.kmk.org/aktuelles/artikelansicht/gutes-deutsch-bessere-chancen-10-grundsaetze-fuer-mehr-bildungsgerechtigkeit.html

Rechtschreibung ist nur ein Nebenthema, aber es ist doch bezeichnend, daß die Lehrer nach der "Vereinfachung" nicht mehr imstande sind, Kindern das Schreiben beizubringen, sondern selbst Nachhilfe brauchen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.12.2019 um 05.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42640

„Für Herrn Ickler ist die ganze Reform das Machwerk eines Alt-68ers und eines Altkommunisten“, sagt Professor Dieter Nerius aus Rostock […]‚ „Kollege Augst ist der 68er, und der SED-Apparatschik, das bin ich.“ (SPIEGEL 25.7.2005).

Das habe ich zwar so nicht gesagt, aber wo er recht hat, hat er recht. Nur daß die beiden nicht die einzigen waren und auch bei mir nicht sind.

Die Stelle wird auch in der Wiener Diplomarbeit von Thomas Denscher zitiert (ich komme darin sehr oft vor, schon das Motto ist von mir): https://core.ac.uk/download/pdf/11595084.pdf).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2020 um 10.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42817

Rechtschreibung ist nach Kretschmann nicht mehr so wichtig; der Grundschulverband (der unvermeidliche Hans Brügelmann, der wieder mal für alle spricht) stimmt zu.
Krome ist anderer Meinung und lobt den "Rechtschreibrahmen" in BW, der vom Ratsmitglied Ossner stammt. (WELT 24.1.20)

Rechtschreibung ist eigentlich elementar, und wenn die Grundschullehrer sich außerstande sehen, sie zu vermitteln (was ich aber nicht glaube), sollten sie ihre Berufswahl überdenken. Wenn wir alle Fertigkeiten für unwichtig erklären, die auch ein Computer ausführen kann, bleibt nicht viel übrig. Rechnen ist schon raus, und das Fremdsprachenlernen fällt als nächstes.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.01.2020 um 23.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42818

Da würde ich, meine Wortwahl ist natürlich beschönigend, dem "Zeitgeist" eine Mitschuld geben.

Computer und andere Rechenhilfsmittel gab es auch schon in meiner Schul- (60er Jahre) und Studentenzeit (70er). Trotzdem weiß ich noch ganz genau, daß es öfters bei schriftlichen Kontrollarbeiten in der Schule hieß, Tafelwerk und Rechenschieber sind nicht erlaubt. Und im Studium, als die ersten Taschenrechner aufkamen, waren in Klausuren sämtliche Hilfsmittel (Zahlentafeln, Rechenschieber, Taschenrechner) verboten. Gemeinerweise kamen dabei durchaus Zahlenrechnungen vor, wo man mal eine Quadratwurzel schriftlich ziehen mußte oder wo die auswendige Kenntnis des Zehnerlogarithmus von 2 zumindest hilfreich war.

Es wurde eben damals doch noch Wert darauf gelegt, bestimmte einfache Aufgaben zumindest schriftlich rechnen zu können.

Heute sagt man, lernen muß man nur, was der Computer nicht kann, man muß nichts mehr können außer zu googeln.

Es wird für uns eines Tages ein bitteres Erwachen sein, wenn andere Völker uns vormachen, wie man richtig rechnet, schreibt und spricht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2020 um 05.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42857

Genau! Und zu Kretschmanns unbedachten Worten möchte ich am liebsten seinen großen Landsmann zitieren: "China, China, China!" Was den Schulkindern allein durch die Schrift zugemutet wird, läßt die Lächerlichkeit der deutschen Grundschulpädagogik um so deutlicher hervortreten, die aus dem Erwerb der Lateinschrift ein großes (und lukratives) Problem macht.
Aus einer Diskussion im DLF, die ich mit halbem Ohr gehört habe, nehme ich eine Tendenz wahr, zur guten alten Fibel zurückzukehren. Das Gerede vom "kindgerechten" Unterricht erübrigt sich. Unere Fibeln waren kindgerecht, darum haben wir alle das Schreiben so schnell gelernt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 02.02.2020 um 15.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42859

Aus meiner Dorf-Grundschule erinnere ich mich, daß alle schreiben lernten, wenn auch fehlerhaft, aber einige nie lesen lernten, weil sie das Zusammenfügen von Buchstaben zu Wörtern nicht schafften. Im wirklichen Leben ist aber Lesen wichtiger als Schreiben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.02.2020 um 06.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42872

In jener Hörfunkdiskussion wurde die Rechtschreibreform nicht erwähnt, wie es ja heute Konsens zu sein scheint, obwohl doch die Erleichterungen, welche die Reform bringen sollte, unbedingt der Erwähnung wert sein sollten.
Ich weiß nicht mehr, welcher Journalist mir vor Jahren erzählt hat, in den Redaktionen sei ausdrücklich angeordnet worden, das Thema Rechtschreibreform nicht mehr zu behandeln, falls nicht etwas Besonderes sich ereigne. Wenn man die einst so eifrige FAZ liest, kann man das nur bestätigt finden. Es ist wohl zu peinlich, und man wird ja sowieso täglich daran erinnert.
Zweifellos werden auch Leserbriefe inorthographisch diesem Sinne gefiltert (und nicht nur zwangsweise umgestellt, um den Eindruck der "Akzeptanz" der Reform zu erzeugen).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.02.2020 um 07.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42875

Zahllose Helfer bieten ihre Dienste an, um Menschen in die aktuelle (also reformierte) Rechtschreibung einzuweisen, ohne deren strikte Befolgung ihre Bewerbungsschreiben von den Personalabteilungen gar nicht erst gelesen werden.

Das ist die Wirklichkeit, und wenn Kretschmann sie verändern will, soll er dort ansetzen, aber nicht an der Schule.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.02.2020 um 07.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42878

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42640

Die Rechtschreibreform ist in erstaunlichem Maße männlich und links. Letzteres geht am schönsten aus dem Gründungsdokument hervor, dem Kongreß "vernünftiger schreiben" von 1973. (Hat Augst nicht 1996 von seinem Triumph nach 23 Jahren Kampf gesprochen?)

Das ging so weit, daß die Grünen, damals viel linker als heute, Arm in Arm mit Zehetmair für die Reform eintraten. Wo Linke und Grüne die Reform kritisierten, lief es darauf hinaus, daß sie nicht weit genug gehe. (Natürlich weil sie nicht die ersehnte Kleinschreibung brachte.)

Nerius würde ich nicht links nennen. Seine Einschätzung als Apparatschik (die er mir mit Recht zuschreibt) steht dem entgegen.

Widerstand und Kritik kamen auch von Frauen, weil sie eben meistens den gesunden Menschenverstand vertreten, schon wegen der Kinder. Aber sie sind andererseits nicht so verbissen wie wir und haben irgendwann die Lust verloren.

In Mannheim wird angeblich an einer Neufassung der Regeln gearbeitet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand das schafft, ohne neues Flickenwerk hervorzubringen. Und warum auch? Die Sache läuft ja auch so wie geschmiert. Es herrscht Rechtschreibfriede. Was kümmert die Kultusminister das Durcheinander? Verstärken wir doch einfach den Rechtschreibunterricht!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.02.2020 um 07.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42924

Eine Lehrerin berichtete vor einiger Zeit in der FAZ, daß die an Montessori angelehnte Grundschulsprachdidaktik die Kinder überfordert. Sie sollen Adjektive durch Dreiecke ersetzen usw., wissen aber dann nicht mehr, was Adjektive, die sie sonst sehr wohl erkennen konnten, mit Dreiecken zu tun haben sollen. Die Zuordnung ist ein zusätzliches Lernproblem, und zwar ein willkürliches und abwegiges.

Veranschaulichung kann stören. Das habe ich auch oft bemerkt, obwohl ich im Augenblick kein Beispiel mehr im Kopf habe.

Was die Wortarten betrifft, so sollte man sie durch sprachnähere Verfahren erläutern und handhabbar machen und nicht in ein ganz anderes Gebiet mit eigenen Gesetzen ausweichen, hier die Geometrie.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2020 um 05.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42940

Zu Kretschmanns Ausrutscher:

Peter W. Forster (StD, Vater von fünf Kindern), Leserbrief an die FAZ 28.9.2000:

Sagen wir einem Kind, das, was es gerade tue, sei unwichtig, dann erziehen wir es entweder zu einem Wichtigtuer und Schwätzer oder aber zu einem von Traurigkeit und Langeweile geprägten Geschöpf. Das Zentrum jeder Konzentration wird bei jeder Arbeit durch die deprimierende Bemerkung, es gebe wichtigere Dinge, irgendwo nach außen verlagert. Das Scheitern in kleinen wie in großen Dingen ist vorprogrammiert, da jede Kraft des augenblicklich notwendigen Tuns unter- und gleichzeitig abgebrochen werden muß infolge der Übermacht "weltbewegender Ereignisse".
Jedes Fach und jeder Lerngegenstand in der Schule ist, relativ zu den Bedrohungen der Menschheit gesehen, zunächst unwichtig: Ein Komma ist unwichtiger als Beseitigung von Hunger, jede Note in Musik unwichtiger als eine Beseitigung einer Mine, jedes Zitat in Religion und Ethik unwichtiger als Beseitigung von Mord und Totschlag, jede Zahl in Mathematik unwichtiger als die Beseitigung von Dummheit ...
Schule? Was ist das? Kleine und kleinste Schritte – unbedeutend und unwichtig vielleicht für Herrn Durner, nicht aber für verantwortungsbewußte Lehrer und für unsere Schüler, die zudem in eine Welt hineingeboren werden, in der selbst kleinste Fehler größte Katastrophen auslösen können.
Das Denken und Fühlen lernt man zunächst nicht in der großartigen Globalität, sondern in der Verantwortung für Menschen und Dinge im engsten Kreis, auch in der Verantwortung für jedes einzelne gesprochene und geschriebene Wort.
Gab es übrigens 1996 keine wichtigeren Probleme als die Rechtschreibreform?

-
Ich beobachte gerade wieder an der Enkelin, welche „unwichtigen“ Dinge ihr wichtig sind und sie zu äußerster Konzentration anspornen. Natürlich geht das vorbei, es darf aber nicht übersprungen werden. Später werden es andere Gegenstände sein, die Konzentrationsfähigkeit bleibt hoffentlich erhalten.

Wie ich leider beobachten muß, unterbricht das Smartphone jede Tätigkeit und macht Konzentration unmöglich, Ablenkung hingegen zum Bedürfnis.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2020 um 06.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42971

Noch einmal zu den Kopffüßlern unserer lieben Kleinen:

„Warum bei diesen frühen Menschendarstellungen regelmäßig der Rumpf fehlt, obwohl schon sehr viel jüngere Kinder wissen, dass es einen Bauch gibt, und diesen an sich selbst und anderen auch zeigen können, ist umstritten.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Kinderzeichnung)

Zeichnen ist eben ein Funktionskreis, Tasten usw. ein anderer. Diese beiden haben ihre verschiedenen Gesetze. Vgl. Rebhühner, die auf dem Boden außerstande sind, ein Hindernis zu umgehen, was sie im Fliegen ohne weiteres können. Oder Religiöse, die in diesem Bereich anders ticken als im Beruf. Kurt Flasch beschreibt es an seinem Lehrer Matthias Gelzer, der nicht mehr historisch-kritisch denken konnte, sobald er von der römischen Geschichte zum Christentum kam, sondern zum Prediger wurde. (Warum ich kein Christ bin 33f.).

Wir wundern uns über scheinbar ganz vertraute Personen, die bei manchen Themen (Migranten, Klima...) für unsere Begriffe geradezu ausflippen. Weshalb man ja in "Gesellschaft" manchen Bereiche gar nicht thematisieren soll. Meine Frau meint in ihrer gutherzigen Art immer, daß man unter vernünftigen Menschen doch über alles sollte reden können. Ich glaube das nicht, aber ich will keinen Streit anfangen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.02.2020 um 12.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42972

Ich glaube auch, daß vernünftige Menschen über alles reden können. Was heißt "ausflippen"? Manche diskutieren vielleicht temperamentvoller als andere. Ein bißchen flexibel muß jeder sein, vor allem auch ein unpassendes Argument oder eine vermeintliche Beleidigung vom Diskussionspartner/-gegner nicht gleich krumm nehmen, sondern darüber reden und dem Gegenüber die Chance zur Korrektur lassen. Nicht nur eigene Argumente anbringen, sondern auch auf die Argumente des anderen eingehen. Das alles macht doch vernünftige Menschen aus. Wer trotzdem bestimmte Diskussionsregeln nicht einhält und über die Grenzen ausflippt, der ist eben nicht vernünftig.
Man muß dazu nicht auch noch extra gutherzig sein, denn Vernunft impliziert immer auch Gutherzigkeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2020 um 18.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42974

Klingt sokratisch und wäre ja auch sehr schön. Meine Erfahrungen sind leider anders. Habe ich nicht mal von Professoren erzählt, von denen ich gerade am meisten gelernt habe, die man aber nicht auf gewisse Gegenstände bringen durfte?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.04.2020 um 08.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#43357

Natürlich schreiben wir auch „nach Gehör“, sonst könnten wir neue Wörter nicht zu Papier bringen. Allerdings stehen uns als Laien nur die Buchstaben des Alphabets zur Verfügung, und darum schreiben wir auch „nach Gehör“ nicht phonetisch, sondern immer schon phonologisch-abstrahierend, weil eben die Buchstabenschrift weitgehend auf eine phonologische Analyse gegründet ist. Wie schwer es ist, wirklich phonetisch zu transkribieren, erfahren die Studenten der Sprachwissenschaften.
Kinder, die mit den 26 Buchstaben nach Gehör zu schreiben versuchen, schreiben notwendigerweise vieles falsch, weil das Buchstabenrepertoire für wirkliche phonetische Umschrift zu klein ist und andererseits die Kenntnisse für eine orthographische Schreibweise noch fehlen. Aber dieses Übergangsstadium ist notwendig, und es ist sehr kurzsichtig, daraus eine Schelte bestimmter Unterrichtsmethoden abzuleiten, wie es Journalisten und Leserbriefschreiber tun.
(Mir ist klar, daß auch die differenzierteste phonetische Umschrift abstrahiert.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.04.2020 um 04.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#43375

„Trennungen, die den Leseablauf stören oder den Wortsinn entstellen, sollte man vermeiden. Sie sind jedoch nicht falsch.“ (K 168 im Duden, 23. Aufl. 2004)

Das ist vielleicht die kürzeste Fassung des Reformunsinns. Es gibt demnach das sinnvolle Schreiben und unabhängig davon das korrekte. Letzteres dient ausschließlich der Notengebung, und diese wiederum ist das Ziel des Schulunterrichts. Die Schule lehrt nicht sinnvolles Verhalten, sondern juristisch unanfechtbares. Die ganze Bevölkerung soll sich – so meinten z. B. Volker Beck und dann die Herausgeber der Zeitungen – diesem pervertierten pädagogischen Maßstab unterwerfen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.04.2020 um 05.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#43536

Regierungen beschließen etwas, Verbandsvertreter nehmen Stellung.

Nichts gegen Herrn Meidinger, der den Lehrerverband vertritt. Wenn man will, kann man jeden Tag von ihm eine Stellungnahme bekommen, ein Anruf genügt, und fertig ist die Schlagzeile.

Mir ist bei meinen Arbeiten zur Rechtschreibreform dieses Vertreterwesen sehr deutlich geworden. Die Verbandsmitglieder werden so gut wie nie gefragt, der Vertreter kann ohne Bedenken seine private Meinung als Stellungnahme des Verbands vortragen. Die Mitglieder wissen oft nichts davon und sind überwiegend auch nicht interessiert. Besonders bekannt ist das ja von Muslimverbänden, wo die Regierung immer so froh ist, überhaupt einen "Ansprechpartner" zu haben. Wenn Verbandsvertreter nicht "repräsentativ" sein sollten, sind die Vertretenen selber schuld; sie hätten ja mitwählen können. So auch, wie gezeigt, die Eltern von Millionen Schülern: sie sind vertreten, ob sie es wissen oder nicht.

Mit dem Anruf bei Herrn Meidinger kann man im Handumdrehen die Meinung von 165.000 Lehrern einholen, das ist ungemein praktisch.

Ist das eine Kritik an der repräsentativen Demokratie? Das kann man nicht sagen, denn die seltenen Parlamentswahlen sind Haupt- und Staatsaktionen, bei denen keinem einzigen Bürger verborgen bleibt, worum es geht.

Hinzu kommt, daß diese Berufsverbände sich ja nicht auf berufsständische Interessen beschränken. So haben GEW usw. durchaus inhaltlich zur Rechtschreibreform Stellung genommen und wurden ausdrücklich einbezogen; die GEW gehörte sogar zu den ideologischen Geburtshelfern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.05.2020 um 05.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#43653

Zur Kinderzeichnung (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#42971 und http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#26879)

Psychologen und Pädagogen haben sich viel mit der "Entwicklung der Kinderzeichnung" beschäftigt. Vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kinderzeichnung

Aber in Wirklichkeit entwickelt sich das Zeichnen so wenig wie die Sprache. Das Experimentum crucis ist hier wie dort unnmöglich, weil Kinder nicht ohne Betreuung und Erziehung durch die Erwachsenen aufwachsen können, von denen sie die Sprache und das Zeichnen übernehmen. Was sich entwickelt, ist diese Übernahme, das Hineinwachsen in die Erwachsenenwelt.

Das wird besonders deutlich, wenn man sich fragt, ob das realistische und perspektivische Zeichnen eine "natürliche" Entwicklungsstufe sein kann. Die Menschheitsgeschichte spricht dagegen. Es gibt realistische Höhlenzeichnungen, und es gibt unrealistische Hochkunst bei anderen Kulturgemeinschaften.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2020 um 04.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#43753

Die Enkelin (3;2) malt ein T nach. Der senkrechte Balken ist in Ordnung, wenn auch sehr lang, aber den Querbalken macht sie jedesmal zu einem Bündel oder Knäuel von Linien.
Ich könnte es mir so erklären: Sie sieht, daß der Querstrich irgendwie mit dem senkrechten verbunden ist, beherrscht aber das Konstruktionsprinzip des rechten Winkels noch nicht. Ersatzweise der Knäuel, der die beiden Striche irgendwie zusammenzwingen soll. Dadurch füllt sie die "Lücke", die zwei unverbundene Striche gegenüber dem, was sie sieht, hinterlassen würden.
Chomsky glaubte, daß Kleinkinder eine Transformationsgrammatik beherrschen, und konnte sich das nur durch ein Wunder erklären (Nativismus). Im selben Alter malen sie schockierend primitive Kopffüßler. Es scheint so, als erlebten sie das Entstehen einer Abbildung wie etwas Fremdes, auf das sie nur geringen Einfluß haben: das Bleiben einer Linie, wo sie den Stift aufgesetzt haben... Wir glauben eine riesige Kluft zur sonstigen Geschicklichkeit und vor allem zur weit fortgeschrittenen Sprache (die Enkelin gleich in zwei Sprachen) zu erleben.
In der Kinder- und Tierpsychologie müssen wir unsere Maßstäbe von Einfachheit revidieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.06.2020 um 04.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#43816

Ein rundes Gesicht und lauter stachelförmige Fortsätze, die Arme und Beine sein sollen.
Das Kritzeln wird allmählich von verschiedenen Regionen des Gehirns gesteuert, aber weniger unter Kontrolle des Sehens gebracht. Nachahmung durch den Stift liegt nicht nahe. Das Wissen, das sich durch Lernen ausgebildet hat, muß wieder ausgeschaltet werden, reines Schauen ist nicht elementar.
Beim Zeichnen blickt man abwechselnd auf den Gegenstand und das Papier und steuert die Handbewegung mit Hilfe des Gesehenen. Nicht so das Kind, es zeichnet „aus dem Kopf“. Der Weg vom Sehen zum Gestalten ist weiter, als man denkt.

Der Beobachter denkt: Eigentlich könnte das Kind es "besser", was die Geschicklichkeit der Hände und Finger angeht. Auch ein Schimpanse könnte es besser: er könnte etwas Gegenständliches malen oder eben jene Köhlerschen Kisten zentriert stapeln. Aber er ist um nichts in der Welt dazu zu bringen. Der Grund muß sein, daß solches Schaffen in seinem Leben keinen Platz hat, nichts bedeutet. Das Befremdliche für uns liegt darin, daß diese Beschränkung überhaupt nicht zum sonstigen intelligenten Verhalten zu passen scheint. Kleine Kinder sind uns in dieser Hinsicht so fremd wie Tiere.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.08.2020 um 07.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44109

Anders gesagt: Wir haben den Zusammenhang zwischen den Verhaltensweisen eines Schimpansen, eines Kindes, eines Menschen noch nicht verstanden. Natürlich existiert in Wirklichkeit kein Gegensatz oder Widerspruch zwischen der Geschicklichkeit der Hand (Werkzeugintelligenz) und dem „Zurückbleiben“ bildlicher Darstellung. Das Verhaltensrepertoire eines Organismus ist ein Ganzes, das erst einmal verstanden werden muß. Was bildliches Darstellen, rein als Verhalten betrachtet, eigentlich ist, müssen wir auf einer ganz elementaren Ebene herausfinden. Erst dann verstehen wir die jeweilige Entwicklungsstufe als etwas Einheitliches.
Auf einer vermeintlichen Ungleichzeitigkeit der Entwicklung oder Reifung von Fertigkeiten beruht die These Chomskys und seiner Anhänger, daß die Sprachfähigkeit, weil sie der sonstigen Entwicklung so enorm vorauszueilen scheint und weil sie nicht mit der Intelligenz korreliert, ein eigenes Modul (und daher angeboren) sein müsse. Unterstellt wird, daß auch ein Dummkopf unbewußt generative Grammatik treibt, also dasselbe wie Professor Chomsky, nur ohne es studiert zu haben. Sonst könnte er ja keine grammatisch korrekten Sätze bilden. (Das ist nicht besser als die These, die Planeten wendeten die Keplerschen Gesetze an.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.08.2020 um 04.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44125

Eine bildliche Darstellung ist in gewisser Hinsicht auch eine Simulation, wie das Verstellungsspiel. Während wir letzteres bei Kindern sehr früh beobachten, hinkt das bildliche Darstellen scheinbar hinterher. Das deutet darauf hin, daß die HERSTELLUNG einer Simulation etwas ganz anderes ist als die Simulation selbst (falls ich mich deutlich genug ausdrücke). Besonders schwer ist: "Zeichne, was du siehst!" Die Ausführung erfordert eine Abstraktionsleistung, zu der das Kind noch lange nicht imstande ist, und auch mancher Erwachsene nicht. Das Ganze funktioniert nicht wie die Projektion durch eine Sammellinse.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.08.2020 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44143

An den Anleitungen zum Zeichnen (z.B. hyperrealistische Augen) bei youtube sieht man, daß zur Erzeugung eines natürlichen Eindrucks eine Technik gehört, die man lernen muß. Die einzelnen Schritte sind in ihrem Zusammenhang mit dem Endergebnis nicht immer zu durchschauen. Rubens soll das rosa Fleisch seiner Frauen grün schattiert haben: Unnatürlichkeit im Dienste der Natürlichkeitsillusion. Das sind optische Tricks, wie die ganze Malerei. Man muß auch die Tricks des Auges (Größen- und Farbkonstanz), denen ja auch der Maler zunächst unterliegt, teilweise rückgängig machen, damit das Auge des Betrachters seine eigenen anwenden kann. Es gibt eine naive Amateurmalerei, die nicht einmal die Luftperspektive berücksichtigt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.10.2020 um 16.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44538

Zu Kinderzeichnungen usw.:

We are all creative, but by the time we are three or four years old, someone has knocked the creativity out of us. Some people shut up the kids who start to tell stories. Kids dance in their cribs, but someone will insist they sit still. By the time the creative people are ten or twelve, they want to be like everyone else. (Maya Angelou)

Eine rousseauistische Phantasie, tausendmal zitiert, was sicher mit der hochgeehrten Person zusammenhängt.

Kinder müssen irgendwie sozialisiert werden, sonst wären sie keineswegs „kreativ“, was immer das heißt. Sie werden also auch diszipliniert, was schon mit der Übernahme der Sprache beginnt. Von sich aus würden die Kinder auch nicht malen oder tanzen. Die Einfälle müssen dem Realitätsprinzip unterworfen werden, die Arbeit mit Gegenständen muß technisch geregelt und zur Ausdauer erzogen werden, sonst bringt die schönste Kreativität nichts zustande. Nicht einmal Pläne kann man machen ohne einen Dialogpartner, an den man sich anpassen muß. Die Person entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit anderen. Logik ist Argumentation und die ist sozial diszipliniert.
Das naturbelassene Kind könnte sich nicht ernähren, würde heranwachsend (wenn es denn heranwüchse) weder Werkzeug herstellen noch das Feuer unterhalten. All dies ist Kultur und legt dem einzelnen „Fesseln“ an, wenn man so will.
Streiten kann man allenfalls über einzelne Maßnahmen, nicht über solche wohlfeilen Jeremiaden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.10.2020 um 05.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44541

Ich lehne also auch Begriffe wie "Sprachentwicklung", "Entwicklung des kindlichen Zeichnens" usw. im Grunde ab, auch wenn ich sie gelegentlich salopp verwende.

Solche Fertigkeiten entwickeln sich nicht, sondern werden sukzessive von den Erwachsenen übernommen, hauptsächlich durch Nachahmung (oft unterstützt durch Vormachen, s. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1507), aber auch durch operante Konditionierung (Shaping). Die Übernahme folgt allerdings gewissen Gesetzmäßigkeiten, deren innere Logik eigentich das ist, was man unter "Entwicklung" versteht und erforscht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2020 um 05.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44667

Die Enkelin (3;7) malt jetzt erstmals Gesichter. Das geht aber auf Anregungen zurück, kommt nicht von selbst.
Das erste Gelingen besteht darin, daß die Punkte und Striche für Augen und Mund wenigstens innerhalb des Kreises liegen, der das Gesicht darstellt. Wie gesagt, die Unbeholfenheit fällt auf, weil man von so geschickten Händen, die schon Scherenschnitte ausführen, und bei einer so elaborierten Sprache viel mehr erwarten sollte. Was nur zeigt, wie wenig wir verstanden haben.

In diesem Stadium malen die Kinder überall auf der Welt gleich (soviel ich weiß). Wann fangen sie an, sich gemäß den kulturellen Normen zu unterscheiden? Das werden wir vielleicht bald nicht mehr feststellen können, weil die Kinder der Welt von Micky-Maus-Stereotypen erzogen werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2020 um 06.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44815

Dazu aus meinen älteren Aufzeichnungen:

Nichts ist leichter und nichts ist schwerer, als Augen zu zeichnen. Ich kann mich an Spyri nicht mehr genau erinnern, aber stimmt es denn, daß der Geißenpeter schielt wie in der japanischen Verfilmung? Er ist nicht so hell wie das Heidi, aber das mit einer Fehlstellung der Augen in Verbindung zu bringen scheint mir nicht korrekt. Eine gute Neuverfilmung könnte die furchtbare Vertrickfilmung allmählich in Vergessenheit geraten lassen.

Die Biene Maja in der japanischen Zeichentrickfassung ist eigentlich eine doppelt beinamputierte Wespe. Wie ein Kind, das zum Fasching als Biene geht. Schlimmer ist für mich die Kulleraugenästhetik mit allem Drum und Dran der Massenproduktion von sogenannter Kinderkultur. Eine unangenehme Nebenfolge war ja auch, daß etliche Kinder sich nach diesen Fernsehfilmen eine gar nicht komische Quäkstimme zulegten.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 05.12.2020 um 17.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44818

Zu unseren eigenen Problemen gehört die deutsche Geschichte. Trotz dieser kommt Frau Hasters zu dem Schluß, Rassismus gegen Weiße sei schlechthin unmöglich. Wer in einem Güterwaggon auf dem Weg ins Lager war, hatte vermutlich einen anderen Eindruck.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2020 um 18.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44819

Das gehört hierzu: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1042#44810

Aber recht haben Sie allemmal!

Die ganze Diskussion ist verkorkst, und am unangenehmsten sind mir die selbstgerechten Critical-Whiteness-Weißen.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 06.12.2020 um 10.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#44820

Oh, natürlich! Tut mir leid. Vielleicht läßt es sich verschieben?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.02.2021 um 06.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45198

Früher wurden Kinder angehalten, eine sogenannte Brieffreundschaft zu unterhalten, vorzugsweise mit Kindern anderer Länder und hauptsächlich zum Zweck der Sprachförderung. Das wurde auch organisiert. Ich habe eine schwache Erinnerung an die Schule.

Das fällt unter "killed by the internet", wie man es aufgelistet hat.

Der deutsche Eintrag bei Wikipedia ist daher äußerst dürftig, der englische (pen pal) etwas ausführlicher, mit interessanten Hinweisen auf die Gefängnis-Subkultur.

Aus solchen Brieffreundschaften, die wohl größtenteils nach einer Weile eingeschlafen sind, dürften auch echte Kontakte und Besuche hervorgegangen sein.

Ablenkungen aller Art gab es früher auch, aber nichts von der Saugkraft des Internets, so daß man damals durchaus Zeit hatte, sich einen ganzen Nachmittag an das Verfassen eines Briefes zu setzen. Mädchen dürften die Mehrzahl gebildet haben.

Durch E-Mail usw. ist die Kommunikation sehr viel "dichter", zugleich flüchtiger geworden. Die "Friends" von heute sind auch eher virtuell, Phantome...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2021 um 05.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45333

Die Schulschließungen und Behelfslösungen sollen bei den Schülern „Wissenslücken“ hinterlassen. Das sagt sich leicht und leuchtet ein, aber was bedeutet es eigentlich? Verglichen mit dem möglichen Wissen ist das in der Schule erworbene kaum meßbar, und außerdem wird es großenteils vergessen, so daß die Schulzeit im Rückblick wie eine einzige Lücke erscheint. Man ist halt ein paar Jahre älter geworden (frei nach Zazie au Métro). Es ist vielleicht nicht das Schlechteste, unter Coronabedingungen älter geworden zu sein, immerhin besser als im Luftschutzkeller.

Anders gesagt: Das "hidden curriculum" übernimmt. "Wissenslücken" gibt es eigentlich nur in bezug auf Prüfungsordnungen, und die sind ja nicht das heilige Evangelium.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.03.2021 um 06.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45520

Die Vierjährigen werden von der Erzieherin durch die Kirche geführt, der die Kita zugeordnet ist. Die drastischen Bilder der Passion Jesu werden erklärt. Die Wiedergabe aus dem Mund des kleinen Mädchens macht mich zuerst wütend. Früher nahm man die Kinder zu Hinrichtungen mit, in den USA auch zum Negerlynchen. Aber das ist ja nun vorbei.
Ich stelle allerdings fest, daß es dem Kind nicht allzuviel ausmacht. Mit der Weihnachtsgeschichte bringt es die Hinrichtung nicht in Verbindung, und die Wirkung ist in diesem zarten Alter mit den Märchen zu vergleichen. Aus Autobiographien wissen wir ja auch, daß eine Traumatisierung durch Höllenpredigten usw. erst in höherem Alter einsetzt. Ein Unbehagen bleibt aber.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2021 um 04.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45612

Man könnte die Abiturprüfungen nicht nur wegen Corona ausfallen lassen, sondern ganz abschaffen. Die ganzen 12 oder 13 Jahre wurde immerfort getestet. Dieses "continuous assessment" widerspricht eigentlich der Abschlußprüfung, die ja nur noch Nervensache sein kann. Im Studium hat das Punktesammeln ("credit points") die Abschlußprüfung weitgehend abgelöst. Am anderen Ende stehen die kaiserlichen Prüfungen im alten China, auf die man sich irgendwie und irgendwo vorbereiten konnte. Bei Nichtbestehen war Selbstmord die geschmackvollste Reaktion.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 09.04.2021 um 09.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45613

Noch weniger Vergleichbarkeit?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2021 um 10.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45614

Schwer möglich...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2021 um 15.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45826

Josef Kraus wiederholt seine seit Jahren bekannte These, nur noch radikaler: "Bildungsnation im freien Fall".
Also wieder gegen Kuschelpädagogik und gegen Senkung des Niveaus zugunsten der Hochschulreife für Krethi und Plethi.
Das muß man nicht lesen, und auch über die intellektuelle Brillanz des Sportlehrers Kraus will ich mich nicht äußern. Ein schlechtgelaunter alter Mann ist vielleicht nicht die erste Autorität, um über das ganze deutsche Bildungswesen solche Pauschalurteile abzugeben.
Natürlich gibt es da immer viel zu verbessern, aber ich kenne viele junge Menschen, die gerade Abitur gemacht haben oder kurz davor stehen. Ich finde sie durchweg sehr erfreulich. Als ich Abitur machte, waren die Abiturienten vielleicht 5 oder 6 Prozent eines Jahrgangs, heute sind es über 50. Das ist gut. Die heute über den mangelhaften Bildungsstand klagen, haben es damals auch schon getan. Daran kann ich mich sehr gut erinnern, und ich habe es einige Jahre später auch aus der Sicht des Studienreferendars und der Schulverwaltung (Berlin, siebziger Jahre) bestätigt gefunden. Unsere Schulmathematik war in den Augen der Professoren zum Lachen, unsere Lateinkenntnisse katastrophal usw. (Dieselbe Klage im 19. Jahrhundert!)
Krausens Polemik ist gerade in ihrer Exaltiertheit so abgeschmackt, daß er zu seinem Ärger nicht ernst genommen wird (außer von seinesgleichen natürlich in der passenden Umgebung).
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 04.05.2021 um 18.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45831

Die taz meldet: „Schüler*innen nur Mittelmaß“. Der Grund: „Weniger als die Hälfte der 15-jährigen Schüler*innen in Deutschland können beim Lesen Fakten von Meinungen unterscheiden.“ Klingt, als mangele es an Kompetenz.
https://taz.de/Studie-ueber-Lese–und-Schreibkompetenz/!5765375/
 
 

Kommentar von Vollgasfahrer, verfaßt am 04.05.2021 um 20.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45832

In einigen Medien kommt die Meldung über diese Studie mit ermüdender Wiederholung von "Schülerinnen und Schüler", manchmal sogar zweimal im gleichen Satz.

z.B.
https://bildungsklick.de/schule/detail/soziale-herkunft-spielt-beim-umgang-mit-digitalen-medien-eine-grosse-rolle

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210504_OTS0117/pisa-sonderauswertung-weniger-als-die-haelfte-der-15-jaehrigen-in-deutschland-kann-fakten-von-meinungen-unterschieden-soziale-herkunft-spielt-beim-umgang-mit-digitalen-medien-eine-grosse-rolle

Bei heise.de wird immerhin die Wiederholung im gleichen Satz vermieden ("solche").

https://www.heise.de/news/PISA-Studie-Viele-15-Jaehrige-koennen-Meinungen-nicht-von-Fakten-unterscheiden-6036040.html

Beide Medien zitieren OECD-Direktor Schleicher wörtlich, wenn er ohne Doppelnennung spricht ("Wenn Schüler eine Frage hatten"), die taz verkürzt das Zitat offenbar lieber als es ungegendert zu zitieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.05.2021 um 04.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45901

Schreibversuche eines Mädchens mit 5;7:

MAMECHWEL
DIAAINE GSCHECHT
ÄCELEN
(Mama, ich will dir eine Geschichte erzählen)

TIGEA
FEHT
ELIFANT
AFE
GERAFE
SEONT
EISBEA
RE
HÖASCH (Hirsch)
FAU

LIBA OPA DHST NEKST
E WORGEBOACTA
K
(Lieber Opa, du hast nächste Woche Geburtstag)

GRÜSDIOMAFONMIA
(Grüß die Oma von mir)

DUDAFDAS EAST
CUMG
BORCT N
AK MACHE
AFM
ACHAUF
(Du darst das erst zum Geburtstag aufmachen)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.05.2021 um 07.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45903

Dasselbe Mädchen fragt mit sieben Jahren, was eigentlich an einem Markstück (es war 1981) "wert" ist; es sei doch nur ein Geldstück. Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, aber es ist schon eine ziemliche schwierige Frage, selbst für Besitzer großer Schädel wie Karl Marx.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.05.2021 um 17.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45970

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1415#18771
Ich stoße beim Ausmisten auf uralte Notizen aus meiner Referendarszeit am Gymnasium Steglitz. Außer meinen eigenen Stunden mußte ich auch hospitieren. Im altsprachlichen Unterricht fiel mir auf, daß fast alle sprachgeschichtlichen Erklärungen der braven Lehrer falsch waren; das hatten sie einfach nicht gelernt.

Die Seminarlehrer waren nicht unbedingt die besten Lehrer. Einer, der uns doch das Unterrichten beibringen sollte, schaffte es fast die ganze Zeit, sich Hospitanten vom Leib zu halten, und als es doch einmal zwei in seinen Deutschunterricht schafften, waren sie entsetzt. Er legte aber immer seinen roten Gewerkschaftskalender vor sich auf den Tisch und war ideologisch gefestigt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.05.2021 um 04.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45980

Manchen geht der Entwurf für Kinderrechte im GG nicht weit genug, weil sie nur auf Schonung ausgerichtet sei. Sie verlangen „Partizipation“, wie sie in Einzelgesetzen schon verankert sei (abgestufte Geschäftsfähigkeit, Religionsmündigkeit, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Schülermitverantwortung...). Die Zweischneidigkeit wird übergangen. Mitbestimmung bedeutet auch Mitverantwortung. Will man wirklich die Schonzeit Kindheit immer weiter verkürzen?
Es erinnert an die Mitbestimmung von Studenten an einer Hochschule, die sie nach wenigen Jahren auf Nimmerwiedersehen verlassen, unter Hinterlassung der Zustände, die sie angerichtet haben.
Platon karikierte schon die Mitbestimmung von Kindern: Zwischen Arzt und Konditor fällt ihnen die Wahl nicht schwer.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.05.2021 um 15.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45995

Nach dem Willen von Ministerin Karliczek sollen die Lehrerinnenundlehrer die Schülerinnenundschüler einer Lernstandsdiagnose unterziehen. Dabei dürfte herauskommen, daß der Lehrplan weniger als sonst erfüllt ist. Wie wäre es, wenn man dabei auch untersuchte, was die Kinder über Corona und damit zusammenhängende Fragen (Hygiene, Impfung usw.) gelernt haben, auch wenn es nicht auf dem Lehrplan stand? Wie ich gerade lese, rappt ein gewisser Xavier Naidoo gegen das Impfen: „Ich mach’ da nicht mit /Es kann gar nicht sein/dieses Gift kommt niemals in unsere Körper rein/Die Geschwister und ich/Wir wagen den Schritt/Und machen nicht mit." Ich kenne Erwachsene, die ebenso daherreden, obwohl es genug Möglichkeiten gab, sich kundig zu machen.

Ist es ein mutiger Schritt, ist es überhaupt ein Schritt, sich nicht impfen zu lassen? Mich hat das Impfen insgesamt einen halben Tag gekostet, und ich hätte auch noch harmlose, aber hinderliche Nebenwirkungen haben können wie manche aus meiner Familie. Jedenfalls war es ein Schritt, für mich allerdings selbstverständlich und kein Wagnis. Ich bilde mir nichts darauf ein und rappe es nicht in die Welt hinaus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.05.2021 um 04.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46072

Wolfgang Janisch plädiert in der SZ (29.5.21) nochmals für Kinderrechte im Grundgesetz und führt an, daß Greta Thunberg mit 15 Weltpolitik gemacht habe. Das stimmt, aber dazu bedurfte es ja gerade keiner Gesetze. Jeder kann sich äußern, und einige werden wahrgenommen. Thunberg hat nicht im gleichen Sinn Politik gemacht wie die Politiker, hat keine Beschlüsse mit Rechtsfolgen verfaßt und hatte keine Verantwortung zu tragen. Das war gut und richtig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.06.2021 um 04.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46312

Die Vogelschützer haben festgestellt, daß es mit der Kenntnis der Arten nicht weit her ist. 60% der Erwachsenen erkennen zwar den Haussperling, „Aber nur als Spatz. Den korrekten Namen Haussperling kennen nur vier Prozent. Viele verwechseln den Haussperling mit dem Feldsperling.“ (SZ 24.6.21) So geht es weiter, ein Defizit jagt das nächste.

Wenn ich es recht überlege, weiß ich nicht mehr so recht, ob ich den ordinären Spatzen auf Anhieb Haussperling genannt hätte. Haus- und Feldsperlinge werden wohl auch weniger „verwechselt“ als einfach nicht unterschieden. (Ich selbst gucke auch nicht so genau hin.) Das Kennen und Erkennen ist außerdem etwas ganz anderes als die Kenntnis der zoologischen Terminologie. „Spatz“ ist doch völlig in Ordnung und achtenswert, wenn jemand das Tier erkennt. Das Festnageln auf die Beherrschung der Fachterminologie hat mit Bildung nichts zu tun. Über die Regensburger Domsperlinge (Haus oder Feld?) haben wir schon gesprochen.

Man hätte die Grundschullehrerinnen testen sollen. Sie hätten die Aufgabe, die Kinder durch Dorf, Feld und Wald zu führen und ihnen alles zu zeigen. Ich fürchte, sie können es nicht mehr. Aber es gibt genug Hobby-Vogelschützer, von denen sie es zusammen mit ihren Zöglingen lernen können. Von der Botanik wollen wir gar nicht reden, da hört sowieso alles auf. Wir sind jeden Vormittag in der Landschaft unterwegs, haben aber noch nie eine Schülergruppe mit Lehrer getroffen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2021 um 04.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46330

„Ein Faultier geht zur Schule“ (Fischer/Duden 2016, vom Bundesbildungsministerium finanzierte und von der Stiftung Lesen durchgeführte Aktion zum Lesenlernen, vor allem für Ausländerkinder – daher die Beteilgung des Bundes)

Warum kommt in dem sehr einfachen Text mehrmals das Fremdwort „Hektik“ vor? Der verfasserlose Text ist überhaupt lieb- und witzlos zusammengebastelt. Der Inhalt spielt, wie so oft in diesem Genre, keine Rolle.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2021 um 07.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46360

Noch bessere Noten beim Abi in Bayern. Der Grund soll das neue Lernen (unter Corona-Bedingungen) sein. Wer hätte das gedacht! (Außer mir natürlich.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2021 um 18.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46448

In manchen Schulfächern haben wir 13 Jahre lang gar nichts gelernt. In Geschichte immerhin, daß Epaminondas die schiefe Schlachtordnung eingeführt hat. Fiel mir gerade ein, nach über 60 Jahren, in denen ich nichts mehr von Epaminondas gehört habe.

Wissen Sie, daß Epaminondas die schiefe Schlachtordnung eingeführt hat? Oder wird das heute nicht mehr unterrichtet?

Es gäbe natürlich tausenderlei, was man über die Griechen hätte lernen können. Zum Beispiel wie das Schulwesen in Athen organisiert war oder wie die Buchproduktion ablief. Davon haben wir aber ganz bestimmt nichts gehört.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.08.2021 um 08.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46780

Zu unserem Lehramtsstudium gehörte obligatorisch eine Übung "Sprecherziehung" (nicht besonders erfolgreich).
Aber gibt es das eigentlich auch für die noch bildsameren Schüler? Die Aussprache läßt bei vielen Menschen zu wünschen übrig, was durchaus karriereschädlich sein kann. Wozu gibt es Deutschlehrer? Die müßten natürlich in korrektiver Phonetik geschult sein. Logopäden bearbeiten nur einen kleinen Sektor, meistens erst auf ärztliche Verordnung hin.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 09.08.2021 um 08.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46781

Welche Aussprachefehler werden denn gemacht?
Mir fällt das nur bei ein paar Fremdwörtern auf (z.B. Engagement, Libyen, Oxid/-oxid bei Schreibung mit i, Mikro-, Sexualität, Detail, Lamborghini), aber gibt es da systematische Fehler?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.08.2021 um 13.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46786

Das wären eher Irrtümer als Fehler in dem Sinne, wie ich es meine. Ich denke an Lispeln, Nuscheln, falsche Atemtechnik, Pausenfüller usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.08.2021 um 08.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46821

Noch zum Thema "Kinder brauchen kein Spielzeug":

Die Vierjährige kann stundenlang (auch mit anderen Personen) Phantasiespiele spielen, bei denen sämtliche Akteure und Gegenstände nur in ihrer Vorstellung existieren (Rettungsaktionen, Feuerwehreinsätze usw.). Ein Mangel wird nicht bemerkt, im Gegenteil: der „Spielraum“ der Phantasie scheint besonders tiefgreifende Befriedigung zu verschaffen. Diese Tatsache liegt auch der Beschäftigung mit unscheinbaren Alltagsgegenständen zugrunde, also eher mit dem Verpackungskarton als mit dem teuren "pädagogisch wertvollen" Inhalt usw. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=783#37979 und http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#40299
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.08.2021 um 05.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46985

Über Nutzen und Schaden des Online-Unterrichts kann man endlos streiten, aber unbestreitbar ist, daß die Kinder und Jugendlichen noch mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen, d. h. die Augen auf Nahsicht einstellen, während der Augapfel seine endgültige Form annimmt. Die Zunahme der Kurzsichtigkeit scheint unbestritten zu sein. Es ist eben nicht dasselbe, ob man einen halben Meter weit auf den Monitor oder sechs Meter weit auf die Wandtafel blickt – auch wenn dort dasselbe steht.
Haltungsschäden kommen hinzu. Beides ist wohl zu banal, um die Aufmerksamkeit der Journalisten zu wecken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.08.2021 um 04.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#46992

Die Forschung zu Kinderzeichnungen, wie im Wikipedia-Eintrag referiert, leidet unter zwei falschen Annahmen.

Erstens "entwickelt" sich, wie schon gesagt, nicht das kindliche Zeichnen, sondern die Übernahme des Erwachsenenzeichnens durch das Kind. Sie geschieht stufenweise und in bestimmten gesetzmäßigen Abfolgen. Daß es sich tatsächlich so verhält, beweist schon die schematische "Sonne", die auf wenigen Blättern fehlt und auch a. a. O. mit Recht erwähnt wird. Kein Kind käme von sich aus auf den Kreis mit dem Strahlenkranz. „Das Haus wird meist mit roten Ziegeln versehen (da auch hier die Verwendung von schwarzen Ziegeln nicht dem kindlichen Drang nach reinen und bunten Farben entsprechen würde) und der Himmel wird blau gemalt.“ Die roten Ziegeln stammen offensichtlich von Erwachsenen, ebenso die braunen Baumstämme. In der Umgebung des Kindes ist das kaum zu sehen. Die Obstbäume im Garten haben keine braunen Stämme (wie allenfalls die Kiefern), sondern graue, und rote Dächer sind in unserer Umgebung gar nicht zu sehen, würden auch vom Kind kaum beachtet, weil es sich für wirkliche Häuser nicht interessiert. Allenfalls bei Spielzeug und in Bilderbüchern gibt es Vorlagen, aber entscheidend dürfte auch hier die Anleitung durch Erwachsene sein.

Zweitens wird als Endpunkt stillschweigend die gleichsam fotorealistische Abbildung angesetzt, als wenn dies das natürliche Ziel aller Abbildung wäre. Die bildende Kunst von Frühmenschen und fremden Völkern zeigt, daß das nicht selbstverständlich ist. Auf Höhlenbildern finden wir realistische Jagdtiere neben sehr abstrakten Menschen usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.09.2021 um 05.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47047

Warum sollte es wichtig sein, daß die Corona-Maßnahmen an den Schulen bundeseinheitlich geregelt sind? Auch warum „digitalisierter“ Unterricht das Gebot der Stunde über Corona hinaus sein sollte, wird nicht diskutiert. Es mag ja zutreffen, aber statt einer Begründung hört man von allen Politikern nur Bekenntnisse.
Darin spiegelt sich die Prinzipienlosigkeit der Pädagogik. Jede Behauptung ist so gut wie jede andere, weil man sowieso nichts Genaues weiß. Die Lernziele sind durch die Kompetenzen abgelöst worden. Durch seitenlange Kataloge derselben glaubt man heute wie damals etwas pädagogisch Relevantes geleistet zu haben. Es ist der reine Leerlauf.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2021 um 05.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47052

„A child begins to draw as a normal part of his effort to explore, to manipulate, to seek order, and to control himself in his environment. (...) In summary, Children’s art follows a sequential pattern of growth and development. The art of each child reflects his level of self awareness and the degree to which he is integrated with his environment.“ (Peggy Pat Martin: https://cyc-net.org/cyc-online/cycol-1201-martin.html)

Das ist eine stark interpretierende Darstellung, die ausläßt, daß Kinder nicht von selbst zu zeichnen beginnen, sondern auf Anregung der Erwachsenen hin und nach Bereitstellung geeigneter Materialien. Nicht das Zeichnen entwickelt sich, sondern die Annäherung an die Vorgaben der Erwachsenen-Bildnerei, mit dem „Realismus“ als Endstufe, erfolgt in gesetzmäßiger Reihenfolge. – Der Beitrag gilt denn auch mehr dem diagnostischen und therapeutischen Wert der Kinderzeichnung als der Untersuchung des Gegenstandes selbst.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2021 um 05.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47057

Wie verdorben unsere vierjährige Enkelin ist, erfahre ich jetzt durch den Wikipedia-Eintrag zur TV-Serie „Paw Patrol“:

Der Sozialwissenschaftler Liam Kennedy sieht in der Serie neoliberale Denkmuster zugrunde liegen, „vor allem der Glaube an die Privatwirtschaft, das Misstrauen in die Regierung und die Betonung der individuellen Verantwortung“. Durch die Serie werde die Botschaft verbreitet, demokratisch gewählte Regierungsbeamte seien unzuverlässig und inkompetent. Dadurch, so die Botschaft, müsse und sollte man sich bei der Daseinsvorsorge wie der Verbrechensbekämpfung auf private Unternehmen verlassen. In der Darstellung von Bürgermeisterin Gutherz als unvorsichtig, impulsiv und schnell frustriert könne man zudem misogyne Motive erkennen. Auch greife die Serie das fremdenfeindliche Motiv auf, Verbrechen würden primär durch Außenstehende und Einwanderer in die ansonsten idyllische Lebenswelt gebracht. Darüber hinaus kritisiert Kennedy die Darstellung von Extremwetterereignissen in der Serie: Der Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Umweltzerstörung durch kapitalistische Unternehmen werde nicht sichtbar gemacht, stattdessen werde das neoliberale Narrativ wiederholt, die Erhaltung der Umwelt läge in der Verantwortung des Einzelnen. Die Serie ermutige letztlich zu einer positiven Haltung gegenüber einem globalen kapitalistischen System, das Ungleichheiten produziert und Umweltschäden verursacht.

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Das ist ja fast so schlimm wie Grimms Märchen oder die Indianerspiele, die uns seinerzeit ruiniert haben.
Die Enkelin weiß alles über die Helden ihrer Serie und benutzt die Vorlage, um mit größter Hingabe und Ausdauer ihr eigenen Phantasiespiele damit zu inszenieren. So jetzt auch am Strand der Urlaubsinsel. Vom neoliberalen Narrativ hätte ich nie etwas bemerkt, wenn ich heute nicht zufällig auf diese Erleuchtung gestoßen wäre. – Ist die beschriebene Wirkung eigentlich nachgewiesen oder reine Spekulation? Die gleiche Frage, die sich zu den schrecklichen Prägungen unserer eigenen Kindheit stellt, wird offenbar von den "Sozialwissenschaftlern" nicht als dringlich empfunden. Das beweist aufs neue deren Wertlosigkeit..

Für mich interessant: Beim Sprechen über ihre Lieblingsserie verwendet das Mädchen Ausdrücke wie Episode, die nicht zu ihrem aktiven Wortschatz gehören. Episoden gibt es nur im Fernsehen, nicht im wirklichen Leben. Spracherwerb ist teils systematisch, teils holistisch. Diese nichtanalysierten Übernahmen verdunkeln die vom Strukturalismus (Jakobson) postulierten Entwicklungsstadien.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2021 um 04.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47112

Kunstgeschichte: Warum sieht das Jesuskind oft alt aus?
Schön ist anders: Mittelalterliche Porträts von Maria und ihrem Sohn zeigen vielfach ein erschreckend hässliches Baby. Laut dem Magazin GEO (11/15) und dem Kunsthistoriker Matthew Averett von der Universität Creighton liegt das aber nicht am Unvermögen der Maler. Vielmehr herrschte damals die Vorstellung, Jesu sei bereits als ausgereifter "kleiner Mann" (Homunculus) auf die Erde geschickt worden. Diese religiöse Idee zu illustrieren, war wichtiger als eine natürliche Darstellung eines Wonneproppens. Das änderte sich erst in der Renaissance – als reiche Privatleute begannen, ihre eigenen Kinder porträtieren zu lassen.
(https://www.presseportal.de/pm/7861/3155043)

Das ist sicher richtig und hängt auch mit der Hochschätzung des Alters zusammen (puer senex). Aber es ist gar nicht so einfach, Kinder realistisch darzustellen. Die schematischen Putten des Barock sind keine Lösung.
(Die beiden Englein unter Raffaels Sixtinischer Madonna zeigen neben realistischem Babyspeck auch wieder die anatomisch monströsen Flügelchen, die man nur wegen langer Gewöhnung hinnehmen kann. (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1103#41192) Die vielen Arme indischer Gottheiten – als Zeichen der Macht – sind anatomisch auch nicht befremdlicher als diese Flügel. Zu den symbolischen Zusätzen bei sonst realistischer Darstellung kann man auch den Heiligenschein rechnen.)
Falsche Tierdarstellungen werden kaum als solche erkannt, sogar das Fehlen von Beinen oder unmögliche Schreitstellungen (auf Pferdebildern) werden lange nicht entdeckt. Bei menschlichen Gesichtern sind wir viel empfindlicher. Die Sache mit der Nase der Kleopatra zeigt, wie winzig der Unterschied sein kann, der zwischen unsterblicher Verliebtheit und Gleichgültigkeit entscheidet. Gesichter von Kindern sind besonders schwer wiederzugeben (wie auch die Anmut ihrer Bewegungen). Wenn da eine Kleinigkeit nicht stimmt, droht der totale Absturz.
Je vertrauter mir ein Gesicht ist, desto schwerer kann ich es so objektivieren, wie ich müßte, wenn ich es zeichnen wollte. (Ich kann aber nicht zeichnen, darum fällt das nicht ins Gewicht.) Ich weiß eigentlich nicht, wie meine Frau aussieht, und noch weniger, wie ich selbst aussehe. (Hoffentlich verstehen Sie, was ich meine...)
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 16.09.2021 um 09.22 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47119

Eigentlich interessant, daß sich realistische Darstellungen in der Kunst so spät entwickelt haben. Man braucht dafür ja keine allzu moderne Technik – allerdings viel Zeit zum Üben (neben geduldigen Modellen), und die muß man natürlich haben.

Die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte gab es keine Spiegel. Die Menschen wußten also nicht, wie sie aussahen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2021 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47120

"Spät"... na ja, das ist relativ. Ist dies z. B. spät:

https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6hlenmalerei#/media/Datei:AltamiraBison.jpg ?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.09.2021 um 08.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47127

Man hat Kinder bei uns und auf den Trobriand-Inseln gefragt, „ob man ihrer Meinung nach so viele Vogelfedern aufhäufen könne, daß sie zusammengenommen ebenso schwer sind wie ein großer Metallgegenstand. Die Antwort fällt in beiden Kulturen gleich aus, solange die Welt der Kinder noch nicht durch Erfahrungen im Umgang mit der Waage geprägt ist: Auch noch so viele aufgehäufte Federn machen diese nicht schwerer als Metall.“ (FAS 9.6.02)

Das Problem wie bei Piaget: Was haben die Kinder eigentlich verstanden? Kann man solche Fragen kulturunabhängig stellen? Wie verstehen sie schwer? Der Gewichtsbegriff ist an die Kenntnis der Waage gebunden. Noch Aristoteles hatte einen anderen Begriff von Schwere als wir; die Gravitation im physikalischen Sinn war unbekannt. Schwere Dinge strebten nach ihrem natürlichen Ort: "unten".
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.09.2021 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47128

Das kommt mir wie eine Variante der alten Scherzfrage vor, was schwerer ist, ein Kilo Stroh oder ein Kilo Eisen.

Solange die Federn aufgehäuft werden können, sind sie immerhin schwerer als Luft. Interessanterweise wiegt ein Kubikmeter Luft, so wie wir sie atmen, mehr als ein Kilo!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.09.2021 um 12.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47129

Auch Ihre Scherzfrage wirft das Problem auf, ob und wie Kinder sie verstehen.

Ich beobachte bei der Vierjährigen, daß ihr der Sinn für den Wert von Geld fehlt; sie schätzt geschenkte Münzen höher als Scheine – was sie auch wieder mit gewissen "Wilden" gemein haben könnte.

Ich hatte schon mehrmals darauf hingewiesen, daß der berühmt-berüchtigte "False-belief-Test", eine Grundlage der "kognitiven" Entwicklungspsychologie, "Theory of mind" usw., meistens ebenfalls übergeht, wie die Kinder ihre Aufgabe überhaupt verstehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2021 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47133

Wie vorsichtig man bei Versuchen mit Kindern sein muß, zeigt folgendes Beispiel:

„Welches Wort ist länger, Kuh oder Eidechse? Kinder sagen dann oft Kuh, weil eine Kuh größer ist.“ (Hartmut Günther nach D. Olson in OBST 51:25).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.09.2021 um 19.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47134

Ich denke, als Scherzfrage sind solche Fragen kaum für Kinder gemacht. Man möchte damit gelegentlich eher Erwachsene oder Jugendliche hereinlegen, solange sie den Witz noch nicht kennen und gerade nichts "Böses" ahnen.
Bei Kindern kann man damit höchstens feststellen, ob sie die Begriffe überhaupt kennen.

Es ist wohl auch ein Unterschied, ob man die Frage so stellt wie in #47133 oder so:
"Welches Wort ist länger, das Wort Kuh oder das Wort Eidechse?
Beim Test mit dieser Frage gab meine 5jährige Enkelin die richtige Antwort, ihre 4jährige Cousine sagte, sie weiß es nicht. Beide kannten die Tiere.

Die Überlegung, was Kinder sich wohl unter Schwere vorstellen könnten, vielleicht eher die Kraft zum hochheben, brachte mich auf den Gedanken, daß die alte Scherzfrage, wenn man sie ungenau stellt, gar nicht so scherzhaft ist. In normaler Umgebung wiegt 1kg Stroh natürlich wegen des Auftriebs doch ein paar Newton weniger als im luftleeren Raum bzw. als 1kg Eisen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.09.2021 um 21.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47135

"ein paar Newton": Ich hatte zunächst die alte Krafteinheit Pond im Sinn ("ein paar Pond") und habe sie dann durch die neuere ersetzt. Dann sind es natürlich nur ein paar Hundertstel Newton.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2021 um 03.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47136

In einem dieser nachgespielten Filme über Galilei (kürzlich in der Ferienwohnung geguckt) wurde eingespielt, wie ein wirklicher Astronaut auf dem Mond einen "leichten" und einen "schweren" Gegenstand fallenläßt und damit "beweist", daß sie im luftleeren Raum tatsächlich gleich schnell fallen. Als ob es eines solchen Beweises noch bedurft hätte! Aber als Unterrichtsmaterial für Kinder hatte das "Experiment" wohl einen gewissen Wert.

Kinder hören, was wir zu ihnen sagen, und interpolieren aus Schlüsselwörtern einen Sinn, unterstützt von der Situation. Ein genaues Verstehen entlang der Syntax und den Definitionen der Fachwörter entwickelt sich erst allmählich. Selbst bei Erwachsenen ist das nicht immmer voll ausgebildet, wie wir ja täglich in der politischen Diskusssion beobachten.

Kinder begnügen sich notgedrungen mit einem ungefähren Verstehen und verlassen sich auf die erfahrungsgestützte Zuversicht, daß sich der unverstandene Rest der Erwachsenenrede (den sie überhören und auch nicht in die eigene Rede übernehmen) schon noch aufklären werde.

Übrigens brachte der Sender (Arte?) nach dem Galileifilm noch einen enorm ausgewalzten über Keplers Leben, den ich aber mittendrin abschaltete. Mittelmäßige Schaupieler spielen Eifersucht, gucken bedeutsam und reden schulbuchmäßig miteinander. Ich mag das Genre nicht und finde, daß ein schlichter Bericht mit Herausarbeitung der physikalischen Tatsachen viel interessanter wäre. (Ich verweise auf unsere Diskussion über Kehlmanns "Vermessung".)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.09.2021 um 07.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47178

Noch einmal zum Kinderspiel: Am Strand spielt die Vierjährige mit der Oma, die unendlich viel Zeit hat, mehrere Stunden lang ein Spiel mit Pferden usw., Fortsetzung am nächsten Tag. Es gibt weder Pferde noch sonstige Utensilien, nur den Sand und gelegentlich ein Stück Seil oder dgl. Sie hat die imaginäre Szenerie genau im Kopf und gibt Regieanweisungen.

Ich hatte fast vergessen, wozu Kinder in diesem Alter fähig sind. "Eine Wirklichkeit ist nicht vonnöten..."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.09.2021 um 06.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47218

Vier Wochen auf Juist (wo sonst?). Bei unseren Wanderungen auf der Wattseite perseveriert Storm in meinem Kopf („Meeresstrand“, als Kind auswendig gelernt), auf der Seeseite die Odyssee. Es sind zwei verschiedene Welten, 300 m getrennt.

Meine Frau holt die Gedichte von Storm usw. nach, weil sie die ersten sechs Schuljahre an einer irischen Schule verbracht hat, und als sie dann auf ein bayerisches Gymnasium kam, hatte die Bildungsreform das Gedichtlernen weitgehend beseitigt.

Man kann aber doch nicht älter werden, ohne Storms „Über die Heide“ zu kennen: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1621#44528
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2021 um 06.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47292

Das Kind (4;5) erzählt, daß der Vater es vom Kindergarten zu spät abgeholt hat. Es bewältigt das kritische Erlebnis – die Angst, vergessen worden zu sein. Solche kleinen Siege stärken das Selbstbewußtsein, wie man sagt.

Wenn ein anderes Mädchen (2;0) erzählt, sie habe keine Angst vor dem „Nikolaus“ gehabt (Likehaus nein Angst habt – das Beispiel habe ich schon angeführt), so ist klar, daß sie eben doch Angst hatte, sie aber überwunden hat. Ein deutlich spürbarer Triumph.

Solche kleinen lehrreichen Frustrationen sind nicht zu vermeiden, man braucht sie nicht extra zu arrangieren. Andererseits führen sie nicht immer gleich zu "Traumatisierungen". In Erzählungen kommt aber oft vor, daß ein Mensch zeitlebens etwas nicht vergessen hat, was dem Zuhörer völlig unbedeutend vorkommt. Manchmal sind es wohl Deckerinnerungen für etwas anderes, Tiefergehendes, z. B. die Angst vor einer Entzweiung der Eltern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.10.2021 um 05.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47326

Mein Widerwille gegen pensionierte Sportlehrer, die über die schlaffe und gepamperte Jugend von heute herziehen, speist sich auch aus eigenen Erfahrungen aus der Schulzeit. Ich wurde 1950 eingeschult; man kann sich denken, wes Geistes Kind die meisten Lehrer waren. Der Sportunterricht bestand in meiner Erinnerung hauptsächlich darin, uns der Größe nach antreten zu lassen (ich war der Fünfte) und diese "Riege" dann "ohne Tritt marsch!" irgendwohin zu schicken. Wir hatten keine Ahnung, aus welchem Milieu das stammte. Ich habe kein Fach so gehaßt.
Wie ich erst später erkannte, waren manche Lehrer, gerade Sportlehrer, auch pädophil.
Dazu noch dies: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1042#26083

Die Fächer Sport, Musik und Kunst haben ihr Ziel völlig verfehlt. Die vielen Stunden waren vergeudete Zeit. Die Lehrer hätten nach heutigen Maßstäben allesamt entlassen werden müssen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.11.2021 um 05.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47493

Die Periodisierung ist eine machtvolle Suggestion. Schon in der Schule haben wir die „Epochen“ der Literaturgeschichte gelernt, statt die Werke selbst zu lesen: Biedermeier, Naturalismus, Expressionismus... Heute steht es bei Wikipedia und infolgedessen in „Interpretationen“ aus der Schule für die Schule.
Theodor Storms „Die Stadt“ ist „der Epoche des Realismus zuzuordnen“. Gottfried Benns „Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke“ ist „stilistisch dem Expressionismus zuzuordnen“. Das ist aber nicht aus den Texten erarbeitet, sondern an der Zeittafel abgelesen.
In der Literaturwissenschaft gab und gibt es natürlich methodische Zweifel an diesem Treiben, aber das ist für Eingeweihte und ficht die Didaktik der Fächer nicht an. So dringt ja auch die Theologie nicht in den Gottesdienst ein, der sich mehr im Sinne des Zeitgeistes verändert als durch historisch-kritische Bibelphilologie.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.12.2021 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48020

Damit es auch zu Weihnachten ohne Geschrei abgeht:
Kleinere Kinder können schlecht verlieren. Statt sie krampfhaft gewinnen zu lassen (was sie oft durchschauen und übelnehmen und was auch ihren Charakter verdirbt) oder ihnen mit puritanischer Strenge das stilvolle Verlieren frühzeitig beibringen zu wollen, kann man Spiele einschalten, bei denen sie ihre natürliche Überlegenheit ausspielen können, wie Memory oder etwas, wo es von Vorteil ist, klein zu sein. Sie sind durchaus einsichtig, ich habe noch im Ohr: „Das kann ich noch nicht, weißt du, aber wenn ich groß bin...“ Etwas noch nicht zu können ist etwas ganz anderes, als vom aleatorischen Moment eines Spiels auf noch unbegreifliche Weise überwältigt zu werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2022 um 06.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48124

Meine eigene Zeit als Griechischlehrer liegt schon eine Weile zurück. Die Lehrpläne waren damals auf eine andere Weise verstiegen ("humanistische" Ideologie des altsprachlichen Unterrichts). Heute sieht das so aus:

LehrerInnenfortbildung Baden-Württemberg

Kompetenzorientierter Unterricht: Griechisch, Sekundarstufe I / Kursstufe
Kompetenzförderung Schritt für Schritt: Mythos im Lehrbuch Hellas
Mythen sprechen SchülerInnen im Alter der Lehrbuchphase durch ihre existenziellen und teils auch irrationalen Aspekte affektiv besonders an. Am Beispiel des Lehrbuches „Hellas“ wird gezeigt, wie diese komplexe Themenstellung in ihren verschiedenen Facetten so vermittelt werden kann, dass die SchülerInnen einen für sie nachvollziehbaren und reflektierten Lern- und Verständnisfortschritt erzielen. Der Umgang mit dem Mythos wird in Verbindung mit vielfältigen methodischen und personalen Kompetenzen stufenweise vertieft und eingeübt.

Kompetenzorientierter Umgang mit Lehrbuchtexten
Auch wenn Übersetzen und Erarbeiten von Wortschatz und Grammatik am Text das zentrale Kerngeschäft. des altsprachlichen Unterrichts sind, schreibt der Bildungsplan als Kompetenzziel auch vor:  Schülerinnen und Schüler sind in der Lage "gelesene Texte produktiv in andere Darstellungsformen umzusetzen" (S. 394). Die Schülerinnen und Schüler erwarten das auch und haben ein Anrecht darauf, ihre Fähigkeiten sowohl unter Beweis zu stellen als  auch gezielt weiterentwickeln zu können. Dabei sollte beachtet werden:
1. Die Kompetenz, Texte in andere Darstellungsformen umzusetzen, sollte nicht an sich, sondern verknüpft mit spezifischen, dafür besonders geeigneten Inhalten geschult werden.
2. Es sollte nicht bei einmaligen oder vereinzelten Aufgaben bleiben, sondern die Fertigkeiten müssen in mehreren aufeinander aufbauenden Stufen gezielt geschult werden.
3. Die SuS müssen die Möglichkeit haben, ihre Fertigkeiten einschätzen zu lernen und Rückmeldemöglichkeiten über ihre Fortschritte bekommen.
4. Auch bei kreativ-produktiven Umsetzungen sollten möglichst alle Kompetenzbereiche angesprochen werden. Siehe Bildungsplan 2004, S. 392: "Der Einsatz vielfältiger Arbeits- und Sozialformen zielt auf personale und soziale Kompetenzen, vor allem Selbstständigkeit, Kommunikations- und Teamfähigkeit."

Im Folgenden werden exemplarisch für die Lehrwerke Kantharos und Kairos Möglichkeiten vorgestellt, wie eine solche Kompetenzschulung aussehen kann.

(https://lehrerfortbildung-bw.de/u_sprachlit/griechisch/gym/bp2004/fb1/)

Nüchtern gesprochen: Die Schüler sollen, wie seit je, am Ende etwas Griechisch können.

Als Gewinn nehme ich aber auch etwas mit: die SuS! Könnte man das als Buchstabenwort lesen, wie Nato? Lateiner werden zögern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.01.2022 um 07.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48162

Vielleicht paßt es hierher:

Ich sehe bei Amazon, daß zu jedem amerikanischen Bestseller sogleich eine Reihe von Zusammenfassungen ebenfalls in Buch- oder vielmehr Heftform erscheinen, anscheinend für eilige Leser bestimmt, die mitreden wollen, aber wohl noch eher für Schüler und Studenten; denn meist sind Testfragen angehängt.
Aus den Rezensionen geht hervor, daß die Käufer dieser ziemlich teuren Hefte meistens schwer enttäuscht sind, weil es sich um liederlichen, auch schlecht gebundenen Mist handele. Zum Beispiel gibt es einen - wohl fiktiven - Autor "Wilson Gabriels", unter dessen Namen anscheinend computergenerierte Zusammenfassungen für 8,55 für jeweils 20 bis 30 Seiten erscheinen, die laut Rezensionen nur unlesbaren Galimathias enthalten.
Der heutige Mensch verbringt einen großen Teil seiner wachen Zeit an Bildschirmen (6 Stunden in Deutschland, 11 Stunden auf den Philippinen). Dort liest er wohl kaum das, was man in der Schule einen "Ganztext" nennt. Und für Papierbücher fehlen Zeit und Geduld. Die Entwicklung steht noch am Anfang, ist auf jeden Fall im Fluß. Man muß damit leben und sehen, was sich damit machen läßt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2022 um 07.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48173

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47493

Das Gedicht „Hyazinthen“ stammt aus der Feder des Autors bzw. [!] Lyrikers Theodor Storm. Im Jahr 1817 wurde Storm in Husum geboren. In der Zeit von 1833 bis 1888 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Bei Storm handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

So beginnen typischerweise die „Gedichtanalysen“ auf Schülerportalen.
Man sollte den Verfassern erst einmal ein Ohrfeige geben (s. „Backenstreich“), und wenn sie sich davon erholt haben, sollte man sie auffordern, das Gedicht zu lesen und sie zu fragen, wie sie darauf kommen, es realistisch zu nennen und auch noch typisch. (Schreiende Geigen, träumerischer Duft...)

„Feder“ hin oder her - wir wissen, wer das Gedicht verfaßt hat und auch, wann das war; da brauchen wir keine Zeitspanne von 55 Jahren, nur um sie laut Tabelle einer „Epoche“ zuordnen zu können. Die Verfasser geben ja selbst zu, daß sie die Zuordnung aus den Lebensdaten erschlossen haben. Da ist die Periodisierung wirklich auf den Hund gekommen.

Bei Wikipedia geht es so los:

Im literarischen Realismus will ein Autor die fassbare Welt objektiv darstellen. Neben der Beschreibung der Wirklichkeit versucht er, sie künstlerisch wiederzugeben.

Ist dieses „neben“ nicht köstlich? Welcher der dort genannten Schriftsteller wollte die „fassbare Wirklichkeit objektiv darstellen“? Worin besteht die Gemeinsamkeit zwischen Theodor Storm und Mark Twain?
In der Schule lernt man, eine Welt, von der man so gut wie nichts weiß, in Schubladen zu ordnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.01.2022 um 06.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48285

Die Kinderzeichnungen bleiben sich gleich; man muß auf der Rückseite notieren, welches Kind sie gemacht hat. Nun sind die Enkel dran.

Das kleine Mädchen (4;9) zeichnet Menschen mit einem undefinierbaren Rumpf, daran die fadendünnen Arme und Beine. Insofern sind es keine Kopffüßler mehr. Die Hände sind Kreise (Bälle) mit vielen Stacheln nach allen Seiten, obwohl sie längst bis 5 zählen kann. Sie selbst ist ebenso groß wie ihre Mutter, nur der Bruder (0;9) ist viel kleiner.
Sie kommt nicht auf den Gedanken, zwischendurch einmal hinzusehen; insofern gibt es keine "Vorlage", kein "Modell" wie bei richtigen Malern. Es geht ihr nicht um illusionistische Darstellung, sondern rationale: Jedes Element ist deutbar im Sinne einer gedachten Zuordnung von Bilddetails und Wirklichkeit. Das genügt.
Die Kinderzeichnungen sind daher ohne Erklärung nicht verständlich. Ein schwarzer Punkt kann alles mögliche sein. Die Hauptsache ist, daß er da ist; dann kann er auch zugeordnet werden. Ähnlichkeit spielt keine Rolle.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2022 um 03.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48383

Noch einen, weil es so schön ist:

Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Romantik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Brentano handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. (https://www.abipur.de/gedichte/analyse/6893-wenn-der-lahme-weber-traeumt-er-webe-brentano.html)
(zu Brentanos „Wenn der lahme Weber träumt“)

Erst bildet man sich am Beispiel Brentanos den Begriff der Romantik, dann findet man, daß er deren typischer Verteter ist. Die Epochenzuordnung ist eingestandenermaßen an der Zeitleiste abgelesen, nicht am Gedicht selbst. Vorausgesetzt wird, daß alles, was zwischen zwei bestimmten Daten geschaffen wurde, „Romantik“ ist. Epochen sind keine Ordnungsbegriffe mehr, sondern natürliche Arten wie Fledermäuse oder Spitzmaulnashörner. So kommt man gut durchs Abitur und hat was fürs ganze Leben. Ein Prüfling, der das Phantasiegebilde in Frage stellte, hätte nichts zu lachen; schließlich steht die Wahrheit überall geschrieben. Also erbt es sich fort, und für alles gibt es Tausende von Lernhilfen. Und weit und breit niemanden, der einmal von außen in diese pädagogische Parallelwelt hineinleuchten würde, der wir unsere Kinder ausliefern.
Wenn die Eltern gebildet genug oder gar selber vom Fach sind, stehen sie vor der Frage, ob sie ihren Kindern bei der Verdauung des Unsinns helfen oder sie durch subversive Bemerkungen verunsichern sollen.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 27.01.2022 um 09.17 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48390

Ich nehme an, daß man den Schülern schon noch sagt, wie sich die Epochen unterscheiden, vielleicht auch, wer typische Vertreter sind. Aber man müßte es natürlich aus der Analyse des konkreten Textes heraus feststellen. Das ist wahrscheinlich nicht so leicht.

Wenn man durchschnittlich musikalisch gebildete Leute fragt, wer ein typischer Komponist der Barockzeit war, würden sie vielleicht mit Bach antworten. Allerdings hat Bach selbst sich viel an alten Vorbildern orientiert, Fugen im Stile antico und so. Er ist eigentlich aus der Zeit gefallen, um es mit den Worten Laura Himmelreichs auszudrücken.

Wenn man sich im Schnelldurchgang und nur punktuell durch die Epochen liest oder hört, kann man dafür kein Gespür entwickeln.

Aber immerhin ist es doch gut, wenn man die zeitliche Abfolge kennt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2022 um 09.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48391

Natürlich ist die zeitliche Abfolge die Grundlage der geschichtlichen Bildung, dazu dann die "Einflüsse" (Bach und Buxtehude usw.). Aber dieser unaufhörliche Drang und Zwang nach "Epochen" (über den die ernsthafte Wissenschaft hinaus ist) scheint mir doch ziemlich unfruchtbar und geradezu erkenntnisverhindernd zu sein. Im Grunde eine Wortgläubigkeit, fetischistisch geradezu. Ich habe oft dafür plädiert, möglichst viel zu lesen, ein wenig darüber zu reden, einander auf dies und jenes aufmerksam zu machen und die Sache mit den Epochen auf sich beruhen zu lassen. Uns stören sich nicht, aber ein junger Mensch, der nur drei oder vier Gedichte aus der "Romantik" kennt, versäumt denn doch etwas.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.02.2022 um 05.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48457

Noch einmal zu Kinderzeichnungen usw.

Bei uns hängt ein in Wasserfarben gemaltes Bild vom Starnberger See und der Roseninsel an der Wand, das wir aus Pietät nicht wegwerfen. Die Amateurmalerin hat sich Mühe gegeben, verstand aber offensichtlich gar nichts von Malerei. Die rechte Hälfte wird von den nahen Uferbäumen klumpig ausgefüllt. Deren Farbton ist genau der gleiche wie der der Insel, von Luftperspektive keine Spur, daher der vollkommene Mangel an Tiefenillusion. Die gute Frau hat dort gesessen und das einfach nicht gesehen, sondern die Dinge so gemalt, wie sie ihrer Meinung nach sein müssen. Das Unscharfe ist den Impressionisten abgeschaut, die aber auch anders, „akademisch“ konnten und ihre besondere Technik „von oben her“ entwickelten, nicht aus Unfähigkeit. Wäre das Bild nicht gerahmt, könnte man es aus einiger Entfernung für einen grau-grünen Schmutzfleck halten. Schon die Höhlenmaler der Jungsteinzeit konnten es besser.
Mir gibt es immerhin Gelegenheit, über Malkunst, Kinderzeichnungen, Hand, Auge und Kopf nachzudenken, und so mag es denn hängen bleiben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2022 um 07.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48680

An den Enkelkindern wiederholt sich mit umwerfender Gleichförmigkeit, was wir an den Kindern beobachtet haben: Sie sitzen im Hochstühlchen und schieben den Keks über den Rand des Tischchens oder lassen ihn aus der Hand fallen, so daß er auf Nimmerwiedersehen verloren wäre, wenn wir ihn nicht aufhöben und so auf wundersame Weise wiedererscheinen ließen. Konditionieren wir damit das unzweckmäßige Verhalten? Nein, es ist in diesem Stadium nicht zu ändern, weder so noch so, und bald wird es sich ändern, so oder so.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2022 um 07.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48687

Das Aufkommen der Fotografie könnte dazu beigetragen haben, die illusionistische Malerie als den Zielpunkt der Malerei überhaupt festzulegen und sie damit paradoxerweise zugleich überflüssig zu machen, so daß nun andere, intellektuellere Formen aufkommen mußten.

Wenn Karl Bühler die "Werkreife" als Endpunkt der Kinderzeichnungen definiert, meint er ebenfalls die fotorealistische Malerei – so selbstverständlich war und ist das bei uns. Aber wieso eigentlich? Die Menschheit hat den größten Teil ihrer Geschichte keineswegs "realistisch" (illusionistisch, trompe-l’oeil) gemalt und wollte es offensichtlich auch gar nicht. Warum sollten wir unsere Kinder darauf hin erziehen?

Man könnte sagen: Die fotorealistische Abbildung ist die einzige Art von Malerei, die nichts bedeutet. Jede andere will etwas mitteilen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2022 um 07.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48744

Wenn man früher irgendwo zu Besuch war (nicht bei Armen und nicht bei den Reichen), konnte man einen Blick in die "gute Stube" werfen, ein unbenutztes Zimmer mit ererbten Möbeln, Häkeldeckchen, Nippes und dem "guten" Service, den Sammeltassen usw. Es gibt ja auch Religionsgemeinschaften, die einen besonderen Ehrenplatz für allfälligen Götterbesuch freihält.

Das war die Zeit, als Kissen "mit Knick" auf den Sofas und Betten prangten. Ich möchte aber etwas anderes erwähnen, die Stickerei auf dem Sofakissen: Nur ein Viertelstündchen. In diesen Zeiten und diesem Milieu galt es als unsittlich, einfach nur dazusitzen wie Loriots Sitzer. Kurz ausruhen war zulässig, daher die mahnende und zugleich beschwichtigende Inschrift.

Damals las man in Todesanzeigen und auf Grabsteinen: Müh und Arbeit war dein Leben / Ruhe hat dir Gott gegeben. Das war die Summe eines tugendhaften Lebens.

Heute ist das Nichtstun, genannt Freizeit, ein anerkanntes Lebensziel, sogar das höchste. Geld anlegen und dann nicht mehr arbeiten müssen – das gilt als klug und nicht als unanständig
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.03.2022 um 13.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48745

Und wie sehen Wohnzimmer heute aus? Sicher keine "gute Stube" mehr (kannte ich als Kind auch noch), sondern Hauptaufenthaltsraum der Familie. Bei meinem jüngsten Sohn, sie haben jetzt vier Mädchen von 1 bis 7, hängt an der Decke in der Mitte eine große Schaukelhängematte, ideales Kletter- und Turngerät, darunter praktischerweise ein dicker Teppich.
Unser eigenes Wohnzimmer ist zwar keine "gute Stube" mehr, aber es finden sich wohl Elemente beider Stilrichtungen, auch noch der alten. Muß ja nicht gleich der Knick im Kissen sein.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.03.2022 um 15.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48746

Vor drei Jahren hatte mir in Jaroslawl (bei Moskau) die Stadtführerin am Ende der Tour ein Porzellangeschäft empfohlen (wahrscheinlich bekommt sie was für die Werbung). Ich bin brav hineingegangen und habe mir die wirklich schönen Vitrinen, Vasen und Services angesehen. Die Verkäuferin freute sich über mein Lob, klagte aber auch, daß solche Services leider heutzutage aus der Mode kommen. Schließlich meinte sie, ja, wenn dann meine Enkelkinder zur Oma kommen, dann freuen sie sich doch sehr über den weißgedeckten Tisch mit dem schönen Porzellan. Das möchten sie bei Oma dann doch nicht missen.
Wie doch überall auf der Welt die Menschen gleich sind!
 
 

Kommentar von , verfaßt am 20.03.2022 um 19.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48747


 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2022 um 05.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#48920

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#28087

Ferrero hat ja nun einen ordentlichen Salmonellenskandal am Halse, aber die Medienberichte darüber verwenden ärgerlicherweise den Begriff "Kinderprodukte" oft ohne Anführungszeichen. Es geht um den massenhaften Transport von Zucker in Kinderkörper. Das wird durch die Einsparung von Kakaopulver nicht besser.

Der erwähnte Sprachwissenschaftler, der einmal (vergeblich) ein warnendes Gutachten zum Begriff "Kinder-Schokolade" geschrieben hatte, war übrigens der kürzlich verstorbene Harald Weinrich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.06.2022 um 08.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49221

Sportlehrer Josef Kraus regt sich auf, weil manche die Leistungsbewertung im Sportunterricht abschaffen wollen. Aber Sport in der Schule muß ja nicht unbedingt auf den Wirtschaftszweig Spitzensport ausgerichtet sein. Man könnte ihn auch als Gesundheitspflege auffassen. Bewegung in frischer Luft wie Laufen und Ballspielen ist bestimmt wichtiger als Höchstleistungen am Reck. Wir haben den Schulsport als paramilitärische Schule der Nation erlebt und scheitern sehen. Kraus schreibt zugleich als Militärexperte; diese Kombination ist ja bekannt (Hammelbeine langziehen usw.).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2022 um 07.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49240

Zum Thema Kinderzeichnungen: Ich habe Zeichnungen meiner Kinder gesammelt und datiert, ähnlich wie die Sprachaufzeichnungen. Nicht ohne Rührung sieht man Carotos bekanntestes Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_Francesco_Caroto – Die Kinder haben damals natürlich haargenau so gezeichnet wie heute. Sonst wissen wir ja nichts von ihnen, aber das Bild spricht über die Jahrhunderte hinweg unmittelbar zu uns.

Der Zeichnung nach müßte der Knabe etwa 6 sein. Sein Gesicht wirkt, wie so oft auf Gemälden, etwas ältlich, das Lächeln ein wenig verkrampft, aber die Freude am bescheidenen eigenen Werk hat etwas Entwaffnendes.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.06.2022 um 15.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49289

Kleinen Kindern wurden je nach Theorie verschiedene revolutionäre Schübe oder Brüche in ihrer Entwicklung unterstellt: die Achtmonatsangst (Spitz), die kognitive Neunmonatsrevolution (Tomasello), ein Bruch mit eineinhalb Jahren (Bickerton), ein Vokabelspurt und eine Revolution mit drei Jahren, mehrere Trotzphasen usw. – lauter Fiktionen, von denen andere nichts bemerkt haben, auch nicht Milliarden Eltern, die den ganzen Tag mit ihren Kindern leben. Auch in anderen Kulturkreisen kennt man sie nicht – oder andere als wir. Viel Nurture, wenig Nature.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.06.2022 um 05.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49326

In der Schule brachten uns die Deutschlehrer bei, daß der allwissende Erzähler gewissermaßen eine primitivere Stufe der Literatur war und durch das perspektivische Erzählen ersetzt werden mußte. Thackeray, der etwas vom Erzählen verstand, fertigte diese altkluge Lehre kühl ab, bevor sie überhaupt artikuliert wurde: „The novelist knows everything.“ Nur im Kriminalroman gibt es das Gebot, den Leser strikt aus der Perspektive des Detektivs an der Handlung teilhaben zu lassen. Schlechte Autoren wissen das nicht und lassen daher den ungenehmen Eindruck aufkommen, daß sie die Lösung wissen und dem Leser nur vorenthalten. Natürlich tun sie das „in Wirklichkeit“, aber sie sollten nicht auch noch das Spiel verderben.
Wie ich schon gesagt habe, interessiert mich, falls ich überhaupt Krimininalromane lese, die Auflösung wenig, so daß ich das Buch manchmal ein paar Seiten vor dem Ende abbreche. Je „überraschender“ die Lösung, desto künstlicher und gleichgültiger, und desto schneller würde ich sie ohnehin wieder vergessen. Das geht natürlich nur bei einer breiter ausgeführten, an sich interessanten Handlung wie bei Dorothy Sayers oder J. K. Rowling. (Ich lasse wieder mal den geringen Umfang meiner Belesenheit durchscheinen.)
Damit bin ich in guter Gesellschaft. Schon die alten Griechen wollten ja nicht wissen, wie die Ilias oder König Ödipus „ausgehen“.
(In Rowlings „Career of evil“ werden die Gedanken des Frauenmörders so einfühlsam wiedergegeben, daß der Leser Lust bekommt, selber eine Frau zu schlachten. Die genderistischen Rowling-Leser bzw. -Nichtleser scheinen sich über etwas Falsches aufgeregt zu haben. – Romantechnisch bedeutet der Blick in die Gedankenwelt des Verbrechers eine zweite Perspektive neben der Sicht des Detektivs und seiner Assistentin. Das Unbehagen des Lesers beruht auf der Überlegung: Wenn die Erzählerin das alles weiß, dann könnte sie auch gleich mit der Auflösung herausrücken, statt lange herumzureden. Das ist meiner Ansicht nach ein mißlungenes Experiment; Rowling hat es nicht wiederholt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.06.2022 um 04.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49333

Buchtitel wie „Grammatik ohne Grauen“ setzen voraus, welchen eigentümlichen Platz die Sprachwissenschaft in der abendländischen Bildung einnimmt: als ein Mittel zum Triezen junger Menschen. Das muß nicht so sein.

Zu erklären ist es wohl dadurch, daß Grammatik mit dem Pauken einer toten Sprache verbunden war.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.06.2022 um 07.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49348

Wenn Kinder bei den Hausaufgaben ermüden, betupft man sie mit einem Zitrusfrucht-Parfüm (Aromatherapie), dann geht es wieder ein Weilchen. Auch für unterwegs, und alles vegan. Das haben unsere Volkserzieher wie Manfred Spitzer oder Josef Kraus noch nicht auf dem Schirm.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 20.07.2022 um 13.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49460

Halbstündige Sendung von SWR2 Wissen zum kindlichen Spracherwerb.

https://www.swr.de/swr2/wissen/wie-kinder-sprechen-lernen-102.html
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.07.2022 um 14.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49461

Nix Neues, nur ein bißchen Neurobabble hinzugefügt ("Nervenzellen"). (Im Skript scheinen sich Steffi Sachse und Barbara Höhle zu Barbara Sachse verbunden zu haben.)

Was wir brauchen, ist eine mikroskopische Verhaltensanalyse. Dazu sind andere Methoden erforderlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.07.2022 um 04.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49477

Sportlehrer Josef Kraus lamentiert wieder über die deutschen Schulen, das nachgeschmissene Abitur usw.
„Abschlussfrage: Was heißt das für die Bildungsnation? Antwort: Sie befindet sich im freien Fall, aber die Bordkapelle spielt weiter schöne Weisen.“
Tichy, der dies veröffentlicht, sieht Deutschland auf „Höllenfahrt“, wahlweise auf dem Weg in die „Steinzeit“. Nachdem Merkel Deutschland völlig ruiniert hat, ruinieren die Grünen auch noch die Ruinen.
Übrigens befinden sich die deutschen Schulen seit 200 Jahren im freien Fall. Wie konnte man nur auf den Einfall kommen, den Lateinunterricht auf 9 Wochenstunden zu reduzieren? Das war der Anfang vom Ende, Krethi und Plethi konnte nun die „Hochschulreife“ (haha!) erwerben.
 
 

Kommentar von , verfaßt am 31.07.2022 um 05.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49508


 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2022 um 12.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49524

Die häufig praktizierte fragend-entwickelnde Unterrichtsmethode wird von ihren Vertretern als Weiterentwicklung der Mäeutik des Sokrates betrachtet. In der neueren Didaktik wird sie wegen der starken Steuerung der Lernprozesse durch die Lehrperson, die zu wenig Eigeninitiative der Lernenden zulasse, kritisch beurteilt. (Wikipedia Mäeutik)

Man kann die kulturelle Überlieferung nicht der Selbstentdeckung durch die Lernenden überlassen. Nur weniges läßt sich spontan rekonstruieren, weil es historisch-zufällig ist. Vormachen, Nachahmung und Belehrung sind unentbehrlich. Man kann Fahrschüler nicht entdecken lassen, daß Rechtsverkehr zweckmäßig ist. Man kann junge Menschen nicht entdecken lassen, daß Faustkeile nicht der Gipfel der Technik sind (es hat 500.000 Jahre gedauert, soviel Zeit hat die Schule nicht).

Das fragend-entdeckende Verfahren simuliert die Eigentätigkeit des Schülers nur. Schon Sokrates in Platons "Menon" mogelt bekanntlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.08.2022 um 06.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49533

Die Streichung des „Faust“ und aller bestimmten Texte aus dem bayerischen Lehrplan für Gymnasien wird noch ein wenig diskutiert, und ich erwarte in den nächsten Tagen das Niedergangslamento des Sportlehrers und Militärexperten Josef Kraus. Aber wie die Zeitung mit Recht meint, ein Aufreger ist es nicht mehr.
Die Literaturlastigkeit des Schulwesens ist historisch zufällig, man kann sich eine ganz andere Schule vorstellen und wird sich auch mal das Schulwesen anderer Länder ansehen müssen. Die Klassiker aller Länder und Zeiten sind leicht zugänglich. Wenn sie nach Lust und Laune gelesen und nicht aus Pflicht durchgenommen werden, muß das kein Schaden sein.

Überhaupt halte ich die Idee vom Bildungskanon, der die ganze Nation eint, für überlebt (wie die einende Staatsreligion). Sie ist schon jetzt unendlich weit von der Wirklichkeit entfernt.

Was wird in den Feuilletons diskutiert? Nibelungen-Klamauk in Bayreuth. Aber wer liest es? Nicht einmal ein Prozent der Nation.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2022 um 07.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49744

Manche Eltern haben ein schlechtes Gewissen, weil sie ihren Kindern nicht viel Spielzeug kaufen können. Theoretisch wissen viele, daß Dürftigkeit die Phantasie anregt, aber der äußere Druck ist groß.

Ich kann aus meiner Erinnerung versichern, daß das mit der Phantasie stimmt. Viel mehr als Pappe und Klebstoff brauchte ich nicht, und zum Geburtstag wünschte ich mir eine kleine Tube Uhu Alleskleber (50 Pfennig, ziemlich teuer), wonach es denn bei mir auch immer roch. (Das Schnüffeln kam erst später auf.)

Die beste Pappe war die feine, dünne dunkelblaue, die seltsamerweise immer bei meiner Mutter anfiel. Dieser war es nur manchmal peinlich, wenn auf meinen Konstruktionen irgendwo der weiße Schriftzug "Camelia" zu sehen war.

Mit den heutigen Plastikverpackungen von Monatsbinden (falls die überhaupt noch benutzt werden) kann man nichts Gescheites mehr anfangen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2022 um 08.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49845

Unerfahrene Konzertbesucher klatschen manchmal schon, weil sie das Stimmen der Instrumente für ein Musikstück halten. Der Dirigent lächelt milde, weil er das schon kennt. Man schämt sich ein wenig fremd, und man schämt sich heftiger dieser Scham. Haben die Leute nicht recht? Erstens ist diese moderne Musik ja oft ziemlich sonderbar, so daß man nie weiß... Aber vor allem: Die ungewohnte festliche Umgebung, die feine Kleidung, das wundervolle Licht erzeugen eine Stimmung, mit der nicht einmal die Kirche mithalten kann. Die Erwartung ist hoch gespannt, ebenso die Bereitschaft zu einem erhebenden Erlebnis, von dem man noch lange zehren wird. Die 50 Künstler auf dem Podium sind Meister ihres Fachs, sie beherrschen auch das Stimmen ihrer wertvollen Instrumente wie kein anderer, das hat schon Beifall verdient.
Es muß Freude machen, ein so wenig abgebrühtes Publikum zu beglücken.
(Die hingerissenen Gesichter der Kinder, die zum erstenmal die Geschichte von Rapunzel hören oder auf der Puppenbühne sehen. Goethe, den das Puppentheater fürs Leben prägte. Kinder sind eigentlich das einzige Publikum, für das zu arbeiten sich lohnt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2022 um 06.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49872

„Es ist auch blos Bequemlichkeit von uns, daß wir die Kinder wie Mumien einwickeln, damit wir nur nicht Acht geben dürfen darauf, daß sich die Kinder nicht verbiegen, und oft geschieht es dennoch durch das Windeln. Auch ist es den Kindern selbst ängstlich, und sie gerathen dabey in eine Art von Verzweiflung, da sie ihre Glieder gar nicht brauchen können. Da meynt man denn ihr Schreyen durch bloßes Zurufen stillen zu können. Man wickle aber nur einmal einen großen Menschen ein, und sehe doch, ob er nicht auch schreyen, und in Angst und Verzweiflung gerathen werde.“

Kant macht sich auch Gedanken über die Milch und die erste Beifütterung und geht dabei erstaunlich in die Einzelheiten. Über die Gefahr der Verwöhnung oder Verzärtelung hat er leider falsche Vorstellungen, wie man sie aber noch bis in die neueste Zeit dogmatisch vertreten hat. Zum Beispiel Kinder schreien zu lassen, bis sie von selbst aufhören. Er sieht, daß einfache Leute mehr als die vornehmen Stände mit ihren Kindern mehr spielen „wie die Affen“, singen, scherzen, tanzen, küssen – was alles er für falsch hält. Der Gedanke, daß man Kinder zu kleinen Tyrannen erzieht, wenn man ihnen jeden Wunsch erfüllt, ist zwar nicht falsch, darf aber nicht auf Säuglinge extrapoliert werden. Es ist schon schwer genug, die vitalen Bedürfnisse eines solchen Kindes zu erraten; von „Wünschen“ kann noch keine Rede sein. Rundum zufriedene Säuglinge, die viel Zeit am Körper der Mutter verbringen (wo auch die günstigste Temperatur für ihren ebenso schnell auskühlenden wie überhitzten Körper herrscht), werden keine „Tyrannen“. Die „Verzweiflung“, die das gewickelte Kind beherrscht, hätte Kant auch beim abgelegten und allein gelassenen Kind beobachten können, das schließlich auch zu schreien aufhört. Wir wissen heute, wie wichtig auch das Singen und Spielen ist, all das, was der kinderlose Kant albern fand und womit sich ein Herr damals nicht abgab – in der zeitgebundenen Sicht auf das Kind als kleinen Erwachsenen. In vielen Lebenserinnerungen liest man, daß die Kinder den Vater damals kaum zu Gesicht bekamen, bevor sie schreiben konnten und Latein lernten, also zu richtigen Menschen zu werden anfingen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.12.2022 um 08.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50039

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49845

Eine Variante zum musikalischen Mißverständnis:

Über Ravi Shankar in New York (Madison Square Garden): After the musicians had tuned up on stage for over a minute, the crowd of rock-music fans broke into applause, to which the amused Shankar responded, "If you like our tuning so much, I hope you will enjoy the playing more."

Auf heimischem Boden kommt das natürlich nicht vor. Aber ich habe mir auch nichts anmerken lassen, wenn mir wieder mal eine Pointe entgangen war, die sich Sitar, Shehnai und Tabla geliefert hatten und die vom kennerhaften Publikum spontan beklatscht wurde, während ich Tölpel gar nichts bemerkt hatte.

Produktive Mißverständnisse kulinarischer Art haben uns manches exotische Gericht beschert, das im Herkunftsland unbekannt ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2022 um 04.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50126

Im Wikipedia-Eintrag zu Ruth Koser-Michaels wird über diese Künstlerin nicht sehr freundlich berichtet. Ich fand ihre Bilder (zu Hauffs Märchen, viel mehr kannte ich zuerst nicht) sehr ansprechend, und ich finde sie heute noch besser als das meiste „moderne“ Geschmier, das massenhaft auf den Markt geworfen wird. Natürlich hat sie nicht den Rang etwa Nancy Ekholm Burkerts und vergleichbarer Meister.
Ihr wird ein einziges "antisemitisches" Bild zu Grimms Märchen vorgeworfen, das denn auch aus den Ausgaben entfernt wurde (bei Google kann man es noch sehen). Der widerwärtige Jude stammt allerdings aus dem Märchen selbst: "Der Jude im Dorn". Das würde ich meinen Kindern auch nicht vorlesen, ich habe es schon als Kind nicht gemocht. Eine Erläuteruung würde das Kind nicht verstehen, und es gibt da auch nichts zu retten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.01.2023 um 06.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50239

Über den Bildungswert des Unnützen nachzudenken und damit auch über die Lehrpläne unserer Schulen ist gar nicht so einfach. Ginge es heute darum, Schule allererst zu erfinden und ihre Lehrpläne „from scratch“ zu entwerfen, sähe manches anders aus. Aber die Tradition an sich scheint schon verehrungswürdig, und der Respekt vor ihr heißt „Bildung“. Es erinnert an den „Glauben an den Glauben“, den Dennett und die anderen „horsemen“ der Religionskritik als Kern heutiger Frömmigkeit ausgemacht haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.01.2023 um 05.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50308

„Laut einer Studie von IBM kann die Verwendung von KI-basierten Tutoren dazu beitragen, die Leistung von Schülern um bis zu 30% zu verbessern.“ (t-online.de)

Sehr witzig. Ein guter Lehrer kann die Leistung von Schülern glatt verdoppeln. Der Nürnberger Trichter kann das auch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.01.2023 um 05.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50322

Im Gymnasium haben wir gelernt, daß das Ich in Romanen und Gedichten nicht unbedingt mit dem Verfasser identisch ist, sondern eine Rolle spielt. Das versteht sich eigentlich von selbst. Melville hieß nicht Ishmael und wollte auch im Alltag nicht so genannt werden. Ob Goethe im Walde ein Blümlein mit allen Würzlein ausgegraben hat, wissen wir nicht. In der "Zueignung" oder der Marienbader Elegie spricht er schon eher von sich selbst, aber wir würden es nicht lesen, wenn wir nicht ein bißchen selbst in die Rolle schlüpfen und uns seine Sprachkunst zu eigen machen könnten.

Aber nun geht es richtig los. In den schülerhaften Texten, die im Internet verbreitet sind und weiteren Schülerjahrgängen als Interpretationshilfen dienen, wimmelt es von "lyrischen Ichs". Im Wikipedia-Eintrag über die „Winterreise“ ist 60 oder 70 mal vom „lyrischen Ich“ die Rede, es ist fast nicht auszuhalten. Ebenso penetrant wie beim Gendern werden wir in jeder zweiten Zeile belehrt, in diesem Fall darüber, daß der Sprecher keineswegs mit Wilhelm Müller bzw. Franz Schubert verwechselt werden darf. Wie ist man früher ohne diese Verklumpungen ausgekommen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.01.2023 um 17.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50386

Spahn äußerte sich vor dem Hintergrund der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg. Gegen den mutmaßlichen Täter, ein staatenloser Palästinenser, wurde wegen zweifachen heimtückischen Mordes und vierfachen versuchten Totschlags Haftbefehl erlassen. (t-online.de)
Und was hat er geäußert? Kinder sollten eine Deutschprüfung bestehen, bevor sie in die Grundschule kommen. Wenn sie verstehen, was die Lehrerin sagt, „integrieren“ sie sich besser und stechen später keine Menschen tot. Oder wie ist das mit dem „Hintergrund“?
(Man sollte Floskeln wie „vor dem Hintergrund“, „unter dem Aspekt“ usw. ganz vermeiden; sie suggerieren, daß man einen Zusammenhang bedacht hat, aber nicht so genau, daß man etwas darüber sagen könnte. Ich verwende sie nie ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen und will sie in Zukunft meiden.)
Um zu den Ausländerkindern zurückzukommen: Sie sollen schon im Kindergarten Deutsch lernen. Das tun sie ja auch, aber die keineswegs unterbeschäftigten Erzieherinnen auch noch als Deutschlehrerinnen einzusetzen ist eine ziemlich weltfremde Vorstellung.
Unsere fünfjährige Enkelin ist gerade durch den Schulfähigkeitstest gegangen, der auch ihre Ausdrucksfähigkeit umfaßte. (Daß sie außer Deutsch auch Ungarisch versteht, kam gar nicht heraus. Die Migrantenkinder können ja auch schon eine andere Sprache, was aber nicht berücksichtigt wird.)
Als meine älteste Tochter mit drei Jahren von Delhi nach Berlin kam, war nach vier Wochen Kindergarten ihr Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch, Hindi und Tamil einem unverfälschten Deutsch gewichen, nicht durch Unterricht, sondern durch „total immersion“ – und den Wegfall von anderssprachigem Input.
Stellt man Ausländerkinder nach dem Deutschtest um ein oder zwei Jahre zurück, werden sie später das Kontingent pubertärer Rüpel stellen, das in den schwierigen Klassen die unschuldigen Jüngeren terrorisiert. Aber Tests sind natürlich billiger als Unterricht.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 29.01.2023 um 21.00 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50388

Die einzig funktionierende Methode wäre wohl die (zumindest temporäre) Vereinzelung von Migranten. Aber wie soll man das umsetzen?

Ich hatte selbst mal ein sehr seltsames Erlebnis mit einem Migrantenkind. Das sprach flüssig mit seinen Eltern rumänisch (soweit ich es beurteilen konnte), aber deutsch wie geistig zurückgeblieben. Dabei war es glaube ich schon in der zweiten Klasse und schon ein paar Jahre in Deutschland. Ganz genau weiß ich es nicht mehr. Ich hatte aber etwa ein Jahr lang Kontakt, und es machte kaum Fortschritte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.01.2023 um 04.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50389

Über die zweckmäßigste "Beschulung" von Ausländerkindern gibt es natürlich eine breite Literatur, die den Kultusministerien auch bekannt ist. Ich wollte mich nur gegen das billige Gerede fachfremder Politiker von "Tests" wenden, die man bloß hier und da als Filter einschieben müsse, um die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen zu sortieren, die aber keine Lösung des Problems sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2023 um 18.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50504

Kleidungsstil im Bundestag : Knigge-Rüffel: Abgeordnete schlecht gekleidet

Im Bundestag ist die Kleiderfrage eigentlich keine mehr – neben Krawatte und Kostüm sind auch Pullover und Turnschuhe zu finden. Die Knigge-Gesellschaft fordert mehr Gespür.

Im Parlament dominieren Anzüge und Kostüme – die Knigge-Gesellschaft aber fordert einen höheren Anspruch der Abgeordneten an ihre Garderobe.
Die Abgeordneten im Bundestag sollten sich nach Ansicht der Knigge-Gesellschaft wieder besser kleiden. "Die Bürger wollen von gut angezogenen Abgeordneten repräsentiert werden", sagte der Vorstandsvorsitzende Clemens Graf von Hoyos der "Rheinischen Post".
(ZDF 15.2.23)

(„Schon als Kind fiel Clemens Graf von Hoyos mit seinen außergewöhnlich guten Manieren auf. Seine Grundschullehrerin bat ihn entsprechend, der gesamten Klasse seine Umgangsformen etwas näher zu bringen.“)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2023 um 06.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50620

Bei Philosophen steht die sogenannte Urteilskraft in hohem Ansehen. Bei unseren Schulpädagogen ist das so angekommen, als sei nicht das Wissen („Faktenhuberei“), sondern die Bildung einer eigenen Meinung das höchste Ziel des Unterrichts. Man sieht, wohin es führt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2023 um 05.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50644

Zu Kinderzeichnungen und Höhlenmalerei:

Wir wissen schlechterdings nicht, welche Funktion die Höhlenmalerei der Steinzeit hatte. Darum verstehen wir auch nicht, warum Menschen und Tiere so verschieden behandelt und keine Gesichter abgebildet wurden.

Man kann aus der Bildnerei nicht auf das "Menschenbild" der Künstler oder ihrer Zeitgenossen schließen. Das sieht man auch an der viel jüngeren griechischen Kunst im geometrischen Stil. Nehmen wir den berühmten Hirschfeld-Krater aus dem 8. Jahrhundert. Daß die Griechen zur Zeit Homers Menschen und Pferde so "gesehen" haben, wie sie dort dargestellt sind, ist eine absurde Annahme. Warum sie sie so manieriert darstellten, wissen wir nicht, weil es keine Äußerungen darüber gibt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2023 um 08.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50657

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#49872

Die von Kant geforderte Befreiung des Säuglings mündete schließlich in Skinners Erfindung der voll klimatisierten „Air crib“, in der dem Kind nicht einmal mehr Windeln angelegt wurden. Mit dem Experimentierkäfig (Skinner-Box) gleichgesetzt, führte sie zu einer sehr emotionalen und großenteils unseriösen Diskussion und zu Gerüchten über Skinners Töchter, die angeblich in Wahnsinn und Selbstmord geendet hätten. Deborah und Julie Skinner, als Künstlerin und als Psychologieprofessorin erfolgreiche Frauen, wehrten sich mit mäßigem Erfolg gegen diese Legende.
Skinner war an der Fehldeutung nicht ganz unschuldig, wie auch Deborah Skinner-Buzan zugibt. Sein Aufsatz hatte nämlich leichtfertigerweise den Titel: „Baby in a box. Introducing the mechanical baby tender“ (Ladies’ Home Journal, 62/1945).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.03.2023 um 03.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50663

Durch die coronabedingten Schulschließungen sollen die „kognitiven“ Fähigkeiten der Schüler gelitten haben. Man wird immer Tests finden, die das beweisen. „Kognitiv“ ist unbestimmt genug.

Corona-Schulschließungen ließen laut Studie den IQ sinken (welt.de 9.3.23)

Das würde nur zeigen, was von IQ-Tests zu halten ist. In anderen Berichten werden immerhin auch skeptische Stimmen zitiert.

Ursprünglich sollte der Intelligenzquotient doch wohl nicht den Bildungsgrad messen, sondern die Bildungsfähigkeit. Sonst hat die Unterscheidung von Begabung und Bildung keinen Sinn. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#45333
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2023 um 04.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50681

Anklagend wird dargestellt, wie wenig Geld Deutschland für Nachholprogramme ausgibt, um coronabedingte Defizite bei Schülern auszugleichen. Immer mehr wird so getan, als sei die Schulschließung die eigentliche Sünde gewesen. Dieser Mythos setzt sich fest und ist wahrscheinlich so wenig aus der Welt zu schaffen wie die Verklärung der „68er“. Oder die Legende, die Rechtschreibreform sei nötig gewesen, auch wenn sie nicht perfekt gelungen sei. Es ist ärgerlich, mit solchen „Narrativen“ leben zu müssen, aber nicht zu ändern.

Wir glauben den Pädagogikprofessoren doch sonst nicht – warum nehmen wir ihnen das Gerede über Corona-Folgen ab?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2023 um 04.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50682

Eduard Engel polemisiert in seinem späten Buch „Menschen und Dinge“ gegen die Abiturprüfung. Anlaß waren für ihn die regelmäßigen Meldungen über Selbstmorde von durchgefallenen Abiturienten, die damals, bei einer Abiturientenquote von 5 Prozent, häufiger gewesen sein müssen als heute, wo es immer noch andere Wege zu einem einträglichen Beruf gibt. Lehrer, die einen jungen Menschen zwölf Jahre lang begleitet haben, sollten auch ohne eine Prüfung mit ihren extremen Bedingungen beurteilen können, ob er „reif“ ist, Arzt, Philologe, Pfarrer zu werden. Außerdem könne außer dem Mathematiklehrer kein einziger Lehrer die Mathematikaufgaben lösen, die ein Abiturient lösen muß usw. – Der Text ist heute so richtig wie vor 100 Jahren, geändert hat sich nichts. Leider steht er nicht im Internet, so daß ich keinen Link setzen kann.

Es gibt noch weitere hübsche Beobachtungen, z. B. über den Fußgänger als Freiwild in den Städten, über die obrigkeitliche Gängelung der Radfahrer usw. – Engel hatte zu manchen politischen oder literarischen Themen sehr eigenwillige Ansichten; man kann ihm nicht immer folgen, aber eigenständig ist er wie kaum ein anderer. Und er kannte so viele Leute, deren Persönlichkeit in seinen Aufzeichnungen lebendig wird. Er hat Gottfried Keller besucht, als Reichstagsstenograph Bismarck protokolliert, Fontane zu Ruhm verholfen, Stefan George heruntergeputzt usw. Wegen seines Buchs über Kaspar Hauser hassen ihn die Ansbacher; schon das macht ihn lesenswert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.04.2023 um 05.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50926

Um noch einmal auf George Orwell zurückzukommen: Seine Erinnerungen an die Internatsjahre "Such, such were the joys" beginnen mit einer Abhandlung über das Bettnässen, das ihm nach der Aufnahme in die Schule immer wieder passiert und für das er bestraft und bloßgestellt wurde, wie man es ja aus anderen autobiographischen Aufzeichnungen kennt. Viele Jahre später stellt Orwell Betrachtungen über Schuld und Verantwortung an: Kann man sich schuldig fühlen für etwas, was einem unwillkürlich widerfährt? Usw. Paradoxerweise schließen diese Seiten mit der Feststellung, die Prügel hätten tatsächlich gewirkt...
Über den berühmt-berüchtigten Text gibt es eine Diskussion, die hier nachzulesen ist: https://en.wikipedia.org/wiki/Such,_Such_Were_the_Joys
Rückblickend sagt Orwell selbst, daß die Erziehung sich wie die ganze britische Gesellschaft seit den Vorkriegsjahren (also vor 1914) stark geändert und humanisiert habe. Daß die Schulzeit schwärzer erlebt wird, als sie "objektiv" ist, kennt man aus vielen Zeugnissen. Manche stellen später, je nach Charakter, fest: "Mir hat es nicht geschadet." Aber vielleicht ist gerade das der Schaden.

Übrigens: "Indeed, I doubt whether classical education ever has been or can be successfully carried on without corporal punishment." (George Orwell: Such, such were the joys, Kap. 2)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.05.2023 um 05.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51019

Die Beobachtung kleiner Kinder erinnert uns daran, wie schwer es ist, einen Ball zu werfen: er muß im richtigen Zeitpunkt losgelassen werden. Eine Pusteblume ist ein schönes Erlebnis, aber das Kind (1;4) muß auch das Pusten erst lernen. Zuerst wird sie zu nahe an den Mund gehalten, so daß die Fallschirmchen an den Lippen kleben. Ein gewisser Abstand ist effizienter, ergibt sich aber nicht von selbst. So gibt es tausend kleine Erfahrungen, die wir dem Kind ermöglichen sollten, statt es mit Simulationen zu bespaßen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.05.2023 um 07.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51052

Fortsetzung: Das Kind erforscht die Welt, bleibt alle zwei Meter stehen, um etwas zu untersuchen.

Für uns Erwachsene tritt die Umgebung in den Hintergrund und WIRD uninteressant, weil wir verstanden haben, was all die Artefekte (Häuser, Straßen, Zäune, Autos) bedeuten. Für den Hund waren sie immer schon unverstandener Hintergrund, nicht einmal "blooming, buzzing confusion", sondern einfach uninteressant. Das Tier macht keinen Versuch, all das zu verstehen, weil es vollkommen unnötig ist. Es nimmt nur wahr, was relevant ist.

Weil für uns alles relevant sein könnte, müssen wir etwas Bestimmtes fokussieren, also die Aufmerksamkeit auf etwas richten, weil sie sich nicht automatisch darauf richtet. Dazu dient die Sprache. (Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1240#48265)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.05.2023 um 16.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51062

Vor Jahren war Lehrerfunktionär Josef Kraus einer der schärfsten Kritiker der Schulleistungstests. Im Ruhestand als ständiger Gast bei Tichy läßt er keinen aus, um gegen die deutsche Bildungspolitik zu polemisieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.06.2023 um 06.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51291

90 Tage Dankbarkeitstagebuch für Kinder: Mein Ausfüllbuch für mehr Achtsamkeit, Dankbarkeit und positives Denken (10,99 €)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.06.2023 um 11.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51293

Ein Dankbarkeitstagebuch „auszufüllen“ wäre mir als Kind wie eine unverdiente Strafarbeit vorgekommen. Als Erwachsener sehe ich in solchen Instrumenten eine widerwärtige Zudringlichkeit. Es wird wohl bald eine digitale Fassung geben, bei der man die Gründe für Dankbarkeit (etwa nach dem Leitfaden „Danke für diesen guten Morgen“, vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1621) einfach ankreuzen kann. Sozusagen als frömmelnder Negativabdruck jenes Beichtspiegels, der schon die Jüngsten zur Heuchelei erzieht. Kann man mit Kindern, die doch auch ihre Scham haben, nicht umgehen wie mit normalen Menschen und hoffen, daß sie eben durch diesen Umgang normale Menschen werden?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2023 um 06.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51372

Die Enkelin (1;6) versucht die Wackelente selbst auf die schiefe Ebene zu setzen. Sie fängt zuerst am unteren Ende an, als nächstes macht die richtige Ausrichtung des Tiers Schwierigkeiten. Mit der Zeit schafft sie es aber und freut sich sehr über ihren Erfolg. Auch daß das Tier um so länger läuft, je weiter oben es auf die Spur gesetzt wird, muß erst gelernt werden.
Stets ist zu bedenken, daß als Vorlage die vollendete Beherrschung durch den Erwachsenen dient, die erst durch „reverse engineering“ nachkonstruiert werden muß. Das Zielverhalten wird also nicht allmählich aufgebaut und „entwickelt“ sich nicht, sondern die Nachkonstruktion entwickelt sich in Stufen. Das ist analog dem Spracherwerb und überhaupt allen Kulturleistungen.
Zur Wackelente https://www.ucke.de/christian/physik/ftp/lectures/Lauftiere.pdf
(mit weiteren Links)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2023 um 06.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51373

Zur Ergänzung:

Viel einfacher war die Kugelbahn, die wir ein Jahr früher im Sand am Nordseestrand gebaut haben. Da war dasselbe Kind aber noch nicht imstande, die Kugel ganz oben in die Spur zu legen, und außerdem drückte sie die Kugel zu tief in den Sand. Eine Verbesserung der Leistung war nicht zu beobachten, eine verbale Belehrung auch noch nicht möglich.

Kugelbahn und Wackelente arbeiten beide mit der Schwerkraft und beruhen auf dem Prinzip, den freien Fall in die Länge zu ziehen. Dabei zeigen sie sozusagen ein Eigenleben, wenn auch in verschiedenen Graden der Durchschaubarkeit. Darauf beruht die Faszination.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2023 um 06.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51416

Die Enkelin (1;6) zeigt auf sich selbst (in Brusthöhe, darüber habe ich schon gesprochen) und dann auf das Karussellpferd, auf das sie gehoben werden will. Zweigliedrige Äußerung ohne Worte (Gebärdensyntax). Die Wortsprache wird später darübergelegt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.08.2023 um 04.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51579

In den Pferdebüchern unserer Kindheit hieß es noch, daß ein Pferd fraß und soff, so zum Beispiel in „Hengst Hurricane“ (1953), das mir gerade in die Hände fiel. Als später Bernhard Grzimek vom Essen der Löwen erzählte, kam es uns geziert vor, aber heute ist in Kinderbüchern nichts anderes mehr denkbar. Übrigens ist jenes Buch schon damals „aus dem Amerikanischen“ übersetzt. Auch wundere ich mich über die Dürftigkeit der Erfindung; damals haben wir solche Bücher mit einer nicht mehr wiederholbaren Intensität erlebt, auch die Illustrationen sind mir noch in Erinnerung. Pferdebücher sind wie Pferde selbst ja eher was für Mädchen, der Hengst Hurricane ist eine Ausnahme, darin kommen die Wesen mit den langen Haaren nicht einmal vor.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.08.2023 um 05.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51601

Zur Frage der Allgemeinbildung und des Lehrplans äußert Dawkins einen interessanten Gedanken, der zugleich seine eigene ausgedehnte Produktion von Büchern und Fernsehsendungen rechtfertigt:

„In fact, you can learn to be an expert connoisseur of music without being able to play a note on any instrument. Of course, music would come to a halt if nobody ever learned to play it. But if everybody grew up thinking that music was synonymous with playing it, think how relatively impoverished many lives would be. Couldn’t we learn to think of science in the same way? It is certainly important that some people, indeed some of our brightest and best, should learn to do science as a practical subject. But couldn’t we also teach science as something to read and rejoice in, like learning how to listen to music rather than slaving over five-finger exercises in order to play it?“ (Richard Dawkins: Unweaving the rainbow. Boston, New York 1998:36)

Zum allgemeinbildenden und aufklärenden Wert der Sachbuchliteratur kommt noch etwas hinzu. Einstein bekannte, durch populärwssenschaftliche Jugendlektüre auf die Naturwissenschaft gekommen zu sein (ich glaube, es war vor allem Bölsche). Eine solche Wirkung traue ich den Schriften von Dawkins selbst zu. Es wäre interessant, darüber Genaueres zu erfahren.

Wenn Dawkins auf den modernen Obskurantismus zu sprechen kommt und insbesondere auf die Scharlatanerie des „Anything goes“, wird er richtig zormig (und entschuldigt sich dann für seine starken Worte). Er sagt immer wieder, daß er selbstverständlich den Gläubigen, aber nicht seinen Glauben respektiere, und gerade daraus machen die Getroffenen einen Vorwurf (was nur zeigt, wie recht er hat).

Ich habe wohl schon mal gesagt, daß ich mir einige seiner Schriften als Schulbücher vorstellen könnte und mir selbst solche gewünscht hätte. Für die Primarstufe hat er noch nichts geschrieben, aber ab dann sogar abgestufte Werke mit vorzüglichen Illustrationen, die einem Lehrer viel Stoff und Anregung bieten. In Afghanistan, Tennessee und Bayern dürften sie allerdings nicht zugelassen werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2023 um 08.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51884

Der Eindruck, daß der kindliche Spracherwerb „erstaunlich schnell“ vor sich gehe, stützt sich auf die Annahme, daß das Kind wie ein kleiner Linguist verfahre – was natürlich nicht sein kann und mit seiner sonstigen Leistungsfähigkeit nicht zusammenpaßt. Als Person kann es Sprache, aber nicht Grammatik. Also muß Sprache angeboren sein...
Die Untersuchung von Kinderzeichnungen ist lehrreich. Auch hier sehen wir bei Kindern, die alle Körperteile benennen oder sogar schon rechnen können, erstaunlich ungeschickte Darstellungen von Menschen und Dingen.
In beiden Fällen vermeintlichen Widerspruchs sollten wir vielmehr folgern, daß wir etwas Grundlegendes noch nicht verstanden haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.10.2023 um 06.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#51960

Für seriöse Medien sollte nicht nur das Schlafzimmer eines Politikers tabu sein, sondern auch sein Schulranzen. Die Entwicklungspsychologie weiß, daß z. B. wir Knaben gern in Tagträumen und Allmachtsphantasien schwelgten, die vielleicht dazugehören, aber sich normalerweise dann verflüchtigen oder zumindest sublimeren Formen Platz machen. Als Erwachsener liest man seine kindlichen Tagebücher mit Scham oder mit nachsichtigem Lächeln – je nachdem, wie gut man darüber hinausgewachsen ist. (Ich spreche nicht pro domo, denn ich habe solche Aufzeichnungen nicht, aber ich weiß, daß ich mit 14 glaubte, der größte Philosoph aller Zeiten zu sein.)
Es ist das Privileg der Kindheit und Jugend, nicht nach den Maßstäben der bürgerlichen Gesellschaft gemessen und verurteilt zu werden (und daher auch nicht an politischen Wahlen teilnehmen zu müssen und zu dürfen!), sondern sich folgenlos erproben zu können.
Die Enthüller von Aiwangers Jugendtorheit (mag sie auch mit seiner Erwachsenentorheit identisch sein) haben umgehend die verdiente Watschn erhalten (um es gleich in jenem Dialekt zu sagen, den sie am besten verstehen): Er ist stärker als je.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2023 um 17.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52028

Wie erwartet, wird nun gegen Aiwangers ehemaligen Lehrer ermittelt:
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/aiwanger-flugblatt-affaere-ex-lehrer-ermittlungen-100.html
So sehr ich gegen Aiwanger bin, so bedenklich finde ich das, was schon damals über diesen Mann durchsickerte. Noch bedenklicher ist, daß die Journalisten usw. meine Bedenken größtenteils nicht teilten, sondern dem Mann sehr gern zu Willen waren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2023 um 06.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52234

Noch einmal zu Skinners "Air crib" und http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50657

In a review of Opening Skinner’s Box: Great Psychological Experiments of the 20th Century (February 14) we repeated a story in the book that BF Skinner’s daughter Deborah was psychotic, had sued her father unsuccessfully and had later shot herself. In fact Deborah Skinner Buzan has never been psychotic, nor has she shot herself, nor sued her father, with whom she had a close, loving relationship. We apologise unreservedly to Ms Skinner Buzan for the distress and embarrassment caused. (http://www.snopes.com/science/skinner.asp)

Einzelheiten im zweiten Band von Skinners Autobiographie. Dort stellt er auch fest, daß die "Box" eigentlich die perfekte Voraussetzung für Konditionierungsexperimente gewesen wäre; er hat sie aber nicht dazu genutzt, sondern lediglich Beobachtungen angestellt.

Er berichtet auch über a priori erhobene Bedenken eines Pädagogikprofessors und seine Erwiderung. Der (natürlich nicht ausschließliche) Aufenthalt in der vollklimatisierten "Air crib" scheint der zweiten Tochter (bei der ersten, Julie, gab es die Erfindung noch nicht) ausnehmend gut bekommen zu sein, denn sie war nie erkältet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2023 um 07.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52235

Skinner zitiert – anstelle eines Tagebuchs – viel aus seinen Briefen an den besten Freund, Fred Keller, hier über seine erste Tochter:

"She’s a swell little kid," I told Fred, "and very verbal. So far, she has not successfully assailed my behaviorism." Later I would be writing, "Julie thrives. Her verbal behavior is all out of hand now. She surprises us every day with new words out of the blue. Largely imitation but surprisingly correct usage. Lots of interesting ‘slips’, blends, etc. which suggest a lot of needed research." (Shaping 239)

In der Tat sind die Freiheitsgrade des Sprachverhaltens so groß, daß über rituelle Formeln hinaus eine Voraussage des genauen Wortlauts bald unmöglich wird. Das entkräftet aber nicht den empiristischen Ansatz und sollte nicht als „Kreativität“ mystifiziert werden. Bei nichtsprachlichem Verhalten ist es nicht grundsätzlich anders.

Bei dieser Gelegenheit noch eine Nachbemerkung zum Thema Selbstmord: Der Selbstmord scheint die freieste und persönlichste Entscheidung zu sein, und doch hat die empirische Soziologie im 19. Jahrhundert die statistische Vorhersagbarkeit des Selbstmordes erkannt (Durkheim).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2023 um 05.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52363

Die Justuzibialität von Noten

(https://studienseminar.rlp.de/fileadmin/user_upload/studienseminar.rlp.de/gy-ko/Fachseminare/katholische_Religion/Didaktik_und_Methodik/09_Im_Religionsunterricht_Leistung_messen.pdf)

Soll das ein Scherz sein? Weil es gleich zu Anfang dieser (gegenderten) Seite noch so einen Hammer in einer Sprechblase gibt, könnte man es meinen, aber ich sehe den Sinn nicht.
 
 

Kommentar von Tante Google, verfaßt am 07.12.2023 um 14.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52365

Die Tasten "i" und "u" liegen auf der Tastatur direkt nebeneinander, also vermutlich einfach nur ein Flüchtigkeitsfehler. Daß dieser (und der Verdoppelungsfehler am Anfang) übersehen wurden, spricht auch eher dafür, daß hier mit heißer Nadel gestrickt wurde. Nicht einmal das Gendern ist durchgängig und einheitlich durchgezogen. Neben Binnen-I, Doppelnennung und "SuS" sind auch noch zwei Stellen mit generischem Maskulinum "Schüler" durchgerutscht.
Solche Texte werden vermutlich sowieso vom kaum jemanden gelesen, Fehler werden also auch nicht bemerkt. Da lohnt sich die Arbeit eigentlich nicht. Wer kämpft sich schon durch 39 Seiten Textbrei?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2023 um 15.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52367

Das mit u und i passiert mir auch oft, aber das Wort ist ja noch durch einen weiteren Fehler zu dem auffälligen Monstrum geworden, so daß der Schluß sich aufdrängt: Auch die Betreiber der Seite lesen nicht mehr, was sie da eingestellt haben.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.12.2023 um 16.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52368

Es wimmelt ja auf dieser Seite von Fehlern, da gibt es orthographische, typographische, Kommafehler, unpassende Wörter, seltsames Deutsch, fünf verschiedene Arten von Genderung oder Nichtgenderung. Müßig, alles einzeln aufzuzählen. Sie ist insgesamt so nachlässig geschrieben, daß wohl kaum ein Scherz bei einem einzelnen Wort, sondern eher ein unfreiwilliger Gesamtwitz vorliegt.

"Schüler(innen) nehmen die Notengebung positiv auf (erwarten sie Bewertung.)"
Erwarten sie Bewertung?

"Leistungsmessung und Unterrichtsevaluation
sind deshalb aufeinander verwiesen."
Sind aufeinander verwiesen?

Usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2024 um 06.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52671

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#50322

Zum "lyrischen Ich" gibt es eine treffliche Fußnote von Wilfried Stroh:

„Die heute übliche Versicherung, dass in einem subjektiven Gedicht nicht der Autor selbst, sondern nur die persona eines „Sprecher-Ichs“ oder dgl. rede – übrigens schon den Philologen vor hundert Jahren eine Selbstverständlichkeit –, verdeckt, obschon richtig, die Tatsache, dass subjektive Gedichte wie ganz besonders die der römischen Elegie (mit ihren provokanten Aussagen), ihre Wirkung zu einem großen Teil daraus ziehen, dass der Autor eben in der Tat mit seiner Person und bürgerlichem Namen für das Gesagte einsteht.“ (Wilfried Stroh: „Sexualität und Obszönität in römischer ‚Lyrik‘“. In Theo Stemmler/Stephan Horlacher, Hg.: Sexualität in der Lyrik. Mannheim 2000:11-49; https://stroh.userweb.mwn.de/schriften/obszoenitaet.html)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2024 um 06.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52707

In der Diskussion um den Englischunterricht lautet nun die Parole eines Didaktikers:
„Der Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe muss sich ändern. Er muss weg von der primär grammatikalischen Ausrichtung.“ (SZ 2.2.24)
Nanu? Kennen wir das nicht irgendwoher? („Der Sprachunterricht muß umkehren“ von Quousque Tandem = Wilhelm Vietor 1882)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2024 um 09.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52723

Die Enkelin (6;9) nach dem „Lesen“ eines Aufklärungs-Bilderbuchs: „Ich glaube, der Josi ist ein Einzeller.“ – Dieser wiederum, ihr Bruder (2;9), fragte neulich: „Sind wir alle Menschen?“

Solche Einblicke in den geistigen Horizont der Kinder erinnern uns immer wieder daran, was man Kindern pädagogisch zumuten kann und was nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.02.2024 um 13.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#52879

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#47133 (und Herrn Riemers Ergänzung):

Die Frage ist auch für Erwachsene nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Fragt man, welches Wort länger sei, Strolch oder Tasse, könnte wohl die Gegenfrage gestellt werden, was eigentlich gemeint ist.

Abgesehen von der Schriftform kommen Zahl der Silben, Zahl der Phoneme (sehr abstrakt!) und Artikulationsdauer in Frage.
Einfache Menschen müssen erst mal lernen, was eine Silbe ist und daß auch das Anhängsel mit dem Murmelvokal als volle Silbe zählt.

Auch wird Eidechse recht hurtig gesprochen, während Kuh beliebig gedehnt werden kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.03.2024 um 16.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53003

Schule war auch früher kein Vergnügen. Augustinus im „Gottesstaat“ über Schulangst: „Wer würde nicht zittern, wenn er noch einmal ein Kind sein müßte, wer würde nicht lieber den Tod wählen?“

Konjugieren lernte man am Beispielsatz "Der Lehrer schlägt den Schüler".

Die Sanskritschüler konjugierte wenigstens "Devadatta (= Theodor) kocht Brei".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2024 um 14.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53088

Um den Niedergang des Rechtschreibunterrichts zu illustrieren, kann man ein Stockfoto (IMAGO Bildnummer: 0380658197) verwenden, das eine Schultafel mit dem Schriftzug „Entschuldigen Sie bitte meine Fela!“ zeigt. Das ist sehr ungeschickt gemacht. Es gibt keinen Schüler, der alles übrige richtig und nur „Fehler“ nach Gehör schreibt. Auch ist die Schrift selbst eine ausgeschriebene Erwachsenenschrift. Schon während der Reformdurchsetzung waren solche Machwerke beliebt. Sie belegen die Gleichgültigkeit gegenüber dem Thema, die auch die Reform möglich machte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2024 um 16.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53090

In der Reihe „Reclam XL – Text und Kontext“ heißt es zu jedem Text:

„Er wurde auf der Grundlage der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln orthographisch behutsam modernisiert.“

Außerdem erfährt man: „Alle Bände der Reihe Reclam XL – Text und Kontext werden seit 2020 klimaneutral gedruckt. CO2-Emissionen, die bei der Produktion nicht vermieden werden können, werden durch Unterstützung eines Klimaschutzprojekts ausgeglichen. Das von Reclam unterstützte Klimaschutzprojekt fördert den Waldschutz im Urwald von April Salumei in Papua-Neuguinea.“

Wir leben in seltsamen Zeiten!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2024 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53091

In der Reihe sind auch Kafkas „Brief an den Vater“ und „Das Urteil“ erschienen. In den Fußnoten werden manche Wörter erläutert, bei denen (auf diesem Niveau) der Grund nicht recht einzusehen ist. z. B. Ärgeres durch Schlimmeres, nicht aber z. B. Bücherkasten, was ja in Österreich einen Bücherschrank bezeichnet (so daß der Vater sich daran festhalten kann).

In den Kommentarteil sind viele psychoanalytische Texte gepackt, sicher nicht jedermanns Geschmack.

Außerdem gibt es zu vielen Reclam-Texten einen "Lektüreschlüssel", der alle erdenklichen Lehrerfragen und alle erdenklichen Schülerantworten enthält, so daß man keine KI braucht, um alle erdenklichen Prüfungen zu bestehen. Aus den USA ist solche Fürsorge schon lange bekannt.

Es ist auch keine ganz neue Frage, ob die totale Pädagogisierung nicht die naive Freude am Lesen beeinträchtigt. Manche finden es geradezu tödlich, ein Stück Literatur immer schon unter dem Gesichtspunkt zu lesen, welche Fragen dazu in einer Prüfung auftauchen könnten. Man könnte den Schülern zur Hand helfen, indem man sie auf Werke verweist, die noch nicht in die Hände der Schulmeister gefallen sind.

(Schon gar nicht wollen die Schüler wissen, in welches Regenwaldprojekt der Verlag ein wenig von seinen Gewinnen abzweigt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2024 um 05.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53116

Zum vorigen:

Wenn man Psychoanalytiker ranläßt, geht es alsbald "ödipal" zu, so auch mehrmals im knappen Kommentarteil zu Kafka. Anscheinend glauben viele, damit etwas gesagt zu haben. Hier fällt es besonders auf, weil es ja kein aufzudeckendes Geheimnis ist, wovon der "Brief an den Vater" handelt. Erstaunlich, daß auch nach gut 100 Jahren der Überdruß an diesem Jargon noch nicht stark genug ist, einen Bogen darum zu machen. Mich hat es nach meinen heftigen Freudschen Jugendjahren (vor und nach dem Abitur) mächtig abgestoßen. (Das können die Psychoanalytiker erklären, bestimmt liegt was Ödipales vor, gegen den Übervater Freud, ein schwerer Fall von Verdrängung.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.04.2024 um 05.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53128

"Verstünde man seinen Vortheil man würde nichts Überliefertes tadeln, besonders was uns nicht anmuthet liegen lassen, um es vielleicht künftig aufzunehmen. Dies begreifen die Menschen nicht und behandlen den Autor wie einen Garkoch; dafür liefert man ihnen denn auch Jahrmarkts-Bratwürste nach Herzenslust.
‚Anders lesen Knaben den Terenz
Anders Grotius.‘
Mich Knaben ärgerte die Sentenz,
Die ich nun gelten lassen muß.
Lese ich heute den Homer so sieht er anders aus als vor zehen Jahren; würde man dreyhundert Jahre alt, so würde es immer anders aussehen. Um sich hievon zu überzeugen blicke man nur rückwärts, von den Pisistratiden bis zu unserm Wolf schneidet der Altvater gar verschiedne Gesichter.“ (Goethe an Zelter am 8.8.1822)

Aus einer Abi-Musteranalyse, wie man sie im Internet findet:

Das Gedicht „Anders lesen Knaben den Terenz“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Wolfgang von Goethe. Der Autor Johann Wolfgang von Goethe wurde 1749 in Frankfurt am Main geboren. In der Zeit von 1765 bis 1832 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Bei Goethe handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Literaturepoche, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. Der Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging.
Usw.

Der deutsche Aufsatz ist fast immer intellektuelle Hochstapelei, und wenn die Hefte zufällig erhalten bleiben, liest der Erwachsene sie nicht ohne Erröten. Es erfordert eine gewisse Reife (und daran erkennt man die Wahrheit von Goethes Epigramm, das beiläufig die „Rezeptionsästhetik“ samt „philosophischer Hermeneutik“ vorwegnimmt), die Jugendsünden mit Nachsicht zu betrachten, als unvermeidliche Stufen zu größerer Reife (oder auch nicht: das Hochstapeln kann bleiben und professionell wachsen...).
Stilistische Kleinigkeiten setzen den Ton. Das Gedicht ist von Goethe, das ist die Vorgabe, aber so einfach kann man es unter Gebildeten nicht sagen: es „stammt aus der Feder“. Die Epochenzuordnung fehlt fast nie. Sie scheint eine sichere Nummer zu sein, denn an den Daten ist nicht zu rütteln. Auf dem Niveau des Schulunterrichts wird der Sinn solcher Periodisierung nicht angezweifelt, mögen auch die Literaturwissenschaftler längst darüber hinaus sein. Dieses Buchwissen schiebt sich vor die Lektüre. Der jugendliche Verfasser wüßte wohl kaum zu sagen, was die Verse (und ihre Deutung im Brief an Zelter) mit „Sturm und Drang“ usw. zu tun haben. Der Gedanke selbst könnte ebensogut eine Sentenz aus dem Terenz wiedergeben; er drückt ja eine zeitlose Lebenserfahrung aus. Kann der Abiturient sie überhaupt noch machen, wenn die Texte von so viel Wissen aus zweiter Hand umstellt sind?
Wenn man von den Zwängen der Schule absieht, würde man mit einem jungen Menschen zunächst über die Sache selbst reden, die hier – wie so oft in den Xenien – schlagartig ein Licht aufgehen läßt. Dazu müßte man erklären, wer Grotius, die Peisistratiden und F. A. Wolf waren, vielleicht auch Terenz (sogar am altsprachlichen Gymnasium kaum noch Pflichtlektüre) und sogar Homer. Das ist eine ganze Menge, was die Gebildeten vor 200 Jahren im kleinen Finger hatten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.04.2024 um 05.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53159

In Augsburg tritt der neuseeländische Didaktik-Guru Hattie auf. Der Berichterstatter ist nicht besonders beeindruckt. Die umstrittene, zuerst besinnungslos verehrte Hattie-Studie liegt lange zurück, Neues hat er nicht zu bieten. Die Schulministerien, die auf Hattie abgefahren waren, können sich den nächsten Sensationen widmen. Der Nürnberger Trichter bleibt im Angebot, heißt nur immer wieder anders.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2024 um 05.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53174

Aus der Bekanntschaft erfahre ich von der Lehrprobe einer Grundschul-Kandidatin: In einer dritten Klasse sorgten zwei oder drei ungezogene Kinder dafür, daß die Stunde völlig aus dem Ruder lief und die junge Frau nur deshalb nicht durchfiel, weil die Prüfer gnädigerweise die heute alltäglichen Umstände an deutschen Schulen berücksichtigten. Wenn sie nach dieser Erfahrung nicht hinwirft (solche Fälle kenne ich auch), kann sie eine gute Lehrerin sein. Es ist kein Wunder, daß kaum noch jemand diesen Job ausüben möchte. Es wären noch weniger, wenn alle wüßten, was auf sie zukommt. Nur wenige Menschen (am ehesten Männer, die man aber in der Grundschule kaum noch antrifft) strahlen die natürliche Autorität aus, die solche Früchte häuslichen Versagens im Zaum halten kann, um die sich eigentlich die Sonderpädagogik kümmern müßte. Weder als Schüler noch als Eltern haben wir solche Verhältnisse in Erinnerung, jedenfalls nicht aus der Grundschule.

In der Öffentlichkeit werden pädagogische Thesen diskutiert, die mit dem täglichen Überlebenskampf der Lehrer nichts zu tun haben. Die meisten Lehrer leiden stumm, weil sie sich scheuen, ihr vermeintliches Versagen zuzugeben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.05.2024 um 15.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53184

Aus den Abituraufgaben in Deutsch: „Interpretieren Sie das Gedicht...“

Die Seltsamkeit dieser Aufgabe wird gar nicht mehr bemerkt. Es gibt eine schultypische Tätigkeit „Interpretieren“, die im Leben der Schüler sonst nicht vorkommt. Eigentlich war die Philologie angetreten, Texte wiederherzustellen (Textkritik) und dunkle Stellen zu erklären. Bei den Griechen ging es zunächst um Homer, anderswo um heilige Texte. In Indien wurde außerdem das Opferritual erklärt und gedeutet, aber auch die Sicherung des Wortlautes und die semantische, etymologische und grammatische Erklärung der alten Sprache spielte eine große Rolle. Kurz gesagt: die „Interpretation“ war an eine bestimmte Aufgabe gebunden. Wir haben in der Schule auch noch moralische Fragen „am Beispiel“ von Schillers Dramen oder an „Michael Kohlhaas“ erörtert. Aber welche Frage liegt eigentlich der Interpretation eines zeitgenössischen Gedichts zugrunde? Das wird gar nicht ausgesprochen, das Interpretieren legt einfach los, wie die Schüler es jahrelang geübt haben. Hat das einen Bildungswert? Wenn überhaupt, erinnert man sich später mit Grausen oder mit einer gewissen Scham an das Gerede, zu dem man in der Schule gezwungen wurde.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.05.2024 um 08.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53220

Bayern schneidet am schlechtesten ab.“ Es geht um Bildungschancen, irgendwelche Zahlen und Quoten, Gymnasialschüler, sozialen Hintergrund usw. Ich will das nicht nachrechnen. Wenn man die Parameter geschickt wählt, ist Bayern Schlußlicht (was man schon vorher wußte). Interessanter wäre, „was hinten rauskommt“, also der Erfolg der Bildungssysteme im Vergleich: Wie sind die Berufschancen und die Einkommen der Absolventen? Aber wie meistens wird eine Tonnenideologie vorausgesetzt: Je mehr Abiturienten, desto besser. (Wir kennen den OECD-Maßstab des Bildungsökonomen Schleicher.) Ob das Abitur für so viele Menschen (von denen die Hälfte dann doch nicht studiert) das Richtige ist, wird nicht gefragt. Die Ausbildungsberufe kommen sowieso nicht vor.
Laut der Ifo-Untersuchung schneiden Bayern und Sachsen nach gewissen Parametern am schlechtesten ab, Berlin, Brandenburg und das Saarland am besten. Korreliert das nun positiv mit den von mir vorgeschlagenen Erfolgskriterien? Wenn ich da meine Zweifel habe, liegt es gewiß nicht an bayerischem Lokalpatriotismus; ich stamme ja aus dem feindlichen Ausland (Hessen).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2024 um 09.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53317

In einem alten Buch (Stoll: Handbuch der Religion und Mythologie der Griechen und Römer. Leipzig 1964 – ein Longseller!) ist vorn ein Einkleber mit der typographisch hübsch gestalteten Inschrift: „Für Fleiss und gutes Betragen zur Anerkennung und Aufmunterung dem Ober-Tertianer Paul Krüger das Lehrer-Collegium der Saldernschen Realschule. Ostern 1872. Riebe“
Der Ober-Tertianer Paul Krüger und das Datum in feinster Schönschrift, wie man sie heute nicht mehr zu sehen bekommt. Der Ort ist nicht angegeben, es war Brandenburg. Direktor Riebe war der Mathematiklehrer Carl Ferdinand Riebe.
Ein wenig erstaunt hat mich die Zueignung an einen Realschüler, denn die detaillierte Kenntnis der antiken Mythologie würde man eher am humanistischen Gymnasium erwarten. Stoll hat dieses und andere Werke zwar für die Schule verfaßt, aber es scheint nicht zum Kanon gehört zu haben, sonst wäre es dem fleissigen Paul nicht als Ehrengabe verliehen worden. Aber ein schöner Brauch! Ich stelle mir gern vor, daß Paul zu Hause wenige Bücher hatte (wie ich) und dieses schöne Buch ihn stolz machte. Heute gibt es in der Grundschule nur Fleißsternchen und Gummibärchen und in der Sekundarstufe gar nichts mehr.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2024 um 07.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53467

Durch moralisch gefestigte junge Forscher:innen wissen wir jetzt, daß Maria Montessori eine schreckliche Rassistin, Menschenzüchterin, Faschistin usw. war, deren Pädagogik auf Exklusion abzielte, auch wenn die Montessorischulen heute aufgrund eines Mißverständnisses die inklusivsten überhaupt sind (meine Frau hat, wie erwähnt, eine mitgegründet, nämlich diese https://www.montessori-erlangen.de/schulgeld/, und anfangs auch dort unterrichtet).

Gerade lese ich auch, daß die "Zauberflöte" Mozarts Abschied von der Aufklärung war. Dialektik hilft eben immer.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2024 um 07.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53468

Ein Schulleiter und sein Stellvertreter weigern sich, die Reifezeugnisse auszuhändigen, weil Abizeitung und Abirede voller Unverschämtheiten waren. Ich kenne die Einzelheiten nicht und interessiere mich nicht dafür, wohl aber für meine alte Frage, wo die pädagogische Zuständigkeit aufhört. Abiturienten sind in der Regel volljährig, an der betroffenen Schule waren sie außerdem von der Noteninflation betroffen und in erstaunlichem Umfang „sehr gut“, aber das ist ein anderes Thema. 16jährige wählen lassen, aber 18- bis 20jährigen, unbeschränkt Geschäftsfähigen jede Flegelei nachsehen, ihnen gar noch persönlich die „Reife“ bescheinigen? Man könnte sagen, die Schulleitung habe die jungen Leute nicht im Griff gehabt, sei selbst für ihre Produkte verantwortlich usw., aber damit würde man den Einfluß der Schule überschätzen. Den zivilisierten Umgang lernt man in der Familie.
Den alten Schultyrannen kann es nach dem Entzug aller Disziplinierungsmittel nicht mehr geben, so daß die süße Rache am Schluß auch nicht recht einleuchtet.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.07.2024 um 22.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53470

Ich habe gerade im deutschen Fernsehen (NDR) gehört, daß ein Abiturient den Notendurchschnitt 0,7 haben soll. Es wurde zweimal gesagt, konnte also kein Versprecher sein. Im Netz habe ich dann eine Art Erklärung gefunden, es hängt wohl mit dem Punktesystem zusammen, eine 1 gibt es danach schon für 14 Punkte, 15 Punkte zählen als Null-Komma-Irgendwas, so kommen dann also Durchschnitte unter 1 zustande.

Für mich reiner Selbstbetrug. Es gibt nun mal keine Note 0, man kann nicht Noten mit irgendwelchen Pjnkten mischen.
Genauso wie der Fall, daß ein Durchschnitt von 1,5 bis 1,99 noch als sogenannter 1er Schnitt gilt, obwohl es eine zwar gute, aber eben immer noch eine 2 im Durchschnitt ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2024 um 04.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#53472

Bei Ländervergleichen fallen die deutschen Schüler zurück, aber: „Zahl der Eins-Nuller-Abis hat sich seit 2013 verfünffacht“ (MDR).

Daraus folgt, daß das Abiturzeugnis eine Mogelpackung ist. Was es allerdings nach Ansicht einiger Kritiker schon im 19. Jahrhundert war.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.10.2024 um 05.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#54122

Die Enkelin (2;10) fühlt sich bei den Großeltern zu Hause. Als der Vater hinzukommt, sagt sie ihm: „Du kannst dich ruhig umsehen.“ Sie zeigt ihm, was es alles gibt.
In ihrem eigenen Haus hilft die Oma mit der Betreuung aus, weil die Mutter beschäftigt ist. Die beiden bereiten sich auf ein Picknick vor, packen einen kleinen Rucksack und verlassen das Haus. Statt in die Landschaft, wie die Oma gedacht hat, geht sie durch die Gartentür auf die Terrasse, setzt sich auf eine Bank und beginnt mit dem Picknick. Später erzählt ihre Mutter, daß sie das am Vorabend genau so geplant hat. Sie genießt es, bei der Oma Regie zu führen, was sie mit den Eltern nicht kann.

Das Kind übt sich in verschiedene Konstellationen ein und erwirbt in jeder besondere Fähigkeiten. Am schwierigsten ist vielleicht das gleichberechtigte (symmetrische) Spiel mit anderen Kindern, im Unterschied zu älteren oder jüngeren Geschwistern.

Der Freud-Schüler René Spitz: Kinder imitieren Erwachsene und diese umgekehrt die Kinder. Soweit richtig. Das wird nun als Identifikation gedeutet. Das Kind übernimmt das „Nein!“ als „Identifikation mit dem Aggressor“ (ein Beispiel für die schülerhafte Übernahme Freudscher Begriffe). „Identifikation“ erklärt nichts, es geht um Verstellung, Rollenspiel. In einer selbstgewählten Rolle beherrscht das Kind die Situation. Das ist einfacher, berechenbarer, angstfrei. (Diese psychologischen Begriffe lassen sich operationalisieren, „Identifikation“ nicht.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.11.2024 um 07.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#54201

Die gleiche Enkelin kommt mit ihrem Vater vom Dachboden und sagt in die Smartphone-Kamera – als Botschaft an die Großeltern: „Da ist ein schwarzer Marder in meinem Haus.“

Abgesehen von der sehr korrekten Aussprache fällt mir auch der Possessivartikel auf, der für sie zur Zeit völlig normal ist. "Unser" wäre seltsam.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.11.2024 um 05.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#54228

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#54201

Nachtrag: Tatsächlich sagte die Kleine "in meim Dachboden", und "meim" war kein Tippfehler meinerseits. Meine Bemerkung über die korrekte Aussprache galt dem "schwarzen Marder", was in diesem Alter oft noch nicht richtig gesprochen wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2024 um 07.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#54265

Die SZ (26.11.24) hat einen großen Artikel über Rechtschreibung in der Schule. Die Reform, die alles leichter machen sollte, wird nicht erwähnt. Dafür erfährt man, daß Hessen „Schlusslicht“ ist, weil nur dort die Rechtschreibfehler noch gezählt und bewertet werden. Allerdings gibt es eine Diskussion, ob Rechtschreibung nicht doch eine gewisse Bedeutung habe. – Wie ich vor vielen Jahren mal notiert habe: Schreiben heißt eigentlich und hieß schon immer Rechtschreiben. Die deutsche Schule folgt dem Motto: Wir lehren alles – außer Schreiben. Anderswo sieht man das nicht so.

(Den Artikel ziert ein Foto: eine Kinderhand übt Schreiben, allerdings nicht in Vereinfachter Ausgangsschrift!)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2024 um 13.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=897#54268

Wenn wir einem Kind das Schreiben beibringen, soll es natürlich das richtige Schreiben sein. Eine Fünfjährige kennt alle Buchstaben und hat das Schreiben „grundsätzlich“ verstanden, aber nirgendwo auf der Welt würde man sagen, daß sie schreiben kann. Sie schreibt Tiernamen: TIGEA FEHT ELIFANT AFE GERAFE SEONT EISBEA RE HÖASCH (Hirsch) FAU. Alles lesbar, aber soll man es dabei bewenden lassen, und warum eigentlich nicht? Wenn es Unterrichtsstoff ist, muß es auch bewertet werden. Anderfalls könnte man fragen, warum Geschichts- und Biologiekenntnisse, Rechenfähigkeit und musikalische Leistungen dem Wettbewerb ausgesetzt sein sollen, nur die Schreibfähigkeit nicht, obwohl sie stets als Grundbaustein aller Schulbildung angesehen wurde und „Alphabetisierung“ in der ganzen Welt das allererste Ziel der Bildungspolitik ist. Ich finde es arrogant, wenn zähneknirschend eingeräumt wird, in der Gesellschaft legten nun mal viele (fehlt nur noch „Ewiggestrige“) noch Wert auf korrektes Schreiben.
 
 

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