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25.11.2012
Kreter
Bemerkung zum Lügner-Paradox
Als ich mich vor Jahrzehnten mit Deixis zu beschäftigen begann, fiel mir auf, daß auch präzisere Fassungen des "Epimenides" einen unheilbaren Fehler enthalten. Kurz gesagt: Es ist nicht möglich, sich in einem Satz eindeutig auf diesen Satz zu beziehen. An dieser Selbstreferentialität hängt jedoch die ganze Sache.
Dieser Satz ist falsch.
Welcher?
Manche versuchen es mit Indizes, aber damit wird die Sache noch schlechter, weil deren Referenz erst recht unklar ist. Man könnte die Selbstbezüglichkeit durch einen zweiten Satz klarstellen, aber dann entfiele das Paradox natürlich ganz.
Als freche kleine Jungs haben wir an die Wand gemalt: "Wer das liest, ist doof." Weiter sind die Philosophen auch nicht gekommen.
Wittgenstein hielt nicht viel von solchen Paradoxen, und Skinner meinte, interessant sei nur die Frage, wie der Verfasser dazu gekommen ist, solche Sachen zu konstruieren (Was ist Behaviorismus? 1978:114). Und in den Notebooks sagt er: „Don't spend time on paradoxes constructed by moving words around.“ (321)
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Kommentar von rjb, verfaßt am 02.12.2012 um 05.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#22050
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Weshalb soll diese Bezugnahme nicht möglich sein? Wegen der Grammatik des Wortes "dieser"? Die ist mir diesbezüglich so klar nicht. Man kann die Grammatik so festlegen, daß ein Selbstbezug ausgeschlossen wird; das entspricht gängigen Verfahren zur Vermeidung ähnlicher Paradoxien.
Der folgende Satz ist falsch. Der vorhergehende Satz ist richtig. Man muß das nicht interessant finden, man muß aber auch Ansichten von Wittgenstein oder Skinner nicht interessant finden, und die Sache hat allerlei Weiterungen, siehe etwa
http://www.math.ucla.edu/~asl/bsl/0903/0903-004.ps
(das Lügner-Paradox wird dort auf p.371 erwähnt).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.12.2012 um 06.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#22051
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Auf das Wort "interessant" soll es nicht ankommen. Eschers Architekturzeichnungen sind interessant, aber nicht für Architekten.
Hinter der Kritik steht ein Bild vom Sprachverhalten, das solche Begriffe wie "Bezugnahme" nicht mehr enthält. Die konstruierten Paradoxien ähneln tatsächlich Eschers Bildern: es sind unmögliche Gegenstände bzw. Ereignisse, deren Darstellung jedoch raffinierterweise verbirgt, daß sie unmöglich sind. Aus naturalistischer Sicht wird das Sprachverhalten von der Wirklichkeit gesteuert. Man kann aber seine Elemente auch ohne solche Steuerung kombinieren und dann erst nachsehen, ob dem resultierenden Konstrukt etwas Wirkliches entspricht, von dem es gesteuert werden könnte (= das man unter die Kontingenzen der Verstärkung bringen könnte, also in der Sprachgemeinschaft funktionalisieren könnte). Dabei kann man in die Irre gehen, wie es Escher spielerisch mit seinen Abbildungen unmöglicher Gegenstände getan hat. Das meint Skinner mit dem Umherschieben von Wörtern, wozu es in "Verbal Behavior" ausführliche Erörterungen gibt.
Hätten wir mehr Übersicht, würden wir unmögliche Gegenstände gleich als unmöglich erkennen, sinnlose Sätze gleich als sinnlos. Der Mathematiker erkennt einen falsch gebildeten mathematischen Ausdruck gleich als unmöglich und legt ihn beiseite (uninteressant, nicht wahr?). In der Sprache ist das leider nicht so. Daher so glänzende sprachkritische Abhandlungen von Ryle und anderen, die z. B. Kategorienfehler nachweisen.
Eine Paradoxie wie der "Lügner" ist ein unmögliches Ereignis in diesem Sinne und daher – uninteressant (wenn auch amüsant). Auch Russells Barbier, der alle und nur die rasiert, die sich nicht selbst rasieren, hat in Wirklichkeit kein Problem mit seinem eigenen Bart. Skinner interessiert sich nur für diese Wirklichkeit und lehnt es ab, seine Zeit auf die mutwillig konstruierte Frage zu verwenden, ob dieser Barbier sich nun selbst rasiert oder nicht.
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Kommentar von rjb, verfaßt am 13.12.2012 um 06.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#22110
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"Der Mathematiker erkennt einen falsch gebildeten mathematischen Ausdruck
gleich als unmöglich" - je nachdem tut er das eben auch nicht. Russells Barbier-Paradox ist die volkstümliche Variante jener Paradoxie, die Frege während der langjährigen Arbeit an seinen "Grundgesetzen der Arithmetik" nicht bemerkt hatte, und durch die er, von Russell darauf aufmerksam gemacht, sein Werk als hinfällig betrachtete. Daß hier Paradoxien vorliegen, ist jedoch
nicht durch einen Abgleich mit der "Wirklichkeit" zu erkennen, etwa indem man durch die Dörfer fährt und die Praktiken der jeweiligen Barbiere untersucht, sondern es ergibt sich durch logisches Schließen, für das man nicht einmal aus dem Sessel aufstehen muß, aber trotzdem eine Gewißheit
ganz anderer Qualität erreicht als durch eine Forschungsreise, bei der immer die Möglichkeit besteht, ein Objekt der fraglichen Art nur deshalb nicht gefunden zu haben, weil man daran vorbeigefahren ist.
Es ist umstritten, was mathematische Sätze (oder meinetwegen mathematisches Sprachverhalten) eigentlich sind. So gibt es die Ansicht, es handele sich um Aussagen (die wahr oder falsch sein können) über existierende Gegenstände
einer allerdings nicht-empirischen Art; oder es sei eine Form reinen, allerdings strikt regelgeleiteten Sprechens ohne externen Bezug. Sehr wohl gibt es in mathematischen Theorien aber interne Bezüge, und auch die Notwendigkeit, diese explizit zu benennen. Der Versuch, Mathematik unter Sprache zu subsumieren, scheint mir schon daran zu scheitern, daß es in der Sprache kein Pendant zu den mathematischen Beweisen gibt; und ein Versuch, Mathematik unter das von Ihnen skizzierte naturalistische Sprachverständnis zu subsumieren,
erschiene mir vollkommen fehlgeleitet. Das sagt natürlich nichts aus über die Fruchtbarkeit dieses naturalistischen Ansatzes in der Betrachtung alltäglichen Sprechens, und in diesem Kontext mögen Paradoxien von der Art des Lügners ein Phänomen untergeordneter Bedeutung sein. In Mathematik und Logik ist das jedoch anders.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.12.2012 um 16.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#22111
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Fällt das mathematische Verhalten Ihrer Ansicht nach unter symbolisches Verhalten oder nicht? Ist es überhaupt eine Art von Verhalten? Menschenwerk?
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Kommentar von rjb, verfaßt am 21.12.2012 um 07.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#22168
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Was ist mathematisches bzw. symbolisches Verhalten? Ein Grundschüler übt das kleine Einmaleins (auch das spielt sich ja inzwischen unter dem Titel "Mathematik" ab, und nicht mehr "Rechnen"), Perelman beweist die Poincare-Vermutung (und lehnt anschließend den ihm dafür verliehenen Preis ab) – da scheint mir doch eine beträchtliche Spannweite dazwischenzuliegen. Verhalten ist natürlich beides, dazu genügt es, daß da Menschen sind, die etwas tun. Solche Dinge wie die Struktur des Systems der natürlichen Zahlen halte ich nicht für Menschenwerk, seine (partiellen) Repräsentationen sprachlicher oder formaler Art schon.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2013 um 17.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#22259
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Man kann nicht nicht philosophieren. Wer die Philosophie ablehnt, philosophiert schon. (Antiker Kalauer)
Man kann nicht nicht kommunizieren. (Kalauer von Watzlawick)
"Wer Kritik der Hermeneutik betreibt, der betreibt immer noch Hermeneutik." (Kalauer von Rolf Selbmann: „Kafka als Hermeneutiker. 'Das Urteil' im Zirkel der Interpretation“. In Jahraus/Neuhaus Hg.: Kafkas „Urteil“ und die Literaturtheorie. Stuttgart 2002:36)
Man kann sich auf die andere Seite drehen und weiterschnarchen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2014 um 17.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#24923
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Philosophen sprechen gern von Moores Paradox: "p, aber ich glaube es nicht." - wo p eine Tatsachenbehaptung sein soll. Man kann auch konstruieren: "Tu dies, aber ich will es nicht!" usw., alles ziemlich langweilig.
Interessanter ist folgendes:
"Ich glaube p, aber ich weiß es nicht."
Das wird jeder als Explikation des normalen Sprachgebrauchs von glauben und wissen akzeptieren. Oder fast jeder, dazu ein andermal!) Dagegen:
"Ich weiß es, aber ich glaube es nicht."
Das scheint widersprüchlich zu sein und sich nicht mit dem Sprachgebrauch zu vertragen. Wenn man allerdings unter "Glauben" keine theoretische Haltung, sondern eine Praxis versteht, könnte man sich folgendes überlegen: Freud und andere haben beobachtet, daß wir nicht so recht an den eigenen Tod glauben, jedenfalls den größten Teil unseres Lebens über. Natürlich wissen die Menschen, daß sie sterben müssen, aber in ihrem täglichen Treiben verhalten sie sich so, als wäre das nicht der Fall. Noch unwirklicher scheint im Augenblick zu sein, daß die Deutschen aussterben. Bei einer Geburtenrate von 1,3 ist das unausweichlich, aber wen beschäftigt es wirklich? Man weiß es, aber man glaubt es nicht.
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 24.01.2014 um 12.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#24929
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"Ich weiß es, aber ich glaube es nicht", das dürfte ziemlich genau die unausdrückliche Reaktion z.B. von Feministen wiedergeben, denen man sagt, Geschlecht könne nicht zugleich ein bloßes soziales Konstrukt sein und die Wurzel einer Dichotomie, die das Sein so weit aufteilt, daß es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. Sich in der Position des Stärkeren zu wähnen, sobald sie der Gegenseite ihre Denkfehler nachgewiesen haben, ist ein notorischer Irrtum derjenigen, die es besser wissen und von ihrem Wissen Gebrauch machen. Für den Gläubigen dagegen ist der Punkt, an dem die Absurdität seiner Vorstellungen aufbricht, gerade die Zitadelle, nicht deren Schwachpunkt – credo quia absurdum. Spätestens die Unaufgeregtheit, mit der ihm einer seine Aporien und Zirkel zerpflückt, wird ihn überzeugen, daß seine Widersacher bestenfalls Zyniker sind.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2014 um 08.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#27199
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Auch nett:
„Da der Atheismus die Existenz Gottes leugnet oder ablehnt, ist er eine Sünde gegen das erste Gebot.“ (Katechismus der Katholischen Kirche, § 2140)
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 29.10.2014 um 09.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#27201
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Eine Sünde gegen das erste Gebot wäre auch das allgegenwärtige Bildnis von Jesus am Kreuz, verstößt es doch gegen das Bildnisverbot. Und das Sabbatgebot wurde auch kurzerhand um einen Tag verschoben.
Die Religion selbst darf also "uminterpretieren“, verlangt aber, andere haben sich nach ihrer Vorgabe zu richten. Aus diesem religiösen Selbstverständnis resultiert in der Geschichte viel Leid, wenn dieses Denkprinzip dann "umgesetzt" wird.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2014 um 11.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#27202
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Aus logischer Sicht, die hier interessiert, gehört der verzwickte Satz eigentlich nicht zum "Kreter", sondern unter das Bohrsche Hufeisen, s. hier.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2015 um 09.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#30226
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Über die logisch-mathematischen Paradoxien und Antinomien ist sehr viel geschrieben worden. Völlig anders und sehr kurz ist der Abschnitt in Skinners "Verbal behavior":
"Für Sprachen, die andere Sprachen beschreiben, haben sich die Logiker interessiert, um gewisse Paradoxa aufzulösen. Nehmen wir zum Beispiel das Heterologie-Paradox. Manche Wörter scheinen sich selbst zu beschreiben. Kurz ist ein kurzes Wort, und deutsch ist deutsch. Solche Wörter kann man homolog nennen. Französisch ist kein französisches und infinitesimal kein sehr kleines Wort. Solche Wörter sollen heterolog heißen. Dann ist homolog selbst ein homologes Wort, aber wie steht es mit heterolog? Wenn heterolog heterolog ist, beschreibt es sich nicht selbst und ist folglich homolog; dann ist es jedoch heterolog. Dieses Problem hat nichts mit autoklitischem Verhalten zu tun. Die Schwierigkeit entsteht aufgrund der Annahme, daß ein Wort sich selbst beschreiben kann. Kein Wort beschreibt etwas; man könnte allenfalls sagen, daß ein Wort „dazu verwendet wird, etwas zu beschreiben“, aber wir haben gesehen, daß selbst diese Ausdrucksweise ihre Schwierigkeiten hat. In einer Analyse des Sprachverhaltens sollten wir ungefähr folgendermaßen vorgehen. Nehmen wir eine kleine Welt von gedruckten Wörtern wie KURZ, INFINITESIMAL, DEUTSCH und FRANZÖSISCH, und dazu einen Sprecher, der über textuelle Reaktionen und Takts verfügt. Dann haben textuelle Reaktionen und Takts in bezug auf einige dieser sprachlichen Reize dieselbe Form. Man kann die Zeichenkette KURZ lesen, indem man kurz sagt, und man kann sie beschreiben, indem man ebenfalls kurz sagt. Man kann die Zeichenkette FRANZÖSISCH lesen, indem man französisch sagt, aber man beschreibt sie mit dem Wort deutsch.
Damit ist das Heterologie-Paradox allerdings noch nicht aufgelöst. Es gibt gewisse Takts, die sich auf Sprachverhalten beziehen, aber nicht nur seine Form beschreiben, sondern auch seine Beziehungen zu steuernden Variablen. Ein Wort ist zum Beispiel „passend“ nicht allein aufgrund seiner Form, sondern in bezug auf eine Situation. (321) Während wir das Wort PASSEND lesen können, indem wir passend sagen, können wir es nicht passend nennen, ohne noch etwas mehr darüber zu wissen. Von dieser Art sind auch homolog und heterolog. Wer lesen kann, kann beide Wörter lesen, indem er homolog bzw. heterolog sagt, aber beschreiben kann er sie nicht, ohne etwas über die Umstände zu wissen, unter denen sie vorkommen."
Die "Beziehungen zu steuernden Variablen" sind das, was man üblicherweise Bedeutung oder Funktion nennt; auch der letzte Satz spielt darauf an. Mit einem naturalistischen Zeichenbegriff, der die Metaphysik des Sichbeziehens oder gar des Bezeichnens von Begriffen nicht kennt, läßt sich das Paradox gar nicht formulieren, und darum interessieren diese Sprachspiele den Verhaltenspsychologen auch nicht weiter.
Das Paradox, auf das Skinner sich hier bezieht, ist die Grelling-Nelson-Antinomie:
„Sei φ (M) dasjenige Wort, das den Begriff bezeichnet, durch den M definiert ist. Dieses Wort ist entweder Element von M oder nicht. Im ersten Falle wollen wir es ‚autologisch‘ nennen, im anderen ‚heterologisch‘.9 Das Wort ‚heterologisch‘ ist nun seinerseits entweder autologisch oder heterologisch. Angenommen, es sei autologisch; dann ist es Element der durch denjenigen Begriff definierten Menge, den es selbst bezeichnet, es ist mithin heterologisch, entgegen der Annahme. Angenommen aber, es sei heterologisch; dann ist es nicht Element der durch denjenigen Begriff definierten Menge, den es selbst bezeichnet, es ist mithin nicht heterologisch, wiederum entgegen der Annahme.“
Fn. 9: „Beispiele von autologischen Worten sind: deutsch, dreisilbig, kurz. Beispiele von heterologischen Worten sind: englisch, einsilbig, lang.“
(Leonard Nelson: Gesammelte Schriften III. Die kritische Methode in ihrer Bedeutung für die Wissenschaften. Hamburg 1974:95–127, S. 103f.)
(„Leichter verständliche“ Fassung nach Grelling/Nelson 1908:307f.):
„Jedem Wort kommt der Begriff, den es bezeichnet, entweder als Merkmal zu oder nicht. Im ersten Falle nennen wir es autologisch, im zweiten heterologisch. Das Wort 'heterologisch' ist nun selbst entweder autologisch oder heterologisch. Angenommen, es sei autologisch; dann kommt ihm der Begriff, den es bezeichnet, als Merkmal zu, es ist also heterologisch. Angenommen, es sei heterologisch; dann kommt ihm der Begriff, den es bezeichnet, nicht als Merkmal zu, es ist also autologisch.“ (zit. nach Berka/Kreiser, Hg.: Logik-Texte. Berlin 1971:339)
Das Deutsche von der Antinomie zu befreien erfordert erheblich mehr Veränderungen als schlichte Verfeinerungen der Definitionen von „autologisch“ und „heterologisch“. Der Umfang dieser Hindernisse im Deutschen ist mit dem der Russellschen Antinomie in der Mengenlehre vergleichbar.
Das Deutsche leidet keineswegs an solchen Krankheiten, die werden nur künstlich konstruiert, aber vergeblich, weil auf der Grundlage einer unaufgeklärten Sprachtheorie.
Der Wikipedia-Eintrag "Grelling-Nelson-Antinomie" wirkt stellenweise etwas kindisch – in jenem Sinne, in dem man die Philosophie überhaupt kindisch finden kann. Siehe besonders den Abschnitt "Bedeutung für die Unterhaltungslinguistik".
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.05.2016 um 14.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#32699
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Gott macht nicht immun gegen Fundamentalismus (Überschrift Tagesspiegel 28.5.16)
Ziemlich vertrackt, wenn man drüber nachdenkt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.05.2021 um 14.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#46077
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Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist es nicht bedeutungslos, daß die ursprüngliche Fassung des Lügner-Paradoxes (Κρῆτες ἀεὶ ψεῦσται = Kreter sind allezeit Lügner) einen hyperbolischen Gebrauch von Lügner macht. Als ob ein Lügner jemand wäre, der immer lügt. Es kann aber keine Sprache geben, in der immer Falsches gesagt wird. Nicht einmal lernen könnten die Kinder eine solche Sprache, weil sie ja von den Erwachsenen nicht die richtigen Namen der Gegegnstände erfahren würden usw. - Wie denn auch Kant zu bedenken gibt, daß die Maxime "Du sollst/darfst lügen" die Möglichkeit der Sprache und damit auch des Lügens aufheben würde.
Man sieht, was Skinner mit "moving words around" meinte. Man fügt Wörter aneinander und überlegt, was das Ganze bedeuten könnte. Russell erfand: „Ein Mann sagt: Ich lüge gerade“, Prior formulierte "This sentence is false" usw. Um auf meinen Vergleich mit Escher zurückzukommen: Dessen "Gebäude"-Zeichnungen sind ingeniös und hübsch anzuschauen, aber sie reißen keinen Bauunternehmer vom Hocker.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2021 um 05.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#46081
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Paradoxien des Lügner-Typus lassen sich auch mit mehreren Sätzen erzeugen, so etwa mit folgenden beiden:
„Der nächste Satz ist falsch.“
„Der vorhergehende Satz ist wahr.“ (Wikipedia)
Die Herstellung sprachlicher Vexierbilder ist kein philosophisches Problem. Sätze, die aussehen, als seien sie sinnvoll, sich aber bei näherem Hinsehen als verunglückt herausstellen – was soll daran philosophisch relevant sein? Man stellt Wörter zusammen und fragt dann, was das Ergebnis bedeuten könnte.
Ich denke nicht.
Ich habe kein Bewußtsein.
Ich kann nicht sprechen.
Dazu könnte man allenfalls sagen: Was meinst du eigentlich?
Ich wünsche mir, wunschlos zu sein.
Ich wünschte, ich wäre tot.
Das darf man sicher nicht so interpretieren: Wenn ich tot wäre, wäre ich zufrieden Es ist aber keine Paradoxie, Antinomie oder so etwas. Schon die alten Griechen sagten: Das Beste für uns wäre, nicht geboren zu sein; das Zweitbeste ist, sich so bald wie möglich wieder davonzumachen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2021 um 15.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#46085
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Ein pragmatisch fehlerhafter Satz wie Aristoteles war Grieche, aber ich glaube es nicht (Stephen C. Levinson: Pragmatik. Tübingen 1990:7) – eine Illustration von „Moores Paradox“ – ist so uninteressant wie die Definition eines unmöglichen Gegenstandes („rundes Viereck“). Es kommt eben nicht vor, oder nur aufgrund von unvollkommener Sprachbeherrschung. Ein solcher Satz hat „keine Verwendung“, wie Wittgenstein sagen würde. Um ihn in einem philosophischen Text zu bilden, braucht man Verstellungs- und Imitationsfähigkeit. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Man kann es nach Belieben weitertreiben: Gib mir das Brot, aber ich will es nicht. Wie spät ist es, aber ich will es nicht wissen.
Man könnte von Satz- bzw. Sprechakt-Kandidaten sprechen: Es sieht auf den ersten Blick so aus wie ein Satz bzw. ein Sprechakt, aber man muß genauer hinsehen, ob es wirklich einer ist. Vgl. „Wie kann man vom Verstehen und Nicht verstehen eines Satzes reden; ist es nicht erst ein Satz wenn man es versteht?“ (Wittgenstein: Philosophische Grammatik 1). Das ist gar nichts Ungewöhnliches. Ich beantworte Wittgensteins Frage mit dem Kandidaten-Begriff, den ich schon zur Definition des Zeichens angewendet habe.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2022 um 15.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#48664
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Natürlich kann man – wie über alles andere – auch über das Sprachverhalten sprechen, es also mit weiterem Sprachverhalten kommentieren usw. Das bedeutet nicht, daß Sprache „reflexiv“ sei (Lyons: Semantik I:19). Beliebt ist auch die Konstruktion eines vermeintlichen Paradoxes, daß das Gehirn sich selbst erforsche. Natürlich können wir nicht auf unseren Körper verzichten, wenn wir den menschlichen Körper erforschen. Aber wo ist das Problem? Ein logisches ist es bestimmt nicht, dieser Eindruck kommt nur von der Formulierung („sich selbst“). Müßige Spielerei.
Ebenso:
„Die Erforschung des menschlichen Gehirns ist ein eigentümliches, weil letztlich zirkuläres Unterfangen. Ein kognitives System versucht sich selbst zu ergründen, indem es sich im Spiegel naturwissenschaftlicher Beschreibungen betrachtet. Solange es nur um Erklärungsmodelle für sensorische oder motorische Leistungen geht, die sich auch an Tieren studieren lassen, gleichen die erkenntnistheoretischen Fragen denen der übrigen Wissensdisziplinen. Ganz anders jedoch, wenn es Ziel ist, Erklärungen für jene mentalen und psychischen Funktionen zu finden, die den Menschen ausmachen.“ (Wolf Singer: Der Beobachter im Gehirn. Frankfurt 2002:9)
Das Problem entsteht nur durch die sonderbare Redeweise, wonach „ein kognitives System sich selbst zu ergründen“ versucht. Systeme ergründen nichts. Menschen forschen – über alles mögliche.
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Kommentar von TheodorIckler, verfaßt am 23.09.2023 um 05.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#51779
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Noch einmal zu "Moores Paradox":
Aristoteles war Grieche, aber ich glaube es nicht.
Ich formuliere um:
Aristoteles war Grieche. Das ist nicht wahr.
Wo ist das Problem?
Ich vertrete mit Skinner die Meinung, daß die sogenannten Antinomien, über die so viel geschrieben worden ist, sich nicht einmal sauber formulieren lassen. Schon darum stellen sie keine interessante Aufgabe. Das gilt vom "Epimenides" bis zu Grelling-Nelson.
(Nebenbei: In der formalen Logik hat das "aber" des Beispiels keinen Platz. Solche dialogbezogenen Elemente fallen in Logik und Mathematik weg. Ich habe meine Umformulierung entsprechend abgespeckt.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2023 um 07.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#52036
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„Donald Davidson held that beliefs are correctly called ‘states of mind’, that ‘having a belief is ... being in a state’ . John Searle holds that beliefs are ‘intentional mental states’.“ (Peter Hacker: „On the ontology of belief“. In Mark Siebel/Mark Textor, Hg.: Semantik und Ontologie. Frankfurt/Lancaster 185-222, S. 194, gekürzt)
Wieder werden alltagspsychologische Begriffe wie „glauben“, die ihren Sinn allein in der alltäglichen Verständigungspraxis haben, philosophisch ausgedehnt („geistiger Zustand“), bis ihr Sinn zweifelhaft wird. Der scheinplausible erste Schritt – „Wer etwas glaubt, befindet sich in einem bestimmten geistigen Zustand“ – stellte die Weichen bereits falsch und ist später nicht mehr korrigierbar. Um die philosophisch verfremdeten Begriffe zu entmystifizieren, müssen wir uns auf den wirklichen Sprachgebrauch besinnen. Es gibt zwei Hauptverwendungen, die autoklitische und die epistemische:
1. „ Ich glaube, heute ist Freitag.“ Das läßt sich so paraphrasieren: Heute ist Freitag, aber meine Gründe zu dieser Aussage sind unzureichend; ich bin nicht sicher. Der Matrixsatz enthält einen impliziten Kommentar zur Sicherheit der Aussage. Solche nicht propositional ausgedrückten Kommentare nennen wir mit Skinner „autoklitisch“.
2. „Ich weiß, daß ich sterblich bin, aber ich glaube es nicht.“ Damit ist etwa gemeint, daß eine theoretische Gewißheit in der Praxis nicht bestimmend ist. Ich verhalte mich nicht so, als wäre mir der bevorstehende Tod jederzeit gegenwärtig.
Die epistemische Version ist von Philosophen zu „Moores Paradox“ verschärft worden und hat eine breite Diskussion hervorgerufen. Ein Satz wie „Aristoteles war Grieche, aber ich glaube es nicht“ (Stephan C. Levinson: Pragmatik. Tübingen 1990:7) besteht eigentlich aus zwei Sätzen, die einander zwar nicht logisch, aber pragmatisch widersprechen und daher nicht zugleich wahr sein können. Das wird klar, wenn man expliziert:
„[Ich halte für wahr, daß] Aristoteles Grieche war, und ich halte nicht für wahr, daß Aristoteles Grieche war.“
Der eingeklammerte Teil ist eine implizite Aussage, die als unausgesprochener Obersatz mit jeder Aussage verbunden werden kann. „Für wahr halten“ läßt sich in Verhaltensbegriffen rekonstruieren als „zur Verteidigung bereit sein“. Dazu muß man die isolierten Sätze in einen dialogischen Kontext zurückversetzen, in dem sie eine bestimmte konventionelleFunkt haben. Also etwa:
„Ich bin bereit, die These zu vertreten, daß Aristoteles Grieche war, und ich bin nicht bereit, die These zu vertreten, daß Aristoteles Grieche war.“
Der gleiche Effekt läßt sich mit anderen Sprechakttypen erzielen:
„Gib mir das Brot! Ich will es nicht.“
„Wie spät ist es? Ich will es nicht wissen.“
Solche „Züge“ im Dialogspiel haben keinen rechten Sinn. Man weiß nicht, was man damit anfangen soll. Die schon erwähnte Architekturzeichnung von M. C. Escher, die nur auf den ersten Blick ein begehbares Gebäude darzustellen scheint, ist in ähnlicher Weise ein Abbildungskandidat. Unter „Paradoxon“ bringt Wikipedia das „Penrose-Dreieck“, eine unmögliche Figur, die der Namengeber nach dem Vorbild Eschers entworfen hat (der seinerseits von Penrose zu weiteren Werken dieser Art angeregt wurde). Sobald man erkannt hat, wie diese Figuren hergestellt sind, verschwindet alles Problematische. So gibt es auch sprachliche Gebilde, die für den flüchtigen Beobachter wie Sätze oder Sprechakte aussehen, sich aber bei näherem Hinsehen als „unmöglich“ herausstellen. Es gibt für solche Wortverbindungen wie Moores Paradox so wenig eine Verwendung, wie sich Häuser nach Eschers Zeichnungen bauen lassen – mehr ist dazu nicht zu sagen.
„Für logische Zwecke kann man sagen: ‚Jeder Satz, sei er noch so lang, läßt sich in einen längeren verwandeln, indem man anfügt und der Mond ist rund.‘“ Aber die Sätze, die sich daraus ergeben, können auf triviale Variable zurückgeführt werden und nötigen uns nicht dazu, sie als Sprachverhalten zu bezeichnen. (Skinner: Verbal behavior S. 450)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2024 um 16.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#54339
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1538#52036
Zu Moores Paradox könnte man noch die schöne Stelle aus Shakespeares Sonett 138 anführen:
I do believe her, though I know she lies.
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