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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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15.01.2010
 

Durchsichtige Wörter
Ein Vorschlag zur Terminologie

Der Begriff der Durchsichtigkeit oder Transparenz ist in der Wortbildungslehre schon lange bekannt, Hans-Martin Gauger hat ihn auch zum Titel eines recht guten Buches gemacht, das leider in den neueren Wortbildungslehren und Abhandlungen kaum noch erwähnt wird.
Ein Wort wie Holzkiste oder Schönling ist vollkommen durchsichtig – auf andere Wörter hin, mit denen es zusammengesetzt oder von denen es abgeleitet ist. Die genaue lexikalische Bedeutung muß in jedem Fall gesondert gelernt werden, die Durchsichtigkeit hat nur einen gewissen Hinweis- oder Aufschlußwert.

Nun gibt es aber unzählige Wörter, die für den Hörer offensichtlich mit anderen in einer Beziehung stehen, die aber ein heutiger Sprecher nicht in derselben Weise hervorbringen könnte wie eben gezeigt. Der Hörer hört den Zusammenhang, kann aber nicht sagen, wie es eigentlich zugeht. Diese Teildurchsichtigkeit möchte ich "Transluzenz" nennen. Beispiele für transluzente Zusammenhänge:

Bau – Bauten – Gebäude
begehren – Begierde
blind – blenden
dienen – Dienst
essen – fressen
Feuer – Funken
frieren – Frost
gebaren – Gebärde
gönnen – Gunst
helfen – Hilfe
jagen – Jagd
können – Kunst
Kreuz – Kruzifix
lachen – Gelächter
laufen – Zeitläufte
Lügner – lügen
nähen – Nadel
nennen – Name
raten – Rat
Rede – redlich
schaffen – Schöpfer
Schuster – Schuh
sechs – Sextett
sehen – Gesicht, sichtbar
senil – Senior
singen – Sänger
tun – Tat
verlieren – Verlust (und Verlies?)
wachen – Wächter
Waffe – bewaffnen
wiegen – wichtig – Gewicht – Wucht
wirken – Werk
wollen – Wille
ziehen – Zucht – Zeuge – Zügel – Zaum

Das ist natürlich eigentlich das, was Augst in seinem Wortfamilienwörterbuch darstellen wollte, aber nicht geschafft hat.

Bei den Fremdwörtern wird noch klarer, daß man den Zusammenhang synchron keinesfalls in Form von Erzeugungsregeln darstellen kann, denn in keinem Fall kann der deutsche Sprecher das eine Wort vom anderen ableiten. Ich liste mal ein paar Verben auf -ieren und ihre Substantivierungen auf:

disputieren – Disput/Disputation
diskutieren – Diskussion
infizieren – Infektion
personifizieren – Personifikation
adaptieren – Adaption
agieren – Aktion
akquirieren – Akquisition
explizieren – Explikation
kaprizieren – (Kaprice)
affizieren – Affekt, Affekt(at)ion
(kolligieren) – Kollektion
seligieren/selegieren/selektieren – Selektion
rezipieren – Rezeption
fingieren – Fiktion
movieren – Motion
erodieren – Erosion
rasieren – Rasur (radieren – Radierung; vgl. Abrasion)
addieren – Addition
konfligieren – Konflikt
konkurrieren – Konkurrenz
reflektieren – Reflexion
suffigieren – ?Suffixation
spazieren – ?Spaziergang
suggerieren - Suggestion

Die meisten Wortbildunglehren und auch neuere Abhandlungen zur Fremdwortbildung versuchen dies auf Produktionsregeln zu bringen. Bestenfalls wird historische lateinische Grammatik daraus, und das kann es ja wohl nicht sein.



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Kommentare zu »Durchsichtige Wörter«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 02.03.2010 um 14.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#15787

Es existiert eine Fehlentwicklung in der deutschen Sprache, wo sie systematisch ungenau ist, nämlich bei einigen Substantiv-Zusammensetzungen: Heute in der Südd. Zeitg.: "Neuer Riesen-Versicherer entsteht". Ist das nun eine Versicherung für Riesen, die ja im Alltag viele Schwierigkeiten haben, oder eine riesige Versicherung? Ähnliche Beispiele gibt es in Massen. Die romanischen Sprachen sind zu beneiden.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 02.03.2010 um 17.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#15789

Ach, lieber Germanist, ich bin kein Fachmann in romanischen Sprachen, aber ich bin sicher, auch da gibt es manchmal Fälle, wo man fragen könnte, was ist eigentlich gemeint, — vor allem, wenn man Sätze aus dem Zusammenhang reißt. (Und Sprache ist ja auch Zusammenhang, nicht wahr?)
Richtig ist allerdings, daß verschriftete Sprache manchmal nicht so eindeutig ist wie die gesprochene Sprache. Aber das Betonungsmuster bei "Riesenversicherer" im Satz zeigt schon deutlich genug an, ob hier Riesen versichert werden oder ob hier ein Mammutunternehmen am Versicherungsmarkt mitmischt. Eine Häuserversicherung ist eben auch was anderes als die Häuser-Versicherung (nehmen wir einmal an, "Häuser" ist ein Nachname). Sie haben aber recht, daß die reformierte Schreibung hier eher Mißverständnisse schafft. Da ist die "Fehlentwicklung", nicht in der deutschen Sprache selbst.
 
 

Kommentar von R. H., verfaßt am 03.03.2010 um 02.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#15790

Inwiefern soll der Zeitungspatzer Riesenversicherer ein Beispiel "für eine Fehlentwicklung in der deutschen Sprache" sein (nämlich dahin, "wo sie systematisch ungenau" werde)? Üblich ist ja Versicherungsriese, und der scheint mir so genau und klar (und durchsichtig) wie die im Tagebucheintrag genannte Holzkiste. – Ich versteh's nicht.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 03.03.2010 um 09.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#15791

Ich finde Riesen-Versicherer auch nicht gelungen, vor allem mit Bindestrich. So werden unnötig Riesen (Plural!) im Verständnis des Lesers heraufbeschworen, schon bevor er sieht, daß es um einen Versicherer geht. Ein Beleg für die Fehlentwicklung der Sprache ist das natürlich nicht.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 03.03.2010 um 11.22 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#15792

Ein Beispiel zur Uneindeutigkeit von Komposita –
Kinderarmut in Deutschland, Kinderreichtum in Afrika:

Häufig hatte Käßmann in sozialen Fragen das Gehör der Politik gesucht, sei es in Sachen Kinderarmut, …(zeit.de)

Pfarrerin Gisela Dittmer, Falkensee: … Frauen aus Kamerun. Statt nur zu klagen … loben sie das ihnen geschenkte Leben, den Kinderreichtum, …(maerkische allgemeine.de)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.03.2010 um 13.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#15793

Der System-Nachteil der deutschen Univerbierungen besteht darin, daß die Verhältniswörter wegfallen, die aber in manchen Fällen notwendig sind, weil je nach dem gemeinten Sinn unterschiedliche in Frage kommen können und der Leser raten muß, welches weggefallen sein könnte.
In den romanischen Sprachen gibt es stattdessen Wortgruppen mit dem notwendigen Verhältniswort. (Das heißt ja genau deswegen so.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2010 um 15.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#15794

Wolf Schneider hat einmal recht witzig geschrieben:

„Der Tomatensaft ist aus Tomaten, aber der Hustensaft ist nicht aus Husten. Im Kinderbett liegt meistens nur ein Kind; im Kindbett darf es nicht liegen, denn in dem liegt die Mutter; die liegt überdies im Wochenbett. Der Schoßhund sitzt auf dem Schoß, aber der Schäferhund nicht auf dem Schäfer. Die Feuerwehr bekämpft das Feuer, die Bundeswehr hoffentlich nicht den Bund.“ (Deutsch für Profis. 2. Aufl. Hamburg 1982:14)

Und mit den Jäger- und Schweineschnitzeln bzw. Bienen-, Imker-, Waben-, Schleuder-, Raps-, Wald- und Wildhonig traktieren wir die Germanistikstudenten im Anfängerkurs, damit sie recht deutlich sehen, was die Wortbildungsbedeutung der Determinativkomposita vom Typ AB ist: 'ein B, das in einer relevanten Beziehung zu A steht'. Man hat immer wieder versucht, diese Unbestimmtheit mit linguistischen Mitteln einzuschränken, aber vergeblich. Ist das nun ein Nachteil? Genauigkeit ist immer möglich, aber nicht immer zu vertretbaren Kosten zu erreichen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.03.2010 um 17.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#15796

Außer weggefallenen Verhältniswörtern gibt es auch die alt- und mittelhochdeutschen Genitive Singular auf -en, die – wohl wegen der Verwechselbarkeit mit Pluralendungen – im Neuhochdeutschen ersetzt wurden, aber in sehr vielen alten Zusammensetzungen weiterleben, wie z.B. in Frauenkirche usw. Nur "Gebildete" wissen das – möglicherweise. Die anderen fragen mit Recht, wo die Männerkirchen stehen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 04.03.2010 um 04.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#15799

Eine "Fehlentwicklung" bei den Komposita im Deutschen kann ich auch nicht erkennen. Ebensowenig halte ich die romanischen Sprachen deshalb für zu "beneiden".

Im Gegenteil, die deutsche Sprache ist in dieser Hinsicht vielfältiger, da wir zumeist die Wahl haben, ein Kompositum oder eine Wortgruppe zu bilden. Dadurch haben wir die Wahl zwischen Kürze und Eindeutigkeit, eine Wahl, die etwa im Französischen fehlt. Auch zwingt uns niemand, die so gerne verspotteten Bandwurmwörter zu bilden.

Mit den Verhältniswörtern ist es im Französischen auch nicht so weit her. Dazu sind die häufigsten Verhältniswörter de und à viel zu mehrdeutig. Nach meinem Eindruck sind Abkürzungen im Französischen viel häufiger als im Deutschen, was mit der fehlenden Kompositionsmöglichkeit zusammenhängen dürfte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.05.2013 um 06.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#23141

„Die exogenen Suffixe -ant/-ent, -iv/-ativ, -abel/-ibel bilden aktivisch-modale Adjektive zu -ieren-Verben: amüsant, kongruent, suggestiv, alternativ, blamabel, explosibel ‚leicht explodierend‘.“ (Wolfgang Fleischer/Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssporache. 4., völlig neu bearbeitete Auflage. Berlin 2012:307)

Es wird nicht erklärt, warum es nicht suggeriv und explodibel heißt. Dasselbe Problem wie bei Verb und Substantiv (s. Haupteintrag) und ein weiterer Beweis für die Unbrauchbarkeit der Methode.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2013 um 09.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#23225

In entrinnen ist das heute unverstandene starke Verb trinnen (mhd.) enthalten, zu dem trennen das Kausativ ist.

Außerdem kann es natürlich das präfigierte rinnen sein. Pauls Wörterbuch setzte daher zwei Varianten an:

1. = ent-rinnen, vgl. da entrannest du Tropfen der Hand des Allmächtigen Kl.
2. = ent-trinnen mit Vereinfachung des t. Zu dem früh untergegangenen einfachen Verb (mhd. trinnen 'davongehen, entlaufen') ist trennen Bewirkungswort (...)

In der Neubearbeitung von 1992 ist die Unterscheidung nicht so deutlich, da ein Verweis auf rinnen fehlt:

1 'auslaufen (von Flüssigkeit)': da entrannest du Tropfen der Hand des Allmächtigen Kl.;
2 'fliehend entkommen'. Zu mhd. trinnen 'davongehen, entlaufen' ist trennen Bewirkungswort (...)

(Kl. = Klopstock)

Augst subsumiert entrinnen ohne Anmerkungen unter rinnen. Es wird auch keine Verbindung von rinnen und rennen hergestellt (wohl aber zwischen verschwinden und verschwenden). Diese Eindeutigkeit der Zuordnung bzw. deren Unterdrückung widerspricht der Tatsache, daß auch nicht genau analysierbare Zusammenhänge zwischen verwandten Wörtern hergestellt werden können. Sogar das entferntere -rünstig könnte unterschwellig mit rinnen in Verbindung gebracht werden. So dürfte es Goethe empfunden haben: Vor deinem Jammerkreuz, blutrünstiger Christe... (= 'blutüberströmt'). Bei Augst bleibt -rünstig völlig isoliert.

In der Neubearbeitung von Paul und noch mehr bei Augst bleibt unklar, wie man vom "Auslaufen" zum "Entkommen" gelangt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.04.2014 um 05.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#25702

Von heute aus gesehen, kann der Laie nicht sagen, ob und wie eigentlich froh und Freude zusammenhängen. Und doch benutzen wir Schadenfreude ganz selbstverständlich als Substantiv zu schadenfroh.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.06.2014 um 07.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#26082

Fischgeruch ist ein durchsichtiges Kompositum, und die Bedeutungsbreite entspricht der von anderen Determinativkomposita. Die naheliegendste Definition "Geruch, der von Fisch und Fischwaren ausgeht" ist zwar richtig, aber man fragt sich trotzdem, ob nicht ein Zusatz angebracht wäre. Der typische Fischgeruch stellt sich ja erst bei Zersetzung ein, geht also gewissermaßen nur von verdorbenem Fisch aus (entsprechend dem Hautgout bei "abgehangenem" Wild). Wikipedia erklärt die Tatsachen:

Als Metabolit des Cholin-Stoffwechsels lässt sich Trimethylamin in vielen Organismen nachweisen. Höhere Konzentrationen entstehen beim mikrobiellen Abbau von Trimethylamin-N-oxid, das vor allem in Seefischen reichlich vorhanden ist, beispielsweise durch Bakterien der Gattungen Pseudomonas und Shewanella. Intensiver Trimethylamin-Geruch ("Heringslake") ist deshalb ein sicheres Indiz für mangelnde Frische.

("mangelnde Frische" = Mangel an Frische)

Das fiel mir gestern ein, als ich notgedrungen in der "Nordsee"-Filiale zwei Makrelen kaufte. In der "Nordsee" ist der Fisch niemals frisch, sondern aufgetaute Tiefkühlware, und riecht mehr oder weniger stark nach Trimethylamin, also wie alte Pisse (s. die weiteren Ausführungen bei Wikipedia). Dafür ist er doppelt so teuer wie bei meinem türkischen Lebensmittelhändler, der wunderbarerweise wirklich frischen Fisch hat, leider nur im Winterhalbjahr, wenn es mit Eis und ohne Tiefkühlung geht. Man sollte meinen, daß die Bakterien keine Zeit haben, wenn der Fisch auf hoher See tiefgefroren und später nur einmal aufgetaut wird, aber dem ist offenbar nicht so.

Daß amerikanische Kinder und auch viele Erwachsene weder frische Ananas noch frischen Grapefruitsaft mögen, weil ihnen der Dosengeschmack (und bei den Ananas der Sirup) fehlt, ist ja lange bekannt, aber ich beobachte es immer mehr auch bei Deutschen. Denaturierung bringt Profit, setzt aber Umerziehung voraus.

Ein Buch der Illusionen, das man schreiben könnte, würde auch viel zur Sprache enthalten, die den täglichen faulen Zauber unterstützt. Auf den Billigsocken, die ich mir heute übergestreift habe, ist in großen Buchstaben Power eingewirkt, und andere Paare zeigen ähnliche englische Wörter (es muß unbedingt Englisch sein!), die mir wohl ein kraftvoll-beschwingtes Gefühl verschaffen sollen. Man kommt sich idiotisch vor; aber irgendwie scheint es doch zu wirken? Allein die "Frische", die uns müden Leuten Nahrungsmittel, Kosmetika und nun auch Socken versprechen, ist ein umfassendes Thema und sicherlich bezeichnend für unsere Zeit.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.06.2014 um 13.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#26084

Durchsichtige Sätze? Wenn ich den Satz "dem ist nicht so" analysiere wie einen Satz aus einer Fremdsprache, fällt mir auf, daß er entweder kein oder ein Dativ-Subjekt hat. Und wer ist dieser "dem"? Bei "dem ist nicht gut" wäre es klar.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 19.06.2014 um 15.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#26085

"Und wer ist dieser "dem"?" - Ich weiß zur Antwort auf das hier (#26084) Gefragte auch nicht weiter, aber ich meine, daß nicht die Frage "wer?" hier wohin führt, sondern "Und was ist dieses "dem" ("was" = Dativ [wie bei "mit was?"])? Sehr fein behandelt Brecht in seiner Ballade von der Lao-Tse-Legende diesen wesentlichen Unterschied: Der Knabe hatte geantwortet: "Daß das weiche Wasser in Bewegung / mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt", also die schulphilosophisch gestellte Frage beantwortet, was was besiegt. Dem Zollverwalter ist aber in der gegebenen politischen Situation nur eine Antwort auf die Frage "wer wen besiegt" verständlich, weil "auch" seiner Existenz viel näher - und fürs rein Philosophische würde er sich sowieso nicht interessieren, das zeigt Brecht mit dem Ton "in einer heitren Regung". Und sehr fein dann die Implikation: Ich kann verstehen, daß du emigrieren willst und nicht laut für alle mithörbar sprechen kannst, also "Schreib mir's auf, diktier es diesem Kinde." - Also hier, meine ich, so etwas wie: Dem ist keine Wahrheit verbunden = dem ist nicht derart/so.

 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 19.06.2014 um 15.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#26086

"Und wer ist dieser "dem"?" - Ich weiß zur Antwort auf das hier (#26084) Gefragte auch nicht weiter, aber ich meine, daß nicht die Frage "wer?" hier wohin führt, sondern "Und was ist dieses "dem" ("was" = Dativ [wie bei "mit was?"])? Sehr fein behandelt Brecht in seiner Ballade von der Lao-Tse-Legende diesen wesentlichen Unterschied: Der Knabe hatte geantwortet: "Daß das weiche Wasser in Bewegung / mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt", also die schulphilosophisch gestellte Frage beantwortet, was was besiegt. Dem "Zollverwalter" ist aber in der gegebenen politischen Situation nur eine Antwort auf die Frage "wer wen besiegt" verständlich, weil "auch" ihm viel näher - und fürs rein Philosophische interessierte er sich sowieso nicht, das sieht auch Brecht und zeigt es mit "in einer heitren Regung" und der Art, wie der arme Zollbeamte ja auch menschlich sprechen kann. Und sehr fein dabei dann die Implikation: Ich kann verstehen, daß du emigrieren willst und nicht laut für alle mithörbar sprechen kannst, also "Schreib mir's auf, diktier es diesem Kinde." - Also hier, meine ich, nicht "wem" = personal, sondern über "was" (impers.) so etwas wie: Dem ist keine Wahrheit verbunden = dem ist nicht derart/so.



 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.06.2014 um 18.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#26091

Also gibt es einen Dativus commodi für Sachen und vorhergehende Sätze.
War das Wilhelm Busch, der mal geschrieben hat "Doch die Verhältnisse die sind nicht so."?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.07.2014 um 08.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#26343

Kot-Schnappi - der Kotgreifer mit dem Beutel, Schluss mit dem Hundekot-Problem.

Werbung eines Versandhandels für Kommunalbedarf. Hübsches Wort für eine weniger hübsche Sache. Der ganze Bereich hat eine Menge mehr oder weniger ansprechender Bezeichnungen hervorgebracht.

Diese Anzeige ist sinnigerweise unter einen Bericht bei focus.de eingeschaltet, wonach Schweizer Abgeordnete "versehentlich" Fäkal-Pornographie zugelassen haben. Warum sollten sie nicht? Normalerweise würde man solche Sachen nur eklig finden, aber das ist doch kein Grund, sie zu verbieten; Nachahmungsgefahr besteht ja wohl auch nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.01.2015 um 09.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#27771

Hoffnung scheint das einzige Substantiv zu sein, bei dem vor dem Ableitungssuffix ung noch ein n eingeschoben ist, ohne daß ein entsprechendes Grundwort zu finden wäre. Wilmanns führt noch zwei ausgestorbene an. Eine Erklärung gibt es nicht, vielleicht Analogie.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2016 um 08.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#32240

In seinem kritischen Büchlein über Sick leitet André Meinunger Nomina agentis vom Verb ab: „Manchmal kommt es dabei zum Ablaut (Änderung des Vokals) tanzen – Tänzer, singen – Sänger.“ (49)

Tänzer zeigt Umlaut, Sänger ebenfalls, aber im Verhältnis zu Sang, erst dieses ist ablautend vom Verb abgeleitet.

Meinunger schreibt übrigens auch:

„Das im Verkleinerungsmorphem -chen wird im Norddeutschen oft zum in Sönke (kleiner Sohn), Anke (Anne) (...)“ (20)

Wie wäre das möglich?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2022 um 05.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1268#50041

„Wortbildungslehre beschreibt, wie aus bestehenden Wörtern neue Wörter gebildet werden.“ (Volker Harm: Einführung in die Lexikologie. Darmstadt 2015:24)
Das wäre eine prospektive oder prädiktive Wortbildungslehre. Es werden aber Beispiele wie Haustür und Regenschirm und viele andere angeführt, die schon gebildet sind und bei denen mehr oder weniger zweifelhaft ist, ob man sie so bilden würde, wenn es darum ginge, die Gegenstände mit neuen Wörtern zu bezeichnen. Dazu sind die vorhandenen Wörter zu sehr spezialisiert. Das wird allerdings von Muttersprachlern kaum bemerkt. Nur die Muster sind noch produktiv.

Es ist weithin üblich, das vorhandene Inventar einer Sprache so darzustellen, als ob es nach "generativen" Regeln allererst zu schaffen wäre. Schon Panini läßt sich so lesen. Man kann das machen, sollte sich aber stets bewußt sein, daß es eigentlich nicht richtig ist. Um bei der Wortbildung zu bleiben: Wahrscheinlich würde man den heute erst erfundenen Regenschirm wieder so nennen, die Haustür eher nicht und den Bleistift ganz gewiß nicht.
 
 

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