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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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19.02.2009
 

Letztere und mehr vom Selben
Paradoxes zur Groß- und Kleinschreibung

In der Dudengrammatik (2005, S. 295) schreibt Gallmann zu erstere/letztere: "Diese Wörter tendieren dazu, Artikelwörter bzw. Pronomen zu werden, was sich daran zeigt, dass der definite Artikel oft weggelassen wird:

Ich habe Edward und Alfred verwechselt. Nicht Ersterer ist mein Ahnherr, sondern Letzterer!"

Ist das nicht kurios? Wenn sie also schließlich Pronomina geworden sind, werden sie groß geschrieben!

Noch etwas Einschlägiges: Auch die Reform hat bekanntlich nichts daran geändert, daß dasselbe und das gleich/Gleiche unterschiedlich geschrieben werden. Aber wie steht es nun nach Artikelverschmelzung? Gallmann führt an wir zwei haben ans selbe gedacht (S. 297). Die Wörterbücher und das amtliche Regelwerk behandeln diesen Fall nicht, im Internet findet man häufig Großschreibung: mehr vom Selben usw., und das scheint mir im Sinne der Reform auch geboten zu sein. Der Rechtschreibrat müßte es klären, damit wir in den vollen Genuß des Selben kommen.



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Kommentare zu »Letztere und mehr vom Selben«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.04.2009 um 10.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#14372

Syntaktisch gesehen, wird ersterer/letzterer teilweise als Pronomen verwendet. Unklar bleibt, ob die Neuregelung und die darauf gegründeten Wörterbücher den folgenden Gebrauch als elliptisch und daher adjektivisch betrachten, was die Kleinschreibung rechtfertigen würde:

"ers|ter... [Komp. zu erst...] : (von zweien) zuerst genannt, gesagt; erstgenannt; der, die, das Erstgenannte: weiße und rote Rosen; die ersteren dufteten nur schwach; er besitzt ein Haus in der Stadt und eines auf dem Land, ersteres hat er gekauft, letzteres hat er geerbt; Ersteres/das Erstere glaube ich nicht."(Duden - Deutsches Universalwörterbuch 2001)

Also die ersteren Rosen? ersteres Haus?

Man weiß nicht, ob das Wörterbuch die Neuregelung richtig auslegt.
Wir finden in Zeitungen gelegentlich: das erstere Modell, für erstere Tranche, der erstere Wert, erstere Möglichkeit, zur ersteren Spezies ( alles aus der SZ 99), aber das ist nicht genau dasselbe.

Dies ist eines der Probleme, die erst durch die Reform entstanden sind und eine Überarbeitung des Regelwerks erforderlich machen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.06.2010 um 06.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#16287

Hier noch ein Beispiel:

Zu unterscheiden sei zwischen innerwissenschaftlichem und öffentlichem Diskurs, und nur im letzteren habe die Wissenschaft affirmierende Funktion. Im ersteren hingegen habe sie die Aufgabe der kritischen (und selbstkritischen) Reflexion, durch die allein Wissensfortschritte erzielt werden können, und dürfe nicht nur, sondern müsse sogar in einer gewissen Exklusivität agieren ...

Mir scheint eine elliptische Deutung zur Rechtfertigung der Kleinschreibung kaum möglich: nur im letzteren Diskurs (?)

Es gibt Unmengen ähnlich zweifelhafter Fälle. Vor der Reform war der Fall klar.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2010 um 09.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#16294

Das Problem erledigt sich für einen besseren Stilisten, weil er erstere – letzterer sowieso nicht verwenden wird. Ich glaube, es war Wustmann, der schon einmal darüber spöttelte, wie der Sprecher seine Argumente in Gedanken durchnumeriert und dann vom Hörer erwartet, daß er dasselbe tut, obwohl er ja noch gar nicht ahnen kann, was der Sprecher vorhat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.10.2010 um 10.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#16871

Die DDR hatte gute und schlechte Seiten, wobei Letztere überwogen. (Hans-Jörg Heims in Süddeutsche Zeitung für Kinder, 6.10.10)

Das ist noch so ein Fall.

Übrigens fährt der Verfasser fort:

„Bei allem Unrecht, das in der DDR herrschte, eines war dieser Staat immerhin: kinderfreundlich. Für die Jüngeren wurde viel getan. Die Betreuung in Krippen, Kindergärten und Schulhorten war kostenlos.“

Das kann man jungen Lesern nicht antun. Es sollte doch klar sein, warum die DDR sich so sehr um die Jugend bemühte: sie brauchte die Arbeitskraft der Mütter wegen der geringen Produktivität, und sie wollte den Nachwuchs rechtzeitig ideologisch und vormilitärisch bearbeiten. Wer diesen Zusammenhang verschweigt, kann gleich zu Hitlers „guten Seiten“ übergehen: Autobahnen, Arbeitsplätze, HJ ....
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 07.10.2010 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#16874

Die DDR hielt ihre Bürger gefangen und zog die Kinder zu ihren willfährigen Gefangenen heran. Das als kinderfreundlich zu bezeichnen ist zynisch oder zeugt von Unwissen über die Gefühle der in der DDR Einsitzenden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2010 um 16.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#17363

Die wohl bekanntesten Kalendergeschichten Hebels sind „Unverhofftes Wiedersehen“ und „Kannitverstan“. Nach Ansicht Ernst Blochs ist Erstere „die schönste Geschichte der Welt“. (Wikipedia über Hebel)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.04.2011 um 14.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#18467

Die FASZ heute auf Seite 57:

..., sondern auch Naturgesetze, die das Verhalten der Sternmaterie und vor allem der Magnetfelder beschreiben. Denn von Letzteren hängt einiges ab.
Vor allem hängt von ihnen ab, ...


Beide Wörter in "von Letzteren" und "von ihnen" beziehen sich auf die Magnetfelder. Ich kann nicht verstehen, warum das eine groß und das andere klein geschrieben werden soll. Da könnte man ja gleich alle Pronomina groß schreiben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.05.2011 um 17.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#18733

Die Bremer sind so stolz auf ihr Land „wie die Bayern auf ihres – nur dass Letztere sich nicht ständig dafür rechtfertigen müssen.“ (SZ 23.5.11)

Die Widersinnigkeit der Großschreibung kommt hier besonders gut heraus. Neben den Bremern, den Bayern usw. sollten auch die Letzteren ein Bundesland bekommen ...
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 23.05.2011 um 20.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#18734

Jaja, schon richtig; widersinnig, na klar. Nur daß den Reformern das eben egal ist, solange ihrem Vereinfachungsdreh Genüge getan ist. Unterscheidungsschreibung kann doch nicht wichtig sein. Denn zu unterscheiden ist doch nicht einfach.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.05.2011 um 10.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#18735

Vereinfachung auf Kosten der Unterscheidungsschreibung:
gestern in spiegel.de als Überschrift: "Hat Merkel die CDU kaputt saniert?" War sie bereits kaputt, als sie saniert wurde?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.06.2012 um 09.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#20850

Es gibt kirchenrechtlich übrigens eine Hierarchie der Geheimnisse, wobei dienstliche niederen Rang beanspruchen als päpstliche. Von Letzteren kann der Papst theoretisch Dispens erteilen. (Zeit 6.6.12)

Die Groß- oder Kleinschreibung von ersterer/letzterer ist ungeklärt, auch weil diese Wörter selten attributiv gebraucht werden (im amtlichen Regelwerk anscheinend gar nicht vorgesehen) und eine elliptische Deutung daher zweifelhaft ist. Daraus wird geschlossen, daß praktisch nur Großschreibung zulässig ist, was aber dem pronominalen Charakter widerspricht. niederen statt niedereren ist haplologisch verkürzt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2012 um 15.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#21124

Denjenigen Lesern aber, die das Verschwinden der Berliner Seiten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der NRW-Beilage der „Süddeutschen Zeitung“ beklagen, die im Rückzug aufs Kerngeschäft eine Musealisierung der Redaktionen sehen, die gar den Untergang des „Tagesspiegels“ und vielleicht der „Welt“ befürchten, seien auf die Relation von Qualität und Preis hingewiesen. Erstere hat bekanntlich seinen letzteren ... (Christina Weiss in Thomas Steinfeld [Hg.]: Was vom Tage bleibt. Frankfurt 2004:14)

(Der Band ist in Reformschreibung gedruckt. Sogar der Beiträger Moritz Baßler wird einmal zu Bassler.)

Der erste Satz ist, wie man sieht, falsch konstruiert, und dann kommt das erstere – letztere in fast schon selbstparodistischer Weise.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2016 um 09.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#32773

Dabei blickte die Sonde als Erste und bisher Einzige auf die polnahe Wolkendecke. (...) Denn als größter Planet des Sonnensystems ist der Jupiter wahrscheinlich auch als Erster entstanden. (FAS 3.7.16)

Man kann das machen, auch wenn es (vielleicht!) nicht einmal von der Neuregelung gedeckt ist. Aber ich nenne es rückständig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.07.2016 um 05.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#32796

Der "Letztere" hat noch eine andere, stilistische Seite, wie überhaupt die Wiederaufnahme mehrerer Gegenstände aus dem Vortext. Wir haben einfach keine Lust, Argumente im stillen zu numerieren und anschließend in derselben oder gar in der umgekehrten Reihenfolge abzuarbeiten:

Voraussetzung für ihn war, daß bei der ersten wie bei der zweiten Lautverschiebung alle unter der gemeinsamen Bezeichnung begriffenen Vorgänge untereinander in einem Zusammenhange stünden, was kaum für jene, sicher nicht für diese zutrifft. (Hermann Paul: Dt. Grammatik. I. Halle 1916:20)

Auf Innovationskult folgte euphorische Traditionspflege. Diese setzte jenen voraus. (FAZ 3.2.96)

Darauf sollte man auch bei der Verwendung von ersterer – letzterer achten:

Die kausative und die konsekutive Satzverbindung beruhen beide auf dem Gedankenverhältnis von Grund und Folge: bei ersterer erhält der zweite Satz die Begründung, bei letzterer aber der erste. (Friedrich Blatz: Neuhochdeutsche Grammatik II. Karlsruhe 1900:711)

Das ist immer schwer zu verstehen, so daß man derartige Verweisformen am besten gar nicht verwenden sollte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.07.2016 um 06.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#32815

Einstweilen möchte ich hauptsächlich betonen, dass die These der sozialen Bedingtheit von Beschreibungen völlig unabhängig von der These der Beschreibungsabhängigkeit von Tatsachen ist und Letztere in keiner Weise unterstützt. (Paul Boghossian: Die Angst vor der Wahrheit. Frankfurt, Suhrkamp 2013:37)

Die Großschreibung eines rein anaphorischen (pronominal gebrauchten) Wortes stört. Gibt es bei einem angesehenen Verlag niemanden, der das spürt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.10.2016 um 17.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#33451

Duden Sprachwissen:

Groß- oder Kleinschreibung von ersterer und letzterer

Attributiv verwendet schreibt man ersterer und letzterer klein: „Kirsten besitzt Fußballschuhe mit Noppensohle und Fußballschuhe mit Schraubstollen. Auf Hart- und Kunstrasenplätzen trägt sie erstere Schuhe."

Dagegen wird die häufiger verwendete substantivierte Form, mit der man auf einen bekannten oder erwähnten Sachverhalt verweist, großgeschrieben: „Kirsten spielt auf unterschiedlichen Plätzen mit unterschiedlichen Schuhen, Viola immer mit den gleichen. Allerdings ist Letzteres nicht unbedingt zu empfehlen."


Hier wird also die verweisende (anaphorische, pronominale) Funktion durchaus anerkannt. Es ist immer derselbe Zynismus der Reform-Vermarkter. Man läßt die Ratsuchenden mit einer unerklärten Vorschrift allein. (s. Haupteintrag zu Gallmann)
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 07.10.2016 um 14.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#33481

Sind "ersteres oder letzteres" nicht einfach nur wie "dieses oder jenes"? Die schreibe ich doch auch nicht groß; ja ich schreibe sie sogar noch kleiner, weil es keine Personen sind wie etwa "dieser oder jener".

Wenn man jahrzehntelang begründet, warum etwas klein geschrieben wird, und dann begründet, warum man es plötzlich groß schreiben _muß_, dann ist für mich irgend etwas faul, also irgendwer hat irgendwann mal gelogen. Das erinnert mich fatal an "1984", und der DUDEN ist das Miniwahr.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.10.2016 um 14.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#33605

Aus der 9. Auflage der Dudengrammatik::

„Einige Adjektive nähern sich den Demonstrativen an, man spricht daher auch von demonstrativen Adjektiven (...) Das zeigt sich auch daran, dass sie schon überwiegend ohne definiten Artikel gebraucht werden. (...) folgender, obiger, ersterer, letzterer“ (280)

Das ist für Gallmann aber immer noch kein Grund, die reformgemäße Großschreibung in Frage zu stellen. Das braucht noch eine gewisse Zeit, bis man sich zu den Einsichten des 19. Jahrhunderts durchringt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.12.2016 um 07.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#34122

Folgerichtigkeit ist das letzte, was ein gestörter Geist preisgeben will. (Douwe Draaisma: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird. München 2013:200)

Schöner Satz aus einem schönen Buch, nicht-reformiert gedruckt.

das letzte ist nicht anaphorisch gebraucht, das würde für Großschreibung sprechen. Andererseits spürt man, daß es nur ein Lückenbüßer zum Zweck der Korrelation ist, also doch irgendwie pronominal. Es geht ja nur um das, was zuletzt preisgegeben wird, und nicht um ein Letztes. So leuchtet die Kleinschreibung durchaus ein. Solche Fälle kann man nicht abschließend regeln.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2017 um 06.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#37156

In der Philosophie des Geistes wird die Frage nach dem Bewusstsein Anderer insbesondere als Qualiaproblem und als Intentionalitätsproblem diskutiert. (Wikipedia „Fremdpsychisches“)

Die Großschreibung wäre gerechtfertigt, wenn es sich um jemanden handelte, der anders ist, nicht aber in rein numerischer Bedeutung.

Vgl. Storms Spruch:

Der eine fragt: Was kommt danach?
Der andre fragt nur: Ist es recht?
Und also unterscheidet sich
der Freie von dem Knecht.


Storm schrieb übrigens groß, aber das war eben das 19. Jahrhundert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.04.2018 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#38553

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#32773

Weder die amtliche Regelung noch der Duden geben hinreichende Kritierien, um solche Fälle zu entscheiden: diese Sonde ... als erste/Erste. Man könnte erste Sonde ergänzen, das würde Kleinschreibung nach sich ziehen, aber ob das im Sinne der Erfinder ist, wissen wir nicht.

Es ist aber erstaunlich, wie oft entgegen der Neuregelung die anscheinend recht subtile Unterscheidung von erster/Erster sich wieder durchsetzt. Das ist mein Lektüreeindruck, ich habe aber keine Belege gesammelt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.05.2018 um 12.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#38695

Tichys Einblick lesen so Viele wie nie zuvor. (Tichys Einblick)

Reformschreibung vom Feinsten, gallmannsch.

ein viel sagendes Lächeln (Duden s. v. viel)

(An dieser Stelle hat die Redaktion anscheinend vergessen, daß sie vielsagend empfiehlt. Regelgemäß müßte auch ein Viel sagendes Lächeln zulässig sein, nämlich „bei Betonung des substantivischen Gebrauchs“.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.12.2018 um 15.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#40267

Die Großschreibung des pronominal gebrauchten ersterer/letzterer ist peinlich genug, aber wenn sie dann auch noch falsch angewendet wird, nach dem Motto "Im Zweifel groß", dann sieht es richtig dumm aus:

In Apuleius’ Roman finden sich alle drei Arten der Bewegung, und in astrologischen Texten sind die beiden Letzteren besonders breit belegt. (Robert Knapp: Römer im Schatten der Geschichte. Stuttgart 2012:27)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.01.2019 um 19.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#40642

Astronomen kennen mittlerweile einige dieser Neutronendoppelsterne. Der Erste von ihnen wurde 1974 mit der Arecibo-Radioschüssel entdeckt. (Sterne & Weltraum 2/2019)

Dieser Fehler kam auch vor der Rechtschreibreform vor, ist aber heute ungemein häufig. Der Grund ist die schwer zu fassende und unzulänglich formulierte neue Regel zu den Zahlwörtern.
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 25.01.2019 um 12.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#40677

Grund ist auch, daß ganze Scharen von Zeitungen (etwa die großschreibverseuchte HAZ und ihre Madsack-Verwandtschaft) hier immer groß schreiben. Auf einen Leserbrief, das ist Jahre her, bekam ich als Antwort, das sei die „neue Rechtschreibung”. Ich habe es dann aufgegeben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.06.2019 um 05.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#41761

Staatsreligion hat nicht die gleiche Bedeutung wie Staatskirche, denn während erstere selbständige Glaubensgemeinschaften beinhaltet (z. B. Katholische Kirche), bezeichnet zweiteres eine dem Staat angegliederte Kirche. (https://de.wikipedia.org/wiki/Staatskirche)

Die Kleinschreibung ist falsch im Sinne der Neuregelung, da erstere, zweiteres hier nicht adjektivisch (attributiv-elliptisch) verstanden werden können.

(zweiterer ist vor allem süddeutsch/österreichisch)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.12.2022 um 08.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#50101

im stillen/im Stillen

Wir fragen: Gibt es hier ein Stilles? Meistens nicht, also ist Kleinschreibung besser, moderner. Der verschmolzene Artikel ist auch nicht herauslösbar, eben weil es kein Stilles gibt, auf das verwiesen werden kann.

Den rückwärtsgewandten Reformern war das zu hoch, sie kehrten zur Dorfschulmeisterregel des 19. Jahrhunderts zurück.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.12.2022 um 12.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#50102

Es heißt ja oft (nach Art der bewährten Rechtschreibung), Substantivierungen würden in adverbialen Fügungen klein geschrieben.
Ich finde hier den Bezug auf Substantivierungen nicht richtig. Ich denke, in dem Ausdruck im stillen liegt eben keine Substantivierung vor, sondern ein Adjektiv. Der Artikel bezieht sich auf ein hier weggelassenes (weil überflüssiges) Abstraktum, das nicht einmal unbedingt als konkretes Substantiv benennbar sein muß. (Man kann manchmal etwas mehr oder weniger Passendes konstruieren.)
Diese Sicht hätte den Vorteil, daß die Regel der Substantivgroßschreibung nicht aufgeweicht werden müßte, es würde m. E. vereinfacht.

Im Stillen ist keine Kohlensäure. (Substantivierung)
Ich trinke es im stillen. (Adjektiv)

Während im ersten Satz von etwas Stillem, dem Getränk, die Rede ist, ist der Bezug des Adjektivs in der adverbialen Fügung unwichtig, davon ist nicht die Rede. Darin stimmt diese Sicht auch mit der von Prof. Ickler und mit dem Duden vor der Reform überein.
Was spräche gegen diese Auffassung?
 
 

Kommentar von Christof Schardt, verfaßt am 24.12.2022 um 00.12 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#50103

Ich meine, man könnte es einfacher haben, indem man sagt: in adverbialen Fügungen werden Adjektive nicht substantiviert.

Heute in der Zeitung gelesen: "am Ehesten"
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.12.2022 um 02.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#50104

Das ginge wohl zu weit. Es wird ja durchaus manchmal mit Recht substantiviert, auch beim hier genannten im Stillen/im stillen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.12.2022 um 03.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#50105

Jene Schulmeisterregel sollte der unbestreitbaren Schwierigkeit abhelfen. Der Artikel vor dem Adjektiv ist rein formal ein Indiz der Substantivierung. Ebenso die Präposition (seit Langem). Die GKS steht aber bei fortgeschrittener leserbezogener Schreibweise in keiner so direkten Beziehung zu den formal definierten Wortarten. Nach der Grundregel der alten wie neuen Rechtschreibung wird normalerweise klein geschrieben. Für die Ausnahme Großschreibung habe ich die Faustregel leicht faßlich formuliert: Groß geschrieben wird, wovon die Rede ist. Im Beispiel also nicht, denn es ist nicht von etwas Langem die Rede.
Die Trennung der GKS von der formalen Wortartunterscheidung wurde von Schreibern mit Sprachgefühl intuitiv eingeführt und war ein bedeutender Fortschritt hin zu mehr Leserfreundlichkeit.
Die Reformer haben zuerst die altertümliche Großschreibung in adverbialen Wendungen mit (verschmolzenem) Artikel wiedereingeführt (im Allgemeinem), und zwar obligatorisch, später auf Gallmanns Betreiben auch ohne Artikel (seit Langem) – fakultativ, aber von den Zeitung gierig aufgegriffen, weil es Folgsamkeit signalisiert. Daher unser Unbehagen an reformierten Texten.
Die Dummheit dieser ganzen Geschichte liegt seit einem Vierteljahrhundert zutage, und ich spüre beim Schreiben einen Widerwillen, mich noch einmal damit zu beschäftigen. Der Rechtschreibrat gibt seit Jahren keinen Laut von sich; niemand weiß, was er treibt, und die Kultusminister sowie das Land BW zahlen auch noch dafür. Unsere investigativen Zeitungen sollten sich einmal dafür interessieren (und auch gleich für das ganze IdS, das jedes Jahr Millionen für nichts verbrät).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.12.2022 um 14.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#50146

Ein Indiz ist halt noch kein Beweis, und eine derart formale Wortartunterscheidung kann m. E. auch nicht der Weisheit letzter Schluß sein. Ein Artikel steht oft vor einem Adjektiv, ohne daß ein Substantiv folgt.

Als besonders störend empfinde ich immer die folgende Art von Großschreibung:

Covid-Guru Drosten ist nicht der Erste, der das Pandemie-Ende verkündet [...]
(Die Weltwoche, Internetseite)

Hier nimmt der Nebensatz die Stelle des Substantivs ein, bzw. es handelt sich um einen relativen, demonstrativen oder elliptischen Gebrauch des Adjektivs, welches dann auch zusammen mit dem Artikel steht (wenn der Artikel nicht verschmolzen ist, wie in ersterer, folgende, dieser, alles.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.12.2022 um 15.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1108#50147

Könnte man Ihre Faustregel, lieber Prof. Ickler, nicht auch so formulieren:

Ein Substantiv ist, wovon die Rede ist.

Vielleicht sollte man noch ergänzen:
... und was nicht pronominal ersetzt wird.

Dann könnte man die Substantivgroßschreibung absolut und eindeutig festlegen.
(Nominationsstereotype und Namen bildeten keine Ausnahme, sie sind Sonderformen des Substantivs bzw. Substantivgruppen. Auch die Großschreibung am Satzanfang und Titelanfang stünde dazu nicht im Widerspruch, sondern ist der andere Grund für Großschreibung.)
 
 

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