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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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29.11.2018
 

Grammatische Exerzitien 14
Apposition und Appositiv

Apposition: Appositionen sind Satzabschnitte, die einem nichtrestriktiven Relativsatz entsprechen. Sie können in allen Formen eines Prädikativums auftreten.
Allzu viele Klischees sind im Umlauf, Meinungsblüten, noch nicht einmal so viel wert wie der Schrott, der am Rande der Stadt herumliegt. (FAZ Magazin 10.12.93)
Vor allem die Portugiesen, vor ihrem Beitritt in den Klub der Zwölf engagierte Verfechter einer Marktöffnung, wollen nun den EG-Binnenmarkt abschotten. (SZ 22.2.86)
Die Präposition einer Präpositionalgruppe kann mitgezogen werden:
Ich möchte jedoch kurz auf die Struktur eines besonderen Objektes eingehen, das dem Wasserstoff sehr ähnlich ist: auf das sogenannte Positronium. (Harald Fritzsch: Quarks. München 1984:39)
Die Apposition zu einem ganzen Satz oder Textstück („Satzapposition“ nach Blatz) entspricht dem weiterführenden Relativsatz:
Von Isokrates wird berichtet, er habe an seiner Hauptrede, dem Panegyrikus, 10 Jahre gearbeitet – ein schrecklicher Gedanke. (Eduard Engel: Deutsche Stilkunst. Wien 1911:462)
Der Physiker und der Logiker interessieren sich für den einfachsten Mechanismus. Ein legitimes Interesse. (Elmar Holenstein: Von der Hintergehbarkeit der Sprache. Frankfurt 1980:48)
Ist die Apposition durch Partikeln wie als zur Adjunktorphrase ausgebaut, so spricht man von einer „unreinen Apposition“.
Als ehemaligem DDR-Rechtsanwalt sind mir die Beweggründe der DDR-Bürger für Flucht und Ausreise wohlbekannt. (FAZ 22.8.89)
Eine Abstimmungsniederlage hätte ihm einen großen Abgang als allseits anerkannten Staatsmann beschert. (Zeit 25.5.79)
Wiederum mitsamt der Präposition:
Er beruft sich auf John Stuart Mill und dessen Argumente für diese Notwendigkeit; an eines davon knüpft Husserl als an das ausschlaggebende an. (Heinrich Niehues-Pröbsting: Überredung zur Einsicht. Frankfurt 1987:204)
Die unreine Apposition kann leicht mit Prädikativergänzungen verwechselt werden:
...mit seiner Auffassung der Sprache als synchronisches Zeichensystem (Willy Sanders: Linguistische Stiltheorie. Göttingen:26)
(Hier liegt zugrunde etwas als etwas auffassen; nicht in Relativsatz umzuformen!)
Appositionen können durch Elemente wie also, das heißt, zum Beispiel, besonders, namentlich, teils, übrigens u. ä. gekennzeichnet werden.
Die Apposition kongruiert im Kasus gegebenenfalls mit einem kasusbestimmten Nominal, auf das sie orientiert ist. Davon gibt es jedoch zahlreiche Abweichungen, teils unter dem Einfluß benachbarter Kasusformen. Besonders häufig ist der Übergang zum Nominativ oder zum Dativ:
Dativ statt Nominativ:
Eines der klapprigen Uralttaxis aus den frühen fünfziger Jahren, einem letzten kuriosen Überbleibsel der Privatwirtschaft, brachte mich ins alte Zentrum der Stadt. (SZ 16.2.80)
Dativ statt Genitiv:
Dazu gehört auch die Unterdrückung der Interferonbildung, dem zelleigenen Schutzstoff gegen Viren. (FAZ 29.9.78; außerdem irregulär zum Erstglied des Kompositums )
Dativ statt Akkusativ:
Durch die Arbeit, einem unmittelbaren Bestandteil der Lebensweise, nehmen Menschen Einfluß (...) (Aus Politik und Zeitgeschichte 21.4.84)
Dasselbe tritt auch bei „unreiner Apposition“ mit als ein:
Sozialgeschichtliche Interpretation als einer umgreifenden Interpretation hätte zu zeigen, wie alle diese Faktoren in die Bilderwelt eingegangen sind. (Helmut Brackert/Jörn Stückrath: (Hg.) Literaturwissenschaft I, 1989:133)
die Überwachung Brechts als potentiell gefährlichem, kommunistischem Politiker und Drahtzieher einer Exilbewegung (Zeit 8.6.79)
Ein Autor muß sich auf seinen Lektor als der letzten korrigierenden Instanz vor Publikum und Kritik verlassen können. (FAZ 28.11.83)
In äußerlicher Kongruenz mit dem Possessivartikel:
Entgegen meinem Ruf als militantem Religionskritiker möchte ich einen Schritt zurücktreten. (Herbert Schnädelbach: Religion in der modernen Welt. Frankfurt 2009:35)
Als distributive Apposition bezeichnet man orientierte Ausdrücke wie diese:
Wir trugen jeder einen Hut.
Eine nach der anderen gehen die guten alten Sitten zum Teufel.
(Zeit 21.2.92)
Einen nach dem anderen beendet die Türkei derzeit ihre außenpolitischen Konflikte. (n-tv 20.8.16)




Appositiv
Appositive sind orientierte Satzabschnitte, die ungefähr einem Adverbialsatz entsprechen.
Technisch betrachtet, ist die PID eine in die früheste Phase der Embryonalentwicklung vorverlagerte pränatale Diagnostik. (FAZ 24.7.02)
(= wenn sie technisch betrachtet wird)
Lange ignoriert, ist Hexerei in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Thema der Afrikawissenschaften geworden. (FAZ 24.7.02)
(= nachdem sie lange ignoriert worden ist)
(Der Autor lehrt Philosophie in Debrecen.) Bis 1989 war ihm dies, zu den Dissidenten zählend, nicht möglich gewesen. (Das Parlament 13.11.92)
(= da er zu den Dissidenten zählte)
Das semantische Verhältnis zum Obersatz kann durch eine Konjunktion verdeutlicht werden:
Obgleich von einer protestantisch-konservativen Umgebung im ostwestfälischen Gütersloh geprägt, hat Mohn zeit seines Lebens Gedanken geäußert, die bisweilen als revolutionär empfunden wurden. (FAZ 30.7.02)
Wenn zur rechten Zeit gesprochen, kann ein Wort Wunder wirken.
Die Orientierung des Appositivs kann sich lockern:
Lediglich fünf Jahre jünger als Willy Brandt, gab es für ihn unter normalen Umständen keine Chance, ins Kanzleramt einzuziehen. (FAZ 17.4.02)
Nüchtern betrachtet, muß man wohl mit weiteren Enthüllungen dieser Art rechnen. (FAZ 22.7.02)
Am Ende der Entwicklung stehen verselbständigte Adverbialien, für die sich keine Bezugsphrase mehr finden läßt:
Der Text zirkuliert seit kurzem in kirchlichen und politischen Kreisen. Anders als üblich, wurde er nicht offziell vorgestellt. (FAZ 4.12.1998)
Während diese Appositive eine sein-Prädikation enthalten, ist bei den folgenden eine haben-Prädikation anzusetzen („absoluter Akkusativ“):
Und so zog ich, den dunklen Hut tief in der Stirn, heimlich durch die Gassen. (Rhein. Merkur 6.5.83)
Alois M., an den Füßen karierte Pantoffeln [Akk.], sitzt in einem Polstersessel von ausgesuchter Scheußlichkeit. (FAZ 17.8.85)
Hierher gehören auch die phraseologisierten Wendungen mit angenommen, vorausgesetzt u. ä., die keine Orientierung mehr erkennen lassen:
Der Wärmetod wäre, hinreichend niedrige Temperatur [Akk.] vorausgesetzt, nicht ein Brei, sondern eine Versammlung von komplizierten Skeletten. (C. F. v. Weizsäcker: Aufbau der Physik. München 1988:178)
Appositivsatz
Adjektivische Appositionen können durch einen Vergleichssatz mit wie, substantivische durch einen Relativsatz erweitert werden:
Grausam, wie viele Menschen leider sind, ergötzen sie sich daran, wenn die Nebenbuhler einander umbringen. (Karl von Frisch: Biologie. München 1967:208)
Emanzipierte Frau, die sie war, ging Lina Loos ihre eigenen Wege. (FAZ 23.8.86:20)
Aber Gras und Kraut und Strauch waren mir nie leibhaftig geworden, flüchtige Reisende, die ich war. (Vilma Sturm: Späte Tage. Köln 1986:144)
Solche Appositivsätze heben die Evidenz des genannten Sachverhaltes hervor; die semantische Beziehung zum Obersatz kann daher kausal, konzessiv oder modal sein, aber nicht konditional oder final. Evidenzverstärkende Adverbialien wie nun einmal, eben, ja usw. sind häufig:
Mutig, wie er nun einmal ist, hat sich Bundesgesundheitsminister Seehofer an eine Altlast seines eigenen Ministeriums gewagt: an die Reform des Medizinstudiums. (FAZ 3.1.94)
Auch hier ist die Verselbständigung zum Adverbialsatz (ohne Orientierung) zu beobachten:
Pragmatisch, wie die Holländer sind, sollte die Grenze einigen Plänen zufolge perodisch und entsprechend einem auf drei Millionen prognostizierten Bevölkerungswachstum nach Osten verschoben werden. (FAZ 27.5.95)

Anmerkungen:
Nachgestellte Attribute sind keine Appositionen:
Röslein rot, Forelle blau
Die sogenannte „enge Apposition“, die in manchen Grammatiken als typischste Apposition gilt, ist wohl besser gar nicht zu den Appositionen zu zählen:
Bundeskanzler Schröder; eine Flasche Wein.
Manche Grammatiken erkennen nur substantivische Appositionen an. Aber Pronomina und Adjektive müßten ebenfalls zugelassen sein, wie die Koordinierbarkeit mit Substantivappositionen nahelegt:
So stehen wir da und schauen, der Gänserich, mein Pudel und ich. (Beispiel von Blatz)
Allzu viele Klischees sind im Umlauf, Meinungsblüten, noch nicht einmal so viel wert wie der Schrott, der am Rande der Stadt herumliegt. (FAZ Magazin 10.12.93)
Auch andere Prädikative kommen in Betracht:
Die Kinder, endlich zu Hause/endlich allein, konnten sich ausruhen.
Obwohl Partizipien am häufigsten den Kern des Appositivs bilden, sind andere Wortarten keineswegs ausgeschlossen:
Tag für Tag unermüdlich tätig, füllte er mit seinen Analysen etwa 45 000 Seiten in Gabelsberger Stenographie. (Edmund Husserl: Die phänomenologische Methode. Hg. von Klaus Held. Stuttgart 1990:9f.)
„Ist diese Uhr denn auch wasserdicht?“ - „Absolut. Einmal drin, kommt das Wasser nie wieder heraus.“
Adjektivische Appositionen kongruieren scheinbar, wenn das Adjektiv in Wirklichkeit Attribut zu einem zu ergänzenden Substantiv bleibt:
von der Gefahr, der ungeheuren (sc. Gefahr) ... (zit. nach Blatz)
Sonst gilt die Unflektiertheit wie bei prädikativen Adjektiven.
Unreine Appositionen sind durch Gliederungsverschiebung aus Vergleichssätzen entstanden. Sie lassen sich als Attribute auffassen, da sie im Gegensatz zu reinen Appositionen unter- und nicht nebengeordnet sind.
Die Abgrenzung zwischen Apposition und Appositiv ist nicht immer klar, weil auch Relativsätze oft einen konjunktionalen Sinn einschließen.
Die suspendierten haben-Prädikationen (Typ: den Schirm in der Hand) sind exozentrisch wie die Bahuvrihi-Komposita, mit denen sie auch die semantischen Beschränkungen teilen: es kommen fast nur Körperteile und Kleidungsstücke vor.



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Kommentare zu »Grammatische Exerzitien 14«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2022 um 07.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#49202

Dazu gleich noch ein schöner Nominativ:

Für ihn sei der Kirchentag als evangelischer Christ „ganz wichtig“. So berichtet die SZ über den bayerischen Kreuzritter Söder. (7.6.22)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.06.2022 um 05.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#49195

Ich hatte nicht von Nominativ gesprochen, sondern von der mit dem Nominativ übereinstimmenden Nullform. Damit meinte ich die Nennform, die hier steht, weil kein regierendes Wort einen obliquen Kasus fordert. Die Präposition "wegen" kürzen wir darum gern ab. Auf Anregung eines ingeniösen japanischen Germanisten könnte man ungefähr so schreiben: "wg.: Mord". Dann kommt das Rubrizierende, Etikettierende besser zum Ausdruck. Es gibt im Deutschen keine Nennform, die nicht mit dem Nominativ übereinstimmte, also der Zitierform, die auch im Wörterbuch auftritt. Immerhin ist es nichtregierte Form. Ein Neutralisationsprodukt (neben der syntaktischen Funktion als Subjekt). Hierher gehört natürlich auch das vielbesprochene Beispiel "aus Stahl", wo man zwar noch sagen kann "aus schwedischem Stahle", aber nie "aus Stahle". Das ist zumindest ein Hinweis. Duden hat noch: "Ich sag es Fürst und Edelmann; das Verhältnis zwischen Patient und Arzt; die Grenze zwischen Affe und Mensch; ein Forstmeister mit Assistent; am Wortende nach Konsonant" (nicht: "Konsonanten") "spricht man …"; Das Gesuch muss Name" (nicht: "Namen"), Beruf und Anschrift enthalten". (Wir hatten das schon: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1369#24323)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.06.2022 um 18.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#49194

Mit wegen wird ja statt des Genitivs oft der Dativ gebraucht, und da in diesen zwei Beispielen auch tatsächlich ein korrekter Dativ vorliegt (das Dativ-e wird sehr oft nicht mehr benutzt), würde ich hier keinen Nominativ hineininterpretieren, nur weil Nominativ und Dativ sich nicht unterscheiden.

In den anderen Fällen halte ich aber die Sicht mit dem Nominativ auch für besser.

Nur, Wahrig erwähnt in diesem Zusammenhang ein entfallendes n. Im Nominativ kann kein n entfallen. In
für Sie als Kunde
sieht er also Kunde entweder im Nominativ oder im Akkusativ mit weggefallenem n.

Und nun meine ich, diese Theorie mit dem weggefallenen n ist doch sehr vage. Woran will Wahrig erkennen, daß da ein Akkusativ-n weggefallen sein könnte und nicht einfach der Nominativ benutzt wurde, den Wahrig ja ausdrücklich auch als üblich, also korrekt anerkennt?
(Da könnte man genausogut sagen, in wegen Mord sei das Genitiv-s weggefallen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2022 um 16.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#49193

Es gibt ja viele Fälle, wo der Kasus nicht angezeigt wird, obwohl es möglich wäre. Man könnte sagen, daß dann eben keiner der bekannten Kasus vorliegt, sondern die mit dem Nominativ übereinstimmende Nullform:

wegen Mord
Wegen Umbau geschlossen
Friseur mit Kunde
(gern in Schlagzeilen oder Bildunterschriften)

Auch in Kommen Sie mit Frau? liegt für mein Gefühl kein Kasus vor. So auch die "engen Appositionen" des Werkstoffes Holz usw.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.06.2022 um 12.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#49192

So isoliert betrachtet ist es aber kaum feststellbar, ob Kunde ein Nominativ oder ein Akkusativ ohne n ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2022 um 11.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#49191

Wahrig: "Maskuline Substantive, die schwach dekliniert werden, stehen hier, wie auch sonst [Verweis], ohne die Endung -en, wenn ihnen nicht ein Artikel, Pronomen oder Adjektiv vorangeht."

(Ich hätte gleich den Passus abschreiben sollen, aber ich habe heute morgen Sick, Duden und Wahrig aus dem Gedächtnis referiert.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.06.2022 um 11.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#49190

Ja, richtig, -en kann im schwachen Akk. entfallen (den Bär), aber nicht das -n bei schwach deklinierten Substantiven auf -e.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.06.2022 um 11.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#49189

Ich habe leider den Wahrig nicht zur Hand, aber meint er wirklich,
(für Sie als) Kunde
sei ein Akkusativ mit entfallenem n? Dann müßte ja die Regel, nach der das n im schwachen Akk. entfallen kann, noch von weiteren Umständen abhängen:
für Sie als guten Kunde
geht ja wohl nicht, hier kann m. E. das n nicht entfallen. Denkbar sind nur:
für Sie als guter Kunde
für Sie als guten Kunden.
Daß im Akkusativ in schwacher Deklination das n entfallen könnte, finde ich sehr fraglich. Gibt es dafür andere, eindeutige Belege?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2022 um 05.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#49187

Sick kritisiert ein Schreiben von Vodafone, in dem es heißt: „für Sie als Kunde“. Bei solchen Appositionen müsse der Kasus kongruieren: „für Sie als Kunden“. Ein Lieblingsthema der Sprachmeisterer schon im 19. Jahrhundert.
Woher hat Sick sein Wissen? Wahrscheinlich aus dem Duden Bd. 9. Der behauptet, hier herrsche „immer“ Kongruenz. Das stimmt nicht, aber es ist wohl als Vorschrift gemeint und daher nur scheinbar eine Tatsachenaussage. Der entsprechende Band von Wahrig hat recht: Normalerweise, aber nicht immer stehe hier der gleiche Kasus wie beim Bezugssubstantiv. Dann folgt die zusätzliche Vorschrift, daß bei schwach deklinierten Substantiven (wozu eben auch „Kunde“) gehört, das -n wegfalle. Also gerade das Gegenteil von Sicks Doktrin. Sick weiß auch nicht, daß bei vorangestellter Apposition wieder andere Verhältnisse herrschen. In den großen Grammatiken des Deutschen wird der wirkliche Sprachgebrauch, auch nichtkongruierende Appositionen bei guten Schriftstellern, sachgerecht dargestellt, aber die kennt Sick ja nicht. Für die verstaubten „Sprachnachrichten“ des VDS ist es gut genug.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.07.2021 um 21.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#46661

Es bleibt also bei solchen Satzgliedern mit als immer, ggf. auch nach einer Umstellung in einen anderen Teilsatz, bei der unterordnenden (unreinen) Apposition. Das Bezugswort (die Orientierung) kann manchmal fehlen und ist dann durch den Kontext gegeben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2021 um 18.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#46659

Weil der Infinitiv kein Subjekt hat, scheint die "Apposition" nicht orientiert zu sein, also, salopp gesagt, in der Luft zu hängen. Das stimmt aber nicht, vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1602#33914 zu den Infinitivkonstruktionen vom Typ angemalt zu sein.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.07.2021 um 18.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#46658

Spätestens nach diesen Umstellungen kann man aber nicht mehr von einer Apposition sprechen:

Ihn ... als Journalist nach seiner Frau zu fragen, ...
..., als Deutscher die Zeit ... zu erklären

Was ist es jetzt? Ein Adverbial? Was für eins?

Wie würde man die anderen Beispiele im Original grammatisch einordnen, wenn man sie sprachlich akzeptiert? Als Apposition mit fehlendem Bezugswort? Ein Adverbial käme wohl bei Kopulaverben nicht in Frage.

In Herrn Virchs Beispiel könnte man ein Pronomen ergänzen, um die Apposition zu retten:

Als Kind vergeht einem die Zeit langsam.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 29.07.2021 um 17.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#46656

„Als Kind vergeht die Zeit langsam“ hieß es vor einiger Zeit in einem Werbespot für Uhren. Ich kann das auch nicht falsch finden, es gelingt mir nur nicht, mir eine kindliche Zeit vorzustellen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2021 um 14.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#46655

Ich habe auch solche schrägen Konstruktionen gesammelt:

Ist es als Deutscher legitim, die Zeit des Nationalsozialismus aus ihrem historischen Kontext zu erklären, oder führt das zur Relativierung der Verbrechen? (SZ 1.12.92)

In diesem Fall könnte man durch Umstellung die Ordnung wiederherstellen. Insgesamt ist es zu häufig, als daß man es geradezu falsch nennen könnte.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 29.07.2021 um 14.00 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#46654

Im vorangestellten Nebensatz wäre "als Journalist" kein Problem. Vielleicht kann man den Satz so lesen, daß es noch zu diesem Nebensatz gehört.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.07.2021 um 11.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#46652

Auch eine unreine Apposition mit als muß irgendein Bezugswort haben. Wo es fehlt, klingt der Satz falsch (Hervorhebung von mir):

Der gebürtige Lausitzer [Joachim Sauer, Ehemann der Kanzlerin Angela Merkel] gilt als etwas spröde und knurrig: Ihn beim Brötchenbuffet nach seiner Frau zu fragen, ist als Journalist keine gute Idee.
(Mannheimer Morgen, 29.7.21, S. 32)

Richtig wäre z.B.:
... ist für einen Journalisten keine gute Idee.
oder
... läßt man als Journalist besser sein.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.11.2019 um 11.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#42429

Neben der europäischen Sumpfschildkröte sind von der Ausbreitung der Waschbären auch stark gefährdete Amphibienarten wie etwa der Gelbbauchunke besonders bedroht.
(MM, 19.11.19, S. 31)

Geschlechtsverwechslung oder mißglückter Appositionsdativ?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.02.2019 um 17.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#40816

Mir geht es ebenso, aber gerade darum fallen mir ja die Abweichungen sofort auf, und ich habe schon so viele gesammelt, daß ich für alle Zeit bedient bin und nicht weitersammele.

Falsch oder abweichend? Darüber haben wir an verschiedenen Stellen diskutiert. Als Sprachwissenschaftler beobachte ich nur. Und das Interessante an der Sache, wie auch immer man sie nennt, ist doch, daß viele Sprecher ein Bedürfnis haben, die Apposition mit einem eigenen Appositionskasus zu markieren. Das überspielt die Kongruenzforderung, die ja zugunsten des Nominativs schon seit je durchlöchert war.

Hier ist noch ein schönes Beispiel, das zugleich den Substantivcharakter und damit die Großschreibung der Sprachenbezeichnungen in Frage stellt:

„In welcher Sprache werdet ihr eure Rede denn halten? Auf Aramäisch, der meistgesprochenen Sprache des Landes? Auf Griechisch, das viele verstehen? Auf Hebräisch, der Sprache der Juden? Gewiss nicht auf Lateinisch, der Sprache der Fremdherrscher.“ (FAS 5.6.17)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.02.2019 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1662#40814

Lieber Prof. Ickler,
Sie schreiben: "Davon gibt es jedoch zahlreiche Abweichungen [...]". Sind es wirklich nur Abweichungen? Halbwegs tolerabel finde ich ja noch, wenn in der Apposition der Dativ anstelle von Genitiv oder Akkusativ steht. Aber Ihr Beispiel mit dem Uralttaxi oder auch

In diesen Zonen entstehen dann alle Elemente schwerer als Eisen und somit auch Uran, dem schwersten natürlichen Element, das auf der Erde vorkommt.
(www.smart-elements.com/science),

wo eigentlich ein Nominativ hingehört, kommen mir wirklich sehr abartig vor. Wenn man das nicht als falsch bezeichnen kann, dann weiß ich gar nicht mehr, was überhaupt grammatische Fehler sind. Ich finde, es behindert das flüssige Lesen. Ich stutze jedesmal und muß den Satz von vorn anfangen, wenn ich auf so einen schiefen Appositionsdativ stoße.
 
 

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