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»Sprachwissenschaft«


Beiträge zum Thema

»Zur Wissenschaftlichkeit der Reform
Was die Reformer mißachteten bzw. versäumten«

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Jan-Martin Wagner
Jena

Dieser Beitrag wurde am 23.08.2007 um 17.25 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=134#2234


Zunächst quasi nur ein Lesezeichen für das folgende Zitat, soll dieser Themenstrang mit weiteren Beispielen gefüllt werden; vielleicht ergibt sich ja daraus noch der ein- oder andere Angriffspunkt.

Ch. Schatte (hier): »Ganze Generationen von Orthographen haben über die Distinktivität von Graphemen nachgedacht, ohne daß die ambitionierten Destruktoren der deutschen Graphie und ihre beamtlichen Durchsetzer diese Geschichte und das Bemühen ihrer Akteure auch nur zur Kenntnis genommen haben, nicht einmal kraft ihrer Wassersuppe.«
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Christoph Schatte
Poznan

Dieser Beitrag wurde am 24.08.2007 um 15.32 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=134#2238


Im Vorhof von Wissenschaft oder anderswo

Das Dimensionsnomen Wissenschaftlichkeit ist zwar indefinibel, funktioniert aber im Alltagsverkehr ganz gut. Mit seiner Berufung auf (wissenschaftlich verpönte) Volksetymologie gab Augst seinerzeit zu verstehen, was er von Wissenschaft hält.

Die von Augst (in jedem Sinne hin-)gerichteten Einzelwortschreibweisen sind zwar dümmlich, aber im Grunde lediglich marginal (ein kleines Lexem-Sample eliminiert sie).

Aus dem von Theodor Ickler immer wieder seitenweise und auch kurz und bündig angestrahlten Aporien, die der Deform eigen sind, ergibt sich mindestens folgendes:

Außerhalb (je)der Grammatik(schreibung) des Deutschen liegen die scheinbegründeten Festlegungen zur GZS und der GKS des Deutschen. Sie wabern außerhalb jeder halbwegs konsistenten Morphologie und Syntax des Deutschen vor sich hin. Ob man die Schreibung "Gämse" für besser hält als "Gemse", weil von "Gams" herleitbar, ist eine Marginalie. Die Begründung der Schreibung "Stängel" mit der Herkunft von "Stange" indessen ist schon eine Peinlichkeit, die in der Nähe der „wissenschaftlichen“ Graphem-Phonem-Beziehung liegt. Was in der GZS und GKS angerichtet wurde, ist dagegen eine tiefgreifende Zerstörung der Graphie und – als Lateralschaden – der Grammatik des Deutschen.

Die Festlegung, daß es beispielsweise das Verb fertigstellen nach Maßgabe der Behörden nicht mehr geben darf, weil die in solchen sitzenden Beamten und ihre Verwandten meinen, man schreibe am besten alles getrennt und groß, ist Indiz dafür, daß sie ihre Amtszimmer nicht nur in einiger Schriftferne, sondern auch in extremer Sprachferne haben. Von den Amtswaltern notwendig fremder Wissenschaft sollte also geschwiegen werden, um nicht eine Unschuldige zu diskreditieren.

Die Festlegung, daß das – sprachökomisch suffixlose – Adverb im adverbialen Syntagma heute morgen den Deformern ein (attribuiertes?) Nomen zu sein scheint, läßt ihr infantiles Sprachbewußtsein beeindruckend aufscheinen. Nomen erscheinen bei adverbialen Deiktika allein präpositional gebunden.

Indem die Defomer – nach sattsam bekannter Manier – immer noch mit "phraseologisierter" Bedeutung um sich werfen, belegen sie lediglich, daß sie auch von Phraseologismen wenig wissen. Und wenn sie großväterlich mit "übertragener / schräger / uneigentlicher Bedeutung" auf ihrem Trödelmarkt handeln, beweisen sie, wie fremd ihnen lexikalische Semantik ist, von Satzsemantik zu schweigen.
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Jan-Martin Wagner
Jena

Dieser Beitrag wurde am 11.09.2007 um 17.29 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=134#2303


Noch ein Lesezeichen:
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10069, was sich auf http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10062 bezieht.

Im Anschluß an die Frage von Herrn Weiers und die Antwort von Herrn Schatte würde ich gern wissen, wo denn die Äußerungen der Auslandsgermanisten veröffentlicht wurden, daß sie nicht zur Kenntnis genommen wurden – was allemal unwissenschaftlich ist, wenn es Fachzeitschriften waren bzw. sind.
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Jan-Martin Wagner
Jena

Dieser Beitrag wurde am 14.09.2007 um 20.08 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=134#2322


Ein Lesezeichen speziell zur Auslandsgermanistik:
http://www.vein.hu/german/reform.html
("Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung im Kontext von Deutsch als Fremdsprache und Auslandsgermanistik" von Csaba Földes, Veszprém; erschienen in: Deutsch als Fremdsprache 37 [2000] 4, S. 199–209.)
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Christoph Schatte
Poznan

Dieser Beitrag wurde am 07.10.2007 um 18.14 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=134#2386


Die Reformer haben mit sog. "Getrenntschreibung" einen guten Teil des deutschen Verbbestandes liquidiert, der jetzt – gegen ihren geharnischten Widerstand – sukzessiv restituiert wird. An anderer Stelle gerieren sie sich als große Kreatoren, indem sie z.B. statt des Verbs tun mit Modusergänzung (wie tun?) dieses generell(?) mit seiner adjektivischen Ergänzung zusammengeschrieben haben wollen. Neben guttun wird im Lexikon also auch blödtun, dummtun, armtun und dergleichen zu verzeichnen sein. Bis heute sind die Reformer außerstande, für leid tun zu entscheiden, ob leid in diesem ein Nomen oder ein Adverb ist (trotz der Möglichkeit, leid mit sehr zu steigern). Nun wollen sie leid tun im Rundumschlag unter die von ihnen generierte tun-Serie bringen und es ebenfalls zusammenschreiben, obwohl die Frage wie tun? im Falle von leid tun zweifellos unsinnig ist. Auch an diesem Gewurstel ist deutlich zu sehen, wieviel grammatisches Bewußtsein in den Köpfen der Reformer dämmert.
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Wolfgang Scheuermann
Dilsberg

Dieser Beitrag wurde am 03.06.2008 um 10.17 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=134#3434


Götterts Reclam-Taschenbuch

Es gibt keinen Kuß mehr – Die (neue) Rechtschreibung erklärt

Ich hatte hier schon auf die Besprechung des Büchleins des Kölner Germanistikprofessors Karl-Heinz Göttert in der FAZ hingewiesen (und es dabei irrtümlich als Reclamheft bezeichnet).
Nun habe ich es mir gekauft. Professor Göttert kommt nachvollziehbar zu dem Urteil:
"Ja, sie haben es vermasselt. Eine Reform, die so problematisch war, dass nach acht Jahren die nächste folgen musste, ist schon an sich eine Katastrophe. Aber auch die reformierte Reform ... überzeugt nicht."

Seine Konsequenz:
"So schlecht das Ergebnis ist oder sein mag: Wir müssen damit nun leben – mindestens die nächsten zwanzig Jahre. ... Wir sollten die Reform auch wider besseres Wissen befolgen (die Medien haben mittlerweile den Widerstand aufgegeben). Denn dies muss betont werden: Noch schlimmer als eine verunglückte Reform wäre ein Zustand der Verweigerung oder auch nur Ratlosigkeit mit der Folge eines permanenten Durcheinanders von Altem, Neuem und ganz Neuem."

In Mackensens "Ursprung der Wörter" steht zu "Professor" schlicht: Bekenner (der wissenschaftl. Wahrheit). Das ist für die deutsche Germanistik (und darüber hinaus) – mit wenigen zu rühmenden Ausnahmen – heute also grundfalsch.

Dabei sieht Göttert durchaus: "Die Rechtschreibreform richtet sich an Menschen, die auch anderes zu tun haben, als sich mit Rechtschreibung zu befassen." Dann müßte er eigentlich auch gesehen haben, daß die Bemühung, die er in sein Büchlein gesteckt hat, von vornherein fruchtlos bleiben mußte. Er gibt sich, auf knapp 150 kleinformatigen Seiten, alle Mühe, den Irrgarten des derzeitigen Standes der Rechtschreibreform darzustellen. Immer wieder eingeworfen, vielleicht zur Auflockerung, steht da der Satz: "Vorsicht: In der Amtlichen Regelung steht es umgekehrt!" Aber nicht nur diese Auflockerungen belegen: Die ZER (wie Professor Ickler sie genannt hat), ist völlig unlernbar. Professor Göttert hat recht: Die meisten Medien haben den Widerstand aufgegeben. Aber doch nicht, indem sie die ZER übernommen haben! Ich sehe in reformgebeugten Druckwerken eigentlich nur zwei Elemente aus dem Reformdeutschen, die weitestgehend umgesetzt werden: Heyse und die ck-Abtrennung. Und meist noch (das unsinnige): im Übrigen.

Göttert hat Heyse nicht genau genug durchdacht und kommt dazu deshalb zu fogenden Schluß: "Wenn man die Lesefähigkeit (Anmerkung: Damit meint er offenkundig die Lesbarkeit) in den Vordergrund stellt, ist der Preis der Neuregelung relativ hoch. Dem steht die größere Klarheit der Regelung gegenüber: Unterm Strich sind Vor- und Nachteile vielleicht ausgeglichen." (Ich erkenne natürlich an, daß er meine Laienregel: "Eszett ist zu schreiben, wenn ss nicht getrennt werden kann" nicht kennen muß, möchte aber in aller Unbescheidenheit an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, daß diese Regel das Problem nicht nur auflöst, sondern zugleich als einzige die Existenzberechtigung des Eszett in einem Satz schlüssig begründet.)

Die ck-Abtrennung stellt er einfach als Tatsache dar: "trennt man nicht wie früher" , läßt sie aber unkommentiert, die kaum motivierten Großschreibungen sieht er immerhin als "mehr als problematisch".
Viel mehr ist von der Rechtschreibreform nicht übrig, und Götterts Buch wird daran auch nichts ändern. Sehr schön hat er eingangs übrigens die Unsinnigkeit des Satzes: "Schreib wie du sprichst" dargestellt.

Was bleibt: Die Rechtschreibreform ist heute eine Ruine, die aber aus Staatsräson nicht abgerissen werden darf. Das sollte sie aber nach wie vor, weil diese Ruine auch eine Dauer-Streubombe wider die deutsche Sprache ist. Das sollte Göttert als Professor eigentlich bekennen. Erkannt hat er das (s.o.) ja durchaus, aber von der Erkenntnis zum Bekenntnis ist es eben für viele ein zu großer Schritt.
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Christoph Schatte
Poznan

Dieser Beitrag wurde am 04.06.2008 um 19.50 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=134#3448


Mit seiner Äußerung

"So schlecht das Ergebnis ist oder sein mag: Wir müssen damit nun leben – mindestens die nächsten zwanzig Jahre. ... Wir sollten die Reform auch wider besseres Wissen befolgen (die Medien haben mittlerweile den Widerstand aufgegeben). "

hat sich Göttert in die Reihe derer gestellt, die die wahren Katastrophen als Folgen menschlichen Handelns ermöglichen, denn wider besseres Wissen (und Gewissen?) zu handeln ist grundsätzlich verwerflich, in welcher Situation auch immer.
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K. Bochem
Köln

Dieser Beitrag wurde am 06.06.2008 um 00.18 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=134#3456


Aus dem Leitfaden der Schweizerischen Bundeskanzlei (neueste Auflage 2008, S.23):

>> Stammprinzip bei Zusammensetzungen

Wird aus zwei Wortstämmen ein neues Wort zusammengesetzt, so werden beide Wortstämme unverändert beibehalten nach dem Muster Rad + Weg = Radweg.

Trotz dieser Regel gibt es die Variante: selbstständig / selbständig

Das Wort selbständig empfinden viele Leute als Zusammensetzung von selbst + ständig. Die Reform hat deshalb neu selbstständig zugelassen, obschon diese Herleitung nicht stimmt (der Wortstamm ist selb-) und man auch nicht zwei st spricht (man wird mit der Zeit evtl. zwei st sprechen, denn es gibt durchaus die Tendenz, nach der Schrift zu sprechen).

Wir schreiben im Sinn einer einheitlichen Einhaltung des Stammprinzips:
selbstständig, selbstständigerwerbend, verselbstständigen, Selbstständigkeit
(vgl. selbstbewusst, selbstredend, selbsttragend, selbstverständlich,
Selbststudium) <<

Was soll man dazu noch sagen ...
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Horst Ludwig
St. Peter, MN, USA

Dieser Beitrag wurde am 06.06.2008 um 04.41 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=134#3457


Da sieht man, was Beobachtung der weiteren Schreibgewohnheit bedeutet. Alles, was vorgesetzt wird, sind Vorschriften, und da vor allem die: Erstmal gilt es zu wissen, welches die Vorschrift ist, und die ist zu befolgen. Eigenes Mitdenken gilt nicht.
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