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»Darf man so sagen – oder schreiben?«


Beiträge zum Thema

»Mundart und Hochsprache«

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Berlin

Dieser Beitrag wurde am 24.02.2007 um 23.28 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#1523


Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 24.02.2007 um 23.03 Uhr

Quod non est in actis, non est in mundo.
Die Entwicklung geht heute nicht mehr ganz so nach diesem Schema: Dialekt, schriftliche Umgangssprache, schriftliche Hochsprache. Wir haben durch Radio und Fernsehen eine ganze Menge mündlichen Einfluß auf unsere allgemeine Rede. Ich meine auch, daß "Hochsprache" zu nahe an vorgeschriebener Sprech- und Schreibweise steht und ziehe deshalb die Bezeichnung "Standard" vor. Das mit der "Hochsprache" wäre ja ganz schön, wenn ihre "Regeln" eben nicht *vor*schrieben, sondern intelligente Rede- und Schreibweise *be*schrieben. Also, bei "Regeln" zur Struktur der Sprache sollten die Regler schon beachtliches Wissen vorweisen können und nicht nur von anderen Reglern abschreiben. Und bei Stilfragen sollten sie schon wissen, was die besten Sprecher und Schreiber einer Sprache mit welcher Ausdrucksweise von sich geben, und nicht nur, was etepetete ist bei den Stinkbürgerlichen und *in* bei den stinkbürgerlichen politisch immer Korrekten.


Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 24.02.2007 um 15.20 Uhr

Horst Ludwig ist in "Die Welt" aufgefallen, daß Ankara auf Freilassung gedrängt hat. Was sollen denn die Armen in "Die Welt" machen, wo doch im zehnbändigen Duden-Wörterbuch zu lesen steht:

"ge|drun|gen [2: adj. 2. Part. von veraltet dringen = stoßen, drängen]: 1. dringen. 2. (in Bezug auf den Wuchs, die äußere Form) mittelgroß od. klein u. dabei breit: er war von kleiner, ~er Gestalt (Niekisch, Leben 127); sie hatte durchaus nichts Aristokratisches, diese zu ~e Schulmädchenhand (Th. Mann, Zauberberg 181); Der Baum im Einzelstand … ist niedriger, tiefer beastet und von ~em Aussehen (Mantel, Wald 18); Ich hatte vor dem jungen Menschen ein helles, kurzes, ~es Glas stehen sehen (Fallada, Trinker 14)." (Sat_Wolf, Bayern)

"Die Welt" will eine moderne, d.h. nicht veraltete Tageszeitung sein. Sie kennt füglich das, wie wir lesen, veraltete Verb dringen i.S.v. `drängen´ nicht, schon wegen suspekter Äußerungen wie Er drang (in) sie oder dialektisch umgekehrt (in "übertragener" oder "gerader" Bedeutung?). "Die Welt" ist hier in echter Bedrängnis, den sie wird vom Duden gedrängt, der schon vor langem in die Redaktion (ein)gedrungen.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.02.2007 um 09.29 Uhr

Quod non est in actis, non est in mundo: Bei googel treten Wörter erst in Erscheinung, wenn sie "verschriftlicht" sind. Dialekte sind meist mündliche Sprache, "parole". "Umgangssprache" wird erst nachweisbar, wenn sie als Text auftritt, als "langue". Die Entwicklung geht: Dialekt, schriftliche Umgangssprache, schriftliche Hochsprache. Beispiele: hochdeutsche Lautverschiebung: zuerst oberdeutscher Dialekt, dann immer mehr schriftliche Textdenkmäler, dann schriftliche Hochsprache. Niederdeutsch: Zur Hansezeit schriftliche Hochsprache, dann immer weniger Textdenkmäler, heute Dialekt(e). Dialektwörter müssen den Aufstieg in die schriftliche Umgangssprache schaffen, um eine Chance zu haben, in die Hochsprache zu gelangen.


Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 24.02.2007 um 01.08 Uhr

Na, wer sagt's denn?
Türkei drang in Washington auf Freilassung
Ankara hat in Washington während Kurnaz' Guantánamo-Internierung wiederholt auf die Freilassung des in Bremen geborenen Türken gedrängt. (Die Welt)
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Dieser Beitrag wurde am 26.12.2007 um 19.48 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#2706


Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.12.2007 um 16.29 Uhr

Könnte jemand einen Link machen auf
http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/0,1518,523009,00.html?
Bastian Sick beschreibt die norddeutsche Umgangssprache mit ihrer Beugung der Adverbien "zu, aus, auf, ab, geradeaus, an, daneben".

(Jeder kann hier selber einen Link setzen; bitte registrieren Sie sich zur Teilnahme beim Forum. – Red.)
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Dieser Beitrag wurde am 18.04.2008 um 10.30 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#3198


Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 20.02.2008 um 21.18 Uhr

Bei all diesen audial "eigentlich" feststellbaren "Längungen" wäre zu untersuchen, per Oszillograph, ob Strauß sein "das-a" wirklich länger gesprochen hat oder ob es nur eine andere Qualität hatte. Wenn ich den Umlaut in "Hütte" künstlich länge (und also nicht gleichzeitig mit anderer Qualität spreche), versteht man immer noch "Hütte" und nicht "Hüte". Wenn ich den Umlaut in "hüte" kurz spreche (wie ich's übrigens tue, nicht feststellbar länger als mein "a" in "Rast"), vernimmt das jeder als "hüte" und nicht als "Hütte". Qualitative Veränderung könnte als quantitativ vernommen werden, bloß weil wir die andere Qualität mit einer gewohnten Quantität gleichsetzen.
Aber daß Strauß anders sprach, also einen anderen Ideolekt sprach als die anderen, das ist natürlich klar.


Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.02.2008 um 22.17 Uhr

Das lange das ist wohl keine straußsche Marotte, sondern kommt im Bairischen öfter vor. Vielleicht gibt es auch noch regionale Unterschiede, da bin ich nicht sicher.

Aber es wäre eigentlich ein Grund, analog zur Maß, für die die Bayern nach der RSR wegen ihrer Aussprache auch die offizielle alternative Schreibung Mass durchgesetzt haben, nun auch für die ebenfalls lang ausgesprochene Konjunktion dass die offizielle Variante daß zu fordern.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.02.2008 um 14.18 Uhr

In einem neulich im Bayerischen Fernsehen gebrachten Film über Franz Josef Strauß, früherer Bayerischer Ministerpräsident, fiel mir auf, daß er (geboren und aufgewachsen in München) "das" stets mit langem "a" sprach. Sollte das empfohlen werden?
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Dieser Beitrag wurde am 28.09.2008 um 21.55 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#3957


Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 27.09.2008 um 00.10 Uhr

Einführung der starken Beugung? Bei der "Erklärung", warum neue Formen für alte aufkommen, möchte ich zur Vorsicht raten. So erklärt sich "frug" zwar als Parallelform zum echt starken "trug", aber bisher hat auch im Süden noch keiner was *gefragen*. Und die Imperfektform "buk" ist ohnehin die original starke. Zu "scholl" hören wir auch noch von einem Sang, der aber verschollen ist. Auch "schrob" ist die ursprüngliche Form; wir haben heute noch die Form "verschroben"; ansonsten jedoch schrauben wir heute in neuerer Vergangenheit alle schon schwach, und die mögliche Verwechslung der Ich-/Er-Formen im Imperfekt durch den Ausfall des End-e mit den entsprechenden Präsensformen hindert uns nicht im geringsten daran.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.09.2008 um 17.18 Uhr

Beim bairischen Wegfall des Endungs-e im Präteritum der schwach gebeugten Verben (in der Mundart auch vieler weiterer unbetonter "e") hilft gegen die Verwechslung mit dem Präsens nur die Einführung der starken Beugung, und so erklären sich Formen wie "er frug, buk, schrob, scholl" u.a., die im mündlichen Sprachgebrauch durchaus üblich sind.


Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 26.09.2008 um 15.58 Uhr

Das Präteritum ist keine »norddeutsche Erfindung«, denn ursprünglich existierte es auch in süddeutschen Dialekten. Die Verdrängung des Präteritums durch das Perfekt im Oberdeutschen begann etwa 1300 (vgl. Hilkert Weddige: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. München: C.H. Beck 2003. 5. Auflage. S. 44). Dabei hat wohl eine Rolle gespielt, daß schwache Präteritalformen der 3. Person Singular wegen der Apokope des -e nicht mehr von den entsprechenden Präsensformen zu unterscheiden waren: er sagte, lebte, steckte > er sagt’, lebt’, steckt’ (vgl. Werner König: dtv-Atlas Deutsche Sprache. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2004. 14. Auflage. S. 163).


Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.09.2008 um 12.38 Uhr

Eine Besonderheit gibt es beim Übersetzen von Bairisch in Hochdeutsch: Das Präteritum ist eine norddeutsche Erfindung, die nur in der Schule gelehrt wird. So steht es auch in bayerischen Grundschulbüchern. In Bairisch gibt es dafür nur das Perfekt, und so wird auch in Hochdeutsch übersetzt. Deshalb lieben die Bayern im Hochdeutschen das Partizip II auf "-ungen" und "-unken", weil sie keine Probleme mit der Präteritumform haben, denn die benutzen sie fast nie. Es wird gewunken, geblunken, derwuschen usw. Auch im ungebräuchlichen Präteritum ähnelt Bairisch den slawischen Sprachen.
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Oliver Höher
Braunschweig

Dieser Beitrag wurde am 19.03.2009 um 17.30 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#4756


Mal etwas anderes, das zudem nur bedingt mit Rechtschreibung, wohl aber mit Grammatik zu tun hat. Bekanntlich gehört das Verb brauchen zu den schwachen Verben. Deshalb wird sein Konjunktiv II (Konjunktiv Präteritum) auch genau wie die Präteritumsform ohne Umlaut gebildet. Nur greift – nicht erst seit 1996 – die vermeintlich "starke" Form bräuchte immer mehr um sich (gesprochen wie in Zeitungen). Meine (nicht deformierte) Duden-Grammatik (3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage von 1973) hat hierzu folgenden Hinweis:

"Die Form bräuchte, die im Süden des deutschen Sprachgebietes häufig gebraucht wird, ist landschaftlich. Durch das äu wird hier landschaftlich der Konjunktiv II vom Präteritum abgehoben. Hochsprachlich lauten beide Formen gleich (brauchte)."

Wann und warum hat sich denn diese ursprünglich demnach regionale Schreibweise in die Hochsprache verirrt?
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Oliver Höher
Braunschweig

Dieser Beitrag wurde am 19.03.2009 um 18.11 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#4757


Zur statistischen Ergänzung:

Das DWDS Corpus enthält für den Zeitraum von 1911 bis 1999 121 Treffer für bräuchte, wovon 72 aufgrund rechtlicher Nutzungsbedingungen angezeigt werden. Die wenigsten davon betreffen regionale oder mundartliche Literatur (auch Ganghofer schrieb schließlich Hochdeutsch). Immerhin liefert der Roman "Malina" der Österreicherin Ingeborg Bachmann für das Jahr 1971 gleich vier Belege. Auch Feuchtwanger, Enzensberger und Strittmatter sind vertreten.
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Jan-Martin Wagner
Halle (Saale)

Dieser Beitrag wurde am 01.11.2009 um 22.35 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#5520


Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA)

Aus der Beschreibung dieses Projekts der Augsburger Universität (Link):

»In vielen deutschsprachigen Gebieten, vor allem in Norddeutschland, werden die traditionellen Dialekte nur noch von älteren Sprecherinnen und Sprechern verwendet, in anderen Regionen, z. B. dem Ruhrgebiet, sind sie fast vollständig aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Regionale Unterschiede haben sich aber bis in die Standardsprache, das "Hochdeutsche", erhalten. Das betrifft lautliche Merkmale, besonders aber den Wortschatz. So sind im Hochdeutschen sowohl das eher im Nord(ost)en gebrauchte Sonnabend wie auch das eher in der Mitte und im Süden bevorzugte Samstag zugelassen [...]. Besonders deutliche regionale Unterschiede weist die Alltagssprache auf. Für den 'Atlas zur deutschen Alltagssprache' werden neben regionalen Varianten des Wortschatzes auch solche zur Aussprache, zu den grammatischen Formen oder auch zu Formen der Anrede erhoben.«
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Manfred Riemer
Mannheim

Dieser Beitrag wurde am 06.11.2009 um 10.10 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#5563


"Iss ohne Frühstück",
so beginnt ein Kommentar im offiziellen Programmheft des 58. Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg 2009. Man fragt sich natürlich, wie ist das denn gemeint, essen ohne Frühstück? Die Erklärung ist, daß eine Frau ihren Partner nach gemeinsamer Liebesnacht rausschmeißt und dazu meint, die Übernachtung sei ohne Frühstück vereinbart worden, also eigentlich:
"Is' ohne Frühstück".

Mundarten haben zwar ihre eigenen Regeln, aber trotzdem wäre dies mit der adelungschen Schreibweise nicht passiert. hätte man kaum statt Is' (oder Is) geschrieben.
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Jan-Martin Wagner
Halle (Saale)

Dieser Beitrag wurde am 06.04.2010 um 23.03 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#6220


Chiemgau24.de, 27. März 2010

„Bairisch ist förderlich für Kinder“

München - Unter Lesern des Münchner Merkur ist eine heftige Dialekt-Debatte entbrannt. Im Kern geht es um die Frage, ob es Kindern schadet, wenn sie Bairisch sprechen – in ihrer Sprachentwicklung ebenso wie in ihrem sozialen Umfeld.

Wir fragten Professor Ludwig Eichinger, Direktor des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), nach Stigmatisierung durch Dialekt und welche Wirkung Mundart auf die Sprachentwicklung hat.

-Herr Eichinger. Sie stammen aus Niederbayern und sind Direktor des IDS. War der Bairische Dialekt für Sie jemals ein Hindernis?

Ich spreche ein süddeutsch geprägtes Hochdeutsch. In meiner Funktion als IDS-Direktor wird das oft kommentiert. Bayern gilt nun einmal nicht als Hort des Hochdeutschen. Doch das zeigt mir, dass ich mit meinem bairischen Hochdeutsch sehr gut durchkomme. Zum Nachteil gereichte mir der Dialekt nie.

Nein, im Gegenteil. Kinder gehen mit verschiedenen Sprachformen sehr locker um. Sie sind sehr gut in der Lage sich anzupassen – auch wenn zuhause Hochdeutsch und in der Schule Bairisch gesprochen wird. Die Erfahrung mit mehreren Sprachformen fördert das Sprachbewusstsein insgesamt.

-Sprachforscher sagen, Dialekt sei hilfreich beim Erlernen von Fremdsprachen.

Wir wissen heute, dass Kinder, die in den ersten drei Lebensjahren zweisprachig aufwachsen, später eher besser mit Sprachen umgehen können. Somit ist es eher förderlich, wenn Kinder Bairisch sprechen. Dies entspricht auch den Ergebnissen der Pisa-Studie: Kinder, die Dialekt und Hochdeutsch sprechen, sind sprachlich geschickter.

-Kann Bairisch auch stigmatisierend wirken, nach dem Motto: Wer Mundart spricht, gilt als einfach strukturiert?

Bairisch gilt als Mundart, die zwar als nett, aber wenig intelligent angesehen wird. Dennoch zählen verschiedene Umfragen den bairischen Dialekt sowohl zu den beliebtesten als auch zu den unbeliebtesten Akzenten. Laut einer Umfrage der Zeitschrift Playboy soll Bairisch sogar erotisch sein. Viele mögen aber auch zu affektiertes Hochdeutsch nicht.

-Sollen Eltern ihren Kindern jetzt Bairisch lernen oder nicht?

Wenn man nur Dialekt spricht, wird man in unserer Gesellschaft immer Schwierigkeiten haben. Jeder muss seine Sprache variieren können – und dazu gehört Hochdeutsch. Wie viel Bairisch man dabei im Akzent hören lässt, ist sicher von der jeweiligen Situation abhängig. Natürlich würde ich im Bundestag keine stark bairisch gefärbte Rede halten.

Nein, das würde ich nicht empfehlen. Wenn man den Dialekt künstlich erhalten will, tut man ihm nichts Gutes. Dann wird die Mundart zum Museumsstück. In der Schule sollten Lehrer auf Kinder, die Dialekt sprechen, eingehen und Rücksicht nehmen.

-Soll dann ein norddeutscher Lehrer für seinen Einsatz in Bayern einen Sprachkurs machen?

Schüler und Lehrer müssen sich anpassen. Natürlich sollen Schüler ordentlich Hochdeutsch lernen. Doch auch Lehrer sollten sich auf die Umgangssprache der Gegend einlassen. Der Unterricht besteht nicht nur aus offiziellen Sprachformen, sondern auch aus normalen Unterhaltungen. Hier sollte man die Umgangssprache pflegen.

-Wie wichtig ist Dialekt überhaupt für die Sprachentwicklung?

Dialekt spielt eine große Rolle. Ob man nun Metzger, Fleischer oder Schlachter sagt: Man sollte die dialektalen Unterschiede kennen, um die regionale Differenz zu würdigen. Die Vielfalt ist wichtig.

Professor Ludwig Eichinger (59) ist in Arnstorf/Niederbayern geboren und seit 2002 Direktor des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Das Institut ist die zentrale außeruniversitäre Einrichtung zur Erforschung und Dokumentation der deutschen Sprache und war maßgeblich an der jüngsten Rechtschreibreform beteiligt.


(Link)
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Manfred Riemer
Mannheim

Dieser Beitrag wurde am 07.04.2010 um 14.52 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#6222


Deutsche sprechen deutsch, Dänen dänisch, Russen russisch usw., nur die Bayern müssen bairisch reden (wenn nicht sogar boarisch). Nicht überall in Bayern, ich weiß, aber das kann ja auch kein Grund für diese seltene Unterscheidung von Landes- und Sprachenname sein. Warum gleicht man das eigentlich nicht an?
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Roger Herter
Basel

Dieser Beitrag wurde am 07.04.2010 um 17.14 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#6223


Da nennen Sie ein gutes Beispiel für sinnvolle Unterscheidungsschreibung, lieber Herr Riemer. Unsere heldenhaften Dunsen haben hier leider nicht 'vereinfachend' eingreifen können, da es sich um einen fachsprachlichen Ausdruck handelt. – Bairisch wird jene Form des Oberdeutschen genannt, die nicht nur Bayern, sondern ebenso Österreicher (mit Ausnahme der Vorarlberger) und Südtiroler sprechen.
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Manfred Riemer
Mannheim

Dieser Beitrag wurde am 07.04.2010 um 17.39 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#6224


Warum sollte diese Unterscheidungsschreibung sinnvoll sein? Unterscheiden müßte man nur dann, wenn Bairisch und Bayrisch zwei verschiedene Sprachen wären. Wir sprechen doch auch kein "Teutsch", nur weil Deutsch nicht nur auf Deutschland begrenzt ist.
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Roger Herter
Basel

Dieser Beitrag wurde am 07.04.2010 um 19.28 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#6225


Sinnvoll ist das m.E., weil für zweierlei Dinge zweierlei Namen stehen: bayrisch fürs
Politisch-Geographische, bairisch, das ältere Wort, fürs Sprachlich-Geschichtliche.
(Wobei sich letzteres eben, wie bajuwarisch, auf den gesamten historischen Sprach-
und Siedlungsraum bezieht.)

Außerdem handelt es sich um einen etablierten sprachwissenschaftlichen Terminus.
Wozu den ändern?

Im übrigen nennen die Bayern ihren Dialekt gewöhnlich Bayrisch, wie die Schweizer den ihren Schweizerdeutsch. Das ist im Alltag genau genug, fachsprachlich jedoch, für die jeweilige Form des Oberdeutschen, untauglich. Alemannisch beschränkt sich nun einmal nicht auf die Schweiz, Bairisch nicht auf Bayern.
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Jan-Martin Wagner
Halle (Saale)

Dieser Beitrag wurde am 04.05.2010 um 21.57 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#6356


Schwäbisch mit der Großmutter

Leserin Rosmarie Martin aus Winnenden erteilt uns folgende Schwäbisch-Lektion. Sie beruft sich dabei auf ihre Großmutter aus Stuttgart-Untertürkheim:

"Statt Dienstag sagte sie nur Zaischtig, und der Donnerstag war der Dorschtig - wohl eine Erinnerung an die germanischen Gottheiten Ziu und Thor (englisch: tuesday/thursday). Auch Großmutters Wort für Gurke - Gugommer - lässt mich ans englische cucumber denken. War sie am Sonntag zu Besuch, hieß es für uns Kinder immer viel zu früh: ,Mir müaßet hoim zom Ziefer.' Dabei handelte es sich um die Nutztiere im Stall. Heute kennt man nur noch das Gegenteil von Geziefer, nämlich Ungeziefer. Viele kennen auch nicht mehr die Einzahl von Trümmer - der Schwabe aber sehr wohl: Ein etwas unproportioniert hochgeschossener Jüngling wird als langes Trom beschrieben.

Als Kinder hatten wir Balladden zum Spielen - vermutlich ein Lehnwort aus dem Französischen. Murmeln fällt mir jedenfalls nie zuerst ein. Dass unser kleiner Adelberger Klostersee heute noch Wette heißt, lässt mich wieder ans Englische denken: wet=nass. Das alte Fremdwort Spaß, das vom italienischen spassere stammt, wird nur noch von uns Schwaben korrekt, nämlich kurz, ausgesprochen. Es müsste also nach der Rechtschreibreform eigentlich Spass geschrieben werden.

Als Kinder hatten wir die Aufgabe, für Anzündholz zu sorgen. Aus Tannenscheiten machten wir bleistiftdünne Spächele. Dazu benützten wir die Pfoalhoab. Das war eine Art Buschmesser mit schwerer, breiter Klinge, die an der Spitze leicht nach unten gebogen war. Ein anderes Werkzeug, das von den meisten Schwaben heute nach der Schriftsprache Spaten genannt wird, ist für mich immer noch die Schor. Damit wird die Erde geschort, also Lehm abgespalten, aus dem dann zum Beispiel Ziegel für Schornsteine gebrannt werden. Dies wurde in Schorndorf ausgiebig gemacht, weshalb die Stadt auch eine Schor im Wappen führt."

Unsere Leserin hat noch viel mehr sprachliche Entdeckungen und Assoziationen auf Lager, wie sie selbst sagt. Was beweist, dass die germanisch-romanische Sprachfamilie eine sehr große ist - und Gemeinsamkeiten heute noch am ehesten im Dialekt auszumachen sind.


(Stuttgarter Nachrichten, 16. Februar 2010)
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Robert Roth
Gau-Algesheim

Dieser Beitrag wurde am 05.05.2010 um 12.23 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#6359


Von unschätzbarem Wert sind die mundartlichen Wörterbücher.
Das Mainzer Wörterbuch, urspr. von Karl Schramm beim Krach-Verlag Mainz erschienen, ist eine wahre Fundgrube für ausgestorbenen und aussterbenden Dialekt.
Netter Zusammenhang: Mit Beiträgen meines alten Zahnarztes, der im wahrsten Sinn des Wortes dem Volk aufs Maul geschaut hat und im leutseligen Umgang mit Patienten, wenn er etwas erzählen wollte, schon mal einen "Löffel" etwas länger im Mund beließ.

Den Tolpatsch hat Schramm zwar richtig hergeleitet, aber schon 1957 mit zwei "l" geschrieben.
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Heinz Erich Stiene
Frechen

Dieser Beitrag wurde am 05.05.2010 um 13.29 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=112#6360


Tollpatschig auch bei zwei Altphilologen (!): Bernd Effe/Gerhard Binder, Die antike Bukolik. Eine Einführung (München/Zürich 1989), S. 69.
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