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»Sprache und Politik«
Beiträge zum Thema
»Sozial- und bildungspolitische Rahmenbedingungen
Bildung für alle?«
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Jan-Martin Wagner
Jena
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Dieser Beitrag wurde am 08.01.2007 um 22.06 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=101#1301
Ada Sasse/Renate Valtin (Hg.): Schriftspracherwerb und soziale Ungleichheit. Zwischen kompensatorischer Erziehung und Family Literacy Beiträge 4 der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben, Berlin 2006
Mit der Veröffentlichung des Ersten Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung sowie mit der Veröffentlichung der ersten PISA-Befunde im Jahr 2001 ist die Unterstützung von (schrift-)sprachlichen Bildungsprozessen bei Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Milieus wieder ein virulentes Thema geworden. Mittlerweile existieren unterschiedliche regionale und lokale Projekte mit sehr unterschiedlicher Ausrichtung nebeneinander. Um das Nachdenken über theoretische Positionen und den Austausch über Praxisprojekte zur (schrift-)sprachlichen Bildung von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen anzuregen, fand im Herbst 2005 eine Fortbildungstagung der Deutschen Gesellschaft und Schreiben statt zu der Frage: „Soziale Benachteiligung und Schriftspracherwerb – Welche kompensatorische Erziehung brauchen wir heute?“. Die Vorträge dieser Tagung und weitere relevante Beiträge sind im vorliegenden Band dokumentiert.
Das Vorwort und das Inhaltsverzeichnis können Sie als PDF hier herunterladen.
Vorwort
Finanziell unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung fand am 13. September 2005 an der Humboldt Universität zu Berlin die jährliche Fortbildungstagung der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben statt mit dem Thema »Soziale Benachteiligung und Schriftspracherwerb - welche kompensatorische Erziehung brauchen wir heute?« Aktueller Anlass war die (erneute) öffentliche Diskussion um die soziale Ungleichheit im deutschen Bildungssystem, wie sie vor allem von PISA herausgestellt wurde. In keinem der an der Studie beteiligten OECD-Länder ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg so eng wie in Deutschland.
Sprachliche Bildungsprozesse von Kindern finden immer in konkreten Umwelten mit jeweils eigenen Herausforderungen für die kindliche Neugier statt. Die Qualitäten dieser Umwelten sind sehr unterschiedlich und hängen maßgeblich von der sozioökonomischen Situation der Herkunftsfamilie ab. In dieser Hinsicht lassen sich gravierende Differenzen aufzeigen. Beispielsweise war im »Ersten Armuts- und Reichtumsbericht« der Bundesregierung nachzulesen, dass im Jahr 1998 in den alten Bundesländern 42 Prozent des gesamten Privatvermögens den 10 Prozent der reichsten Haushalte gehörten, während 50 Prozent der ärmsten Haushalte lediglich über 4,5 Prozent des Privatvermögens verfügten. Durch den Ausbau des Niedriglohnsektors und als Folge der Hartz IV-Reformen werden sich diese Gegensätze weiter verschärfen.
Die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu Sprache und Schrift, die für Kinder aus den Lebensbedingungen in ihren Familien resultieren, lassen sich nicht einfach in der Anzahl der Bücher pro Haushalt ausdrücken. Sie schlagen sich in der Fremdheit oder Vertrautheit nieder, mit der Buchläden, Theater und Museen besucht, Briefe empfangen und geschrieben, ausgiebige Gespräche und Diskussionen geführt werden. Diese von Pierre Bourdieu vor einem viertel Jahrhundert in dem Band »Die feinen Unterschiede« beschriebenen Differenzen haben ihre Wirkungen auf das Kind längst voll entfaltet, wenn es in die Schule eintritt. Die soziokulturelle Heterogenität, die Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht wahrnehmen, sind vom deutschen Bildungssystem bisher nur unzureichend bewältigt worden. Hier sprechen die empirischen Befunde der internationalen Schulleistungsstudien, die seit 2001 permanent in der öffentlichen Diskussion sind, eine deutliche Sprache.
Die Frage, wie die Bildungschancen der Kinder aus sozial benachteiligten und schriftfernen Familien verbessert werden können, ist nicht neu. Seit mehr als einem halben Jahrhundert wird das Aufwachsen von Kindern unter prekären Lebensumständen erforscht. Vor mehr als dreißig Jahren starteten in den USA umfangreiche Programme kompensatorischer Erziehung, die von der Regierung unterstützt und öffentlich finanziert wurden. Der am 25. September 2005 verstorbene Urie Bronfenbrenner, der an der Entwicklung des vielzitierten Head-Start-Programms maßgeblich beteiligt war, trat in den vergangenen vier Jahrzehnten immer wieder mit der Forderung nach konkreten Bildungsangeboten für Kinder aus benachteiligten Milieus in die Öffentlichkeit. Die von ihm eingeforderten Strukturen und Inhalte der Unterstützung kindlicher Entwicklung sind nach wie vor plausibel. Gleichwohl sind sie in der Bundesrepublik außerhalb akademischer Diskussionen kaum aufgegriffen worden. Auf die Einrichtung von Programmen, die vom Umfang und von der Intention her etwa mit dem Head-Start-Programm vergleichbar wären, wartet man vergebens. Selbst die erschreckenden Befunde der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Armuts- und Reichtumsberichte aus den Jahren 2001 und 2005 sind in dieser Hinsicht folgenlos geblieben. Das ist auch deshalb so erstaunlich, weil hierzulande nicht nur die Kinderarmut, sondern zugleich auch die Armut an Kindern ein grundlegendes Problem geworden ist.
Diese Situation war Grund genug, die jährliche Fortbildungstagung der DGLS im Jahr 2005 der Frage der sozialen Benachteiligung und ihrem Zusammenhang zum Schriftspracherwerb zu widmen. Die Vorträge und Arbeitsgruppenbeiträge der Veranstaltung, die im vorliegenden Band enthalten sind, bezogen sich auf drei Schwerpunkte: auf erziehungs- und sozialwissenschaftliche Grundlagen, auf empirische Befunde sowie auf Praxiskonzepte der sprachlichen Unterstützung von Kindern aus bildungsfernen Milieus. Diese drei Schwerpunkte finden sich in der Kapitelstruktur des Bandes wieder.
Das Kapitel 1: Erziehungs- und sozialwissenschaftliche Grundlagen wird durch einen Beitrag von Renate Valtin eröffnet, mit dem sie begründet, warum die Rezeption der Modelle kompensatorischer Erziehung im Kontext von PISA und IGLU keineswegs erziehungswissenschaftliche Nostalgie, sondern pädagogische und bildungspolitische Notwendigkeit ist. Anschließend fasst Roland Merten aktuelle Wissensbestände zur Kinderarmut in den alten sowie in den neuen Bundesländern zusammen und zeigt erforderliche bildungs- und sozialpolitische Veränderungen auf. Die Verknüpfung dieser beiden Politikbereiche mahnt auch Rainer Benkmann in seinem Beitrag an, der sich außerdem mit der Frage befasst, wie sich Kinderarmut auf die Interaktionsmöglichkeiten von Schülern mit Lernbehinderungen auswirkt. Diese Schülergruppe verdient besondere Aufmerksamkeit, da sie in den internationalen Schulleistungsstudien kaum Berücksichtigung fand. Denn Schüler mit Lernbehinderungen wachsen zumeist in sozial benachteiligten Familien auf. Daher ist ihre unzureichende Berücksichtigung bei PISA und IGLU unverständlich. Der Beitrag von Ada Sasse, in dem sie Anschlussmöglichkeiten der kompensatorischen Erziehung an gegenwärtige erziehungs- und sozialwissenschaftliche Modelle beschreibt, beschließt dieses Kapitel.
Das Kapitel 2: Empirische Befunde referiert die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien. Gundel Schümer erörtert anhand einer Analyse der PISA 2000 Daten, inwiefern die in den Herkunftsfamilien der Schülerinnen und Schüler bereits angelegten Benachteiligungen durch Schule und Unterricht noch verstärkt werden: beispielsweise durch vermeintliche Homogenisierung des Unterrichts, durch äußere Differenzierung sowie durch veraltete Unterrichtspraxis. Katja Koch hat eine Untersuchung zu den Lebensbedingungen der oben bereits angesprochenen Schülerinnen und Schüler mit Lernbehinderungen durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung fasst sie in ihrem Beitrag zusammen. Hieran schließt die Darstellung einer Untersuchung sozialer Bedingungen des elementaren Schriftspracherwerbs an, die Katja Koch gemeinsam mit ihrem Kollegen Stephan Ellinger durchgeführt hat. Das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung war auf das elterliche Vorleseverhalten in unterschiedlichen sozialen Lebenslagen gerichtet. Die Frage der unterschiedlichen Zugänge zu Schriftsprache diskutiert auch Iris Füssenich in ihrem Beitrag. Sie geht der Frage nach, wie Analphabetismus bereits vor dem Eintritt in die Schule durch einschlägige Angebote in Kindertagesstätten vermieden werden kann. Bernhard Hofmann hat den letzten Beitrag dieses Kapitels beigesteuert. Er referiert die Ergebnisse einer breit angelegten Studie in den USA, die Zusammenhänge zwischen sozialer Benachteiligung und der Entwicklung einer Arbeitsethik bei Kindern herausgearbeitet hat. Petra Stanat und Andrea Müller berichten über die Effektivität von Programmen zur Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund sowie über das Jacobs-Sommercamp, dessen Wirksamkeit empirisch nachgewiesen werden konnte.
Das Kapitel 3: Praxiskonzepte beinhaltet Beispiele guter Praxis. Heidi Rösch beschreibt die »DaZ Reise«, die als didaktisches Konzept dem Jacobs-Somercamp zugrunde liegt und Kinder nichtdeutscher Herkunft mit sprachlichen Strukturen und dem Nachdenken über diese Strukturen vertraut macht. Anschließend berichtet Sybille Volkholz über ein außerordentlich erfolgreiches ehrenamtliches Projekt in Berlin: Hier stehen inzwischen mehrere hundert Erwachsene als Lesepaten für mehrere tausend Berliner Kinder als Lesepaten zur Verfügung. Dieses Projekt findet überwiegend an Grundschulen statt, die sich in sozial benachteiligtenWohnvierteln befinden. Lesen ist auch das Thema des Beitrages von Jutta Kleedorfer. Sie stellt ein Projekt des österreichischen Bildungsministeriums zur Stärkung der Lesekompetenz an österreichischen Hauptschulen dar, das sich auf die Bereiche Unterricht, Schulentwicklung und Lehrer/innenbildung bezieht und ein umfassendes Maßnahmenpaket beinhaltet. Die letzten zwei Beiträge von Ute Geiling und Ada Sasse berichten über ein universitäres Schülerhilfeprojekt an der Martin-Luther-Universität in Halle. Hier arbeiten Studierende der Sonder- bzw. Grundschulpädagogik über die Dauer eines Jahres mit Kindern aus sozial benachteiligten und bildungsfernen Milieus zusammen. Viele der hier berichteten Beispiele zeigen, dass dort, wo Bildungspolitik noch sehr zögerlich reagiert, bürgerschaftliches Engagement schon greift: Stiftungen, Vereine und Ehrenamtlichenprojekte sorgen für regional und lokal wirksame und nachhaltige Angebote.
Wir hoffen, dass die hier zusammengefassten Beiträge das Nachdenken über die Verbesserung von Bildungschancen fördern und die Etablierung weiterer Praxisprojekte anregen werden. Zugleich möchten wir uns für die großzügige finanzielle Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bedanken, durch die das Erscheinen dieser Tagungsdokumentation ermöglicht wurde. Ada Sasse Renate Valtin Vizepräsidentin Präsidentin
(Der Vortrag von Ada Sasse im 1. Kapitel trägt übrigens die Überschrift: „Vom restringierten Sprachcode der Unterschicht zu Wertorientierungen und Alltagspraxen in schriftfernen Milieus“.)
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Jan-Martin Wagner
Jena
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Dieser Beitrag wurde am 10.01.2007 um 00.11 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=101#1307
Bundesverband Alphabetisierung "Mit Mathe-Schwäche kann man kokettieren" Das Gespräch führte Susanne Rost
Herr Hubertus, die letzte amtliche Untersuchung zum Analphabetismus in Deutschland liegt fast hundert Jahre zurück. Wie kommen Sie zu der Angabe, dass heute hierzulande vier Millionen Betroffene leben?
Unsere Zahl ist eine Schätzung. Sie orientiert sich an einer OECD-Studie zur Lesekompetenz. Demnach haben 14,4 Prozent der Deutschen nur Lesekenntnisse auf unterstem Niveau. Die Pisa-Studie hat gezeigt, dass knapp zehn Prozent der 15-Jährigen bei der Lesekompetenz nicht einmal die unterste Stufe erreichen. Das lässt auch Rückschlüsse auf die Schreibfähigkeit zu. Ganz klar: Menschen mit so geringen Lese- und Schreibkenntnissen sind funktionale Analphabeten.
Was bedeutet das?
Funktionale Analphabeten sind Menschen, die zwar die Buchstaben kennen, aber nur einfache Wörter lesen oder schreiben können, die längere Texte gar nicht oder nicht schnell genug verstehen, um davon im Alltag einen Nutzen zu haben. Sie sind mit ihren begrenzten Kenntnissen nicht in der Lage, den Anforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden - beispielsweise im Beruf.
Diese Definition erklärt wohl auch, warum die Analphabetenquote vor hundert Jahren niedriger war als heutzutage ...
Früher galt als Analphabet nur derjenige, der nicht einmal seinen Namen schreiben konnte. Das waren natürlich nur ganz wenige. Deshalb hat man viele Jahrzehnte angenommen, dass es in Deutschland keinen Analphabetismus mehr gibt.
Die meisten Betroffenen bemühen sich ja auch stark, ihre Schwächen zu verheimlichen ...
Wer in Deutschland viele Rechtschreibfehler macht, muss befürchten, dass seine Mitmenschen ihn für dumm halten. Dagegen kann man mit Mathematik-Schwäche kokettieren.
Erklärt diese Stigmatisierung auch, warum relativ wenige Menschen - 30 000 bundesweit - Alphabetisierungskurse besuchen?
Die Scheu, sich zu outen, ist groß. Es ist aber auch einfach eine ganz hohe Hürde, wenn man sich als Erwachsener mit einer Sache beschäftigen muss, an der man als Kind gescheitert ist. Die Betroffenen versuchen, das möglichst lange aufzuschieben. Erst wenn es gar nicht mehr anders geht - beispielsweise wenn das eigene Kind in die Schule kommt - nehmen sie das Problem in Angriff. Aber es ist auch so, dass es nicht überall ausreichend viele Kurse gibt.
In welchen Bundesländern gibt es ein gutes Angebot, wo nicht?
Spitzenreiter ist Schleswig-Holstein, wo pro einer Million Einwohner etwa 80 Kurse angeboten werden, in Bayern sind es dagegen nur drei. Fakt ist, dass in manchen Gegenden Deutschlands Menschen, die gerne lesen und schreiben lernen möchten, keine Kurse in erreichbarer Nähe finden.
Bildungsministerin Annette Schavan hat zuletzt angekündigt, dass sie binnen fünf Jahren die Zahl der Analphabeten halbieren will. Das ist ihr 30 Millionen Euro wert. Wo wäre dieses Geld am besten investiert?
Zwei Millionen Menschen in kurzer Zeit zu alphabetisieren, wird nur dann gelingen, wenn es auch mehr Kurse gibt. Genau dafür ist aber nicht der Bund zuständig, sondern die Länder. Der Bund kann mit dem Geld nur Modellprojekte fördern, die zeitlich befristet sind. Es wäre sehr wichtig, die Aktivitäten in den einzelnen Bundesländern miteinander abzustimmen und diese mit den Modellprojekten auf Bundesebene zu vernetzen. Die Initiative von Frau Schavan ist sehr zu begrüßen. Aber ohne flankierende Maßnahmen auf Länderebene geht es nicht.
(Berliner Zeitung, 8. 1. 2007)
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Kratzbaum
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Dieser Beitrag wurde am 22.02.2007 um 11.53 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=101#1503
Motivforschung
Bei den Versuchen, diese bisher größte Fehlleistung der Kultusminister zu verstehen und zu erklären, wird immer ein irrationaler Rest bleiben. Am Anfang stand wohl der Wille, den Schülern etwas Gutes zu tun und darüberhinaus einmal selbst gestaltend statt immer nur verwaltend in Erscheinung zu treten. Da wurde nicht lange nach der Qualität des Produktes gefragt. Sehr bald merkten die Verantwortlichen, worauf sie sich eingelassen hatten. Nun kam die spezifische Denkweise von Politikern ins Spiel. Während jedes Wirtschaftsunternehmen seine Fehlentscheidung bei Strafe des Untergangs durch schnellstmöglichen Rückzug korrigiert hätte, hieß hier die Devise: Wir wissen, daß wir Mist verkaufen, aber das dürfen wir niemals zugeben, sondern müssen kraft unserer Machtmittel und unseres (Teil-) Monopols unseren Schrott unter die Leute bringen. Zugleich muß jede Erinnerung an einstmals und noch existierende Qualitätsware getilgt werden. Es war eben wie auch sonst. in einer Zwangswirtschaft.
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Christoph Schatte
Poznan
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Dieser Beitrag wurde am 04.03.2007 um 13.26 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=101#1554
Jan-Martin Wagner wies hier am 8. Januar auf einen von Ada Sasse und Renate Valtin herausgegebenen Konferenzband hin und machte das Vorwort in diesem zugänglich. Es mag ja sein, daß auch Pädagogen etwas von Schriftsprache gehört haben, aber warum verwechseln sie permanent Schriftspracherwerb mit Schrifterwerb?
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Horst Ludwig
St. Peter, MN, USA
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Dieser Beitrag wurde am 28.07.2013 um 20.25 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=101#10353
B.S. (am.) = Gerede "DTS-Meldung vom 28.07.2013, 14:52 Uhr Lehrerverbände: Schulen sollen besser auf das wahre Leben vorbereiten Lehrerverbände in Nordrhein-Westfalen kritisieren die Unterrichtspläne an den Schulen, die aus ihrer Sicht nicht auf das "wirkliche Leben" vorbereiten. Berlin (dts Nachrichtenagentur) - "Lehrpläne sind zu stark auf die reine Wissensvermittlung ausgerichtet", sagte der Landeschef der Gewerkschaft Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, der "Westfalenpost" (Montagausgabe). Auch der Philologenverband forderte "mehr Mut zur Lücke bei Lehrplänen", damit Schulen die "Lebensbefähigung" der Schüler stärker in den Blick nehmen könnten. Der NRW-Vorsitzende des Philologenverbandes, Peter Silbernagel, verlangte "mehr Mut zur Entschlackung der Lehrpläne". Einzelne Fächer wie Biologie, Informatik und Mathematik glichen in den letzten drei Schuljahren oft Oberseminaren an Hochschulen. "Schule muss aber Kreativität, Teamfähigkeit, Flexibilität und Lebensbefähigung fördern. Allein Wissen zu vermitteln, das reicht nicht", sagte Silbernagel. Weil sich die Anforderungen an das Lebensumfeld "Schule" aus Sicht Beckmanns in den letzten Jahren stark verändert haben, verlangte der VBE-Landeschef eine Überprüfung und anschließende Ausdünnung der Lehrpläne durch die Landesregierung."
Zu "Lehrerverbände: Schulen sollen besser auf das wahre Leben vorbereiten [/] Lehrerverbände in Nordrhein-Westfalen kritisieren die Unterrichtspläne an den Schulen, die aus ihrer Sicht nicht auf das "wirkliche Leben" vorbereiten": Als ob die Lehrerverbände wüßten, wie das wahre Leben der Schüler in wenigen Jahren und auf lange Sicht ohne gesichertes Fachwissen ablaufen würde. Zu: "Der NRW-Vorsitzende des Philologenverbandes, Peter Silbernagel, verlangte "mehr Mut zur Entschlackung der Lehrpläne". [/] "Einzelne Fächer wie Biologie, Informatik und Mathematik glichen in den letzten drei Schuljahren oft Oberseminaren an Hochschulen." In diesen Fächern lernen Schüler aber an Beispielen, wie man sich selbst Wissen erarbeitet und welche Kriterien dabei relevant sind. Und das ist wichtiger, als irgendwelche parteipolitisch eingestellte Haltung re "Kreativität, Teamfähigkeit, Flexibilität und Lebensbefähigung [zu] fördern." Und "Lebensbefähigung"! Mein Gott! Daß Herrn Silbernagel bei sowas nicht die Stimme im Halse stecken bleibt! Und die Auswahl der Fächer ("Biologie, Informatik und Mathematik"), deren Bildungswert hier angegriffen wird, — sagt die vielleicht was über Lebensbefähigung eines (Fach-)Philologen aus? Wichtig ist z. B. zu wissen, wie man richtig schreibt, und das ist zu lernen. Was die dann später schreiben, dafür müssen sie selbst Verantwortung übernehmen. Ich will jedenfalls keine auf "Teamfähigkeit" und "Flexibilität" hin dressiertn Menschen als Produkt unseres Erziehungssystems. Von denen haben wir sowieso schon genug.
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Manfred Riemer
Mannheim
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Dieser Beitrag wurde am 21.03.2016 um 13.43 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=101#11338
... auf orthographische Kompetenzmängel wurde mit einer gewinnträchtigen Rechtschreibreform geantwortet; auf die schwindende Fähigkeit, komplexere Texte zu lesen und sich differenziert auszudrücken (Vermassung des „restringrierten Codes“) reagierte man mit einer „unterhaltungspädagogischen“ Absenkung des Anforderungsniveaus; „wer forderte, daß sich die Schule auf die Vermittlung zentraler kognitiver Fähigkeiten konzentrieren sollte, anstatt unter dem Diktat eines mutwillig vom Zaun gebrochenen virtuellen Wettbewerbs mit Lustbarkeitsangeboten aller Art zu werben, wurde als Kulturpessimist, als rückständig und reaktionär gebrandmarkt.“ (Liessmann 2012, S. 77). D. h. die rückschrittlichen Demonteure des emanzipatorischen Bildungskonzeptes warfen sich selbst das Mäntelchen des „Reformers“ um.
Der komplette Text steht hier: Bildungsverfall
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