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14.10.2020
 

Stefan Stirnemann
Ein Wörterbuch für Untertanen

Auf einem glatten See, wenig Wellengang sei in Kauf genommen, ziehen Stehpaddler auf schlanken Brettern ihre Bahnen. Sie wollen alle dasselbe: Bewegung und Freiheit, Wasser und Landschaft, Sonne und Luft.

Es sind viele, und doch gibt es keinen Zusammenstoss, weil alle ihn meiden.
Am Ende des Tages, wenn der Wasserspiegel die Spuren festhalten könnte, sähe ein Adler, darüber fliegend, ein kunstvolles Muster aus breiten Linien und Bögen und feinen Nebenranken. So entwickelt sich die Sprache und mit ihr die Schrift, die Sigmund Freud treffend «die Sprache des Abwesenden» nannte.

Alle Schreiber wollen dasselbe, nämlich verstanden werden, und gemeinsam schaffen sie Muster und bilden Satzformen und Wörter. Der Wörterbuchmacher hat nur zu beobachten und festzuhalten; wenn er Muster verbietet oder befiehlt, greift er unsere Sprache an. Vor 25 Jahren begannen die Reformer der Rechtschreibung ihr Zerstörungswerk, und der Duden setzt es bis heute fort; unter dem Titel der geschlechtergerechten Sprache weitet er es aus.

Regeln der Wortvernichtung

Als 1880 Dr. Konrad Duden, Gymnasiallehrer und Schulleiter, sein «Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache» veröffentlichte, tastete er die Regeln der Wortbildung nicht an. Im ersten reformierten Duden dagegen standen 1996 Tausende Wörter in einer Form, die sie nicht mehr als Wort erkennen lässt: jedes Mal, Fleisch fressend, wohl bekannt, heiss ersehnt. Das alte Wort jedesmal hielt sich zusammen mit der Ableitung jedesmalig von 1880 bis 1991 im Duden. Seit 1996 ist nur «jedesmalig» verbucht, in der neuen Auflage ist auch «jedesmalig» gestrichen, wohl der Theorie zuliebe. Mit einem einzigen Satz widerlegt Erich Kästner die ganze Theorie des Wortauftrennens: «Die Wirtschafterin kämpfte in der Küche wie ein Löwe. Doch sie brachte die heissersehnten und heiss ersehnten Bratkartoffeln trotzdem nicht zustande.» In der Sprachwirklichkeit gibt es das Wort heissersehnt.

Bezwungen von der Sprachwirklichkeit und dem Widerstand der Sprachgemeinschaft, stellte der Rat für deutsche Rechtschreibung neben die reformierten die herkömmlichen Formen. Der Duden wollte und will keine freie Wahl und gängelt uns mit seinen Empfehlungen. Was empfiehlt er heute? Heiss ersehnt. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz sagte seinerzeit im Spiegel: «Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.»

Die Sorgfalt, die der Duden dem deutschen Wortschatz entzieht, widmet er den englischen Fremdwörtern. Bei Verben wie outsourcen und downloaden führt er sorgsam die Verbformen auf, zum Beispiel «ich habe downgeloadet». Warum nicht «gedownloadet»? Die einfachste Lösung wäre: «ich habe download». Stilmuster ist der klassische Satz des Fussballtrainers Trapattoni: «Ich habe fertig». Sprachmischung ist das Merkmal der makkaronischen Poesie, der «Nudelverse». Mit Latein gemischt: «In tempore Nachti Sterni leuchtunt ab Himmlo.» So dichtete man aus Sprachwitz und Parodie; dem Duden ist es bierernst. Wo bleibt die Sprachfreude? Ein fröhlicher Sprecher hatte den Einfall, «Fastfood» zu ersetzen, und fand «Dampfmampf».

Frauen wollen einen Platz in der Gesellschaft, der Duden gibt ihnen einen im Wörterbuch und häuft weibliche Formen, die rechtschreiblich keine Schwierigkeit machen. Die Folgerichtigkeit fehlt: Wenn der Buhmann mit «Prügelknabe» erklärt wird, warum die Buhfrau nicht mit «Prügelmädchen»? Und sollte neben dem Sündenbock nicht die Sündenziege stehen? Ob ich immer auch die weibliche Form verwende, ist eine Frage der Genauigkeit und der Höflichkeit; übertreibe ich sie, wirke ich komisch. An der Höflichkeit liegt es auch, ob ich Wörter verwende, die kränken können, und Erziehung brauche ich nicht. Wer schriftlich schimpfen will, den hält ein «Info-Kasten» mit der Belehrung, dass man nicht schimpfen solle, nicht auf.

Seid untertan der Amtlichkeit!

Der Apostel Paulus riet seinen Christen, der Obrigkeit zu gehorchen. Im Rat steckte auch Weltklugheit: Die römischen Kaiser unterhielten wirksame Polizeibehörden und Arenen mit hungrigen Löwen. Leben auch wir in einem Staat, der Gesinnung und Haltung befiehlt? Als der Duden die Rechtschreibreform durchsetzen wollte, schrieb er in einem internen Papier zur angeblichen Verringerung der Regeln:
«Die inhaltlich falsche, aber politisch wirksame Formel ‹aus 212 mach 112› muss auch im Duden ihren angemessenen Ausdruck finden.» Als Propaganda sollte man heute auch den Satz zur Geschlechtergerechtigkeit verstehen: «Es ist zu beobachten, dass sich die Variante mit Genderstern immer mehr durchsetzt.» In der nächsten Auflage wird diese von Ämtern gewünschte und sprachfernste aller Möglichkeiten den Schreiber*innen vorgeschrieben sein. Das Sprachamt grölt die Befehle, das Wörterbuch kläfft sie ins Land hinaus?

Welche Redaktion wagt es, das verbotene Wort jedesmal zu drucken, in leuchtendem Gelb, so dass es den Duden-Leuten nicht entgeht? Es wäre ein Zeichen dafür, dass unsere Sprache Weisungen zurückweist.


Quelle: Die Weltwoche


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