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01.01.2016
 

Ist die Rechtschreibung noch zu retten?
Subjektives Empfinden: Das Niveau sinkt – An vielen Grundschulen schreiben Kinder anfangs nach Gehör

„Vür Mama“, steht auf der Karte. Die weiß nicht, ob sie sich freuen soll. Wieso macht das Kind noch mit neun Jahren solche Fehler? Überhaupt: Haben nicht immer mehr Schüler Probleme mit der Rechtschreibung? Und wenn, warum? Bei näherem Hinschauen zeigt sich: Einfache Wahrheiten gibt es nicht.

Das beginnt schon bei der Frage, ob überhaupt ein Problem besteht. Zum einen sind da Eltern und Lehrer mit ihren Beobachtungen. „Das subjektive Empfinden ist, dass das Niveau bei der Rechtschreibung abgesunken ist“, sagt etwa Martin Ries, der Schulleiter des Hariolf-Gymnasiums (HG). „Das Empfinden, dass die Rechtschreibung schlechter wird, haben wir auch“, stimmt Andrea Sachs-Dreher, die Rektorin der Kastellschule Pfahlheim, zu. Michael Stock, Fachleiter an der Mittelhofschule, stellt fest: „Das Ziel, dass die Schüler in Klasse fünf die Rechtschreibung beherrschen, ist so nicht gegeben. Einen Text richtig und lesbar abzuschreiben gelingt vielen nicht.“ Dabei haben die Schulen ihre Ansprüche schon heruntergeschraubt. „Die Schüler dürfen heute mehr Fehler machen, um so gut zu sein wie der Durchschnitt“, so Stock. Bei zehn Prozent Fehlern in einem Diktat von 130 Wörtern habe es früher eine Sechs gegeben. „Das dürfte heute nicht mehr so sein.“ Selbst der stellvertretende Leiter des Staatlichen Schulamts Göppingen, Rainer Kollmer, gibt zu: „Das ist ein Riesenproblem.“

Auf der anderen Seite erkennt das Kultusministerium keines und versichert, dass „die Rechtschreibung einen hohen Stellenwert beibehalten“ werde. Pressereferentin Christine Sattler verweist außerdem auf die Sachkenntnis von Erika Brinkmann, Professorin für deutsche Sprache, Literatur und Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Tatsächlich betont die in Abtsgmünd beheimatete Brinkmann, die subjektive Beobachtung von Eltern und Schulleitern lasse sich in der Forschung so nicht bestätigen.

„Rapunzel las dein Har Her runtehr“

Also doch kein Problem? Wäre da nicht die Erinnerung an den Elternabend in der ersten Klasse, als die Lehrerin bat, Fehler keinesfalls zu verbessern, sondern das Kind für seine Leistung zu loben, selbst wenn es gerade geschrieben hat: „Rapunzel las dein Har Her runtehr.“ Die Methoden, auf denen die Bitte beruht, erlauben das Schreiben nach Gehör, haben sich seit den 90er Jahren zumindest teilweise in einem Mix an vielen Grundschulen durchgesetzt und sind heiß umstritten. Einen Eindruck von der Diskussion liefern unter anderem die Ellwanger Grundschulen. So sagt einerseits Lehrerin Susanne Horn von der Grundschule Neunheim: „Ich finde diese Methode toll, weil die Kinder sich dann trauen zu schreiben.“ Wogegen Andrea Sachs-Dreher, die Rektorin der Kastellschule Pfahlheim, das „subjektive Empfinden“ hat, „dass die Kinder dabei lernen, sie dürfen ja irgendwie schreiben, man kann’s ja schon irgendwie lesen“. Und nachdem sich die falsche Art zu schreiben eingeprägt hat, gewöhnen sie sich die Fehler nur schwer wieder ab.

Trotzdem möchten die Leiter von weiterführenden Schulen nicht die Grundschulen für das – natürlich nur subjektiv gefühlte – gesunkene Rechtschreibniveau verantwortlich machen. Wenn der Förderbedarf wegen Lese-Rechtschreibschwäche an der Eugen-Bolz-Realschule auch deutlich zunehme, so etwa Rektor Gerd Bäuerle, sei das ein „gesamtgesellschaftliches Problem“. HG-Schulleiter Martin Ries führt unter anderem die größere Heterogenität bei den Schülern an: „Vor rund 30 Jahren gingen 17 Prozent eines Jahrgangs aufs Gymnasium, heute sind es in Ellwangen 40 bis 50 Prozent. Die Menschen sind aber in 30 Jahren nicht intelligenter geworden.“ Außerdem gebe es heute viel mehr Ablenkungen durch Smartphones und Computer, Kinder lesen in ihrer Freizeit deutlich weniger. „Die Lesekompetenz hat aber direkte Auswirkungen auf die Rechtschreibkompetenz“, so Ries. Und schließlich hätten die Grundschulen heute nun einmal 20 Prozent weniger Zeit, um Lesen, Schreiben und Rechnen einzuüben. „Das hat Auswirkungen, da bin ich mir sicher“, sagt der HG-Schulleiter.

Zu wenig Übung

Was die befragten Grundschulvertreter ähnlich sehen. „Ursache ist zu wenig üben“, stellt Kastellschulrektorin Andrea Sachs-Dreher fest. Diktate zum Beispiel würden heute viel weniger geschrieben. Damals gab es in Klasse vier 15 bis 20 Diktate, sekundiert ihr Mittelhofschul-Fachleiter Michael Stock, heute seien es etwa sechs. Auch Renate Sandmaier von der Buchenbergschule weiß: „Es wird nicht mehr so gepaukt wie früher“, und macht mehr diese fehlende Übung als Schreiben nach Gehör für das Sprießen kleiner Rechtschreib-anarchisten verantwortlich. Susanne Horn aus Neunheim nimmt dabei auch das Elternhaus in die Pflicht. Heute seien viele Mütter berufstätig. „Früher hatten sie mehr Zeit mit ihren Kindern zu üben.“ Eltern trauten sich auch nicht mehr Druck auszuüben, ergänzt Andrea Sachs-Dreher: „Sie sagen nicht mehr, du musst das lernen. Sie diskutieren, und am Ende wird nicht geübt.“

Einig sind sich alle, dass der Stellenwert der Rechtschreibung gesunken sei. Einerseits haben an den Grundschulen andere Kompetenzen an Stellenwert gewonnen und an der Übungszeit für Deutsch und auch Mathematik geknabbert: Englischunterricht zum Beispiel, Präsentationen bereits ab Klasse 2, Mind Maps und Clusters. Andererseits wachse in der Gesellschaft als Ganzes die Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtschreibung, beobachtet Rainer Kollmer vom Staatlichen Schulamt. Was spiele in Zeiten von SMS und What’s App zum Beispiel die Groß- und Kleinschreibung noch für eine Rolle?

Aber seien Inhalte nicht wichtiger? Über die Antwort lässt sich streiten.


Quelle: schwaebische.de
Link: http://www.schwaebische.de/region_artikel,-Ist-die-Rechtschreibung-noch-zu-retten-_arid,10368730_toid,290.html


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Kommentare zu »Ist die Rechtschreibung noch zu retten?«
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Kommentar von Pt, verfaßt am 22.01.2016 um 12.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10391

Wenn das nicht nur eine rhethorische Frage sein soll:

''Ich frage mich, wieso man glaubt, ein Hinweis auf das Richtige wäre eine Kritik, die negativ aufzufassen ist?''

Im Anbetracht dessen, daß die die Lehrer bzw. Pädagogen vom Fach sind und daher wissen sollten, wie man Kindern am besten etwas beibringt – das ging ja auch viele Jahrzehnte lang gut – kann man nur den Schluß ziehen, daß Kinder nicht mehr die richtigen Schreibweisen und auch kein richtiges Deutsch mehr lernen sollen.

Ich teile Ihre Meinung, daß diese Methode ein Betrug an den Kindern ist.



Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 22.01.2016 um 10.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10390

Unabhängig davon, ob und wann Kinder das Zehnfingersystem lernen, werden sie jedenfalls auch auf Tastaturen schreiben und dabei eine Rechtschreibkorrektur haben.

Solcherart sollte es doch leicht möglich sein, relativ rasch zu richtigen Schreibweisen zu gelangen, sich gleich die richtigen Wortbilder einzuprägen und nichts Falsches einzulernen. Und Tastaturschreiben steht Berichten zufolge an vielen Schulen schon ab den ersten Klassen Grundschule am Plan.


Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 22.01.2016 um 02.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10389

Glaubt man den div. Beispielen, die immer wieder abgedruckt werden, dann bringen sich diese Kinder nach Gehör unkorrigiert Falsches selbst bei und vertiefen es.

Ich frage mich, wieso man glaubt, ein Hinweis auf das Richtige wäre eine Kritik, die negativ aufzufassen ist? Kinder sind eigentlich ehrgeizig und wollen Dinge richtig machen. Diese Methode sehe ich daher als Betrug an den Kindern. Schließlich kann man die meisten Korrekturen auch sachlich verständlich begründen und vollkommen vorwurfsfrei kommunizieren. In jeder Sportart oder auch in der Musik lernt man abhängig vom bereits vorhandenen Können die nächste Stufe, wieso sollte das ausgerechnet beim Schreibenlernen nicht funktionieren?

Abgesehen davon dürften heutige Kinder locker in der Lage sein, Schreibweisen per Smartphone zu prüfen, was sogar als Wettbewerb gestaltbar ist. Mehrere Kinder, die ich kenne, arbeiten so. Der Umgang mit Apps startet doch schon im Kindergarten.


Kommentar von Pt, verfaßt am 21.01.2016 um 17.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10387

Hat man denn heute keine Fibeln mehr, oder anderes Material, mit dem Kinder früher mittels Bildern an die Schriftbild und Grammatik herangeführt werden?


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.01.2016 um 17.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10386

Ich kenne die Praxis nicht genauer, sie ist ja auch vage genug beschrieben. Ich glaube auch nicht, daß den Kindern Falsches "beigebracht" wird. Wahrscheinlich geht es um die ganz andere Frage der Korrekturpraxis. Es gibt nicht nur im Elementarunterricht viele Situationen, in denen man kleine Fortschritte loben muß, auch wenn anderes noch unzureichend ist. "Shaping" funktioniert eben so. Man denke an den Musikunterricht.
Die Alternative wäre, nur solche Wörter schreiben zu lassen, die ausdrücklich geübt worden sind. Nur dann kann man versuchen, keinen Fehler durchgehen zu lassen. Es ist klar, daß man damit nicht weit kommt.

Kraß ausgedrückt: Nach Gehör schreiben ist schon besser als gar nicht schreiben.


Kommentar von Pt, verfaßt am 20.01.2016 um 13.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10385

Es geht doch offenbar darum, die Leute durch Rechtschreibreformen und lebenslanges Umlernen von wirklichen Fortschritten abzuhalten, denn es ist nicht anzunehmen, daß studierten Leuten nicht klar ist, was sie mit den von ihnen propagierten Methoden anrichten.


Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 20.01.2016 um 11.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10384

Es wäre einmal ein zeitnahes Interview mit jemandem interessant, der mit dieser Methode aufwuchs und dann umlernen mußte.

Mir ist in der Natur kein einziges Beispiel bekannt, wo Eltern dem Nachwuchs zunächst etwas falsch beibringen, um später dann umzulernen. Ich meine, diese modernen Didaktiker unterstellen den jungen Leuten auch mangelnde Intelligenz, wenn sie annehmen, jemand könne nicht unterscheiden, ob er eine SMS oder eine Schularbeit schreibt.

Kinder machen das nach, was sie von ihren Eltern sehen. Daher wäre es zumindest was grundlegende Kulturtechniken anbelangt vorteilhaft, wenn Eltern diese Aufgabe nicht alleine der Schule überließen, besonders dann, wenn bekannt ist, daß die Schulmethode zweifelhaft ist. Verantwortungsvolle Eltern handeln auch entsprechend.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.01.2016 um 09.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10383

Wenn das Beispiel Vür Mama nicht erfunden ist (was ich aber annehme, weil es vielen erfundenen Beispielen verdammt ähnlich sieht), gibt es mehrere Erklärungsmöglichkeiten. Das Vogel-Vau ist ja selten, und die Fehlschreibungen gehen eher in die andere Richtung: fil glük. Die Neunjährige könnte an einer echten Rechtschreibschwäche leiden. Oder sie liest praktisch gar nicht. Oder sie hat im Augenblick hyperkorrekt schreiben wollen, nach dem Muster: So einfach, wie ich glaube, kann es nicht sein. Oder eben alles zusammen.


Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 12.01.2016 um 11.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10382

Daß technologische und andere Veränderungen natürlich auch einen Einfluß auf den Lehrplan haben müssen, ist klar. Vermutlich hinkt der Lehrplan diesbezüglich ohnehin stark hinten nach. Warum das aber auf Kosten einer klassischen Kulturtechnik gehen soll, ist eigentlich nicht nachvollziehbar, zumal man sich der Tatsache ja bewußt ist.

Ich meine auch, daß man im Unterricht auch neue Wege gehen sollte, also z. B. auch zum Einsatz von Freelancern, die unterlagert zum normalen Unterricht spezielles Know How vermitteln, das klassische Lehrer nicht aktuell haben können. In Zeiten, in denen Cybermobbing zum allgemeinen Problem wird, wäre es höchst an der Zeit, in Schulen auch zu vermitteln, wie zu reagieren ist, wenn einem so etwas passiert, um nur ein Beispiel zu nennen.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.01.2016 um 10.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=742#10381

Wenigstens einmal wird das Lesen noch erwähnt. Ohne Lesen kann man nicht rechtschreiben lernen.

Andererseits werden "Präsentationen, Mind Maps und Clusters" als neue Kompetenzen schon bei Grundschülern gepriesen. Ist der Nutzen solcher Beschäftigungen nachgewiesen? (Zeitgemäße, d. h. von den Medien diktierte Formen der Rhetorik, die sehr viel Zeit von der Arbeit an den Sachen abziehen)



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